Immobilien-Spezial

Einführung

2018:Dezember // Andreas Koch

Startseite > 12-2018 > Immobilien-Spezial

12-2018

Dass dieser Text jetzt doch noch erscheint – also dass dieses Heft erscheint –, war nicht immer ganz klar. Mir kam es über lange Zeit so vor, dass sich das kleine, völlig unfinanzierte, auf freiwilliger Basis entstehende Heft „von hundert“ an dem Großthema, an dem vieles überlagernden Lebensgrundthema, über das in den letzten Monaten gefühlt nochmal extrem viel mehr diskutiert, geschrieben, demonstriert wurde, dass sich die kleine „von hundert“ an dem Immobilien-Thema verschlucken würde.
Alle in unserem Umfeld, Redaktionstreffen-Mitglieder, Autoren, auch wir selbst, bekräftigten immer wieder, wie gut und wichtig es ist, über die Verbindungen von Immobilien und Kunst zu recherchieren und zu schreiben, über den Ateliernotstand natürlich, aber auch über Verquickungen beider Welten miteinander, der Immobilien- und der Kunstbranche. Aber alle, auch wir selbst, hatten, sobald es darum ging, erstaunlich wenig Energie. Ist nicht alles schon gesagt und geschrieben, kann man überhaupt an den Verhältnissen noch etwas ändern? Ist das nicht zu mühsam, all die genauen Besitz- und Abhängigkeitsverhältnisse zu recherchieren? Können wir nicht nur scheitern? Ist der Lauf der Dinge, die Aufwertung der Immobilien durch Spekulation, durch Knappheit, durch hemmungsloses Abschöpfen jeglicher Gewinnmarge, nicht schon an vielen anderen Orten vorexerziert worden. Schauen wir doch nach London, Paris, New York und San Francisco, bei uns ist es doch genauso, nur noch in einem früheren Stadium.
Hat unsere uns schon öfter vorgeworfene Negativität endlich ein so negatives Thema gefunden, dass es uns in unserer Depression umbringt, oder in Lethargie Redaktionsschluss um Redaktionsschluss verstreichen lässt?
Aber nein, wir leben. Auch wenn das Thema nur fragmenthaft bearbeitet ist und die Ausgabe, die uns anfangs vorschwebte, nie erscheinen wird – das Heft ist jetzt da.
Tatsächlich ist die Raumfrage eine Lebensfrage, schließlich eine Überlebensfrage. Raum gehört zu unseren Grundbedürfnissen, wie Wasser und Luft. Wir müssen essen, trinken und schlafen, aber dafür auch wohnen und arbeiten. Im Unterschied zur Luft, die umsonst ist, oder zum Wasser, das in Berlin zumindest wieder rekommunalisiert wurde und nur einen Bruchteil unserer Lebenshaltungskosten ausmacht, bezahlen wir für unseren Raumbedarf immer mehr. Der Prozentsatz an Zeit steigt, den wir für unsere Mieten arbeiten müssen. Das ist im Sillicon Valley nicht anders als in Berlin, obwohl dort in Kalifornien für 100 Quadratmeter fünf-, sechstausend Dollar Miete abgerufen werden, können sich das die Leute mit einem Anfangsgehalt bei facebook von 160.000 Dollar gerade schon so leisten (auch dort gibt es natürlich Wohnungsnotstand, eine Verdrängung der ehemaligen Anwohner und Probleme, als Berufseinsteiger was zu finden, das man sich leisten kann …), sie arbeiten aber trotzdem fast 50 Prozent ihrer Zeit für die Miete. Und damit für die Immobilienbesitzer, seien es Einzelpersonen, Unternehmen oder Fondsgesellschaften.
Wir arbeiten für die Immobilienbesitzer und bekommen dafür lediglich das Recht, Räume zu nutzen. Ähnlich Sklaven, die für ihren Schlafplatz und ihre Essensration für ihre immer reicher werdende Herren arbeiten, arbeiten wir die Hälfte unserer Zeit für Menschen, die selbst nichts mehr tun müssen (außer Verwalten und Dealen, aber das machen wohl vor allem ihre Angestellten) und dafür oft noch das Recht haben, uns auf die Straße zu setzen, sollten wir ihren Forderungen nicht nachkommen. Dass mit Donald Trump ein Immobilientycoon der zweiten Generation der mächtigste Mann der Welt wurde, passt in dieses Bild.
