Mit Schnitte #6

 / Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch mit Michael Müller

2015:November // Esther Ernst, Anja Majer

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11-2015

Anja Majer  /  Willkommen zur sechsten Schnitte. In unseren Gesprächen geht es eigentlich darum, wie sich die Arbeit vom Künstler trennen lässt vom Event der Eröffnung. Und wir fragen uns, wer dabei welche Rolle spielt. Also was passiert da, was wird erwartet und was ist das überhaupt für eine Art von Ritual so eine Eröffnung.
Michael Müller  /  Da sind wir ja alle sehr unterschiedlich. Ich kenne Kollegen, für die ist es fast eine Tortur. Das ist es für mich überhaupt nicht. Den Begriff des Rituals würde ich eigentlich auch verwenden. Ich glaube, dieses Ritual ist wie jedes andere auch. Es macht Sinn für viele Leute, für andere nicht, und einige verfälschen es auch. Das ist so, wie wenn man in die Kirche geht. Einige sitzen da und sind gläubig und für sie hat es eine Bedeutung, und für die anderen ist es im besten Fall Unterhaltung. Und ich glaube, dass es bei jeder Vernissage auch so ist. Aber man sieht auch Freunde, was ich toll finde. Es ist ein schöner Moment, die eigene Freude mit ihnen zu teilen. Und dann gibt es natürlich diverse schreckliche Seiten. Man trifft unangenehme Menschen und so weiter. Und in der Galerie gibt es diese Hysterie, die dann zum letzten Moment aufkommt.
Majer  /  Eine Art Premierengefühl?
Müller  /  Ja. Ich mache jetzt bei Thomas Schulte diesen Zyklus über 18 Ausstellungen. Von daher hat es sich ziemlich verändert. Ich war früher sehr aufgeregt, wenn ich eine Eröffnung hatte. Ich weiß noch, ich hatte meine erste Ausstellung bei Arndt & Partner, und im ersten Moment hab ich gedacht, da kommt keiner hin, das interessiert keinen. Und dann bin ich da hin, und schaue durchs große Glasfenster in die Ausstellung hinein – und sehe, dass der Raum proppenvoll ist, so dass man überhaupt nicht mehr rein kann. Nach einer Runde um den Block, dachte ich, wäre es leerer und dann gehe ich rein. Aber es war noch voller und ich habe noch eine weitere Runde gedreht … Diese Nervosität ist heute überhaupt nicht mehr da. Das hat vielleicht auch mit der Erfahrung zu tun, wie häufig man das macht. Irgendwann setzt sich das. Man merkt, dass das nicht mehr man selbst ist, der da beobachtet wird, sondern die Werke.
Majer  /  Also verlagert sich das Ganze mehr von der eigenen Person zur Kunst ?
Müller  /  Genau. Wir hatten in diesem Zyklus auch eine Ausstellung ohne Eröffnung gemacht und das war ein unglaublich seltsames Erlebnis. Ich habe immer behauptet, dass das relativ unwichtig ist, aber es ist im internen Verhältnis schon mal ein großes Problem gewesen. Zum Beispiel das Nicht-fertig-werden-müssen.
Esther Ernst  /  Es gab kein Datum für den Ausstellungsbeginn?
Müller  /  Doch, aber die Ausstellung war am nächsten Tag einfach offen. Und das war auch für die Galerie schwierig. Weil diese Energie, die auch die dort normalerweise bündeln, auf diesen Moment hin – das fiel alles weg. Auch die langen Einführungen, die ich ihnen normalerweise gebe, die ganze gemeinsame Vorbereitung und eben dieser Moment. Er hat mir gefehlt, habe ich im Nachhinein festgestellt.
Du bringst die Werke in die Ausstellung, hängst alles, und es kann ja gut sein, dass an dem Tag, wenn du selbst in der Ausstellung bist, keiner kommt. Damit fehlt der Betrachter. Der Moment, in dem der andere sieht, dieser Augenblick, das ist für mich wirklich der Trennungsmoment: wenn der erste Satz kommt, der erste Kommentar. Ich glaube, ab dem Moment, in dem die Arbeit kommentiert wird, ist sie wirklich weg.
Majer  /  Und es spielt auch eine Rolle für dich, dass du dabei bist?
