wo ich war

2015:November // Esther Ernst

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11-2015

LET’S TALK ABOUT WORK (AND LIFE) 27. Apr. 2015
Mit S. Zacharias, F. Feigel, J. Laue, M. Kuhlmey
Studio 13, Tanzfabrik Berlin

+ dieses schöne Gesprächsformat haben Silke Bake und Jacopo Lanteri entwickelt. Sie laden für das jewei-lige Gespräch einen Künstler ein, der einen weiteren Künstler einlädt, der wiederum einen weiteren Künst-ler einlädt usw. bis die vier Plätze besetzt sind. Der erste Gast interviewt seinen Mitgebrachten 25 Minuten lang, dann interviewt der zweite Gast den dritten, bis die vier Leute jeweils einmal zu Kunst und Leben gefragt haben und gefragt wurden. Es entstehen sehr schöne Gespräche, etwas intimer als auf den üblichen Podiumssituationen. Weil jeder ein bisschen anders fragt und mehr oder weniger preis- gibt. So ist der Abend abwechslungsreich und unter-haltsam. Mich beschäftigt, warum man dem einen lieber zuhört als dem anderen. Wann jemand konzen-triert ist und für seine Arbeit brennt. Und finde es immer wieder faszinierend, wenn jemand um sich selbst weiss und gut über seine Arbeit sprechen kann. Zu den Interviews wird eine Suppe gereicht und zwischendurch eine Qualmpause eingelegt. Bestens.


GALLERY WEEKEND BERLIN 1. - 3. Mai 2015

+ Gallery Weekend ist wie Art Basel oder sonst so ein Gedöns. Manchmal macht der Kunstrummel Spass, gehört grundsätzlich zum Job und kippt bei mir zwischendurch ins Hilflose. Gehör ich dazu, interessiert mich die Kunst, treff ich genügend Leute, oder find ich das alles total behämmert, weil ich eben nicht dazu gehöre, zu schlecht vernetzt bin und zu wenig Insiders auftischen kann und eigentlich grundsätzlich zu faul bin, um von Galerie zu Galerie zu hetzen (und nie auf wichtige Partys eingeladen werde...). Trotzdem mochte ich den Freitagabend mit Anja, Annabel und Katinka. Und auch die Renata Lucas bei Neugerimschneider (ah, das ist die mit dem verschnittenen Trottoir vor den Kunstwerken), oder der Augustin Rebetez bei Felbusch Wiesner, die orangene Leuchtbrille von Martin Eder, und die Lieder im Hof von Tino Sehgal. Auch ich verstehe nicht, wieso der König die unsäglich hässliche Decke in die Kirche gezogen hat und seine Künstler so beknackt ausgeleuchtet und abgestellt ausstellt, aber gleichzeitig ist mir das auch so was von Wurscht.


GROSSE KATHARINA 30. Mai 2015
The Smoking Kid
König Galerie, Berlin

+ es ist doch sehr erstaunlich, denn im Gegensatz zu ihren Psychopapieren, über die ich mich vor nicht all zu langer Zeit echauffierte, find ich die überdimen-sional grossen aber klassischen Leinwände wiederum fantastisch. Obwohl die sehr ähnlich aufgebaut sind und sich eigentlich lediglich in ihren Grösseverhält-nissen unterscheiden. Ihre Bilder sehen grosszügig und lässig aus, als würde da zufällig alles stimmen und als würde sich Grosse kaum um Bildaufbau kümmern und schon gar nicht um farbkompositorische Probleme. Diese virtuose Leichtigkeit (bestimmt alles nur Trug und Schein und die reflektiert jeden Zentimeter) macht wahrscheinlich auch die gute Laune.
Und dann find ich das geteilte Kirchenschiff oben doch sehr schön (während ich neulich den unteren Raum unmöglich fand und dachte, dass der mit seinem Einbau alles kaputt macht). Ja, das ist ein schöner farbge-sättigter Wahnsinn auf diesem groben, braunen Putz.


