Eine Retrospektive von geschlossenen Ausstellungen

Fri Art Kunsthalle Fribourg

2017:März // Fritz Balthaus

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03-2017

White Cubism und die Kunst des Lassens

Das Projekt kann ein unvorbereitetes Ausstellungspublikum schon sehr verblüffen, steht es doch vor verschlossenen Türen und richtet herausfordernde Vermittlungsfragen an den Kuratoren Mathieu Copeland und dessen Co-Kurator Balthazar Lovay. Der eine, Initiator ähnlich radikaler Projekte, wie „leere Ausstellungsräume“: „VOIDS, Une Rétrospective“, 1999, in der Kunsthalle Bern und im Centre Pompidou Paris – der andere neuer künstlerischer Leiter der kleinen Kunsthalle in Fribourg, in dem die Retrospektive 2016 stattfand. 1
So richtig begann die künstlerische Schließung von Ausstellungsräumen wohl in den 1960er Jahren, als Gustav Metzger zum dreijährigen Generalstreik von Künstler/innen gegen das Galerien- und Kunstsystem aufrief und Guy Debord forderte: NE TRAVAILLEZ JAMAIS. Schon einige Jahre vorher hatte das japanisches Künstlerkollektiv Hi Red Center damit begonnen, Ausstellungsräume in Tokyo zu verriegeln und zu verrammeln und Brian O’Doherty schrieb kurze Zeit später seine bis heute gültigen Entzauberungskolumnen zum White Cube für „ARTFORUM International“: „Wenn die Galerie durch die Entfernung aller Inhalte ihren Zustand der Vollendung erreicht, dann wird sie zum Null-Raum und unendlich formbar. Der implizite Inhalt der Galerie kann dann durch Gesten herausgearbeitet werden. Diese deuten in zwei Richtungen: auf den ‚Kunstgehalt‘ der Galerie und auf den weiteren Kontext, der die Galerie umgreift: Straße, Stadt, Geld, Kommerz.“2
Die Fribourger Retrospektierung ist auch eine Retroaktivie­rung dieser inzwischen historischen Zurückweisung des White Cubes, denn nicht Exponate kunstwissenschaftlicher Dokumentationsroutinen landeten an Ausstellungswänden und auf Sockeln, vielmehr verkörpert die kleine Kunsthalle Fri Art selbst die Formen geschlossener Ausstellungen, indem sie auf unterschiedliche Weise tatsächlich verschlossen bleibt. Manchmal als künstlerisch intendierte Schließung an sich, ein anderes Mal als Konsequenz und Folge aus anderslautenden Kunstanweisungen, deren Umsetzung erst im zweiten Schritt einen geschlossenen Ausstellungsraum erforderlich macht. Trotzdem bleibt dieses Projekt ein Hybrid aus historischen Interventionen und aktuellen Umsetzungen, denn am Kunsthalleneingang versperren auch historische Bilddokumente von den ursprünglichen Schließungen den Ausstellungsraum. Scheiben, die im „Originalereignis“ noch zu Bruch gingen, bleiben in Fribourg ganz. Es gab aber wohl auch Künstler, die sich der Kanonisierung ihres Werkes durch eine „Retrospektive“ entzogen haben. Immerhin aber waren elf Künstler bereit sich auf eine neuerliche Umsetzung ihrer „geschlossenen Ausstellungen“ an einem anderen Ort, hier in der französischen Schweiz, einzulassen.
Auf einer illustrierten japanischen Postkarte von 1964 steht: „Great Panorama Exhibition, right now, the gallery is being closed by the hands of Hi Red Center. When you have free time, please make sure not to visit it.“ Neben dieser, vor ca. 50 Jahren verschickten Postkarte klebten an den Fenstern der Naiqua Gallery in Tokyo „Closed“ Hinweise, auf Englisch und Japanisch. Die Galerietüre war durch überkreuzte Balken verriegelt und mit einem „Closed“-Zeichen versiegelt. Jasper Johns, der 1964 zufällig in Tokyo ausstellte, brach im Auftrag der Hi-Red-Center-Künstler das Papiersiegel und entfernte das Balkenkreuz von der Türe dieser allerersten geschlossenen Galerienausstellung.