Das war immer bis zu einem gewissen Maße ok so, dass man Geld zahlen muss. Räume kosten im Unterhalt, Häuser müssen gebaut oder renoviert werden. Aber jeder Immobilienbesitzer in Berlin weiß, wie viel Geld er verdient, auch wenn er den Profit gegenüber anderen immer klein rechnet. Selbst bei Mieten um die acht Euro kalt machen Immobilienbesitzer, inklusive der zu erwartenden Wertsteigerung, Renditen von über 20 Prozent jährlich.
Die Grundstücksfrage ist dann wieder eine andere, denn die explodierenden Grundstückspreise sind auch ein Grund für die steigenden Raumkosten. Aber warum gehören die Flächen überhaupt jemandem? Warum verkauften die Kommunen Land, anstatt es auf lange Zeit zu verpachten. Warum kassierten sie irgendwann einmal eine Summe, die weit unter der Summe liegt, die sie als dauerhafte Einnahme erzielen hätten können? Und warum verkaufen die Kommunen trotz dieses Wissens immer noch ihr Restland?
Immobilie und Kunst, zwei Felder, die auf den ersten Blick nur bedingt miteinander zu tun haben – klar, Kunst wird für Räume gemacht, in Räumen gezeigt, alle Stararchitekten haben ein Museum im Portfolio, auch brauchen Künstler Räume zum arbeiten. Was mich aber zudem interessiert, ist die ähnliche Dynamik beider Märkte. Diese Dynamik hat in Zeiten eines immer schneller galoppierenden Kapitalismus und immer größer werdender, frei flottierender Mengen an Kapital, das dieses System selbst generiert und wieder in sich einverleibt, um noch mehr Kapital zu erzeugen, erschreckend zugenommen. Es ist die Dynamik der Spekulation, die in beiden Bereichen zunimmt.
Viel von diesem Kapital wird auch von sogenannten Start-ups generiert. Auch hier herrscht die Logik der Spekulation, enorme Mengen an Geld werden auf einzelne Ideen gesetzt – in der Hoffnung, das eigene Kapital zu vervielfachen. Die, die diese Ideen vermeintlich haben, schwimmen erstmal in Geld und können sich jede Miete leisten, und machen sie den anderen unbezahlbar.
Zwanzig bis dreißig Euro pro Quadratmeter kann sich kein Künstler leisten, genauso wenig Honorararbeiter mit einem normalen Stundenlohn. Als freiberuflicher Kataloggestalter verdiene ich vielleicht 2500 Euro brutto im Monat und kann mir meinen 320 Euro teuren Arbeitsplatz im Gemeinschaftsbüro gerade so leisten, und hier zahlen wir 10 Euro nettokalt. Dabei gelten wir als Designer und Ladenbürositzer schon als Gentrifizierer, wenn wir nachts um 22 Uhr noch für alle sichtbar im Schein unserer Rechner arbeiten, dabei sind wir nur die Handwerker von heute. Die von damals sind schon lange weg, die Schreiner, die Schuster, die Schneider … Aber auch der Getränke-Hoffmann schließt und selbst der Eisverkäufer mit 500 Kugeln Eis pro heißem Sommertag kann sich die 1600 Euro Miete für 50 Quadratmeter nicht mehr leisten.