SEHGAL TINO 25. Juni 2015
This Progress
Haus der Berliner Festspiele

+ kaum ein Ticket gelöst, hüpft mir ein kleiner Junge entgegen, nuschelt verlegen den Titel der Arbeit und fragt mich was Fortschritt ist. Ich sage, einen Schritt nach vorn und frage, was es für ihn bedeutet. Er spukt ein auswendig gelerntes Sätzchen aus und übergibt mich nach ein paar gemeinsamen Schritten einer Jugendlichen mit dem Zusatz, dass er nicht verstand, was ich sagte. Das junge Mädchen hingegen war sich seiner Sache sicher und verwickelte mich in ein Gespräch über die ersten Kindheitserinnerungen und erzählte, wie sie die Schei-dung ihrer Eltern miterlebte. Dann gesellte sich eine junge Dame dazu und wollte mit mir über Vegetarismus sprechen, aber darauf hatte ich keine Lust und das verunsicherte und überforderte die Performerin und das war mir unangenehm. Eine alte Frau übernahm mich und berichtete mir von einer erhabenen Erfahrung in der Kirche (und man merkte, dass sie das schon oft erzählte...) und währenddessen ärgerte ich mich bereits über die Schlampigkeit von Tino Segal, weil er den Spaziergang nicht sorgfältig ausgearbeitet hat.


NEEDCOMPANY 25. Juni 2015
The Time Between Two Mistakes
Haus der Berliner Festspiele

+ liebe alte Herren, lasst doch das mit dem Theater, wenn ihr merkt, dass ihr senil werdet. Ist auch kein schöner Abgang, wenn einem das Publikum während der Vorstellung davon läuft, oder?
1. Fehler des Abends: Sachen, die man aus gutem Grund verworfen hat, nicht einfach so wieder auf die Bühne holen, wenn einem sonst nix mehr einfällt
2. Fehler: sich arrogant und gleichzeitig etwas flach an Peter Brook abarbeiten ist total oll
3. Fehler: Nicht einfach inhaltslos Dinge aneinanderreihen (obwohl, das geht natürlich schon. Vor allem wenn man so wunderschöne Übergänge hinkriegt), aber dann bitte nicht ständig so tun, als hätte das Eine (die sterbenden Fische) mit dem Anderen (koreanische Drachentänze) zu tun
4. Fehler: Niemals die Idiotenknöpfe drücken beim Filmschneiden und keine gespiegelten Videos zeigen, auf denen Goldfische ineinander verschmelzen
... ach, und bitte, lieber Jan Lauwers, keine nackten Frauen mehr.


BEUTLER MICHAEL 1. Juli 2015
Moby-Dick
Hamburger Bahnhof, Berlin

+ Da hat sich Beutler nun also seine Werkstatt ins Museum geholt und den Ausstellungsraum in einen grossen Abenteuerspielplatz verwandelt. Das Imposante und Interessante an seinen Bauten ist, dass er sein Material selber herstellt und die Maschinen dazu obendrein. So betrachtet man neben dem ganzen Material-wahnsinn (z.B. grossartige Faltfrösche) auch einfach zusammengezimmerte Werkmaschinen ohne Strom, die dünnes Aluminium zu Wellblech verarbeiten mit dem Beutler dann wiederum zusammensteckbare Wände baut (oder wie am Frankfurter Flughafen: ein Pagodenturm aus Vogelhäus-chen). Im Hamburger Bahnhof kann man ein riesiges, selbsttragendes und lichtes Karussell besteigen und dabei die Orientierung verlieren. Es nimmt die Archi-tektur des Bahnhofes auf, ist enorm leicht und schwebt auf einem Wasserbecken. Beutlers erfinderische Bauweise à la back to the roots lassen den Betrachter wieder aus Kinderaugen staunen und machen gute Laune. Und laut den Videodokumentationen haben die bei ihren kunstvollen Aufbauten auch eine Menge Spass. Eine feine Welt.


