Lukas Töpfer

Diverse Orte – Gespräch

2018:Dezember // Anna-Lena Wenzel

Startseite > 12-2018 > Lukas Töpfer

12-2018

/Anna-Lena Wenzel im Gespräch mit dem Kurator Lukas Töpfer

Lukas Töpfer testet die Grenzen des Formats Ausstellung aus. Die Melancholie der Elite (KW, Berlin, 2014/15) bestand aus einem Gespräch mit dem Kurator. Bei der fünfteiligen Ausstellungsreihe Höchste Armut (Aanant & Zoo, Berlin, 2017) wurde die Anzahl der Kunstwerke sukzessive reduziert, bis der Ausstellungsraum leer blieb. In Die Zukunft hat Zeit (Kunsthaus Dahlem, Berlin, 2015) ging er noch einen Schritt weiter und kuratierte eine Ausstellung, bei der das Publikum ausgeschlossen war und nur eine Installationsansicht die Ausstellung dokumentierte. Mit Sieben Ausstellungen im Brandenburgischen Kunstverein Potsdam (28.3.– 3.6.2018) stellte er die dazu passenden Fragen: „Was macht eigentlich eine Ausstellung aus? Was ist die Mindestvoraussetzung, unter der wir eine Ausstellung für eine Ausstellung halten? Muss sie um uns werben wie ein Schaufenster um ungeduldige Passanten? Muss sie es uns leicht machen, darf sie schwierig sein? Gibt es eine rote Linie, bei deren Überschreitung die Ausstellung keine Ausstellung mehr ist, weil sie mehr verbirgt als zeigt?“
Die Befragung und Variation des Formats ist gekoppelt an einen konzeptuellen kuratorischen Ansatz. Ein solches Verständnis des Kuratorischen weicht vom Gedanken des curare (lat. „sorgen für, sich kümmern um“) ab und nähert es der künstlerischen Praxis an. Damit wächst die Gefahr einer Konkurrenzsituation zwischen Künstler*in und Kurator. Dienen die Kunstwerke als Anschauungsmaterial für die kuratorischen Konzepte oder bewahren sie ihre Eigenständigkeit? In einem E-mail-Interview befragte ich Töpfer zu seinem Selbstverständnis als Kurator, zur Aktualität der Institutionskritik und dazu, was es mit dem Rückzug der Dinge auf sich hat.