Die erfolgreichen Start-upler dagegen kaufen sich dann gleich die ganzen Häuser, Zalando in der Tucholskystraße (ein Haus das in den Neunzigern besetzt wurde, mit dem Café Zosch), die Rocket-Brüder Samwer die Uferhallen im Wedding … und fischen dann mit im großen Immobilienteich, in dem sich schon diverse undurchschaubare Immobilien­firmennetze spannen, die Wohnungen und Häuser in Hundertereinheiten bündeln, kaufen und verkaufen. Der größte Hai, die Deutsche Wohnen, will sich aktuell ein Filetstück mit 700 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee einverleiben. Alle Wohnungen sind schon vom Vorbesitzer in Eigentumswohnungen vorumgewandelt – inklusive Mietern, die drinnen sitzen und nun bangen. Unten in den Erdgeschossen sitzen die Gewerbe mit noch weniger Sicherheiten. In diesem Fall auch der Kunstbuchverlag Sternberg Press oder die Galerie Peres Projects. Ersterer verdient sicher nicht genug, um für die großzügig bemessenen Räume eine größere Mieterhöhung zu stemmen.
Javier Peres, der als Galerist im heißest gehandelten, aber auch spekulativsten Segment der bildenden Kunst agiert und Künstler wie Alex Israel oder David Ostrowski in das Hochpreissegment gejagt und dann an Gagosion oder Sprüth Magers verloren hat, kann über hohe Mieten vielleicht nur lächeln, ist er doch in Kalifornien (siehe oben) sozialisiert, „Berlin is still so cheap“.
Der Kunstmarkt steckt jedoch, so hörte ich kürzlich, seit einem halben Jahr wieder in einer Krise. Das mittlere Preissegment, von dem viele Galerien abhängig sind (also alles zwischen 10.000 und 50.000 Euro), bricht weg. Das heißt, dass das Geld bei den Sammlern nicht mehr so locker sitzt und sie mehr auf Wiederverkaufbarkeit achten, also mehr Angst um ihr Geld haben. Man könnte daraus ableiten, dass die Geldmenge, die in den Umlauf gepumpt wird, abnimmt (und dann eben nicht mehr bei den Anwälten, Bankern, Start-uplern usw. landet, die dann Kunst kaufen sollen). Sichere Geldanlagen sind dann eher die teuren Blue-Chip-Bilder, lieber eine Alice Neel oder ein Neo Rauch für eine Million, oder eben gleich Betongold … Statt das teure Bild an der Wand wird oft doch lieber wieder die teure Wand selbst gekauft. Statt an seiner Kunstsammlung arbeitet man eben wieder mehr an seinem Immobilien-Portfolio. Und vergrößert in diesem Markt die Knappheit, die dort eh schon herrscht. Die Wohnung kann man dann ja an seinen Lieblingskünstler vermieten.
Was tun? Seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen? Sein Westerbe in eine eigene Wohnung umtauschen? Also das Einfamilienhaus in eine Berliner Zweizimmer-Butze? Demonstrieren, Farbbeutel werfen oder Reifen aufstechen? Ins Umland abwandern und in der Brandenburger Scheune arbeiten, deren Feldsteine man wieder mühsam aufeinandergelegt hat? Besetzen? Aktiv in die Stadtpolitik einsteigen oder sich bei Vorzeigeprojekten wie dem Haus der Statistik engagieren, um ein Eckchen vom letzten Rest nutzen zu können? Sich mit seinen Mitmietern solidarisieren? Zur Mieterberatung gehen? Eine Baugruppe initiieren und sich hochverschulden? Dokumentarfilme drehen, investigativen Journalismus betreiben? Selbst schauen, dass man die Spirale nicht weiterdreht und an Immobilien verdient, sei es als Weitervermieter oder Besitzer? Im Laden unten an der Ecke einkaufen und nicht bei Amazon?
Als Einzelner ist man dem System gegenüber ohnmächtig und gerade bei der Raumfrage ist es schwer eine Gemeinschaft zu bilden, zu sehr hat jeder seine eigenen Interessen. Aber wenn wir eine lebenswerte Stadt behalten wollen, sollte es das ureigenste Interesse sein, soviel wie möglich dafür zu tun und eben an einigen Stellen nicht zu tun. Wir bilden die Stadtgemeinschaft und mit unserem täglichen Umgang schaffen wir unser eigenes Klima … also:

No profit!
Lang lebe von hundert!
Lang lebe Berlin!
Lang leben wir! In Berlin!
 
Illustration: von hundert