GALLI 11. Juli 2015
Liebe und Lyrik sind zweckfrei
Haus am Lützowplatz, Berlin

+ toll die Galli, bin sofort eingenommen von ihren Künstlerbüchern, die sie auf Video transformiert und dort persönlich vor- und manchmal auch wieder zurück-blättert, als würde sie ihre Zeichnungen sich selbst noch einmal erzählen. Der Medienwechsel nimmt dadurch eben nicht so eine grosse Distanz und Mechanisierung zwischen Werk und Betrachter ein, die bei den nüchter-nen Diashows oftmals zu Ermüdung führen. Grossartig sind die Hefte mit ihren unterschiedlichen Themen. In einem findet man den immer gleichen Blick aus dem Atelier heraus und in den Flur hinein, den sie mit all seinen täglichen Veränderungen seitenlang in heiterem Rosa aquarelliert. Ein anders Heft gleicht einem Kinderbuch mit fantastischen Tiergeschichten. Im nächsten sind die Seiten beschnitten und zur Mitte hin ein vielschichtiges Gewirr. Text und Zeichnung verweben sich inhaltlich wie visuell mit einer grossen Selbstverständlichkeit. Aber es ist vor allem der banale Alltag, den Galli in all seinen Facetten aufsaugt und meist mit feinem Humor verzeichnet. Juche.


MY LONELY DAYS ARE GONE / Part 2 25./28. Juli 2015
Galerie Arratia Beer, Berlin

+ wirr und irr und ziemlich super ist diese Ausstellung. 8 KünstlerInnen haben umfangreiche Wandarbeiten geschaffen, die entworfene Tapete im hippiebatikstyle (Streuli), Collagencomicmalerei (Claudia Comte), Bleistiftzeichnung (Matt Mullican), dünn aufgetragener Wandfarbe mit Flusenkrakel (Friederike Feldmann), oder vorgebauten Spiegelelemten (Carla Archoa & Stephane Schaenen) beinhalten und in so einer Heftigkeit aufeinander prallen, dass man im ersten Moment an Augenkrebs denkt. Massgebend an dieser Überforderung ist die flirrende Bodenarbeit von Caroline Kryzecki beteiligt. Aber einmal durchgepustet ist es ganz grossartig, sich auf die Wände einzulassen und in die jeweilige Bildsprache einzutauchen, was nicht schwer fällt, bei diesen Dimensionen. Und dann find ichs eben verwunderlich, dass so ein feines Bleistiftdiagramm null abfällt gegen eine quietschende Design-Reflektionswand.


ON THE EDGE 6. Aug. 2015
Artists in Dialogue with Humboldt Unviversity Collections
Tieranatomisches Theater, Berlin

+ was für eine hübsche Sonderausstellung, ich bin begeistert! Auch darüber, dass ich plötzlich und per Zufall in dieser Ausstellung stehe. 7 Künstler genossen uneingeschränkten Zugang zur Sammlung der Humboldt Uni (es gibt sogar den Fachbereich Kristallographie!), um neue Werke zu schaffen. Zuerst hab ich Agnes Meyer-Brandis grün-wuchernde Forschungsinstallation entdeckt und war fasziniert von Insekten, die wie Pflanzen aussehen und Pflanzen, die wie Holz aussehen. Und dann von den Forschungsdokumentationsvideos mit den lustigen Untersuchungsgegenständen, alles verwoben mit einem Tisch voller Pflanzen und Listen voller Analyseerge-bnissen. Wolf von Kries präsentiert neben einer Vitrine voller Umzugskartons die private Steinsammlung (Steine ohne besonderen Wert) seines Vaters, der stets von seinen Reisen welche als Souveniers mitgebracht hat (mein Schwiegervater sammelt Sand) und Nicole Schucks Zeichnungen sind wie gewohnt wunderschön und einladend zum Nachforschen. Vielen Dank Sara Barnes


