wo ich war

2018:Dezember // Esther Ernst

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12-2018

ECHO KONZERT 6. Juni 2018
Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin

+ der Bäschteli nimmt uns da manchmal mithin. Und im Gegensatz zu dem Herrn Tonsatzprofessor, kann ich die Qualität von Neuer Musik eigentlich nur nach Geschmack beurteilen. Weil ich in den Kompositionen nämlich meist keine Struktur erkenne oder raushöre.

Zimmermann hat lustige Stummfilmmusik komponiert, bissel merkwürdig, aber heiter. Schönberg find ich immer wieder schwierig, ist mir irgendwie zu zugematscht. Frau Neuwirth dagegen unterirdisch. Warum stellt man Instrumente auf die Bühne, die man dann eh nicht hört? Und dann diese Widmung an Mario Merz mit den gesunden Zahlen voller Vibrato?! Pfui.
Eine echte Entdeckung für mich war J. Schöllhorn. Der hat eine tolle geräuschartige Grundstruktur aus Streichern gelegt, fast wie Ventilator-Rauschen, und darüber Bläser, Schlagzeug, Cembalo, Hammerklavier und Harfe gesetzt. Tollomat!



AMIN NORA 2. Juli 2018
Performing Trauma
Blackbox, Akademie der Künste, Pariser Platz, Berlin

+ Anna-Lena hat mir ihr neustes Buch „Weiblichkeit im Aufbruch“ nach Kairo mitgebracht. Und ich war gleichermassen beeindruckt wie bestürzt von der Lektüre und sah die Stadt danach mit anderen Augen.
Per Zufall entdecken wir, dass Nora Amin als Valeska-Gert-Gastprofessorin in Gabriele Brandstetters Institut eine Tanzperformance mit StudentInnen aufführt. Die Studierenden sind angehende TanzwissenschaftlerInnen im zweiten Semester des Masters, also keine TänzerInnen. Trotzdem gelingt es ihnen und Nora Amin sich dem Thema Trauma im kühlen Betonraum der Akademie anzunähern. Weiss gekleidet mischen sich die PerformerInnen unter die Besucher, formieren sich als Schwarm, wechseln sich spielerisch mit kleinen Soli ab und schütteln sich minutenlang die Erschütterung vom Leib.
Der scherbelige Sound hat mich sofort an Kairo erinnert. Das war doch genau so eine selbstgebastelte Geige wie ich sie einem Strassenhändler abkaufte, oder?
Erstaunlich viele Leute für so ein Studentenprojekt.



BOURGEOIS LOUISE 7. Juli 2018
The Empty House
Schinkel Pavillon, Berlin

+ Die Vogelvoliere „Peaux de Lapins, Chiffons ferailles à vendre“ von 2006 passt wie Arsch auf Eimer in die erste Etage des Schinkelpavillons. Abgeknallt, wie grandios sich die ovale Käfigskulptur mit dem schmucken Rautengitter, dem zierenden Holzboden, den aufgefädelten Marmorsteinen mit krönendem Hasenfellkranz, den hängenden Tücherbeulen und Ketten und den zwei abstürzenden Vogelpuppen in den achteckigen, rundum verglasten Raum mit dieser Wahnsinnsdecke einfügt. Ein beklemmender und gleichzeitig befeuernder Anblick. Und wie krass die Ausstellungssituation den Besucher in der verkachelten und fernsterlosen Schinkelklause im unteren Stock fordert, wo kleinere Vitrinen mit Bourgeois selbst genähten, nackten Figuren, sowie manche ihrer rosaroten Aquarelle mit prallen Frauenkörper auf grünen Kacheln hängen. Und es scheiden sich sicherlich die Geister, ob man das darf, aber ich find’s grad total super, diesen mutigen Ausstellungsversuch zu erleben.