Währenddessen Sigmar Polke noch auf die Befehle höherer Wesen hörte und in die rechte obere Ecke einer Leinwand ein schwarzes Dreieck malte, hörte Matsuzawa Yutaka am 1. Juni 1964 den Befehl zu „vanishing matter“ und entwickelte in den Jahren danach sein Konzept von „Non-Sensory Painting“. Einige Monate nach der ersten Schließung durch Hi Red Center hat Yutaka einen leeren Briefumschlag, am Rande mit diesem roten Text verschickt: „Ah, Nil, Ah, A Ceremony of Psi’s Secret Embodyment Drowning in the Wilderness: Prototype Exhibition.“ Brian O’Doherty: „Der Inhalt dieses weißen Raumes führt zu Zen-Fragen à la: Wann ist die Fülle eine Leere? Was verändert alles und bleibt selbst unverändert? Was hat keinen Ort und keine Zeit und ist doch ganz epochentypisch? Was ist an allen Orten derselbe Ort?“
In Fribourg begannen die retrospektiven Interventionen von „Une Rétrospective d’expositions fermées“ ganz leise in der Sommerpause: 1981 hatte der Künstler Lefevre Jean Claude dem Pariser Galeristen Yvon Lambert den Zweizeiler „une exposition de lefèvre jean claude 11.7/31.08’81“ für seine erste Ausstellung übergeben und damit den Ausstellungszeitraum genau in die vorgeplante Sommerpause der Pariser Galerie gelegt. Sein Text wurde zum einen als Zeile auf die Schaufensterscheibe angebracht, zum zweiten, auf eine Postkarte gedruckt – wovon ein kleiner Stapel von außen sichtbar auf einem Marmorpodest präsentiert wurde. Den Druck der Karten hat der Künstler allerdings selbst finanziert. Um so bizarrer ist es, dass im Wall Street Journal von März letzten Jahres die Überschrift „Yvon Lambert’s Legendary Paris Gallery Closes“ veröffentlich wurde. Yvon Lambert, einer der letzten Galeristen mit avantgardistischen Selbstverständnis, begründet die Schließung seiner Galerie mit der Tatsache, dass das Geld inzwischen zu wichtig geworden wäre für sein Verständnis von Kunst, weshalb er sich der Produktion von Künstlerbüchern zuwenden möchte. Hier spricht das Wall Street Journal, und mit ihm das Geld selbst, in das angekündigte Ende dieser Galeristen-Schließung hinein und die rekursiven Schlaufen und Kurzschlüsse könnten nicht kürzer und schlüssiger sein.
Graciela Carnevale war 1968 Mitglied einer hochpolitischen Künstlerzelle im argentinischen Rosario, die in einem CYCLO DE ARTE EXPERIMENTALE die Willkürmaßnahmen, Verbote und die Zensur der herrschenden Diktatur teilweise 1:1 für einen Galerieraum umsetzte, unter anderem, indem die Gruppe das Publikum völlig sinnlosen Verboten aussetzte. Dem willkürlichen Wegsperren von Menschen in Argentinien stellte Graciela Carnevale die Gefangennahme des Ausstellungspublikums gegenüber, indem sie die Leute zunächst zur Ausstellung einlud, um die Gekommenen dann von außen in die Galerie einzuschließen. Danach verschwand sie in ihr Atelier, sodass die Eingeschlossenen später durch eine von außen zerschlagene Schaufensterscheibe befreit werden ­mussten. Brian O’Doherty: „… die berühmten Gesten der Avantgarde haben zwei Arten von Publikum, das Publikum das anwesend war, und das Publikum das nicht anwesend war – und das sind in der Regel wir. Das ursprüngliche Publikum ist oftmals unruhig und gelangweilt: ihm wird etwas aufgedrängt, das es in seiner Reichweite nicht nachvollziehen kann – seine Frustration legt sich wie ein temporärer Schutzwall um das Werk. Die von der zukunftsbesessenen Moderne so gering geschätzte Erinnerung muss das Werk Jahre später vollenden. Das ursprüngliche Publikum ist also seiner Zeit voraus. Im Rückblick wissen wir mehr.“ In der Retrospektive allemal.
