Reviews

Besprechung einer Tagung über Besprechungen

2023:November // Andreas Koch

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11-2023

Rückblickend gibt es eine kleine Geschichte zwischen Texte zur Kunst und von hundert, allerdings ist sie recht einseitig, wenn man Geschichte als Liebesbeziehungsmetapher deuten wollte. Tatsächlich gibt es viele Texte, Erwähnungen, Kritiken in der von hundert zu Texte zur Kunst und, ich bin mir sicher, keine einzige Stelle im anderen Magazin, in der auch nur das Wort „von hundert“ fällt. So auch nicht im aktuellen Band mit dem Titel Reviews. Gut, denkt man, so wahnsinnig viele Magazine mit Reviews gibt es zwar nicht, aber dieses hierarchische Gefälle, diesen akademisch geschulten Niemals-nach-unten-Schauen-Blick gibt es halt, und es verletzt mich auch nicht allzu sehr. Also ging ich zum Texte-zur-Kunst-Podiumstalk „Besprechungsbedarf: Zur Lage der Rezension“ in der Volksbühne, den TzK gemeinsam mit der AICA (Alliance Internationale des Critiques d’Art) ausrichtete – zu einem Fachkongress sozusagen. Der Rote Salon war gut zur Hälfte gefüllt. Das Thema Kunstkritik zieht nicht ganz so viel Publikum, wie man denken könnte, und natürlich war dies auch der unterschwellige Tenor, den man aber auch nicht allzu laut werden lassen wollte, denn das soundsovielte Symposium zur angeblichen Krise der Kunstkritik wollte man natürlich auch nicht sein. Zu viele, jahrzehntelang geführte, ohne jegliche Änderungseffekte geführte Krisendebatten erscheinen schnell als langweilig.

So sind wir auch schon inmitten des Hauptproblems beim Thema Review – es ist nicht die interessanteste Textform. Obwohl alle Teilnehmer des Podiums versicherten, eifrig die Besprechungen der anderen zu lesen, fragte man sich doch, warum? Aus Interesse an den besprochenen Ausstellungen, die man noch sehen will oder die man verpasst hat, oder als Referenz zum eigenen Schreiben? Liest man lieber negative oder positive Kritiken? Schreibt man selbst negativ über eine Ausstellung? Ist eine Rezension mehr als eine preissteigernde Werbung? Ist sie überhaupt noch relevant für den Kunstmarkt? Was zeichnet eine gute Rezension aus? TzK gibt den Autoren natürlich eine Art Style-Sheet mit eigenen Regeln.

All diese Fragen wurden ausgiebig erörtert, und ja, es kam natürlich wenig Neues heraus. Die Social-Media-Expertin Annekathrin Kohout führte ein paar Beispiele aus TicToc oder Instagram vor; queere Buchkritiker mit weitwinkelverzerrten Gesichtern oder durch Ausstellungen laufende, Selfiestick-haltende Performer, und klar, das sind neue Formen der Rezension mit einer Reichweite von der TzK nur träumen kann, aber geht es darum? Daumen hoch, vier von fünf Sternen, oder runter, Kunstkritik meets Gastrobewertung …

Trotzdem war der Nachmittag/Abend alles andere als langweilig. Ich saß neben einer Autorin der von hundert und wir stießen uns immer mal wieder den Ellbogen in die Seite. Es gab so viele Vorschläge und Ansätze, in der wir die von hundert wiederfanden. Aus dem Social-Media-Ansatz wurde auf dem Podium zum Beispiel das Subjektive, die Einführung des Autoren-Ichs übernommen, um die Texte stärker an die Leser anzubinden, um die Kritik aus ihrem akademischen Unangreifbarkeitsnimbus zu hieven. Mehr negative Kritik wurde verlangt und nicht nur Fanpost der Kritiker an ihre Freunde und Heroen, die sich dann doch nicht allzu sehr von deutlich besser bezahlten Katalogtexten unterscheidet. Investigativer Journalismus wurde von Charlotte Klonk angemahnt. Zu Recht, wie wir finden, in keinem Kultur-, Wissenschafts-, oder Wirtschaftsbereich wird so wenig über innere Strukturen, Machtverhältnisse, Klüngel oder finanzielle Abhängigkeiten geschrieben wie im Sektor der bildenen Kunst. Und sie, Professorin für Kunst und Neue Medien an der Humboldt-Universität, wies auch noch auf die Tatsache hin, dass es für die Kunstgeschichte unabdingbar sei, in Bibliotheken auf gedrucktes Material zurückgreifen zu können. Gerade Reviews aus alten Magazinen sind oft das einzige Material, das über künstlerische Positionen noch existiert, Künstler samt Werk sind da schon längst physisch und aus dem Gedächtnis entsorgt. Auch die digitale Überlieferung bleibt meist nicht länger als zwanzig Jahre les- und abrufbar.

Also meldete ich mich zum Schluss doch und beschrieb das Modell der von hundert, zu stark war der Impuls: Aber das machen wir doch alles und keiner kennt’s …
Aber, und deshalb landet dieser Text im Mittelteil dieses Spezials, wir können dies nur unter dem Imperativ des ­Wenigers leisten. Durch den Verzicht auf jegliche Ökonomie, auf Werbung, auf Honorare, auf Auflage leisten wir uns auch ein Höchstmaß an Freiheit. Wir haben nichts zu verlieren. Aber dadurch verzichten wir auch auf Macht. Wir sind außerhalb jeglicher Verwertungsketten. Selbst das soziale Kapital, das wir generieren, ist gering, wie man am Bekanntheitsgrad der von hundert im Roten Salon ablesen konnte. Ohne Geld keine Attraktivität, ohne Sexyness keine Macht, ohne Ehrgeiz keine Karriere.

Man könnte also fragen, was nützt investigativer Kunstjournalismus, wenn es keiner liest, was bringen negative Kritiken, wenn sie niemanden jucken? Schreiben wir nur für die Kunstgeschichte, denn immerhin landen zwei Hefte jeder Ausgabe in den Kellern der Nationalbibliotheken? Ich würde antworten, wir nähern uns mit unserem Modell dem der Kunst an. Die Form der Texte an sich, mit einem Höchstmaß an Diversität und Heterogenität (was man von TzK-Texten nicht unbedingt behaupten könnte), kommt den auf dem Podium postulierten Idealen sehr nahe und wir agieren wie Künstler, denen Rezeption und Erfolg nachrangig sind. Denn das impliziert eben auch ein Weniger. Bezeichnenderweise wurden diese Fragen auf dem Podium dann schon nicht mehr gestellt.
Wir hingegen freuen uns über alle Leser, die wir haben und die uns schätzen und deren Zahl sehr wohl weit über die hundert hinausgeht. So weit sind wir da gar nicht entfernt von der Leserzahl der anderen Magazine.

Als abschließenden Liebesbeweis versprach ich der von mir geschätzten Verlagsleiterin und Namensvetterin Silvia Koch eine Liste mit all unseren TzK-Texten und -Verweisen. Und wenn ich mich schon als Stalker oute, dann veröffentliche ich die Liste gleich für alle mit.Link)

„Besprechungsbedarf: Zur Lage der Rezension“
Eine Tagung im Roten Salon der Berliner Volksbühne
am 6. Oktober 2023, organisiert im Rahmen des Velvet Voice Clubs von Texte zur Kunst und der AICA
mit Carina Bukuts, Oliver Hardt, Charlotte Klonk, Annekathrin Kohout, Charlotte Matter, Gregor Quack, Annette Tietenberg
Moderationen: Antonia Kölbl, Christian Liclair, Carsten Probst, Anna Sinofzik