Müller  /  Ja, man kriegt das mit, als Beobachter. Das Gespräch muss gar nicht unbedingt mit mir stattfinden. Aber gestern Abend zum Beispiel, das war eine sehr eigenwillige Eröffnung, weil es nicht mehr das klassische Vernissagenformat war, aber auch kein richtiges Theaterformat. Es waren verschiedene Formate übereinandergelegt und das hat eine seltsame Ruhe hergestellt. Es war sehr schön, weil die Leute sich Zeit genommen haben und erst mal nur mit ihrem Sehen beschäftigt waren. Ohne diese üblichen Gespräche, die dann passieren und oft ins Nichts führen. Es war wie eine gemeinsame Zeit, ohne die klassischen Rituale, die normalerweise an so einem Abend stattfinden. Die Leute waren sehr achtsam, auch weil sich das Publikum den Raum mit den Performern geteilt hat. Das war sehr uneitel, das hat mir gefallen.
Ernst  /  Und weil du vorhin die Kirche erwähntest. Ich finde, Vernissagen haben ganz oft etwas von Geburtstagsparty. Also wo man als Geburtstagskind sowieso schon im Mittelpunkt ist und gleichzeitig Gäste hat und eben auch Gastgeber ist. Fühltest du dich gestern abend eher als Gastgeber oder als Gast?
Müller  /  Ich hatte gestern zwei Eröffnungen. Eine war in den Kunstsaelen, wo ich gemeinsam mit einem Kollegen, Merlin James, eine Ausstellung des verstorbenen Künstler Serge Charchoune kuratiert habe. Da war ich wirklich Gastgeber, weil es nicht mein eigenes Werk ist.
Bei Thomas Schulte bin ich eigentlich Gast, der diese Räume nutzt, auf Einladung des Galeristen, der Gastgeber ist. Jetzt ist es natürlich bei 18 Ausstellungen schon ein wenig anders. Thomas sagt manchmal: ich hab das Gefühl, ich habe dir den Schlüssel meiner Galerie gegeben und bin eigentlich zum Besucher geworden.
Mit der Zeit habe ich auch ein ganz anderes Verhältnis zu den Galeriemitarbeitern gefunden. Wir sehen uns sehr häufig, so dass die klassischen Rollenzuschreibungen, was meine Aufgaben sind oder nicht sind, anfangen zu verschwimmen. Ich renne dann auch mal, nehme Gläser in die Hand und trage sie nach hinten. Also ich denke, ich bin irgendwie auch Gastgeber. Das ist einerseits schön, andererseits will man diese Rolle auch nicht. Das ist wie mit Komplimenten. Einerseits freue ich mich darüber und gleichzeitig will ich sie nicht hören. Weil ich das Gefühl habe, da färbt sich etwas in mich hinein, das vielleicht die Arbeit im Nachhinein stören könnte. Ich denke umgekehrt auch, dass ich ein Geschenk gebe, also dass ich nicht das Geburtstagskind bin, sondern ein Gast, der den anderen etwas gibt.
Ernst  /  Mit den Performances versteh ich das. Empfindest du es auch als ein Geschenk, wenn du ganz klassisch was an die Wand hängst, das Werk verkauft wird und du dafür Geld bekommst?
Müller  /  Ja, also das mit diesem Geld ist immer ziemlich losgelöst von dem konkreten Werk. Im Grunde ermöglicht mir dieser Tausch, der da stattfindet, eine wirtschaftliche Grundlage, um arbeiten zu können. Und das ist auch schon alles. Ich versuche nie darüber nachzudenken, ob Geld einen anderen Einfluss hat.
Ich stelle ab und zu auch in Indien aus, wo dies alles noch viel extremer ist. Dort gibt es eigentlich nur Künstlernamen und hohe Preise, alles andere ist fast nicht existent. Wenn man sieht, worüber an diesen Eröffnungen gesprochen wird, will man an diesen Abenden nicht dabei sein.
Majer  /  Vernissagen haben auf vielen Ebenen etwas sehr Ambivalentes. So wie du am Anfang gesagt hast, dass es eben Angst macht, wenn viele Leute da sind, man aber auch Angst hat, dass niemand kommt. Oder du einerseits magst, dass dir gesagt wird, dass deine Arbeit toll ist und gleichzeitig misstrauisch wirst, weil das Ganze auch etwas Irreales hat.
Müller  /  Ich merke das selbst, wenn ich als Besucher auf anderen Eröffnungen bin und nicht aus dem Grund hingegangen bin, weil ich mir die Ausstellung ansehen will. Denn wenn ich die Ausstellung wirklich sehen will, mache ich das nicht an diesem Tag, weil ich einen intimeren Moment für die Wahrnehmung brauche. Den Eröffnungsrahmen empfinde ich fast als eine Überforderung für das Publikum. Also soziale Präsenz zu haben, mit Leuten zu kommunizieren und gleichzeitig das Werk zu betrachten.