Andere Mitglieder der Gruppe um Graciela Carnevale waren: Lia Maisonnave, Roberto Puzzolo und Tito Fernández Bonina. In der Ausstellungsreihe bestand ein Stück von Eduardo Favario darin, seinem Publikum zu empfehlen, die von ihm verwüstete Galerie zu verlassen und stattdessen den Buchladen der Philosophie-Fakultät in Rosario aufzusuchen. Wegen seiner späteren Arbeit für eine „Workers Revolutuionary Army“ wurde Favario 1975 vom Militärregime getötet.
Rirkrit Tiravanija zitiert die anfangs noch mit Messern in verwitterte Hausfassaden geritzte Parole NE TRAVAILLEZ JAMAIS der Situationisten und später 68er, und lässt diesen Satz an die zugemauerte Türe des Ausstellungsraums des Ontario College of Art and Design pinseln und danach an die frisch eingemauerten Hohlblocksteine in Fribourg. Sein Marsch durch die Kunstinstitutionen, von zugemauerten Galerien, zu zugemauerten Messeständen, zu zugemauerten Kunstsammlungen, illustriert die Dynamik und die mächtigen Erfolgsvektoren des Kunstsystems nachdrücklich.
Robert Barrys Satz: „During the exhibition the gallery will be closed“, 1969, ist über seine kunstbezogene Lesart hinaus ein hochpolitisches Interpretationsangebot an das damalige Kunstpublikum. Barrys Ablehnung der Galerie ist der von Gordon Matta-Clark ähnlich, konnte aber genauso wenig verhindern, dass die Arbeiten Matta-Clarks gerade wegen dessen Weigerung – in Galerien auszustellen – heute bei David Zwirner in reines Gold aufgewogen werden. Der ehemalige Broker Jeff Koons handelt genau umgekehrt, bringt sein „Gold“ von Anfang an in höchst unverschlossene Galerien und von deren Walls direkt zur Wallstreet.
Von zwei Seiten wird die Entzauberung des Kunstortes betrieben, von der rechten Seite durch splitternackte Affirmation, von der linken Seite durch ästhetische Agitation. Künstler-Stuckateure verschönern mit aggressiven und naiven Gesten die rechten und linken Salons der Szene. Hochgehandelter Schmuck und diskursiver Stuck beschwören weiterhin die inzwischen wirkungslos gewordene Systemgrenzen. Ähnlich Ketten, Ringen und Räumen, die genau in dem Moment zu Schmuck werden, wenn ihre freiheitsraubenden Funktionen überflüssig geworden sind, weil sie durch neue, wirksamere Kontrollmedien ersetzt worden sind.
Die erste Ausstellung von Daniel Buren in der Mailänder Galerie Apollinaire war so streifenverschlossen, wie jetzt die Fri Art-Kunsthalle. Burens ästhetische Analyse der Kunst und seine Kritik am Repräsentativen hat paradoxerweise bewirkt, dass der Künstler heute Frankreich repräsentiert.
Swetlana Heger & Plamen Dejanov vertiefen den wiederbelebten Galerienurlaub von Lefèvre Jean Claude damit, dass sie ihren damaligen Berliner Galeristen Mehdi Chouakri in den Urlaub nach Teneriffa schickten, währenddessen die Ankündigungsplakate, im Vergleich zu früheren Ankündigungen, viel farbenfroher geworden sind: „GALERIE wegen URLAUB geschlossen 12.–28.2.1999“ klebte an den heruntergelassenen roten Holzrollos der Galerie. In ihrer darauf folgenden Show „******Plus (See You!)“, bei Air de Paris, fuhr das Künstlerpaar selbst mit den beiden Galeristen nach Dubai und eröffnete dort eine Filiale der Pariser Galerie – als Kunstwerk.
Zu Zeiten der Wirtschaftskrise schützten sich argentinische Bankfilialen mit Wellblechverblendungen vor der empörten Bevölkerung. Mit demselben Wellblech versperrte ­Santiago Sierra die Fenster und Türen der Lisson Gallery in West-London 2002 – und 2016 die Kunsthallentüre in Fribourg: „Space Closed by Corrugated Metal“. Der Kontextwechsel setzt schlagend die Geldgeschäfte und Spekulationen von Banken und Galerien gleich. Ein Jahr später verglich ­Sierra mit „Covered Word, Wall Enclosing a Space“ den Spanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig mit einer Einwanderungsbehörde, indem er dem Pavillon „staatmachende“ Aufgaben überstülpte. Das geschah, indem er den Haupteingang des Pavillons zumauerte und nur ausgewiesene spanische Staatsbürger über den geöffneten Hintereingang in den Pavillon ließ.