FLOATING UNIVERSITY BERLIN 15. Juli 2018
Lilienthalstrasse Berlin-Kreuzberg

+ Die Floating University ist ein sexy Baugebilde auf dem verseuchten Regenwasserauffangbecken gegenüber vom Tempelhofer Feld. (Wieso eigentlich verseucht? Aha, die Flughafenfeuerwehr hat zu Übungszwecken auf dem benachbarten Übungsplatz massig Kerosin angezündet.) Raumlabor Berlin ist Initiator des innerstädtischen Offshore-Labors für Visionen urbaner Praxis. Von Juni bis September wird hier mit Studierenden diverser internationaler Unis, Künstlern, Architekten, Musikern, Tänzer und lokalen Experten gemeinsam gedacht, versucht, überprüft, vernetzt, gelernt und gekocht. Es gibt ein Vorlesungsverzeichnis und jeder der will, kann mitmachen. Alle Anderen können gucken, staunen (ich bestaune ja wahnsinnig gerne Menschen, die aus bissel Holz und Plastik unverschämt gut aussehende Häuser bauen können), essen, mit Gummistiefeln durchs Becken waten und so weiter.
Tolle Sache.



LOSIER AMÉLIER 24. Juli 2018
Sayeda. Frauen in Ägypten
Haus am Kleistpark, Projektraum, Berlin

+ Amélier Losier ist nach dem arabischen Frühling mehrmals nach Kairo gereist, um mit ihrer Kamera der Frage nach der sozialen und politischen Stellung der Frauen in Ägypten nachzugehen. Weil sich diese komplexe Frage aber nicht bloss mit Fotos transportieren lässt, führte sie zusätzlich Interviews mit Frauen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. In Ägypten ist das Fotografieren allerdings schwierig. Einerseits weil der Staat nur ungern unkontrollierte Aufnahmen in der Öffentlichkeit duldet, andererseits werden gläubige Muslime nicht gerne abgelichtet. Darüber hinaus halten sich im öffentlichen Raum überwiegend Männer auf und das Privatleben ist sehr privat und nach meinen Erfahrungen schwer zugänglich. Ein umfangreiches, dreisprachiges Fotobuch ist entstanden und sieht überzeugend aus. Die Ausstellung dagegen hinkte etwas.
So deutlich ist mir der Unterschied zwischen Buch und Ausstellung noch gar nie aufgefallen.



SAMMLUNG BOROS 28. Juli 2018
Dritte Werkpräsentation
Reinhardstr. 20, Berlin

+ meine Nichten wunderten sich über diverse Hochbunker mitten im Quartier, da ist mir die Sammlung Boros in den Sinn gekommen und dass wir eine Führung buchen könnten. Und die Führung war fein, sowohl was die Kunst als auch die Geschichte des Kolosses anbelangt. Irgendwie fand ich die Kombi nicht mehr so unangenehm geilomatisch wie vor 9 Jahren. Gefreut hab ich mich sogar sehr über die Präsentation von 2 Serien aus Peter Piller’s Einfamilienhäuser-Archiv mit Luftaufnahmen aus den 70ern, die er nach grossartigen Kriterien zu 9er-Blöcken ordnet. Pamela Rosenkranz ist mir zu chic, Avery Singer zu safe, Paulo Nazareths moralische Arbeit find ich in diesem Kontext schwierig, Fabian Marti macht sonst echt tolle Sachen, Johannes Wohnseifers partizipative Klebeband-Installation geht bestens, seine Malerei fetzt, Michel Majerus sowieso, Sergej Jensen weiss ich nicht, Kris Martin allemal und Justin Matherlys rohe Bastelbetongüsse passen wie Arsch auf Eimer in den Bunker. Ganz schön viele König-Künstler.



RÖMER + RÖMER 10. Aug. 2018
Elektrischer Himmel in der schwarzen Felsenstadt
Haus am Lützowplatz, Berlin

+ als multimedialer Reisebericht wurde dieser Abend angekündigt. Das Künstlerpaar war letzten August zum Burning Man gereist, wollte davon erzählen und vor allen Dingen eine Edition verkaufen, weil sie nächstes Jahr ihren Malerei-Zyklus zum Burn-Spektakel im Haus am Lützowplatz ausstellen und damit ihren Katalog finanzieren wollen. Und so empfingen uns live gemixte Loungemusik, an die Wand gebeamte Fotos und eine Bar. Ich war gespannt auf die Art und Weise des Reiseberichts, auf den multimedialen Vortrag, auf die RBB Moderatorin Susanne Papawassiliu und wie man das zu Hause gebliebene Publikum mitnimmt, ohne zu langweilen. Und es kamen viele und es war heiss und der Reisebericht plätscherte viel zu locker und ohne jegliche Dramaturgie, unabhängig von der Bilderschleife vor sich hin, so dass sich die Leute allmählich davon schlichen, um es sich im Garten gemütlich zu machen.
Auch ein lässiger Reisebericht will sorgfältig inszeniert sein.



