IN MEINEN SECHS WÄNDEN

Quadratur der Angst

2018:Dezember // Barbara Buchmaier, Christine Woditschka

Startseite > 12-2018 > IN MEINEN SECHS WÄNDEN

12-2018

Die Liebe wird uns nicht retten

Ich kann Dich nicht genug lieben. Dich nicht und Dich auch nicht. Niemals reicht das aus.
🛐

Kennst du den Ausdruck: EIN FASS OHNE BODEN? Wie viel da reinpasst! Immer mehr und mehr von der Energie in die Grube reinschütten. A BOTTOMLESS PIT.
Pitbull. Hund gegen Hund, in der tiefen Arena. Reis-sen. Zer-reis-sen. Ein Fass, das ohne Boden ist. Fass-ist. Fassist. Von einem Keller in den nächsten tropfen. In den Keller des Kellers.
🛐

Der Wunsch Teil von etwas zu sein. Zu jemandem zu gehören. Jemandem anzugehören. Jemandem anhängen. Ein Anhänger sein. Der Sammler, der sich einkauft. Bäh. Bäh. Bäh. Ein Künstler, der sich Eintrittskarten, der sich Austrittskarten malt. Rein raus. Innen Außen. Oben Unten. Decke wird zur Wand, Boden zum Fenster.
🛐

Aber Du, Du bist genauso BÄH!


Konzeptlandwirtschaft

Also ich will Teil einer Gemeinschaft auf dem Lande werden. Ich will aufs Land ziehen. Ich will einfach nur barfuß durch Gras laufen: eine neue Künstlerbewegung ist das. Eine neue Bewegung der Künstler. Ich bewege meine Hand, ich bewege mein Bein.
🛐

Bis die Erdwespe Dich erwischt. Die Mücken, die Dich fressen. Das Bienenhaus. Hunde und Honige. Honighütte. Honighut. Alte Waben. Holzbox. Honigmaden, in der Nische hinter dem Schrank. Warmes Holz. Einkerbungen. Staub. Zerflossen. Architektur aus Dreck. Aus verdautem Dreck.
🛐

Ich suche mein Heil im Ackerbau.
SUBSISTENZLANDWIRTSCHAFT.
Ich webe meinen eigenen Teppich. HANDWIRTSCHAFT.
🛐

Ich sage Dir: Ich werde durch mich selbst bestehen. Ich werde aus mir selbst bestehen.
🛐

Und dann reden wir darüber am Lagerfeuer. Wir bieten Workshops an. Über die Sorge um das Selbst. Versorge. Sich-selbst-Versorgen. Geld mit der Sozialität verdienen. Sich in Arbeit einkaufen.
🛐

Soziale Vermarktung des Landes. Arbeit als Idee. KONZEPTLANDWIRTSCHAFT.
🛐

Sich Arbeit vorstellen. Auf Boden, der nicht trägt.
Kopfüber hängen.
🛐

Hast Du es denn wirklich probiert?
🛐

Ich habe eine Auszeit genommen und geerntet: Inspiration habe ich geerntet im Bereich der Versorgung meines Selbst. Ich habe ein Ziel und das ist die Transformation von Naturfläche in einen Ort der Wissensvermittlung, letztendlich die Transformation von Landschaft in Essen.


Quadratur der Angst

Lernen über die Angst. Ich will alles über Angst wissen. Ich will zum Beispiel wissen, mit wie wenig ich auskomme. Planspiel: Verlustangst. Dem Leben zuvorkommen, sich selbst alles wegnehmen, bevor andere es tun können.
🛐

Was brauche ich wirklich? Luxus der Ausdünnung.
🛐

Mein Schwarzes Haus – die Perfektion einer Ästhetik der Reduktion. Solitär steht es da in der Landschaft. Abweisend nach außen, die Sonne aufsaugend, von innen mit der Natur verschmelzend. Sich die Natur reinziehen. Das Licht aufsaugen.
🛐

Geschnitzter Tisch. Eine Wasserfall-Dusche im Wohnzimmer, mit freiem Blick auf mein Land. Fenster statt Mauern. Meine sechs Fenster, oben unten, links rechts, vorne hinten. Pure Harmonie. Einfachste Bauweise. Einfacher geht nicht. Perfektion der Einfachheit.
🛐

Aber stell Dir vor, da steht nachts jemand draußen und schaut zu Dir rein.
🛐

Dann herrscht Angst, wo man nur hinsieht. Quadratur der Angst. In meinen sechs gläsernen Wänden.
🛐

Von Angst getrieben. Zeitlose Angst.
🛐

Alle Bewegung habe ich so weit es ging reduziert. Bis ich nun ganz steif am Boden liege: Wenn der Griff zum Telefon zur letzten Chance wird. Wenn Bewegung existenziell notwendig wird.
🛐

BEWEGUNG AUS NOTWENDIGKEIT.
🛐

Wehre Dich gegen diese Niederdrückung! Wirf den unnötigen Ballast ab, ganz leicht wirst Du! Aufsteigen, bis Du an der Decke klebst. Den Würfel musst Du dann drehen, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Damit sie nicht mehr so zappeln.


