Hans Juergen Hafner

Barbara Buchmaier befragt Hans-Jürgen Hafner, Kunstkritiker und Direktor des Kunstvereins der Rheinlande und Westfalen zu seiner Sicht auf das Format Ausstellung

2016:April // Barbara Buchmaier

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04-2016

„Selbst wenn’s keine Kunst mehr gäbe, kann ich immer noch schön Ausstellungen machen“

Barbara Buchmaier  /   Lieber Hans-Jürgen, bevor Du angefangen hast, 2011 im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen zu arbeiten (als Direktor), warst Du vor allem als Kunstkritiker tätig – wobei Du auch damals schon einige thematische Ausstellung zusammengestellt hattest, u.a. „The Most Contemporary Picture Show, Actually“ (2006) in der Kunsthalle Nürnberg und die Schau zum Art Forum Berlin „difference, what difference?“ im Jahr 2008.
Nach dem hauptberuflichen Wechsel an die Spitze eines Kunstvereins – was war Deine Erfahrung: Wie unterscheidet sich das Schreiben über Ausstellungen vom Machen von Ausstellungen?
Hans-Jürgen Hafner  /   Naja, das eine ist nicht das andere. Weder Schreiben und Ausstellungenmachen noch freies und institutionelles Arbeiten. Wobei Schreiben und Ausstellungenmachen jeweils eine Form der Praxis sind, mit Kunst umzugehen bzw. ihre Erzählbarkeit zu überprüfen; und Arbeit, im Englischen so schön klar, ein Vier-Buchstaben-Wort mit einer eher angeblichen Beziehung zu ökonomischer und symbolischer Anerkennung. Einen wichtigen Punkt nennst Du: man sagt zwar ‚Kunstkritik‘, meint in der Anwendung aber in der Regel Ausstellungkritik. Der Aspekt ihrer Ausstellung ist in der Kunst mittlerweile strukturell und leider oft bis zum Missbrauch drin – Jean-Louis Déotte spricht da vom „Apparat“ –, dass wir ihr sozusagen gar nicht erst ohne ihr wie auch immer geartetes Ausgestelltsein begegnen können – außer wir begnügen uns mit demjenigen Konzept der Kunst, worüber die Theorie verfügt, in anderen Worten ‚die‘ Kunst. Der Unterschied dazwischen interessiert mich. Und nicht weniger interessiert mich, eine Form der Auseinandersetzung gegen eine andere zu halten. Schreiben und Ausstellungenmachen (wo nicht zuletzt Texte ja auch eine gewisse Rolle spielen) ist für mich seit jeher ein paralleles ‚Machen‘.
Buchmaier  /   Wie hat sich Dein Blick auf Ausstellungen, Deine und andere, während Deiner Arbeit am Kunstverein verändert?
Hafner  /   Ich fand schon immer wenig gut. Angesichts der ziemlich hartnäckig herrschenden Verhältnisse und den eher kümmerlichen Aussichten, darauf Einfluss zu nehmen, wurde das insgesamt nicht besser. Die mit institutioneller gegenüber so genannter freier Arbeit verbundene Aussicht auf Deutungsmacht würde ich allerdings nicht unterschätzen.
Buchmaier  /   Hat sich Dein Schreiben über Ausstellungen, das Du parallel zur Arbeit am Kunstverein weiterverfolgt hast, verändert?
Hafner  /   Tatsächlich wird kunstkritisches Schreiben nicht erleichtert, wenn es sich auf die Arbeit von – auf institutioneller Ebene – Kollegen und Kolleginnen richtet. Sprich, über Ausstellungen in Kunstvereinen, aber auch in Galerien schreibe ich nicht (auch wenn ich ersteres versucht habe). Du weißt ja, dass ich Verrisse lieber schreibe als Loblieder, auch wenn beides eine Form der Würdigung darstellt. Dennoch hat das nichts mit Beißhemmung zu tun, sondern ist eher ein sozial/technisches Problem. Dass es mehr kritische und fundiertere Kunstkritik bräuchte, scheint mir mehr als offensichtlich. Komisch, dass es mehr denn je Kunstmagazine gibt.
Buchmaier  /   Was stellt sich (für Dich) heute als die größte Herausforderung beim Ausstellungsmachen dar?