FRIEDRICH CASPAR DAVID 8. Sept. 2015
Neuer Pavillon, Schloss Charlottenburg

+ erst meinte die Parkaufsicht, wir seien zu wenig barock, um auf der Wiese zwischen Schloss und Spree zu liegen, dann suchten wir ewig den Eingang zum Schinkel- Pavillon und dann verstand ich dort den Zusammenhang der Ausstellung nicht im Geringsten (gab’s überhaupt einen Titel?). Im Erdgeschoss kann man eine inventargetreu Einrichtung mit Prinzessinnen-Portraits in grellen Farben, wie sie türkische Hochzeitskleiderläden nicht überbieten können, bestaunen. Im oberen Stock empfängt einene eine Minidokumentation über Karl Friedrich Schinkel und Gemälde seiner Zeitgenossen. Darunter eben Caspar David Friedrich mit ein paar aufgeladenen Landschaften samt Menschenstaffage. Jörg wollte sich für sein Landschaftsseminar irgend einen Mönch auf dem Hügel anschauen, aber der hängt im grossen (geschlossenen) Schloss. Und ich bin etwas überfordert mit dem Caspar und finde an dem gerade gar nichts besonders und wünschte mir die Bettina, die mir erklärt, was ich nicht sehe...
Bissel unheimlich, diese königlich preussische Sammlung.


abc Berlin Art Week 17. + 18. Sept. 2015
Luckenwalder Straße 4 – 6, Berlin

+ Dank Barbaras Vip-Ticket zuerst durch die noch fast leere Halle geschlendert, mich aber unter all den bekloppt verkleideten Kunstleuten nicht besonders wohl gefühlt. Im zweiten Anlauf (selbst etwas verkleidet) ging’s besser. Die lichte, schöne Halle tut der Messe gut. Und ihre Grösse erscheint mir nicht erschlagend. Ich stolpere einmal mehr über Jorinde Voigts unsäglich schöne Zeichnungen und ihre Abbildungsmethode, die mich gleichzeitig so wütend macht, weil ich nicht verstehe, was sie verhandelt (und dem Inhalt misstraue) und dann lediglich bei dem blendenden Design stecken bleibe. Begeistert hat mich der schlichte Holzlatteneinbau von Jonathan VanDyke bei der Loock Galerie. Und wie er darin seine Patchwork-Leinwände präsentierte, die wiederum Ergebnis von verschiedenen Tanzperformances sind (die Galeristin dachte ob meiner Verkleidung, ich sei kaufinteressiert und erzählte mir viel über Herrn VanDykes Vorgehensweise und seiner Auseinandersetzung mit dem Harlekin... igittigittigit). Und was sollte eigentlich dieses Sammlergehabe Proximities and Desires? Das war ja gruselig...


POSTIONS BERLIN 19. Sept. 2015
Arena, Treptow, Berlin

+ zu Hause hab ich erst gemerkt, dass ich eigentlich doch noch einiges sehen wollte (zum Beispiel die Galerie von Laura Mars, ach, die ist ja in die Bülowstrasse umgezogen. Und Westphal hätt ich gern hallo gesagt, bin wahrscheinlich blindlings an ihm vorbei gegangen... Und Hammerschmidt Gladigau aus Erfurt hätt mich aus aktueller Situation auch interessiert). Dabei stand ich heut Nachmittag in der Arena und fand vieles zu dicht und zu bunt und wild zusammengestückelt. Die Kojenarchitektur macht die Sache nicht viel einladender sondern ermüdend (und jetzt merk ich erst, dass die abc-Messe die Halle mit recht wenig Kojen bestückt hat).
Das Paperfile von oqbo gehört zum Feinsten und ist eine Wohltat zum Anschauen. Habe mir die Mappe von Monika Bartholomé zeigen lassen und dabei ein kleines Glücksgefühl empfunden. Überhaupt ist es famos, wenn da jemand in weissen Handschuhen einen Karton vor einem öffnet, Blätter ausbreitet und dann wieder versorgt.

Alle Fotos: Esther Ernst