BERLIN ART PRIZE 31. Aug. 2018
The Shelf, Prizenstrasse 34, Berlin

+ Beim ersten Mal Vorbeifahren gedacht: Obacht, Hipsterkonzert. Auf dem Nachhauseweg ist mir dann in den Sinn gekommen, dass das der Berlin Art Prize sein muss. Und, es ist. Sieht aus wie Club, klingt auch danach, und all die aufwändig gestylten jungen Menschen sehe ich in meinem Berlin sonst nie, schon gar nicht auf einem Haufen. Mir wurde schlagartig klar, die meinen mit ihrer Ausschreibung ja gar nicht mich.

Die Ausstellung sieht chic aus, die Arbeiten ordentlich aufgeblasen und grosszügig in der Halle installiert. Vielleicht wundert mich, dass bei einer anonymen Ausschreibung eine derart homogene Ausstellung zustande kommt. Ich wette, hier ist kein Künstler älter als 35.

Letzten Sommer bin ich per Zufall in einem seltsamen Restaurantgarten am Stadtrand in eine noch seltsamere DJ-Session geraten und war fasziniert von dieser merkwürdigen Szene und der andersartigen Stimmung. Daran hat mich die Eröffnung gestern erinnert.



MEYER NANNE 2. Sept. 2018
von wegen
Atelier Liebermann am Brandenburger Tor, Berlin

+ vor allen Dingen ist es eine feine und bescheidene Ausstellung. Und im Gegensatz zu Jorinde Voigt glaube ich Nanne Meyer ihre zeichnerische Auseinandersetzung mit den Atlanten, ihre Verortung in der Welt, dem Ausloten und Aufladen einzelner Worte und ihren seriellen Versuchen, Karten spielerisch zu collagieren, zu cutten, zu übermalen und ihnen eine eigene Lesart hinzuzufügen.
Neben der grossen Anziehung stolpere ich aber gleichzeitig ein weiteres Mal darüber, wie hübsch, fast schon gefällig oder gar dekorativ manche Arbeiten wirken.
Und ich finde es macht eben einen Unterschied, ob sie einzelne gecuttete Postkarten oder adernartige Verkehrswege einer Landkarte in ihren umwerfenden „Jahrbüchern“ ausprobiert, oder ob sie eine ganze Serie daraus macht. Bei der Serie fehlt mir eindeutig der Übersetzungsschritt. Und trotzdem staun ich da gerne hin.




MARTIUS THOMAS 7. Sept. 2018
Pottingers Haus
Acker Stadt Palast, Berlin

+ Pottingers Haus ist eine dokumentarisch angelegte und fiktional gehaltene Biographie über die schillernde Kietzgestalt Pottinger und das unsaniertes Haus in der Linienstrasse 142/143, sowie über den Kiez allgemein im Jahre 1998. Bis dahin hat Thomas selbst dort gewohnt, und zwei Jahre später ein Drehbuch über diesen Ort geschrieben. Stundenlanges Filmmaterial mit geschauspielerten Zeitzeugen (aber auch echten, oder?) rund um die Figur Pottinger, die Linienstrasse, die Bars und Restaurants, die Kohlehändler, Ofensetzer und Schornsteinfeger, die Wende mit der Klärung der Besitzverhältnisse, die Sanierungspläne, den Bioladen usw. Tausend gesammelte und perfekt ausstaffierte Geschichten hat Thomas 2005 im noch immer nicht sanierten Hof des Hauses zu einem Performanceabend aufbereitet. Ein grandios überbordender Erzählabend. Funktioniert auch dreizehn Jahre später, wenn Thomas wieder zusammen mit Sandow auf der Bühne sitzt und sein privates Stadtarchiv öffnet.
Eigentlich was fürs Märkische Museum.


Alle Fotos: Esther Ernst