Mit Schnitte #11

Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch mit Sonja Alhäuser

2018:Dezember // Esther Ernst und Anja Majer

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12-2018

Für ihre Gesprächsreihe Mit Schnitte laden die Künstlerinnen Anja Majer und Esther Ernst Kolleginnen und Kollegen am Tag nach ihrer Vernissage zu einer selbstgemachten Schnitte und zum Gespräch über das Phänomen der Eröffnung im Allgemeinen und den vergangenen Abend im Speziellen ein. Mit Schnitte #11 ist ein Interview mit der Künstlerin Sonja Alhäuser anlässlich ihrer Ausstellung „Aus der Tiefe“, die das Haus am Waldsee am 5. 7. 2018 in der Reihe „Schaufensterausstellungen“ im Bikinihaus eröffnet hat.



Sonja Alhäuser / Tut mir leid, ich habe ein bisschen zu lange mit Aufstehen gewartet, deshalb bin ich etwas spät – und leider auch heiser. Ich habe gestern so viel geredet, das hat mir den Rest gegeben. Aber ich freue mich natürlich sehr, wenn viele Leute zur Eröffnung kommen, gerade solche, die ich gar nicht erwartet habe. Das ist ja auch immer … fangen wir eigentlich schon an?
Anja Majer / (lacht) Ja, ich glaube wir sind schon mittendrin.
Alhäuser / (lacht auch) Ja, also es war eine kleine, feine Eröffnungen in der Dépendance vom Haus am Waldsee. Und bei mir ist das immer so, dass nach der Eröffnung auf die Anspannung eine Art Entspannung folgt. Für mich sind die Eröffnungen nämlich meistens gar nicht so entspannend, weil ich oft noch was zu tun habe. Gestern habe ich kurz vor Beginn noch eine Skulptur mit Margarine und Dillsträußchen bearbeitet, als die Leute schon da waren. Es gab überhaupt noch einiges einzurichten und alle guckten zu, weil eine Live-Performance natürlich immer super ist. Es war aber nur so, weil ich zehn Minuten zu spät dran war, weil ich mich ausgesperrt hatte … Also war alles ein bisschen anders als sonst, aber das gehört ja auch dazu. Und es war auch schön für die, die zugucken konnten.
Esther Ernst / Ein Blick hinter die Kulissen, sozusagen. Ich möchte da nochmal kurz einhaken: also das Haus am Waldsee wird saniert und die haben während des Umbaus im Bikinihaus eine Ausstellungsreihe namens „Schaufenster“ eingerichtet. Da wir nicht zu den Eröffnungen gehen, um uns alles aus erster Hand erzählen zu lassen, haben wir uns gefragt, ob es es sich tatsächlich um ein Schaufenster oder doch um einen Ausstellungsraum handelt?
Alhäuser / Es ist schon mehr wie ein Schaufenster. Es ist einer der Räume oben auf der Gartenetage, wo sonst viele Modelabel und kleine Büros sind. Etwa 50 qm groß, mit hängenden Paneelen, so dass Büro- und Ausstellungsraum voneinander getrennt sind.
Ich zeige dort eine kleine Edition, die aus zehn Zeichnungen besteht. Ende August (2018) findet im Haus am Waldsee ein Meeresfrüchtefestbankett statt, und das ist einfach sehr kostspielig; so kamen wir auf die Idee mit der Edition. Als ich den Raum gesehen habe, habe ich entschieden, die Zeichnungen nicht zu hängen, sondern auf einem ovalen Tisch anzuordnen. So hat es ein wenig etwas von Luxusflohmarkt, weil ich die Rahmen auf dem Büffetttisch auf Pannesamt drapiert habe. So, wie ich das Essen beim Bankett aufstellen würde. Und das hat funktioniert. Es war schön und kommunikativ, das mag ich sehr. Man lacht sich über den Tisch hinweg an, teilt die Freude oder auch den Ekel, wenn man zum Beispiel einen Fisch hässlich findet.
Majer / Das klingt fassbar und anders, als wenn die Bilder an der Wand hängen und vielleicht damit einen Blick, eine Blickrichtung vorgeben. Eine Einladung, auch für die Gäste untereinander. Waren gestern die Leute da, die im August zu deinem Festbankett kommen?
Alhäuser / Ja. Die, die vorhaben zu kommen, konnten sich schon in eine Anmeldeliste eintragen und die, die sich noch nicht sicher waren, konnte man versuchen zu überzeugen. Die Ausstellung ist mehr wie ein Trailer gedacht.
Ernst / Und kamen auch Leute vorbei, die zufällig in der Mall waren?
Alhäuser / Ja, einige kamen rein, haben sich aber erstmal nicht so richtig getraut, weil es nach geschlossener Veranstaltung aussah. Im Bikinihaus finden ja oft kleine Modenschauen mit geladenen Gästen statt. Gestern waren hauptsächlich die Leute da, die von der Eröffnung wussten.
