Haus der Statistik

2018:Dezember // Andreas Koch

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12-2018



Eines der Vorzeigeprojekte aktueller Stadtpolitik, die ein linker rot-rot-grüner Senats zusammen mit einem grünen Bezirksbürgermeister und einem SPD-Baustadtrat in Mitte möglich macht, ist das Haus der Statistik.
Ein Riesenblock mit ausgebauten Fenstern gegenüber dem Haus des Lehrers, der, wäre die Geschichte normal verlaufen, längst abgerissen und einem Hotel- und Büroblock gewichen wäre, ähnlich den Gebäuden in der Karl-Liebknecht-Straße oder direkt gegenüber das Holiday Inn oder das Hampton Hotel. Vielleicht wäre ein Luxusappartement-Block entstanden, wie es schräg gegenüber mit der „Gehry-Pfeffermühle“ geplant ist, jedenfalls fand dies alles nicht statt und es steht immer noch – als unbenutzbare Raumruine. Hier schreien schon die ersten „Skandal“, wie kann man ein so wertvolles Stück Zentralinnenstadtland so lange brach liegen lassen? Gemach, gemach, sagen die anderen, hier entsteht eventuell etwas ganz Besonderes.
Aufgrund der Initiative „Zusammenkunft“ entsteht zur Zeit das, meiner Meinung nach, wichtigste Stadtprojekt in Berlin. Ein Haus der Zusammenkunft in der Zukunft, kurz ZUsammenKUNFT, wie die eigentliche Schreibweise ist und wie dann hoffentlich einmal in großen Lettern auf der Fassade oder dem Dach zu lesen sein wird. Auf den später über 90.0000 Quadratmetern sollen dann Künstler, Flüchtlinge, Vereine, Initiativen, das Bezirksamt, also auch die Verwaltung, unter einem Dach arbeiten, aber auch mindestens 300 Wohnungen oder Wohnungsähnliches entstehen – eigentlich ein Mega-Kommunenzentrum.
Der Bezirk ist mit dabei, da er in den neunziger Jahren einen Berlin-typischen Fehler begangen hat. Damals saß das Bezirksamt noch im Behrens-Bau direkt am Alex, dem Berolina-Haus. Das Haus wurde erst vom Land an die bald bankrotte Landesbank Berlin, dann von dieser an einen Investor verkauft, der es auch denkmalgerecht zu sanieren versprach (ja, ja, das Geld fehlte, es selbst zu stemmen) und es auch tat (für recht bescheidene 25 Millionen Euro).
Das Bezirksamt war schon davor ausgezogen und landete, nomen est omen, im ehemaligen Berolina-Hotel hinter dem Kino International, welches ein anderer Investor komplett abgerissen (trotz Denkmalschutz) und ähnlich wieder aufgebaut hatte. Seitdem zahlt der Bezirk recht hohe Mieten. 2016 wurde ein neuer zehnjähriger Vertrag ausgehandelt wonach das Bezirksamt seit Anfang 2018 eine 55 Prozent höhere Miete akzeptierte. Es ist also recht logisch da so schnell wie möglich in günstigere, landes- oder bezirkseigene Gebäude zu wechseln. Ein viertel Million Euro pro Monat, oder 3 Millionen im Jahr sind doch recht happig, auch für 20.000 Quadratmeter Nutzfläche (also 12,50 nettokalt). Das ganze Haus wurde kürzlich erst für 87,4 Millionen an einen neuen Investor verkauft … Der ganze Fall ist also wieder – ähnlich zum Beispiel dem Innenministerium, das lange Jahre am Spreeufer mietete – ein gigantischer Transfer von Steuergeldern hin zu Immobiliengesellschaften.
2026 müsste es also spätestens soweit sein und bei der Größe des Haus-der-Statistik-Projektes ist das ein ambitioniertes Zeitfenster. Zumal der Anspruch auch ein großer ist. Man entwickelt das Gebäude und das dahinterliegende Areal gemeinsam als fünf Beteiligungsgruppen. Da ist zum ersten die Initiative ZUsammenKUNFT, geleitet von einer Gruppe sehr erfahrener Prozessgestalter und -architekten, die mittlerweile im Pavillon des ehemaligen Fahrrad-Flöckners ein Werkstatt-Café eröffnete, in dem täglich Planungs- und Bürgerbeteiligungsworkshops stattfinden – sie sind die eigentlichen Initiatoren, zudem sitzen die WBM, als landeseigene Wohnungsbaugesellschaft mit sozialen Bauauftrag, die BIM, das landeseigene Immobilienmanagement und Besitzerin des Ensembles, der Bezirk Mitte und die Senatsverwaltung mit in der Runde.