Maria Eichhorns „5 Weeks, 25 Days, 175 Hours“, 2016 aus der Chisenhale Gallery London ist in Fribourg auf fünf Tage verkürzt worden und rekurriert, hier wie dort, auf die „Arbeit“ des Kunsthallenpersonals. Die Anweisungen der Künstlerin bestand darin, dass die Angestellten ihrer Arbeit in London 25 Tage, in Fribourg 5 Tage fernblieben, was in beiden Fällen die Schließung der Kunstinstitutionen zur Folge hatte. In London wurde die Schließung mit ergänzenden Vorträgen und einem Symposion zum Faktor Arbeit im Kunstbetrieb „gerahmt“.
Maurizio Cattelans erste Einzelausstellung 1989 bestand darin, das Schildchen „torno subito“, „bin gleich zurück“, an die Galerie­türe zu hängen und lieferte damit das wohl leichthändigste und humorvollste Stück dieser Ausstellungsreihe.
Es scheint, dass der Ausstellungsraum so unterschiedliche Rahmungen bekommt, wie es Künstlergesten als Schließungen gibt. Im Sinne Niklas Luhmanns unterscheiden die elf unterschiedlichen Künstlerkonzepte den „marked space“ des Innenraumes vom „unmarked space“ des Außenraumes – ähnlich wie ein schmucker Rahmen die Bildfläche von der übrigen Wandfläche trennt. Der Weg aus dem markierten Kunstraum ist beschritten, aus dem Rahmen, auf die umgebende Wand und von der Wand in den Raum, vom Sockel herunter und von da aus nach draußen. Inzwischen werden sich immer mehr Künstler/innen der Bedeutung eigener Schritte gewahr und geben sich selbst unterschiedliche Anweisungen, zum Stillstand ihrer künstlerischen Produktion.
Vor einigen Jahren kündigte Cattelan an, seine künstlerische Arbeit aufzugeben, hat jedoch kürzlich wieder damit begonnen: „torno subito“! Das veröffentlichte Ende seiner Arbeit als Künstler und der ebenso öffentliche Neubeginn bekundet und beherzigt auch den inzwischen 50 Jahre zurückliegende Streikaufruf Gustav Metzgers. Der befristete Ausstieg der Künstler/innen aus dem Betrieb ist den befristeten Ausstellungsschließungen sehr ähnlich und könnte eine künftige „Retrospektive“ generieren, die vielleicht “Une Rétrospective d’aristes cessation“ heißen könnte. Wie immer die Niederlegung künstlerischer Arbeit begründet wird – sie kann so unterschiedliche Formen entwickeln, wie es geschlossene Ausstellungen taten. Weil jede Äußerung von Künstler/innen als Kunst aufgefaßt werden kann, wird jeder von Künstler/ innen veröffentlichte Ausstieg aus der Kunst immer das Zeug zu einem Werk haben und Mehrwert für die Urheber/innen generieren. Auf der anderen Seite haben viele Künstler/innen  – ohne Ankündigung – mit ihrer Arbeit aufgehört und so den „marked space“ des Kunstsystems tatsächlich für immer verlassen – wurden mit ihrem ebenfalls „außen vor“ gebliebenem Publikum vergessen und sind namenlos in der großen Dunkelziffer verschwunden.
„Eine Retrospektive von geschlossenen Ausstellungen“, Fri Art Kunsthalle Fribourg, 05.08 - 19.11.2016 mit Lefevre Jean Claude, Swetlana Heger & Plamen Dejanov, Santiago Sierra, Graciela Carnevale, Rirkrit Tiravanija, Robert Barry, Matsuzawa Yutaka, Maria Eichhorn, Maurizio Cattelan, Daniel Buren, Hi Red Center.

1 Das Projekt geschlossener Ausstellungen ist eingebettet in eine umfängliche Publikation Mathieu Copelands zum Thema Anti-Museum. Die Publikation „Voids“ vor Augen, macht die Ankündigung von „Anti-Museum“ zu einem große Versprechen.
2 Brian O’Doherty: „In der weißen Zelle – Inside the White Cube“, Berlin 1996