Yinon Avior, Kolja Gullob, Christopher Wierling

koal

2015:Mai // Hannah Beck-Mannagetta

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05-2015

WYSIWYG?

Immer mehr Projekträume und Galerien zieht es an die unwirtliche, von 70er-Jahre-Hochhausbauten gesäumte, aber zentral gelegene Leipziger Straße. Schräg gegenüber vom ­AUTOCENTER, das hier vor zwei Jahren den Anfang machte, befindet sich nun auch der neue Standort der Galerie koal. Statt etablierter Galeriekünstler zeigt diese als Auftakt drei Nachwuchskünstler, die alle Anfang der 1990er-Jahre geboren sind. Somit gehören Yinon Avior, Kolja Gullob und Christopher Wierling zur Generation der „Digital Natives“. In ihren Arbeiten, die unterschwellig auch den Charakter der Umgebung widerspiegeln, bedienen sie sich jedoch nicht digitaler Medien oder der Sprachcodes des Internets, sondern überaus klassischer und haptischer Materialien wie Tusche, Ton und Tinte sowie gefundener Alltagsgegenstände. Auf spielerische Weise arbeiten sie sich an der Frage ab, was Zeichnung und Skulptur heute sein kann.
So gelingt es dem israelischen Künstler Yinon Avior mit einem minimalen künstlerischen Eingriff, vielschichtige Arbeiten zu schaffen, die kritisch, humorvoll und poetisch zugleich sind. Bei der Serie „BLU“ handelt es sich um gefundene, leere Postertafeln, die eigens für den Anschlag des jeweiligen maximalen Lottogewinns hergestellt wurden. Beim Herstellungsprozess wurde die dekorative blaue Airbrush-Farbe lediglich grob am Rand der Tafeln aufgetragen, da die Mitte später ohnehin durch das Poster verdeckt wird. Ihrem ursprünglichen Kontext enthoben, tritt der formale Charakter der Ready­mades hervor und die weiße, von blauem Himmel eingefasste Fläche erscheint wie ein auratischer Sternennebel. Diese Assoziation wird noch durch den Aufkleber am oberen ­Rahmen verstärkt, auf dem die Logos der Lotterien von Sternen umgeben sind, nach denen die Spieler greifen sollen. Diese Verheißung und der hohe finanzielle Wert des Gewinns stehen im krassen Widerspruch zur kosteneffizienten Herstellung und zum profanen Charakter des Billigware. Am Kunstmarkt wird den Postertafeln nun ein neuer und vermeintlich stetig steigender Wert beigemessen.
Bei zwei weiteren Arbeiten benutzt Yinon Avior einen Stempel und stellt mit diesem anonymisierten und standardisierten Werkzeug expressive Zeichnungen her, die das verdrehte Signum einer Kalligrafie besitzen.
Um minimale Eingriffe, Kontextualisierung und Dekontextualisierung geht es auch in den Arbeiten von Christopher Wierling. „Mimikry (Braunschweig New York)“ zeigt zwei bewusst komponierte, analoge Schwarzweiß-Fotografien. Das Guggenheim-Museum in New York, eine Architekturikone und ein Sinnbild für avantgardistische Kunst und Macht auf der einen Seite und ein Parkhaus in Braunschweig, in seiner bildlich-formalen Entsprechung auf der anderen Seite. Eine weitere Arbeit hat sich über die Galeriewände ausgebreitet. Tonklumpen, die durch den einfachen Akt des mit einer Hand Hineingreifens entstanden sind, wurden gebrannt und farbig glasiert. Mit Schrauben an die Wand gebracht erinnern sie sofort an Klettergriffe, die jedoch aus künstlichem Epoxidharz hergestellt werden, damit sie länger haltbar sind und im Indoorsport natürliche Felsspalten nachahmen. Der veredelte Ton ist jedoch unbrauchbar, betont durch die Kontextualisierung seinen natürlichen Ursprung und wird am Ende als ältestes formbares künstlerisches Material auf seinen skulpturalen Objektcharakter zurückgeworfen.
In Kolja Gollubs großformatiger, dada-artiger Assemblage „Stuhl auf Teppich“ vollzieht sich ein Perspektivwechsel. Der Teppich an der Wand wird zum Bildträger für den Stuhl. In seine Bestandteile zerlegt wird dieser seiner Räumlichkeit beraubt und seiner Nutzbarkeit enthoben. Daneben hängen kleine Tusche-Arbeiten. Diese erinnern an Studien abstrakter Expressionisten. Mit ihrem imperfekten und spontanen Impetus scheinen sie zunächst nur auf sich selbst zu verweisen, aber schnell zeigt sich „What you see is not what you get“. Spielt der Titel „Gelb“ noch mit dem Verweis auf das bekannte Credo, muss man auf den zweiten Blick doch an architektonische Ansichten und urbane Perspektiven denken. Kennt man weitere Titel wie „Aus dem All betrachtet (S-Stadt)“ oder „Sonnenschein durchfluteter Ort. Sollte das eine Bildquelle sein?“ entstehen vor dem inneren Auge nicht nur mehrschichtige Assoziationsketten und rätselhafte Bilder, sondern der Künstler stellt auf subtile Weise auch einen Link zum Gegenwärtigen her.
Die drei Positionen machen die Bandbreite der „Post-Internet-Kunst“ und das Selbstverständnis einer Generation deutlich, die undogmatisch alles als Material begreift, mit kunsthistorischen Bezügen jongliert und sich neuer ebenso wie alter künstlerischer Techniken einfach bedient. Vor dem Hintergrund einer ohnehin schon selbstverständlichen Ununterscheidbarkeit von handgefertigtem Original, manipulierter Kopie oder möglichem Fake, ist nichts wie es scheint und doch alles irgendwie vertraut.

„Yinon Avior. Kolja Gullob. Christopher Wierling“,
Galerie koal, Leipziger Straße 47 / Jerusalemer Straße,

10117 Berlin, 26. 3 – 25. 4. 2015

Christopher Wierling „Mimikry“, Courtesy Galerie koal
Christopher Wierling „Mimikry“, Courtesy Galerie koal