Ernst  /  Diese Überforderung ergibt dann ja eben diese seltsamen Vernissagegespräche. Was sagt man dem Freund, der da ausstellt, in dessen Ausstellung man steht, aber nix sieht? Und dann übt man ja auch keine Kritik an Vernissagen. Alle diese Voraussetzungen machen doch eine große Künstlichkeit für diesen Abend aus.
Müller  /  Ja, also wenn Kollegen, die ich schätze, ausstellen, und ich mag das nicht, was ich da sehe, kann ich das in einem anderen Umfeld direkt sagen, wenn ich das möchte. Auf der Eröffnung aber ist es ausgeschlossen. Man will demjenigen ja auch nicht diesen Moment nehmen. Weil so eine Eröffnung ja auch ein richtiger Kraftakt ist.
Majer  /  Bereitest du dich darauf vor? Hast du ein Ritual vor dem Ritual?
Müller  /  Ja, eine Vorbereitung, die umgekehrt ausgerichtet ist. Früher habe ich mir zum Beispiel überlegt, was ich anziehe. Heute ist es so, dass ich mir vornehme, dass ich alle diese Sachen extra nicht mache. Weil ich merke, da bauen sich Dinge in mir auf, die ich gar nicht aufgebaut haben will.
Oder dass meine Eltern vor der Vernissage noch anrufen und ich mittlerweile wünschte, dass sie es erst danach tun, das macht doch immer wieder deutlich, dass die Eröffnung eben ein besonderer Moment ist.
Ernst  /  Findest du, dass Alkohol auf Vernissagen hilft?
Müller  /  Hm, da man ja sagt, dass er Anspannungen löst …
Also gestern habe ich es zum Beispiel nicht gestattet, dass Getränke ausgeschenkt werden. Das verhindert natürlich sofort das Gesellige.
Das ist ja auch so eine Frage zu dem ganzen Kunstbetrieb momentan, vieles ist Unwesentliches. Wenn man mal überlegt, wie wenig die Kunst im Mittelpunkt steht und wieviel Hysterie um die ganzen anderen Dinge stattfindet, dann ist es schon angebracht, dagegen zu steuern. Warum muss es zum Beispiel auch diese blöden Gallery-Dinners geben?
Ernst  /  Gab es gestern eins?
Müller  /  Nein, gab’s nicht. Allein schon aus dem Grund, weil man sich dann fragen muss, wer denn zu dem Kreis zugelassen wird und man das Vernissagen-Publikum dann vorsortiert. Das sind ja eigentlich alles Dinge, die keiner braucht, die aber trotzdem momentan extrem überhand nehmen.
Majer  /  Warst du schon mal richtig enttäuscht von einer Eröffnung? Also nicht von der Ausstellung, sondern von dem Abend?
Müller  /  Ja. Wenn ich denke, die Ausstellung hat nicht funktioniert. Ich hatte mal eine Ausstellung, bei der ich das Gefühl hatte, dass die einzelnen Werke nicht ins Gespräch zueinander fanden.
Majer  /  Denkst du, dieses Gefühl hat sich dem Publikum mitgeteilt?
Müller  /  Nein, glaube ich nicht, das war nur für mich persönlich so.
Aber man kann ja zum Beispiel auch unglaublich einsam sein an so einem Abend. Ich muss dann manchmal auch rausgehen. Ich kann gar nicht sagen, warum, aber mir ist dann alles zu viel. Mir sind dann die Werke zu viel und die Menschen sind mir auch zu viel in dem Moment. Besonders, wenn ich Gesprächsfetzen höre, die überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was ich grad mache, dann will ich weg.
Ernst  /  Und umgedreht? Hast du auf einer Vernissage schon mal so eine riesige Freude erlebt, dass du zu platzten glaubtest?
Müller  /  Hm. Ja, es gibt solche Momente. Vielleicht nicht gleich platzen, aber zum Beispiel gab es in der Performance von gestern abend eine Situation, in der ein Bodybuilder massiert wird. Es war ein älteres Paar anwesend und auf einmal sah ich, dass dieses Pärchen sich gegenseitig massiert. Dies war ein unglaublich schöner Moment, weil sie etwas gemacht haben, was ich selbst zuvor überlegt habe zu tun. Ich überlegte, ob ich Performer engagiere, die sich unters Publikum mischen und dort getarnt bestimmte Dinge spiegeln. Das hab ich aber verworfen und drum fand ich es um so schöner, dass es von selbst passierte.
In diesem Moment war ich das Geburtstagskind. Das sind die Geschenke, die ich von so einem Abend mit nach Hause nehme.
Foto: Anja Majer, Esther Ernst