Anna-Lena Wenzel / Du hast 2014 und 2015 im KW Institute for Contemporary Art den Ausstellungszyklus Der Rückzug der Dinge kuratiert. Die Ausstellungen fanden in 3½ statt, einem kleinen Raum zwischen dem dritten und vierten Stock des KW und bestanden aus unterschiedlichen Formaten, die von einem Tag bis zu einem Monat dauerten. Sowohl der Raum, der sich im Zwischengeschoss befindet, als auch die variierenden Ausstellungsformate hatten etwas Ephemeres an sich. Was ist mit dem Rückzug der Dinge gemeint? Oder anders gefragt: was für Dinge befinden sich im Rückzug?
Lukas Töpfer / Der Rückzug der Dinge war der Versuch, das Format der Ausstellung zu befragen, unter anderem durch das Verrücken, das Weg- und Zurücknehmen zentraler Bestandteile der Ausstellung: des Werks (im konventionellen Sinne eines Gegenstandes und Autorschaft), des Publikums (im Sinne einer Gruppe von Besucherinnen und Besuchern, die in einer Ausstellung zusammenkommt), des Kurators (als einer Person, die dem Werk zur Seite steht, aber nicht zum Werk gehört) etc. Wenn bestimmte Bestandteile fehlen, die zum „klassischen“ Ausstellungsformat dazu gehören, treten andere in den Vordergrund und rücken von den Randbereichen ins Zentrum – am Grund des Titels liegt aber eher ein Gefühl. ... eine vage Ahnung, dass das, was wir „Kunst“ nennen, nicht mehr lange Bestand haben wird. Ein langsamer Abschied.
Wenzel / Die einzelnen Formate haben nicht nur unterschiedliche Erscheinungsformen gehabt, sondern auch unterschiedliche Themen aufgegriffen. Was ist für dich das verbindende Element?
Töpfer / Von dem anfangs Gesagten abgesehen, gibt es eigentlich keinen gemeinsamen Nenner, kein „Thema“. Den Zusammenhalt schaffen „Familienähnlichkeiten“. Man könnte das – trocken und unkonkret – vielleicht folgendermaßen beschreiben: Eine Ausstellung der Serie (a) hat die Elemente ABCD; die nächste Ausstellung (b) hat die Elemente CDEF; eine dritte (c) die Elemente EFGH. (a) und (c) teilen keine Eigenschaften, aber sind trotzdem – über (b) – miteinander verbunden.
Die Choreografie der Serie hatte einen ziemlich klassischen Bogen. Es fängt leise an (mit den Einzelgesprächen von Die Melancholie der Elite), wird dann immer lauter (bis zu Das Numen: Impakt) und klingt leise aus (mit Daniel Gustav Cramers Death in Venice, einem Text im leeren Raum, und Ceal Floyers Four Floors. einer Ausstellung, die „nur noch“ im Treppenhaus stattgefunden hat).
Wenzel / Den Gedanken des Verschwindens und Zurückziehens steht deine Präsenz vor Ort entgegen: für das erste Format Die Melancholie der Elite warst du einen Monat lang jeden Tag vor Ort und bist in einen privaten Dialog mit jeweils einer Besucherin/einem Besucher pro Abend eingestiegen. Für die Ausstellung Das Numen: Impakt hast du 12 Tage im KW verbracht. Wie geht das für dich zusammen? Sich als Kurator so sehr in Szene zu setzen, birgt ja auch die Gefahr, der Selbstinszenierung bezichtigt zu werden. Ein gewagter Schritt in Zeiten, in denen sich Künstler gerne über Kuratoren aufregen, die sich ihrer Meinung nach zu wichtig nehmen …
Töpfer / Ein Kurator sollte sich Raum nehmen dürfen, um Fragen zu stellen, die ihn beschäftigen ... und um Fragen zu stellen, die das „Ausstellen“ betreffen. Andere Fragen. Andere Antworten. Er sollte sich in meinen Augen nicht auf ein Feld beschränken lassen, das im Vorhinein für ihn abgesteckt wurde. Kuratoren sind keine Funktionsträger, Manager, Marionettenspieler. Kuratoren machen Ausstellungen. Plusminus Null.
In Das Numen: Impakt war der Kurator ausgestellt, inszeniert – aber die Inszenierung war Sache von Das Numen (Julian Charrière, Andreas Greiner, Felix Kiessling, Markus Hoffmann): Fremd-Inszenierung. … und in Die Melancholie der Elite ging es mir um Begegnungen, um den Ausschluss der Öffentlichkeit, um eine Ausstellung, die jeden Abend von Neuem im Gespräch entsteht. ... fühlte sich gut an, ziemlich persönlich, wenig entfremdet. Ich hoffe nicht, dass es zu inszeniert wirkte.
Wenzel / Nein, im Gegenteil. Ich fand es sehr mutig, weil du dich dieser Situation ziemlich entblößt – dich den Reaktionen und Kommentaren der Besucher*innen auslieferst. Wie steht dein Gedanke zu Bruno Latours These von der Rehabilitierung der Dinge, wie er sie in seinem Buch und Ausstellungsprojekt Von der Realpolitik zur Dingpolitik entwickelt? Beziehst du dich auf sein Ding-Verständnis, das weniger materielle Dinge meint, als Dinge – Sachen, Sorgen, um die es uns geht, Fragen, die uns beschäftigen?