Ernst / Du sagst, das war eher eine Schaufensterausstellung, auch von der Größe her. Hat sich die Aufregung vor der Vernissage kleiner angefühlt oder bleibt die für dich immer gleich groß?
Alhäuser / Also die Größe hat gar nichts mit meiner Grundaufregung zu tun, die bleibt eigentlich immer gleich. Es ist eine Mischung: erstmal bin ich froh, dass ich fertig geworden bin. Es ist bei mir nämlich immer knapp, weil ich versuche, möglichst viel zu optimieren. Und da fällt mir eigentlich immer noch was ein. Neben der Aufregung kommt aber auch der Zweifel: Ist es gut? Der kommt immer, egal, ob frisch nach dem Studium oder jetzt, wenn ich inzwischen schon viele Ausstellungen gemacht habe. Vielleicht befindet er sich auf einem anderen Niveau, aber die Frage bleibt. Jede Eröffnung gibt mir ja auch die Chance, etwas Neues auszuprobieren, damit ich mich nicht selber langweile. Hier habe ich das mit den Bildern auf dem Tisch zum ersten Mal ausprobiert. Die Präsentation hat auch etwas von einer Verkaufsauslage, wie bei Brillen oder Schmuck. Eine angenehme Kippsituation.
Ernst / Was ja auch gut in die Mall passt.
Alhäuser / Genau. Man kann ja nicht den Ort vergessen. Wir befinden uns eben nicht in einer Galerie oder in einem Museum, sondern da wird gekauft. Und ich finde, das spürt man auch. Der Eröffnungszeitraum war auch sehr kurz, weil die Mall um acht Uhr schließt.
Vor zwei Wochen hatte ich eine Eröffnung in der VGH Galerie in einer Versicherung. Auch dieser Ort macht etwas mit einem, und damit versuche ich natürlich umzugehen.
Majer / Wie gehst du mit Kritik bei Eröffnungen um? Gehört sich das? Oder was würdest du sagen, wenn bei der Eröffnung jemand, den du nicht kennst, kommt und sagt, das finde ich doof. Na ja, vielleicht ein bisschen klüger verpackt …
Alhäuser / Ich hoffe natürlich auf ehrliches Feedback; Freunde machen das auch. Aber natürlich kommen fremde Leute ausschließlich mit Begeisterung auf mich zu. Die sagen nichts, wenn sie es nicht gut finden. Allerdings glaube ich, dass generell gute und schlaue Kritik, die nicht achtungslos vorgetragen wird, so dass ich sie annehmen kann, immer hilfreich ist. Meine Arbeit ist sowieso sehr polarisierend, durch die Materialien, die ich verwende. Gerade die Bankette sind schon mit einem Fuß im Catering. Da muss ich immer gut schauen, wie ich mich da unterscheide.
Ernst / Uns interessiert an Vernissagen, dass in so kurzer Zeit so viele Emotionen, Erwartungen und Anforderungen zusammenkommen. Oftmals ist die Rollenverteilung bei diesen Anlässen auch gar nicht so klar definiert, deshalb fragen wir gerne nach, ob sich die Künstler auf ihren eigenen Eröffnungen eher als Gast oder als Gastgeber fühlen. Deine Arbeiten haben durch die Festbankette ja unglaublich viel mit der Rolle der Gastgeberin zu tun. Wie empfindest du dich diesbezüglich auf deinen Vernissagen?
Alhäuser / Also ich bin auf alle Fälle Gastgeberin. Und sehr selten Gast. Am ehesten dann, wenn mir auf der Eröffnung ganz viele Leute fremd sind, oder Reden gehalten werden und damit die Wichtigkeit der Institution zelebriert wird. Dann wird mir kurz bewusst: Uhh ja, ich bin ja hier eingeladen. Aber mein Grundgefühl ist ganz klar Gastgeberin. Das ist auch die einzige Chance, diese Arbeiten hinzukriegen. Ich muss mich auch als Gastgeberin fühlen, um mir den Raum zu eigen machen und mich darin auszubreiten. Und ich möchte auch meine Gäste in diesem Sinne begrüßen. Mir ist schließlich wichtig, dass sich die Besucher auf der Vernissage gut und angenehm fühlen.
Majer / Ich hab auch das Gefühl, dass du es ganz gerne magst, Gastgeberin zu sein und den Raum einzunehmen. War es früher anders? Dass du gesagt hast, da geh ich lieber nicht hin?
Alhäuser / Ich weiß um meine Scheu vom Anfang meiner Laufbahn. Da hab ich erst geguckt, was die Künstler in den jeweiligen Institutionen vor mir ausgestellt haben. Diese Scheu musste ich erst überwinden und den Raum selber einnehmen.
Ernst / Viele Eröffnungen bilden ja den Endpunkt einer Arbeitsperiode und den Beginn einer Ausstellungszeit. Speziell an dieser Schnittstelle ist, dass die Vernissage Feier und Arbeit zugleich ist. Bei dir klingen die Eröffnungen allerdings ganz klar nach Arbeit – die gehören zum Arbeitsprozess dazu, oder?