Geheimnis erraten, Geheimnis verraten

Verrat, wo das Wasser ist! Ich brauche meinen eigenen Brunnen.
Bau Dir ein Dach. Dache. D’Arche. Nur zwei von jeder Sorte gehen ein unter mein Dach. Geld in die eigene Rettung investieren. Du brauchst ein Haus. Eine eigene Insel. Eigene Luft. Eigenes Wasser. Codewort: Fountain. Wasserkaskaden. Fluten.
🛐

Immobilienangstmarkt – in aller Munde. Zergehen lassen.
🛐

Geldmacher der Angst. Angst macht Geld. Geld macht Macht.
🛐

In den Städten haben wir ausgesorgt, jetzt brauchen wir Ländereien. Wir kaufen das ganze Land.
🛐

Sich selbst sehr weit ausdehnen. Orte besetzen. Besitz. Besitz verwalten. Überall daheim, alles mein. Den eigenen Platzbedarf notgedrungen immer weiter ausdehnen.
🛐

Nach der ersten Immobilie kommt die zweite und dann die dritte für den Ex und dann noch eine in einer anderen Stadt, Arbeitsort, bis sich dann kurz darauf auch noch alle um die Immobilien der VERSTORBENEN kümmern müssen und dort Massen an Kleidern bergen. Wenn man sich vorstellt, welch unheimlich großen Platzbedarf Individuen – notwendigerweise – entwickeln ... NOTWENDIGERWEISE – NÖTIG: DAS IST NOT.
🛐

Eine ältere Künstlerin sagte zu mir, dass man Land ein Jahr vorher für den Anbau von Kartoffeln urbar machen müsse, damit die Kartoffeln überhaupt wachsen können. Niemand wüsste das noch. Seither sind 15 Jahre vergangen. Keine Kartoffeln bisher.
🛐

“Macro-fear is an effective motivator. (…) Coleman’s synopsis posits that retailers, for instance, probably don’t want to cause consumers fear. However, they can see increased consumption after events in the news that will cause consumers macro-level fears”: Macro-level events such as “terrorist attacks, natural disasters, controversial or fraudulent elections, disease outbreaks and more.”
(H. Flechter: “How to Use ‘Macro Level’ Fear in Marketing”, April 10, 2018, https://www.targetmarketingmag.com/article/use-macro-level-fear-marketing/)
🛐

Bauherr, Baudame, komm zu uns!
🛐

Wer wir sind? Air.biz. Allgemeine Immobilienrettung. Für mehr Zero Gravity Space.
🛐

Aber pass auf, dass das nicht Dein Ruin wird. Ruinen, so weit das Auge reicht.


Fear of Missing out

Das nervt voll, wenn die alle am Wochenende raus aufs Land kommen und die Gegend nur noch danach abscannen, wo sie noch was für 60.000 bekommen können. Der 60.000-Euro-Blick.
🛐

Umherschweifende Blicke umherschweifender Produzent*innen. Gab es da nicht auch ein Buch?
🛐

Besucher. Ich begrüße alle Besucher recht herzlich auf meiner einsamen Scholle. Ich bin ganz offen. Meins, deins. Komm doch rein oder nicht, dann eben nicht.
🛐

“Although the fear of missing out (FOMO) has only officially been a term since 2013, the idea behind this angst is timeless. 
Even before social media and smartphones, the idea that you were missing out on the fun happening somewhere else was a relatable experience. The cliché of someone sitting at home alone while their peers party elsewhere has been the basis of almost every teen movie ever. (…) Everyone loves a secret club. (…) Fostering the idea of an elite club will make your recipient feel special for being offered up the content you’re serving them. (…) I’m sure you’ve spent a late night or two endlessly scrolling through social media and feeling overwhelmed at all the fun going on around you, without you. I certainly have! Capitalize on the trend by flipping FOMO on its head and inviting your consumers to unplug and interact personally.”
(A. Cassinelli: “Five Ways to Use FOMO Marketing For Your Brand”, (undatiert): https://mention.com/blog/fomo-marketing/)
🛐

Das ist es. Ein Eliteklub in der Märkischen Schweiz. Klubsekret. Walddorf, wenn ich das schon höre. Die paar Schönen, die im Strandbad auftauchen, wohnen immer da.
🛐

Jetzt übertreib mal nicht!
🛐

Was, Du warst da auch schon? Die Frau, die morgens über den Hof läuft und nicht Guten Morgen sagt. Womöglich ist sie prominent.
🛐

Ich bin prominent. Ich habe Angst vor den anderen, inzwischen. Neid, der alles kaputt macht. Das kannst Du Dir nicht vorstellen, wie krass Menschen sind.
🛐