Töpfer / „Sorgen“ gefällt mir gut. ... und Dinge nicht auf Materielles zu beschränken auch. Aber ich bin leider mit Latour nicht gut genug vertraut, um mich zu seinem Denken sinnvoll in Beziehung zu setzen.
Wenzel / Gibt es für dich andere Vorbilder? Mir scheint das Besondere deines Ansatzes eine „künstlerisch-konzeptuelle“ Herangehensweise zu sein, weil du sie als eine eigenständige Praxis zu verstehen scheinst, die sich nicht im Auswählen und Vermitteln erschöpft, sondern regelrecht performativ wird …
Töpfer / Ja, da gibt es viele, aber die müssen nicht unbedingt „Kuratoren“ sein: Lee Lozano war ziemlich wichtig für mich, Marcel Broodthaers, Seth Siegelaub und Lucy Lippard.
Wenzel / Lee Lozano hat viel mit Text gearbeitet und Arbeiten produziert, die unter dem Titel pieces Aufgabenstellungen und konkrete Vorhaben enthalten. Wann gibt es die erste Ausstellung von dir, die nur als „Idee“ ausgeführt wird? Wäre ein solches Format die Finalisierung des Rückzugs der Dinge?
Töpfer / Ich habe im Juni 2015 eine Ausstellung im Kunsthaus Dahlem kuratiert – Die Zukunft hat Zeit –, die ohne Publikum stattgefunden hat und nur durch ein Foto dokumentiert wurde. 2013/2014 habe ich eine Ausstellung mit dem Titel Why art resembles manic depression gezeigt, die aus (Einladungs-)Karten bestand, 9 mal 10.000 Karten, zum Mitnehmen, minimal-skulptural im Raum präsentiert. Neben meinen Gesprächsausstellungen kommt das einer „Ausstellung als Idee“ vermutlich am nächsten. „Nur“ Ideen halte ich nicht für möglich. Ideen brauchen Formen, durch die sie vermittelt werden: Sprache oder Text beispielsweise. Ich möchte schon länger eine Ausstellung machen, die nur einen Titel hat. Der richtige Kontext fehlt noch. Das wäre dann ein fortgeschrittener Rückzug. Nah am Nullpunkt. „The road leads back and back to the black square“, wie T. J. Clark einmal geschrieben hat.
Wenzel / Wo kippt für dich der Rückzug in die Unsichtbarkeit? Beziehungsweise wo wird der Rückzug elitär, weil er nur einer kleinen Gruppe von Eingeweihten Zugang gewährt oder überhaupt als Rückzug lesbar ist?
Töpfer / Der Rückzug der Dinge war ein bisschen publikumsfeindlich, ziemlich schüchtern und reflexiv – dem winzigen Raum zwischen dem dritten und vierten Obergeschoss entsprechend. In den KW waren zeitgleich Ausstellungen von Ryan Trecartin und Kate Cooper, wahnsinnig aufwändig, relativ niedrigschwellig. Ich hatte das Bedürfnis, in 3 1/2 gegenzusteuern.
Wenzel / Diesen Aspekt finde ich interessant, weil du damit andeutest, dass du ortsbezogen arbeitest – nicht in Bezug auf die Geschichte des Ortes, sondern in Abstimmung zum restlichen Ausstellungsprogramm. Und dass es dir beim Kuratieren offensichtlich nicht um das Setzen deiner ganz persönlichen kuratorischen Duftmarke geht. Ich habe den Eindruck, dass man als Kurator*in heutzutage einer hohen Konkurrenz ausgesetzt ist und ständig in der Zwickmühle zwischen Selbstzurücknahme und eigenem Statement steht.
Töpfer / Es geht mir auch – in selbstgesetzten Grenzen – um eine persönliche (kontinuierliche) kuratorische Fragestellung. ... und z.T. um die Geschichte des Ortes, an dem die Ausstellung stattfindet – wie im Falle von Die Zukunft hat Zeit im Kunsthaus Dahlem, dem ehemaligen „Staatsatelier“ des Nazi-Bildhauers Arno Breker.
Aber die Zwickmühle, von der du sprichst, begleitet fast alles, was ich mache. Die Konkurrenz lässt sich kaum vermeiden, die Ambivalenz vermutlich nicht auflösen. Die Kunst hat in meinen Augen ein kaum zu lösendes strukturelles Problem. Sie soll auf der einen Seite möglichst komplex, „kritisch“ und reflexiv sein (und wird damit „schwierig“ und äußerst voraussetzungsreich). Auf der anderen Seite soll sie niedrigschwellig und möglichst nicht elitär sein. Ich bin nicht sicher, ob beides zusammen geht. Da bin ich eher pessimistisch.
Wenzel / Mir fällt dieser Selbstwiderspruch immer wieder bei den sogenannten institutionskritischen Ansätzen auf – kritisch sein wollen, aber dafür mit der Institution zusammenarbeiten; ein Anliegen vermitteln wollen, aber dabei den Verwertungsgedankens unterlaufen und Didaktik vermeiden wollen … Du hast jetzt von der Kunst gesprochen – wie würdest du diese Frage in Bezug auf das Kuratieren beantworten. Steckt der/die Kurator*in in einer ähnlichen Zwickmühle?
