Die Melancholie der Elite

KunstWerke

2014:Dez // Anna-Lena Wenzel

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12-2014

Melancholischer Rückzug?

Über das Kuratieren wurde in den letzten Jahren viel diskutiert – sei es über die Bedeutung von Kuratorengroßgewichten wie Hans-Ulrich Obrist oder Klaus Biesenbach oder die Einführung von Studiengängen, wo man das Kuratieren nun auch lernen kann. Dabei gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, was der Kurator eigentlich macht: konzipiert, organisiert oder vermittelt er Ausstellungen? Seine Rolle ist umstritten: ist er Konkurrent oder Vollender der Künstler?
In der Ausstellung „Die Melancholie der Elite“ wird das Kuratieren als eigene (künstlerische) Praxis verstanden. Das liegt schon daran, dass die Ausstellung im 3 ½. Stock der Kunst-Werke stattfindet – in einem kleinen Raum von ca. 8 m2. Und dass man sie nicht während der regulären Öffnungszeiten besichtigen kann, sondern einen extra Termin vereinbaren muss. Um 19.30 Uhr ist das Gebäude komplett verlassen. Bis auf Lukas Töpfer, den Kurator, der im Hof wartet.
Über den Zeitraum von einem Monat bietet Töpfer jeden Tag ein Gespräch an, in dessen jeweiligem Verlauf er eine ganze Ausstellung entfaltet – bzw. entblättert. Das Ganze beginnt mit dem Blick aus dem Fenster – jeder wird schon mal diesen Blick auf die heterogene Stadtlandschaft mit Fernsehturm und Synagoge, me Collectors Room und Privatgemächer genossen haben. Er hätte beobachtet, sagt Töpfer, dass die Besucher hier besonders gerne am Fenster gestanden hätten. Es geht hier offensichtlich nicht darum, gegen den Besucher zu agieren, sondern mit ihm. So bekomme ich zum Blick nach draußen klassische Musik vorgespielt, die ich mir in die Ohren stöpseln muss. Spätestens jetzt wird es zu einer sehr intimen Situation, bei der ich mich frage, wie der Kurator das vier Wochen lang jeden Tag herzustellen imstande ist.
Im Ausstellungsraum nehmen wir gegenüber an einem Tisch Platz und Töpfer beginnt, aus einem Stapel Bücher Georges Didi-Huberman zu greifen. Er zeigt mir vier Fotos eines KZ-Häftlings aus Birkenau und erzählt mir die dazugehörige Geschichte; er tut das sachlich und fundiert, ohne belehrend wirken zu wollen. Im weiteren Verlauf wird er W.G. Sebald zitieren, einen Katalog von Chris Burden öffnen, auf einen zarten aus der Wand ragenden Zweig des Künstlers Jirí Kovanda einen Tischtennisball legen, mich auffordern, den Comic an der gegenüberliegenden Seite zu lesen, eine gerahmte Anzeige von David Zwirner aus dem Artforum auf den Tisch legen und am Schluss einen Ausschnitt aus einem Film von Béla Tarr präsentieren. Da taucht die Musik wieder auf, die ich am Anfang am Fenster hören durfte. Ein Kreis schließt sich. Dazwischen haben wir über das Verhältnis von Text und Bild gesprochen, über fluoszierende Heringe geschmunzelt und darüber diskutiert, ob das Spätwerk von Burden die Radikalität seiner frühen Arbeiten bewahrt hat oder nicht. Plötzlich liegen mehrere (Ab-)Bilder da, die auf unterschiedliche Weise etwas mit Fliegen zu tun haben. Töpfer hat während seiner Präsentation fast unbemerkt einen roten Faden gesponnen, ohne dass sich dieser allzu dominant in den Vordergrund gedrängt hätte. Es ist vielmehr wie eine Assoziationskette, der ich mit großer Aufmerksamkeit folge. Töpfer gelingt es auf beeindruckende Weise, bei dieser Zusammenstellung die richtige Mischung aus vorüberlegter Inszenierung und situativer Offenheit herzustellen.
So angeregt bin ich schon lange nicht aus einer Ausstellung herausgegangen. Mir kommt tatsächlich der Ausdruck intellektuell in den Sinn, der ja im ganzen Hipsterwahn etwas aus der Mode geraten ist. Gleichzeitig befällt mich sofort ein schlechtes Gewissen, als mir das Elitäre dieser Situation bewusst wird. Erst jetzt wird mir die Doppeldeutigkeit des Ausstellungstitels klar: Die „Melancholie der Elite“ bezieht sich laut Ankündigungstext auf eine Ausstellung marxistischer Modernisten, die sich entschlossen haben, ihre Praxis weitgehend zu isolieren – in anderen Worten: zu elitarisieren. Das mag erst mal paradox klingen, ist aber auch der Versuch sich vor Vereinnahmungen zu schützen. Der Schritt in die weitgehende Unsichtbarkeit geht so weit, dass Töpfer von den russischen Ausstellungsmachern Instruktionen hat, nicht über die Ausstellung zu sprechen. Ist dies wirklich der bewusste Versuch in der Beschränkung zu agieren und die Kontrolle über die eigene Wirkung zu bewahren – oder handelt es sich um den Versuch durch die Verknappung noch interessanter zu wirken? Die Melancholie und Intensität dieser Face-to-Face-Situation sprechen eindeutig für ersteres.

„Die Melancholie der Elite“ aus dem Zyklus: Der Rückzug der Dinge, 3 ½, KunstWerke, Auguststraße 69, 10117 Berlin,
14.9.–14.10.2014

„Die Melancholie der Elite“, Ausstellungsansicht, kuratiert von Lukas Töpfer, Courtesy KunstWerke