Amir Fattal

Das Buch „Shadows Of Smoke Rings On The Wall“

2014:Dez // Rebecca Hoffmann

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12-2014

Historienminimalismus

Eva Braun, in Tracht und mit einer Herzkette um den Hals, lächelt den Betrachter an. Rechts neben ihr sind zwei weitere Frauen zu sehen: Eine uniformierte polnische Krankenschwester, die in einem Gefangenenlager arbeitet und eine jüdische Frau im Wintermantel mit einem kariertem Tuch um den Kopf, die in einem polnischen Ghetto lebt.
Die Aufnahmen der drei jungen Frauen hat der heute weitgehend vergessene Hugo Jäger, Assistent des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann, gemacht. Erst der israelische Künstler Amir Fattal, der in Berlin lebt, bringt die drei Bilder zusammen, die während der NS-Zeit an unterschiedlichen Orten fotografiert wurden.
„The Touch Of Your Lens – 3 portraits of women shot by Hugo Jaeger“ (2012) heißt die Arbeit, in der Fattal die Frauengesichter mit Tinte auf Kohlepapier übertragen und zusammen mit den Originalnegativen gerahmt hat. Der Titel „The Touch Of Your Lens“ kann sich dabei sowohl auf die Licht-Berührung des technischen Kameraauges beziehen als auch auf die Berührung des menschlichen, des mitfühlenden Auges, das sich hinter dem Auslöser befindet oder das die Bilder betrachtet. Das letztere scheint jedenfalls der Fotograf zugedrückt zu haben, angesichts der elenden Umstände, in die er im Gefolge Hitlers gelangte, und bei deren Dokumentation er ästhetischen und nicht mitmenschlichen Reizen folgte.
Während Eva Braun Gift schluckte, als Berlin in den letzten Kriegstagen erobert wurde, und sie gerade einen Tag lang Eva Hitler war, ist über das Schicksal der beiden anderen Frauen nichts bekannt. Was Fattals Zugriff auf Hugo Jägers Aufnahmen der drei Frauen leistet, ist, dass er die Porträts aus dem Medium der Fotografie herauslöst und sie aus dem berühmten Kracauer’schen Schneegestöber hervorholt, in dem sich keine Geschichte erzählen lassen, sondern nur die Singularität eines Momentes abbilden lässt. Fattal überträgt die P­orträts mit Kohle auf verschiedene Papierschichten und setzt sie in einen neuen Kontext. Er verweist im Titel auf den Fotografen und rückt die Aufnahmen der Frauen gleichzeitig in Distanz zum ursprünglichen Urheber der Bilder.
Diese und weitere Arbeiten der letzten zehn Jahre versammelt die erste Monografie Amir Fattals, „Shadows Of Smoke Rings On The Wall“, die im neugegründeten Dickersbach Kunstverlag in Berlin erschienen ist. Der in bedrucktes Leinen eingefasste Bildband versammelt hochwertige Farbabbildungen von Einzelaufnahmen und doppelseitige Installationsansichten. Die in Tansania aufgewachsene Verlegerin Safia Dickersbach möchte mit ihrer Verlagsgründung einen Ort für zeitgenössische Kunst schaffen, der die westliche Definition und Identifizierung relevanter Gegenwartskunst und auch den Kreis ihrer Rezipienten erweitert. Daher wurden die Texte nicht nur in die Verlagssprache Deutsch und ins Englische, sondern auch in die Muttersprache des Künstlers, ins Hebräische, übersetzt.
Viele der Installationen, Skulpturen und Zeichnungen von Amir Fattal verhandeln ein Stück deutscher Geschichte. Fattal beschäftigt sich dabei oft mit zumeist diskreditierten Künstlern oder Architekten der NS-Vergangenheit, die gerne vergessen werden.
Für seine Recherchen arbeitet der Künstler in Archiven wie der Stiftung Berliner Schloss/Humboldtforum, der Erich-Mendelsohn-Stiftung oder der U.S. Airforce. Fattal folgt historischen Spuren und fügt gefundene Quellen und Indizien mit der der Kunst vorbehaltenen Freiheit der Methode aneinander. Sein ganz eigener Zugriff auf Geschichte zeigt sich in der Ungezwungenheit der Arbeiten, die einen formalen Ursprung hat. Der Kunsthistoriker Heinz Stahlhut arbeitet in seinem Beitrag im Buch die Bezüge des Künstlers zum US-amerikanischen Minimalismus heraus. Wie die Minimalisten greift Fattal Materialien der industriellen Fertigung auf, verwendet massenhaft produzierte Objekte und glatte Oberflächen. Nur – das ließe sich ergänzen – haben Fattals Dinge im Gegensatz zu den Materialien des amerikanischen Minimalismus schon Patina angesetzt, wenn der Künstler sie verwendet. Das vergilbte Plastik der alten Badezimmerschränke, aus denen die Arbeiten „Untitled (Column)“ (2009) und „Screen“ (2011) gebaut sind, zeugt vom Alter des Werkstoffes. Und obwohl die Schränke mit der Geschichte ihrer ehemaligen Besitzer eng verbunden waren, landeten sie auf dem Müll. Dort suchte Fattal sie zusammen und baute daraus seine Skulpturen, die als Archive des Plastikzeitalters und des Wegwerf-Überflusses emporragen, und von denen „Untitled (Column)“ formal an eine Stele erinnert.
Fattals Monografie „Shadows Of Smoke Rings On The Wall“ ist ein guter Start für den Berliner Verlag. Dem Buch einen Platz im eigenen Bücherregal einzuräumen, ist sicher keine schlechte Entscheidung.

Amir Fattal, „Shadows Of Smoke Rings On The Wall“, mit Beiträgen von Dr. Heinz Stahlhut, Ludwig Seyfarth, Nimrod Reitman auf Deutsch, Englisch und Hebräisch, Dickersbach Kunstverlag, 124 Seiten, Berlin 2013. Gebundene Ausgabe: 25 Euro.
Amir Fattal „The Touch Of Your Lens – 3 portraits of women shot by Hugo Jaeger“, 2012