Töpfer / Ich sehe persönlich – prinzipiell betrachtet – keinen Selbstwiederspruch im institutionskritischen Ansatz. Die Institutionskritik, die ich schätze, will die Institutionen nicht auflösen, sondern verstehen und verändern. Veränderungen kann man wunderbar – und vermutlich auch nachhaltiger – innerhalb der „kritisierten“ Institutionen erwirken. Es kommt dann lediglich darauf an, ob die Kritik eine Kante hat oder sich anschmiegt.
Kuratoren sind zentraler Bestandteil konkreter Institutionen und der Institution „Kunst“ im Ganzen. Sie sind von den gleichen Zwickmühlen betroffen wie alle anderen Akteure. Andere Figuren im gleichen Spiel. Es gibt ein bekanntes Zitat von Andrea Fraser, das ich noch immer unterschreiben würde: „It’s not a question of being against the institution: We are the institution. It’s a question of what kind of institution we are, what kind of values we institutionalize, what forms of practices we reward, and what kinds of rewards we aspire to.“
Wenzel / Mit den Führungen, die du in der Berlinischen Galerie angeboten hast, geht das Gesprächsformat zu Ende. Warum?
Töpfer / Die Summe und der Rest in der Berlinischen Galerie bildet den Abschluss einer Trilogie, die ich mit Das Übrige. Der Rest eines Vorschlags begonnen und mit Die Melancholie der Elite fortgesetzt habe. In Das Übrige wurde eine Ausstellung besprochen, die ich geplant hatte, aber nicht umsetzen konnte; in Die Melancholie der Elite stand eine Ausstellung im Zentrum, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Beide Ausstellungen wurden – ohne Werke zu zeigen – für jeweils eine Person „zur Sprache gebracht“, an einem Tisch im leeren Ausstellungsraum, immer abends, nach der Schlusszeit der Institution. Die Summe und der Rest fand wieder abends statt, für jeweils einen Gast, im geschlossenen Museum. Aber diesmal in einer Ausstellung von Andreas Greiner, die tagsüber besucht werden konnte, ganz regulär. Auf Umwegen kommt das Gesprächsformat also wieder zum Werk, zurück zu den Dingen – und vermutlich zum Abschluss. … mal sehen, vielleicht geht’s auch weiter. Die Zukunft hat Zeit.
Wenzel / Im Ausstellungstext zu Sieben Ausstellungen stellst du grundsätzliche Fragen zum Format Ausstellung. Wurden einige von ihnen beantwortet? Und muss man in Zukunft auch vom Format Ausstellung Abschied nehmen?
Töpfer / Es ging mir eher um Einzelfälle oder Extremfälle, weniger um Antworten auf grundsätzliche Fragen. Es sollte vor allem gezeigt werden, ganz konkret, was eine Ausstellung alles sein kann: mit Sieben Ausstellungen, die zeitgleich stattfinden, in einem Raum, der ziemlich leer wirkt. Die allgemeinen Fragen, die du ansprichst, dienten nur dazu, das Spielfeld abzustecken.
Ob man vom Ausstellungsformat Abschied nehmen muss? Nein, vermutlich nicht. Aber es könnte schön sein, von ihm Abschied zu nehmen. Eine Ausstellung ohne Ausstellung.
Wenzel / Wie reagieren die eingeladenen, aber auch generell, Künstler*innen auf deine kuratorischen Konzepte? Meiner Meinung nach gelingt dir der Spagat zwischen einer eigener Setzung und der Schaffung eines Raumes für die Kunst – u.a. weil sich deine Ausstellungen durch Präzision und ein ausgezeichnetes Gefühl für den Raum auszeichnen. Aber was sagen die Künstler*innen dazu?
Töpfer / Die Reaktionen sind ziemlich unterschiedlich. Das würde ich ungern verallgemeinern. Aus dem Kreis der Beteiligten sind sie in der Regel positiv und unterstützend. Ich möchte die Werke weder vereinnahmen noch einschränken und hoffe nicht, dass das passiert. Wenn die Konzepte wirklich extrem sind (wie bspw. Die Zukunft hat Zeit im Kunsthaus Dahlem), dann finden die Ausstellungen entweder ohne Werke statt (im Kunsthaus wurden Medizinbälle gezeigt) oder entstehen in sehr enger Absprache mit den Künstlerinnen und Künstlern. 2016 habe ich zum Beispiel 12 Einzelausstellungen mit Skulpturen von Michael Müller in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden gezeigt, wieder (wie in Dahlem) ohne Publikum in der geschlossenen Institution. Im Anschluss wurden 12 Installationsfotos auf einem leeren Glasraum gezeigt – im Rahmen einer Einzelausstellung von Michael Müller, die Hendrik Bündge für die Kunsthalle kuratiert hat. Das alles hatte natürlich Michaels und Hendriks ausdrückliche Unterstützung und war vermutlich eher eine Zusammenarbeit als eine klassische Kuration.  
„Das Numen Impakt (Der Rückzug der Dinge)“, KW Institute for Contemporary Art (Berlin 2014) (Copyright: Das Numen / Lukas Töpfer)
„Why art resembles manic depression“, The Wand (Berlin 2013/14) (Copyright: Lukas Töpfer)
Michael Müller: „Der Rest eines Vorschlags“, Staatl. Kunsthalle Baden-Baden (2016) (Copyright: Michael Müller / Lukas Töpfer)