Alhäuser / Das stimmt, da hast du recht. Jetzt wo du das so sagst … Hm, wobei es schon so ist, dass die Arbeit erstmal getan ist und ich nichts mehr daran ändern kann. Und ich stehe natürlich auch auf der Vernissage rum und bin im Austausch mit den Besuchern.
Majer / Wenn du erzählst, hört es sich so an, als würde ein ganz spezieller Raum mit einer ziemlichen Dynamik entstehen. Es gibt ja auch Vernissagen die ganz statisch bleiben. Alle stehen da, trinken, reden auch, aber lieber nicht über die Kunst. Und der Künstler oder die Künstlerin wäre auch lieber nicht da. Aber bei dir schwingt das Pendel auf die ganz andere Seite und die Vernissage kriegt ihren eigenen Sinn und Zweck.
Alhäuser / Ja, wie schön, dass du das so sagst. Es ist wirklich so. Die Atmosphäre ermöglicht es, dass viel gerochen, probiert und gesprochen wird. Der Austausch ist anders als auf anderen Vernissagen. Ich schau mir generell gerne Eröffnungen an, weil da immer eine Dynamik entsteht. Für mich selber allerdings gibt es nichts Enttäuschenderes als eine steife Eröffnung, bei der alle nur Bilder angucken. Das vermittelt mir nämlich nicht, was in den Köpfen der Betrachter vorgeht. Aber in dem Moment, wenn die Arbeit nahbar und haptisch wird, wie zum Beispiel bei einem Bankett, erlebe ich, wie das Publikum mit der Arbeit umgeht. Meine Arbeiten sind diesbezüglich sehr einladend, was man mir natürlich auch wiederum vorwerfen kann.
Vielleicht ist es auch meine katholische Prägung oder meine Herkunft – ich komme aus dem Rheinland und ging zur Klosterschule – bei der sich die Begeisterung in meinem Unterbewusstsein verankert hat, dass es etwas Tolles ist, sich mit Menschen zusammenzutun, um gemeinsam etwas zu erleben und zu feiern.
Ernst / Deine Vernissagen klingen dramaturgisch aufgebaut. Ich stelle mir vor, dass du den Verlauf des Abends bewusst steuerst, je nach dem, was du den Gästen auftischst oder wegnimmst. Es ist bei performativen Arbeiten ja generell so, dass die Zeitachse eine bestimmende Rolle einnimmt. Gab es gestern denn so etwas wie einen Höhepunkt?
Alhäuser / Gestern Abend gab es keinen besonderen Höhepunkt, weil es kein performativer Abend war. Ich empfand die Vernissage eher als einen Verlauf mit schönen Momenten. Oder ich sag es so, es gab viele kleine Höhepunkte, aber eher privater Natur. Ein Sammler aus Bonn kam unerwartet um die Ecke, den habe ich lange nicht gesehen. Oder die Lehrerin meiner Tochter kam vorbei, das hat mich sehr gefreut. Oder eine Frau, die eine Zeichnung gekauft hat und mir erzählte, warum sie genau diese Zeichnung gekauft hat, und dass sie meine Arbeiten schon lange beobachtet.
Aber das ist eine gute Frage, weil ich grade merke, dass ich auch an den performativen Abenden immer mehrere Höhe­punkte einbaue, wenn zum Beispiel die Skulpturen an die Wand geklatscht werden, eine neue Platte mit Essen aufgetischt wird oder der Brunnen mit Rotwein plötzlich in die Stille plätschert.
Ernst / Du kriegst es anscheinend gut hin, einerseits die Performance zu überblicken und gleichzeitig Vernissagengespräche mit dem Sammler, deiner Mutter oder der Lehrerin deiner Tochter zu führen.
Alhäuser / Ja. (lacht) Ich versuche natürlich, meinen Gesprächspartnern gegenüber aufmerksam zu bleiben. Aber wenn ich merke, dass jetzt eine Platte nachgereicht werden soll oder der Rotweinbrunnen leer ist, dann hab ich es mir erarbeitet, mich zu entschuldigen und mich um die Arbeit zu kümmern.
Es gibt aber auch Vernissagen, auf denen ich mehr reden kann, so wie gestern zum Beispiel. Das ist auch echt schön.
Majer / Zum Abschluss noch eine letzte Frage: welchen Gast würdest du zu deinem nächsten Festbankett einladen, wenn du dir jemand wünschen könntest, egal aus welcher Zeit, ob tot oder lebendig?
Alhäuser / Ich würde Beuys einladen. Ich habe gelesen, dass er anscheinend total gerne Gastgeber war und einfach die Suppe verlängert hat, wenn mehr Gäste kamen.
Meinen ehemaligen Professor Fritz Schwegler würde ich gerne einladen. Und meinen Papa. Der ist 2006 leider verstorben, war aber ein herziger Gastgeber. Und meinen Sohn. Der ist gerade 19 geworden.
Dieter Roth wäre auch willkommen. Den hätte ich gerne dabei, weil ich gar nicht mit dieser Verwesungsästhetik arbeite. Und ich würde durchaus auch gerne mal so eine raue Kritik hören wollen.

Foto: Anja Majer und Esther Ernst