Hafner  /   Plausible Gründe zu finden, (etwas) auszustellen. Die Recherche betrifft Personen, Gegenstände, Theorien, Geschichte, Institutionen und Verwertungszusammenhänge bis hin zu der abstrakten Größe Publikum. Es spricht in der Regel mehr dagegen als dafür.
Buchmaier  /   Haben Ausstellungen Deiner Ansicht nach als Format Zukunft? Wenn ja, welche Art von Ausstellungen?
Hafner  /   Um das Format Ausstellung mache ich mir ­weniger Sorgen als um das, wozu sich Kunst spätestens seit der letzten, so genannten Finanzkrise entwickelt bzw. was unter dieser Bezeichnung, ohne es zu sein, mit weitgehender Billigung ihres sozusagen soziologisch erheblichen Betriebs kursiert. Doch selbst wenn’s keine Kunst mehr gäbe, kann ich immer noch schön Ausstellungen machen. Mit den Problemen, die einem Kunst als immerhin mögliche aktuelle Produktionsform des Ästhetischen und historisch fundiertes Wissenssystem aufgeben kann, ist es natürlich witziger.
Wie gesagt interessiert mich mittlerweile vor allem ‚Erzählbarkeit‘. Das schließt die Funktionsweise von Institutionen ebenso ein, wie die spezifischer Formen kultureller Praxis und den durch sie erzielten Ergebnissen, berührt das Historische und Gegenwärtige und ist – im Format der Ausstellung – gleichzeitig so schön material da und diskursiv woanders. Ausstellungen helfen meines Erachtens, diese unilateral lineare und beschleunigte Zeiterfahrung, auf die wir uns unter kapitalistischen Verhältnissen eintunen und ebenso fleißig wie unbezahlt mitproduzieren, ein bisschen anzuknacken.
Buchmaier  /   Welche Anforderungen an Ausstellungen gibt es von Seiten der (Online-)Vermarktung und der sozialen Netzwerke?
Hafner  /   Ich würde es andersherum formulieren. Welche Anforderungen stellen Ausstellungen an soziale Netzwerke bzw. wie verhält sich qua Digitalisierung bedingte Informationszirkulation zu so einem in bestimmten Räumen und Zeiten zu sehr spezifischen Bedingungen eingerichteten Format und der vielfältigen Menge von Erlebnisweisen, die sich daraus schlagen lassen? Ich schaue mir gern so Online-Schaufenster wie Contemporary Art Daily an und achte durchaus auch auf „Like“-Zahlen. Letzteres legt die Vermutung nah, dass man noch ganz schön akzelerieren müsste, sollten Online- und andere Wirklichkeiten tatsächlich ununterscheidbar gleichziehen. Ersteres lässt mich, falls ich tatsächlich außer Haus gehen sollte, um Kunst ‚ausgestellt‘ und nicht als wechselseitige Illustration von Produzent/innen- und Produkt-Brands ‚zirkulieren‘ zu sehen, ein bisschen enttäuscht sein, dass die Dinger von, sagen wir, Katja Novitskova, eine Rückseite haben und wie diese Rückseite dann aussieht, zumal ich mir die ja, so, wie die Sachen im Raum stehen, eben auch anschauen soll.
Das hat jetzt nichts mit zeitgenössischer Kunst zu tun, aber kennst Du die Zeichnung von Albrecht Altdorfer, „Toter Pyramus“? Wie sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der für eine Wahrnehmung via digitaler Devices gedachte Kunst zum Komplex Wahrnehmung-Affekt-Kognition verhält, wie wenig genutzt wird, dass man diesen Komplex ja auch mal bearbeiten könnte und nicht nur erleiden müsste … da wäre nicht nur für Ausstellungen wie für Kunst und da gerade derjenigen, die digital geht, noch jede Menge Luft drin.
Buchmaier  /   Welche Alternativen zum Format Ausstellung deuten sich an oder sind schon da?
Hafner  /   Keine Ausstellungen. Psychiater, Kino oder Hundebesitz. Für exzessive Nutzer/innen sozialer Netzwerke empfiehlt sich ein gutes Buch, „Madame Bovary“ zum Beispiel und auf jeden Fall ein Spiegel.
Buchmaier  /   Wie lautet Dein Plädoyer für Ausstellungen – falls Du eins hast?
Hafner  /   Das möchte ich missverstehen. Bis auf Kritik von allem weniger und insgesamt mehr Besseres.
Buchmaier  /   Vielen Dank!
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