Format EX. Vanity Fair. Tidal air.

2016:April // Barbara Buchmaier und Christine Woditschka

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04-2016

Tidal stream. Wenn ich als Künstler mein eigener Vermarkter bin, ohne Zwischenhändler, ohne Unterhändler. Wenn mein Name enigmatisch genug ist, Dich aufzugreifen und mitzunehmen. Wenn ich als Künstler kein materiell erfassbares Werk habe: dann bin ICH mein größtes Werk.

Ist das nicht ein schönes Werk?

Wenn ich als Künstler an dem Interesse an mir Geld, also Geld, verdiene, indem meine Daten oder die meiner Mitkünstler von Dir angesehen, von Dir abgerufen werden. Irgendwann wirst Du zahlen, um zu meinen Inhalten zu kommen – einfach nur um sie zu sehen (remember „Heroes“, Eintritt € 5,000, M. Carpenter, 2011). Meine Bilder, von mir. Auf denen ich, exklusiv ICH, gezeigt werde. Ich nehme verschiedene Formen an. Transformer. Mein Wesen kann oszillieren und schillern. Es kann auch ein Outfit sein oder ein Link zu Fatima Al Qadiri.

Und, irgendwo dann doch wieder ein Raum, eine Bühne, mit Werken, in 3D.

Heute Abend, Community-Meeting in Neukölln. Die haben sich in ihren Space eine Freundin eingeladen, die in ihrem Umkreis schon ein paarmal positiv bestätigt wurde und attraktive Vertriebsstrukturen hinter sich hat. Strategische Maßnahmen, alles strategische Maßnahmen.

Ja, aber du musst das nicht so verkrampft sehen. Ist halt so. Das machen doch alle. Wird sicher toll, alle kommen hin. Ich find die auch gut.

Der Trend. Hast Du nicht das Gefühl, dass die Wellenlänge zwischen Euch stimmt? Dieser leicht gebrochene Blick, die glauben doch auch an nichts mehr. Dieses Abgebrühte, das muss ich schon sehen bei jemandem, sonst interessiert er mich nicht. Und bei denen ist es so. Ich denke, dass wir die gleiche Sprache sprechen. Erst die Resignation – und dann daraus ein letztes Fünkchen Widerstand generieren, das ist es, was ich meine. Deswegen find ich die toll. Irgendwie stimmt da was für mich. Diese Energie, so ein bestimmter Drive. Es geht um das Maximum an Intensität.

Aber Du musst es doch näher beschreiben können!

Die haben ja auch mal eine Ausstellung mit diesem linken Performer und einem Fashion Designer, wie hieß der gleich noch ..., organisiert, Du weißt schon. Das ist schon cool.

Dass auch so Große bei denen ausstellen, bedeutet doch, dass die auf das Brain von denen vertrauen. Ist ja auch kein schlechter Kontext. Es hat so was potenziell Radikales.

Dass da dieser schäbige Kunstlederkoffer unterm Tisch steht, sozusagen mitten im Ausstellungsraum, über dessen Inhalt man nichts weiß … Die Künstlerin hat ihn wohl extra nicht weggeräumt – im Abstellraum wäre noch Platz gewesen.

Keine endgültigen Entscheidungen treffen. Adaptable bleiben. Offene Rezeptoren treffen. Absichtlich angedeutet verwirrt, in mehrere Richtungen deutend.

Welcher Koffer überhaupt? Wenn es eine Werkliste gäbe, müsste er ja draufstehen.

Gibt’s nicht.

Ich fahr da jetzt nochmal vorbei und schaue, ob der Koffer noch da ist.

Willst du jetzt Detektiv werden, oder was?

Es sieht so aus ... also ich denke, es soll so easy aussehen, als wäre der Künstlerin erst eine halbe Stunde vor der Eröffnung angekommen und hätte dann instant-mäßig einfach einen Teil ihrer mitgebrachten Sachen in Szene gesetzt. Und dann keine Zeit mehr gehabt, diesen Koffer wegzuräumen.

Ganz ehrlich, was soll das bringen, da auszustellen? Warum würdest Du da ausstellen?

Die reine Anwesenheit. Es ist die reine Anwesenheit. Reines Potenzial.

Da war dann aber die Arbeit in der Gruppenausstellung neulich ein pointierter, dabei bewusst peripher inszenierter Kommentar: Man konnte während der Eröffnung mit einem der Künstler skypen.

Genau dieses Dazwischen, das ist es doch. Das passiert ganz von selbst. Es passiert einfach.

Eine Zwischenwelt, eine Quasi-Welt. Slack water. Still waTer.

Ich kann alles! Ich surfe, ohne mich zu bewegen. Ich berühre nicht die Wasseroberfläche, die still stehende Wasseroberfläche. Ich schwebe über der stehenden Welle, immer wie magnetisch abgestoßen, leicht darüber. Vielleicht bin ich ein gefrorener Ice-Tropfen, der von der Tide angezogen und abgestoßen wird, zugleich. Wie von der Schwerkraft an- und abgestoßen. Free floating. Nichts auf der Welt kann mich stoppen. Shit!

Ich kämpfe wie ein Tier. Ich habe mich selbst komplett vergessen. Nur so kann ich diese immense Kraft aufbringen. Magnetische Kraft, wie von Geisterhand gezogen, die Kraft die Dich anzieht und abstößt.

“How can I resist you?“ (Fatima Al Qadiri). Gäbe es keine Messgeräte, würde man von den Wellen, die uns durchströmen, nie erfahren. Strom fließt. Malstrom. Von Pol zu Pol. Zwischen den Polen.

Geh doch in die echte Welt. Sonst holt sie Dich! Die holt Dich, die Welt. Wenn Du dich nicht selbst auslieferst, dann holt sie sich, was sie braucht. Es macht Dich crank. Überschätz Dich nicht.

Manchmal holen Dich deine Projektionen ein. Irgendwann sind sie realer, als das, was wirklich ist. Wenn es Dir über den Kopf wächst.

Die Kunst hat sich aufgelöst: die Ausstellung an sich ist leer. Und bleibt leer.
Die echten Bühnen sind im Verfall begriffen. Ihre Dekoration verfällt, verrät sich selbst als solche. Und wird verraten. Und dann war das ja eh alles nur fürs Netz gehängt. Netzstoff.

Heute ist die Ausstellung voll, mit Leuten und Turnschuhen. Mit Stoffen. Mesh fabric. Adidas, Nike – New Balance. „Economy Class Legs“, abgefahrener Titel für eine Ausstellung.

Ich verstehe bis heute nicht, dass auf CAD in den Ausstellungen nie Leute zu sehen sind.

Das, was Du meinst, passiert da ganz bewusst im Stillen, im Hintergrund, die Marketer und ihre Deals bleiben unsichtbar.

Ohne selektierte Bühnen, ohne Laufstege wäre das ganze Schauspiel ja auch nicht möglich.

Warten wir ab, vielleicht gibt es in der VR bald Ausstellungen, „Oculus Rift Openings“ oder so, möglicherweise mit Paywall.

Are YOU ready for the next level?


Sehr häufig habe ich einfach nur Angst, irgendwo ohnmächtig zusammenzubrechen oder einen Herzinfarkt zu bekommen. Dass Leute dann eine Gasse bilden, ich auf der Trage durch die Menschenmasse getragen werde und alle raunen „Ei ei ei …“

Lukas Quietzsch und Philipp Simon
Ich möchte zur Hölle fahren

Lukas Quietzsch und Philipp Simon