Ausstellungsfotografie

2016:April // Andreas Koch

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04-2016

Wahrscheinlich werden die meisten Ausstellungen nur noch im Internet gesehen. Abgesehen von den Eröffnungen, auf denen man die Arbeiten meist auch nur im Hintergrund wahrnimmt, denn im Vordergrund stehen die Menschen, mit denen man sich unterhalten will und die die Arbeiten an der Wand und die Skulpturen auf dem Boden weitestgehend verdecken. Ein zweites Mal kommt man dann in der Regel nicht mehr hin. Das wurde aber alles schon gesagt …
Das ist ungefähr so, als würde man sich von Filmen nur den Trailer anschauen oder von Büchern nur den Klappentext lesen. Macht man natürlich auch oft, das Verhältnis im Kunstbetrieb zu real angeschauten Ausstellung kippt jedoch umso stärker, je besser die Abbildungen werden und je stärker das Internet auch im Kunstbetrieb benutzt wird. Online-Plattformen wie „Contemporary Art Daily“ oder „Artsy“ werden immer mächtiger und letztere bläst gerade mit einer Menge an Startup-Kapital Pioniere wie „artnet“ von der Aufmerksamkeitsbühne. Viele Ausstellungen stehen schon während der Laufzeit im Internet und wenn man sich dann manchmal tatsächlich noch auf den Weg macht und das Ding in echt anschaut, hat sich die Vorstellung der Ausstellung schon so idealisiert, dass man einen leichten Realitätsschock erlebt.
Deshalb bedarf es hier einer Analyse. Was sind das für Bilder? Schon bei der Erstellung des Dokumentationsmaterials vor Ort, also in der Ausstellung, werden meist sehr weitwinklige Objektive gewählt, was aus kleinen Räumen Hallen werden lässt. Die Perspektive ist meist etwas tiefer als Augenhöhe, vielleicht 1 Meter 40, die Räume wirken dadurch noch etwas größer. Zudem werden die dann fluchtenden Linien wieder gerade gestellt, so dass die virtuelle Höhe des Raumes noch zunimmt. Niedrige Kellergalerien werden so zu kleinen Kunstvereinen. Natürlich ist das sogenannte Normalobjektiv einerseits ehrlicher, da es den Raum und die Dinge darin in den Größenverhältnissen ähnlich abbildet, wie das menschliche Auge sie wahrnimmt. Das Weitwinkelobjektiv hat jedoch den Vorteil, dass es wiederum einen viel weiteren, panoramaähnlichen Ausschnitt bietet, welcher wiederum eher dem Auge entspricht (das zu den Rändern hin allerdings immer undeutlicher sieht) .
Trotzdem wirken entfernte Objekte mit dem Weitwinkel sehr viel weiter weg, als sie es wirklich sind. Bei Superweitwinkel verzerren sich die Räume zu tunnelartigen Gebilden, als würde man im Inneren einer Kugel sitzen. Das wird in der Kunstwelt vermieden. Schöne gerade große Räume will man haben.
Und hier kommen wir zum zweiten Teil der Fotoarbeit. Das aufgenommene digitale Bildmaterial wird in den Computer geladen. Das Programm Photoshop existiert mittlerweile seit über 25 Jahren. Photoshoppen heißt bildbearbeiten, wie Sachen-im-Internet-suchen googeln heißt. „Kannst du bitte noch die Steckdose wegshoppen?“, „da ist ein Fleck an der Wand“ – dies sind noch die harmloseren Anweisungen. Bei Gruppenausstellungen wird kurzerhand das komplette Nachbarkunstwerk wegretuschiert. Schaut man sich die Räume auf den fertig bearbeiteten Bildern genauer an, so sehen sie eher aus wie Modelle ihrer selbst. Als hätte Thomas Demand sie aus Papier nachgebaut. Perfektes, glattes Wandweiß, an der Decke superakkurate Neonröhren, kein Fleck, keine störende falsche gelbe Lichtfarbe, kein vergessener Nagel, nirgends.
Die Ausstellungsmacher geben sich mittlerweile auch größte Mühe, dass alles supersauber aussieht, und die Vernissagenbesucher sind mittlerweile zehnmal beflissener, was ihr Äußeres angeht, als noch vor 10 Jahren. Auch hier ist der virtuelle Öffentlichkeitsdruck von Facebook und Co. immens gewachsen. Die Schleife ist ähnlich. Man orientiert sich an den veröffentlichten Fotos, die schon gepimpt sind, macht sich schöner, korrigiert die Bilder usw. Alles wird immer besser, die Menschen, die Räume, die Bilder.
Mit den 360-Grad-Panoramakameras, die bald den Markt überfluten werden und den damit koppelbaren Oculus-Rift-Brillen geht es dann weiter. Wir sitzen zu Hause, schauen durch die Brille nach links und rechts, zur Decke und schicken unsere Likes zur Galerie und zum Künstler. Erst dann bemerken wir, dass wir uns gar nicht bewegen können, nur drehen im Kreis. Und wenn wir nach unten schauen, sehen wir nicht unsere Schuhe, sondern das Stativ, das vergessen wurde, wegzuretuschieren. Nicht schlimm …


Gesamtalbtraum

Lukas Quietzsch und Philipp Simon