Anonymität, Normalität als größter Luxus. Wie, Du spürst das nicht?
🛐

Ich bin da dabei und wenn ich Dich so höre, dann denke ich, Du wärst auch gerne dabei.
🛐

Nein, nein, niemals. Ich mach mein eigenes Ding. Aber Angst, auf dem Dorf zu verkümmern, habe ich schon. Nein, das Haus, es muss an einem besonderen Ort sein. Da, wo die anderen auch hinwollen. Kilometer müssen in Kauf genommen werden.
🛐

Kilometer in Kauf nehmen. Kilometer kaufnehmen. Auf-nehmen. Ich nehme mir. Aufnehmen. Nimm Dir, was Du kriegen kannst. Lots of Space. Durchlauf. Oben rein, unten raus.
🛐

KREDO KREDIT. KRE.DOT.COM. NULL PROZENT IST EBEN NICHT NULL PROZENT. IMMER MEHR ALS NICHTS. Mehr als nichts. Dennoch: EIN Haus ist besser als KEIN Haus.
🛐

Die meisten brauchen ja gar keinen Kredit. … da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht.
🛐

Nicht zu weit weg von den anderen, das Haus darf doch nicht zu weit weg sein.
🛐

He, ich war zuerst da. – Ich war aber schon immer da. – Ach schau, der ist jetzt auch da.
🛐

Ich verachte Dich, aber ohne Dich wäre es mir langweilig. Eingehen – ohne Bestätigung.
🛐

Ich vermisse die Ruhe. Die Ordnung der Gezeiten und Jahreszeiten. Ich will raus aus meinem pornografischen Leben. Ich will etwas machen, das niemand sieht. Es wird nicht existieren. Ein Gespräch mit mir selbst. Innerer Generalstreik.
🛐

Nein, was Du da machst, ist der Tod im immobilen Zustand. Oder einfach nur eine fiese Ankündigung, dass Du etwas machen wirst, das unsichtbar ist. Dann wissen es jetzt aber schon alle. Bellende Hunde beißen bekanntlich nicht.
🛐

Selbstversorger. Selbstversager. Aber besser als nichts.
🛐

Nein, das auszuhalten, selbst zu versagen, das Selbst zu versagen, DAS, das schaffen nur die wenigsten, nur die allerwenigsten. Kennst Du jemanden, der das geschafft hat? Ich zumindest habe alle vergessen, die das gemacht haben. Mir ist kein Name bekannt.

Erschaffen von Intensität

Oh, wie viel mehr ich auf einmal höre, in all dieser Stille. Und da, all diese Sterne! Faszinierend. Morgen auch noch. Regnet es denn nie mehr? Siehst Du, schon war es weg. Kein Erlebnis. Da ist einfach kein Erlebnis. Da ist einfach KEIN ERLEBNIS. ICH SPÜRE NICHTS. Ich brauche mehr. Ich will etwas MACHEN. Was in die Hand nehmen, drücken, schmeißen. Klatsch, platsch. Farbe überall! Ich will durch Schlamm stampfen. Durch Wasser waten. Über Wiesen springen. Strampfen und Schlamm marschen.
🛐

Ich will einfach wissen, was da für Bilder rauskommen, wenn ich jetzt, also, ja, den Pinsel in die Hand nehme.
🛐

Also, Du meinst wirklich, den Pinsel in die Hand ­nehmen?
🛐

Ja, einfach einen Pinsel und dann Farbe, Und dann einfach machen. Ernten. Ernten. Ernten. Die Früchte des Gehirns ernten.
🛐

Wie, Du meinst also allen Ernstes, dass sich in deinem Gehirn so etwas wie Sedimente angereichert haben? Das ist doch fatal, könnte es sich dabei nicht um einen lrrtum handeln? Du wirst schon sehen, der Pinsel wird Dir ganz schön einen Strich durch die Rechnung machen. Nicht, dass Dich die Sedimente am Ende behindern.
🛐

Gut so! Nur weiter so! Lass die Chose beginnen. Das Blut soll spritzen. Blut, Farbe, Körper, echtes Leben.
🛐

Du Einfaltspinsel!
🛐

Das Moor wird Dich verschlucken. Verdammte Scheiße! Was soll ich Dir noch alles erklären? Das macht doch keinen Spaß, Dir die Welt immer und immer wieder von vorne zu erklären!
🛐

Ich pflanze, ich sähe. Ich ernte. Ich esse. Ich ziehe auf. Ich mache weiter. Ich male, und das bedeutet, dass ich NICHT male. Verstehst Du das?
🛐

Ach, ist das dann ein Äquivalent zur „Konzeptlandwirtschaft“?
🛐

Nein, also ja: Die Handlung als Idee und die Arbeit als Performance. Mein kleiner süßer Teppich. Mein Esel. Mein Schaf. Mein Pferd. Mein Hund. Meine Leine. Mein Strick. Mein Schal. Mein Baum. Mein Balken. Meine Ruhe.
🛐

Mein Zwinger.
🛐


Illustration: von hundert