Insgesamt wird es um 90.000 Quadratmeter Nutzfläche gehen, inklusive etlicher Neubauten. 80 Prozent der Fläche wird an den Bezirk für Verwaltungsaufgaben und an die WBM für Wohnungen gehen, der Rest geht dann an die Initiative, so jedenfalls legt es eine erste Kooperationsvereinbarung fest, aber man ist noch sehr flexibel.
„Skandal“ schreien die Nächsten, die Künstler werden wieder abgezockt. Aber schon 20.000 Quadratmeter sind eine ganze Menge. Die sollen auch nicht nur Künstler bekommen, sondern wiederum verschiedene Initiativen, die ihrerseits wieder Bedürftigte betreuen. Also ältere Menschen, psychisch Kranke, Behinderte oder Flüchtlinge. Hier könnten Modelle für integratives Wohnen geschaffen werden – gemeinsam mit Familien oder sonstigen Wohninteressierten, die Lust auf mehr Gemeinsam und weniger Einsam haben. Selbst wenn am Ende 8000 Quadratmeter für Atelier-, Arbeits-, und Proberäume übrigbleiben, könnte man 300 Künstlern Platz zum Arbeiten bieten. Zum Vergleich: das ist mehr als die doppelte Größe der Kunstfabrik am Flutgraben. Außerdem soll das Haus nicht wie ein Kuchen aufgeteilt werden, sondern auch die anderen Projektbeteiligten sind an neuen Formen von Gemeinsamkeit interessiert und schaffen ihrerseits Platz für Bildung, Kultur und integratives Wohnen. Gerade die WBM könnte sich aus ihrer Pflicht, eine gewisse Anzahl von Wohnungen – aufgeschlüsselt in 1-, 2-, 3- oder 4-Raumwohnungen – zu bauen, befreien und größere flexible Grundrisse, etwa für Clusterwohnflächen, entwickeln – also kleinere private Räume, die in größeren Gemeinschaftsflächen und -küchen münden. Ideal für WGs, betreute Wohnformen oder vernetzungsfreudige Familien, die ihren Kleinfamilienroutinen entkommen wollen.
Es ist auf jeden Fall ein weiter Weg bis dahin. Neu daran ist auch die architektonische Planung. Aus dem Werksstattverfahren soll ein Bedarfs- und Bebauungsplan entwickelt werden, auf dem dann wieder die eingeladenen Architekturbüros aufbauen und ihre Pläne eng mit den Workshops und Bedürfnissen der späteren Nutzer abstimmen. Es findet kein Wettbewerb statt, bei dem jedes Büro im stillen Kämmerchen etwas ausheckt und dann das beste, aber dennoch unausgegorene, ausgewählt wird. Viele Augen sehen mehr und viele Köpfe haben auch mehr Zeit zum Nachdenken und mehr Potenzial zum Austausch.
Die Frage nach der Verteilung der Räume ist auch noch offen. Wie integriert man WBS-Berechtigte, wenn es keine abgeschlossenen Wohnflächen gibt, sie also nicht in Wohnungen, sondern WGs wohnen? Wer bekommt die Ateliers, welche Initiativen kommen rein, wer landet in den Wohnungen? Da schreien natürlich auch schon welche, dass sich der links-bürgerliche Mittelstand dort sein Idyll fürs Alter zimmert und dies auch noch mit Steuergeldern. Ein natürlicher Reflex, sei es von weit links oder rechts, auf jegliche positive Verbesserung innerhalb des kapitalistischen Systems, dessen Ende ansonsten wahrscheinlich nur durch einen relativ katastrophalen Selbstmord, bestenfalls knapp an der Apokalypse vorbeischarrend zu erreichen ist, oder eben auch nicht.
Deshalb ist hier die Chance gegeben, in kleinem Maßstab ein relativ genaues Abbild unserer jetzigen Stadtgesellschaft zu schaffen, mit allen grün-linken, integrativen Fortschritten inklusive, eine etwas bessere Welt innerhalb einer schlechten.
Warum allerdings die Fassade bereits nach dem herkömmlichen Wettbewerbsprinzip vergeben wurde, bleibt unklar. Vielleicht sollte die Bevölkerung beruhigt werden. Die Fassade ist jedoch der unwichtigste Teil.
Hans Martin Sewcz: Haus der Statistik, Neonwerbung ehem. Mocca Eck, 2016