Richard Rezac

Galerie Isabella Bortolozzi

2015:November // Hanna Fiegenbaum

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11-2015

Das Ding als Kunst

Der Spuk und die kleinen Mysterien, die sonst schon mal durch die Räume der Galerie am Schöneberger Ufer zogen, waren in den Sommerurlaub verreist, als am 29. August bei Isabella Bortolozzi Richard Rezac seine Ausstellung „Circum“ eröffnete. An den Skulpturen des Chicagoer Künstlers nämlich ist nichts dunkel oder gruselig. Vielmehr erinnern Rezacs Arbeiten in ihrer sparsam klaren Formgebung und den bunten Farbkombinationen auf den ersten Blick an Alltagsobjekte in zeitgenössischem Funktionsdesign. Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch Rezacs Objekte magische Kreise ziehen. Bereits der Titel der Ausstellung suggeriert zu Recht anderes. Was sie heraufbeschwören, sind eher alltägliche Erscheinungen: die Geister von Alltagsobjekten wie etwa von einem Gartenzaun, einem Absperrgitter oder einem Spielbrett.
Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von Arbeiten des 1952 geborenen Chicagoer Künstlers Richard Rezac aus den letzten 25 Jahren. Die präsentierten Skulpturen sind solche, die in Form und Farbe wie funktionale Alltagsobjekte erscheinen, ohne welche zu sein. Einerseits rufen sie auf diese Weise als Referenz das Readymade auf, die Erhebung des Alltagsgegenstandes zum Kunstobjekt. Andererseits parodieren sie die Praxis des Ausstellens gewöhnlicher Objekte, indem an ihnen vom Alltagsgegenstand nichts weiter bleibt als Reminiszenzen an dessen Design.
Rezacs Skulpturen lassen sich so verstehen, dass sie nur mehr aus der ästhetischen Hülle eines fiktiven Gebrauchsgegenstandes bestehen. Sie geben die formalen Mimen ordinärer Objekte, welche letzteren als Referenzmenge im Rezeptionsprozess immer anwesend sind.
Nicht nur die Eigenschaft, das Alltagsobjekt in Erinnerung zu rufen, teilen sie also mit dem Readymade, sondern auch dessen Auslöschung als Funktionsträger. Mit Elementen und Vorrichtungen ausgestattet, die wie Griffe, Stangen oder Halterungen erscheinen, geben sie sich auf den ersten Blick als Funktionsobjekte, ohne tatsächlich funktional zu sein. In diesem Sinne ist Rezac ein Künstler, der explizit an und mit Formen arbeitet. Dies unterstreicht der die Ausstellung „Circum“ begleitende Presse-Text, in dem der Künstler vom eigenen Selbstverständnis seines Werkes als einer Arbeit an geometrischen und natürlichen Formen spricht. Ein Element der Skulptur „Untitled (13-06)“ aus dem Jahr 2013, die aus Kirschholz, Aluminium und Kunststoff gefertigt ist, könnte aus einem Stück eines gelben Wäscheständers oder Gartenzauns bestehen. Dieses liegt auf einer grauen Wand-Halterung wie zur Reparatur auf einer Werkbank, wobei rote Klötze in einigen der Öffnungen stecken. Was wie einer Situation in einem industriellen Fertigungsprozess entnommen erscheint, ist lediglich die Kombination von darin beteiligten Farb- und Formelementen. Den Arbeitsprozess müsste man erst noch erfinden, der hier fortgesetzt würde und in dem die Elemente dieser Skulptur Verwendung fänden. Solange liefert die von Rezac gestaltete Skulptur bloß ein Alibi für einen solchen Produktionsprozess.
Ein Alibi für ein Laufgitter für Kinder oder ein Absperr-Gitter bietet die Arbeit „Lancaster“ (2004). Die in rosa und hellblau lackierten Stangen, die wie ein Stück Zaun im Raum stehen und dabei scheinbar einen Teil des Raumes abgrenzen, erfüllen eben diese Funktion nur schlecht oder andeutungsweise. Denn jeder könnte durch die großen Öffnungen hindurchklettern oder einfach an der offenen Seite des Gitters vorbeigehen. Die Skulptur ruft damit die Funktion des Aus- oder Abgrenzens in Erinnerung, ohne ihr zugleich gerecht zu werden.
Die Möglichkeit ihres funktionalen Gebrauchs verfehlen auch die Rillen, die an den Kanten von „Pacific Sailor“, einer Skulptur aus dem Jahr 1997, angebracht sind. Diese Rillen könnten, wären sie nicht an den Kanten, sondern an anderer Stelle in das Brett eingelassen, für ein Murmelspiel gedacht sein. Immerhin vier kleine Löcher befinden sich unregelmäßig versetzt zueinander angeordnet auf der Frontseite dessen, was gegebenenfalls als Spielbrett gebraucht werden könnte.
An ein Gerät, das üblicherweise als Schneidemaschine oder Messgerät genutzt werden könnte, erinnern die roten Hebel der Skulptur „Untitled 12-08“ aus dem Jahr 2012, die wie ein kleines Regal ebenfalls an einer Wand angebracht ist. Über den zwei Hebeln sind jeweils gelbe Plastik-Klötze befestigt, welche ungefähr die Größe und Form eines Kastenbrotes haben. Diese zwei brotförmigen und brotfarbigen Klötze scheinen so, als könnte man sie durch Betätigung der Hebel über die darunter befindlichen Aluminium-Schienen schieben. Solche Werke Rezacs sind nicht ohne Humor. Sie scheinen vom Betrachter die Ausführung einer absurden bis sinnlosen Tätigkeit zu verlangen, der dieser nur mit einem Fragezeichen begegnen kann: Worum handelt es sich hier? Oder auch: Was will dieser Gegenstand von mir? Denn offenbar scheint er etwas zu wollen, bietet er doch dem Rezipienten seine Hebel und Stangen zur Betätigung an.
Aufmerksamkeit lenkt Rezac durch solche Arbeiten auf die tatsächlich funktionale Einrichtung unserer Alltagswelt, in der wir ständig Knöpfe drücken und Klinken betätigen. In den Blick geraten all die absichtlich geformten Vorrichtungen der Gebrauchsgegenstände, wie es Hebel oder Schalter sind, die auf deren Funktionsmöglichkeiten oder Dispositionen verweisen und durch deren Betätigung die Gegenstände erst zu unseren Funktionsobjekten werden. Da es sich bei den Rezac’schen Kunstgegenständen jedoch nicht um Funktionsobjekte handelt, begegnet der Betrachter in deren Welt höchstens seinen eigenen Handlungsdispositionen, mit denen er sonst an Funktionsgegenstände herantritt. Es werden die impliziten Regeln explizit, vermöge derer wir unseren Alltag steuern: „Wenn ich den Knopf drücke, geht die Musik an“ oder „wenn ich den Lichtschalter umlege, leuchtet die Lampe“ und ähnliches.
Solche Regeln aber instantiieren die Rezac’schen Kunstobjekte nicht, weil ihnen die dafür notwendigen Funktionszusammenhänge fehlen. Deshalb bleiben auch die Handlungsdispositionen des Betrachters in der Welt der Kunstdinge unaktualisiert. Sie bleiben im Modus des „Hätte“ oder „Könnte“ der menschlichen Tätigkeit, im Modus des Kontrafaktischen.
Man kann die Arbeiten des Künstlers aus Chicago so verstehen, dass er durch die Trennung von Form und Funktionalität in seinen Werken eine Arbeitsteilung zwischen den Aufgaben eines Designers und denen eines Ingenieurs vornimmt. Dabei reflektiert er vorwiegend den Part des Gestalters. Die Nähe des künstlerischen Produktionsprozesses von Richard Rezac zu gestalterischen Fragestellungen belegen die ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Entwurfszeichnungen, mit denen der Künstler die Konstruktion seiner Skulpturen beginnt. Darin malt er sich akribisch die Formrelationen aus, die später das skulpturale Objekt ergeben. Er orientiert sich hier an der Aufgabe eines Gestalters, welcher sich primär um Formen kümmert, dem jedoch Funktionszusammenhänge immer schon unweigerlich in seiner Arbeit begegnen. Rezacs Kunstobjekte aber sind die Ergebnisse der Arbeit eines Designers, der auf den Verweis auf solche Funktionszusammenhänge aus der Kombination der Formelemente heraus keine Rücksicht nimmt. 

Richard Rezac „Circum“, Galerie Isabella Bortolozzi, Bülowstraße 74, 10783 Berlin, 2.9.–17.10.2015
Richard Rezac „Untitled (13-06)“, 2013, Courtesy Isabella Bortolozzi Galerie
Richard Rezac „Untitled (15-03), 2015, Courtesy Isabella Bortolozzi Galerie