Mit Schnitte #5

Anja Majer und Esther Ernst im Gespräch Esther Kinsky

2015:Mai // Anja Majer, Esther Ernst

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05-2015

Für ihre Gesprächsreihe Mit Schnitte laden die Künstlerinnen Anja Majer und Esther Ernst Kollegen und Kolleginnen am Tag nach ihrer Vernissage zu einer selbstgemachten Schnitte und zum Gespräch über das Phänomen der Eröffnung im Allgemeinen und den vergangenen Abend im Speziellen ein.
Mit Schnitte # 5 ist ein Interview mit der Schriftstellerin ­Esther Kinsky über ihre Lesung, die sie als Stipendiatin der Casa Baldi bei der Abschlusspräsentation am 12. März 2015 in Olevano Romano, Italien hielt.


Anja Majer  /  Wie schön, dass wir heute miteinander sprechen. Uns (Anja M. und Esther K.) hat es glücklicherweise als Stipendiatinnen zusammen nach Olevano verschlagen und so können wir heute über deine Lesung gestern Abend sprechen. Du hast ja aus einem Text gelesen, der hier entstanden ist und noch nie gelesen wurde – und der auch noch nicht fertig ist …
Esther Kinsky  /  Ja, auch von niemand anderem gelesen worden war. Das habe ich noch nie gemacht und ich glaube das ging hier auch nur, weil ich mich von dieser Publikumssituation distanzieren konnte. Für mich war es wirklich wichtig, das zu lesen, was hier aus diesem Ort entstanden ist. Es war ein Versuch, sich mit einem Text zu präsentieren, der noch in Arbeit ist.
Majer  /  Normalerweise hast du ja noch den Lektor dazwischen.
Kinsky  /  Ja, überhaupt zeigt man natürlich immer Dinge anderen, während man schreibt. Ich habe das Gefühl, man braucht ab einem bestimmten Punkt ein bisschen Rückmeldung, sonst sinkt man so in diese selbstgeschaffene Welt ab.
Ernst: Ich dachte, das eigentlich Verrückte an einer Lesung ist, dass es der einzige Moment ist, wo du in Kontakt trittst mit deinem Publikum und Reaktionen erfährst. Wie wählst du denn die Ausschnitte aus, die du liest?
Kinsky  /  Also für mich ist das Lesen, das laute Lesen sehr, sehr wichtig. Das ist der einzige Grund, weshalb ich gerne Lesungen mache. Ich glaube, dass Stimme für den Text sehr wichtig ist. Und dass man über die Stimme ein Publikum wieder ganz anders erreicht als über das geschriebene Wort. Insofern suche ich Texte auch immer nach ihrer Lesbarkeit aus. Dialoge lese ich zum Beispiel nicht so gerne.
Ernst  /  Aha, warum?
Kinsky  /  Wahrscheinlich weil das für meine Art vorzulesen nicht so gut passt. Für mich muss eine Klangfolie entstehen durch das Lesen und das ist beim Dialog nicht so gut möglich, weil du da eine Interaktion hast. Aber ich suche sehr gut aus, was ich lese. Und dann lese ich leider – ich habe sehr viele Lesungen – auch immer wieder das gleiche Stück, das mich dann mit der Zeit ziemlich anödet. Ich hatte mit meinem zweiten Buch so viele Lesungen und habe bestimmte Teile so oft gelesen, dass ich manchmal total abgeschaltet habe.
Majer  /  Liest du für dich selbst auch laut?
Kinsky  /  Ja, ich lese alles laut, auch für mich. Und dabei bemerkt man ganz oft Stellen, die nicht funktionieren. Ich finde, ein Text muss immer sprechbar sein, auch wenn er geschrieben ist.
Ernst  /  Wie gehst du denn mit der Rolle um, dass bei einer Lesung ja wohl auch deine Stimmung sofort auf das Publikum überschwappt?
Kinsky  /  Ich glaube, wenn man bewusst laut liest, dann ist das fast wie so eine Bauchrednerei. Ich spreche in einer ganz anderen Stimme, wenn ich für mich vorlese, als wenn ich eine richtige Lesung habe. Das trennt man vollkommen von sich und der eigenen aktuellen Stimmung.
Ernst  /  Also eher wie ein Schauspieler?
Kinsky  /  Ja, das würde ich sagen. Und das muss ich auch machen. Für mich ist es wichtig, dass ich den Text als Material betrachte, das ich mit meiner Stimme bearbeite. Mein Lesen des Textes löst sich dann ganz von meiner Urheberschaft als Autorin des Textes.
Majer  /  Wie als Erzählerin? Eine Ich-Erzählerin in deinem Buch, das bist ja auch nicht du.
Kinsky  /  Ja eben. Das ist für mich auch ganz wichtig, dass das anerkannt und erkannt wird, dass weder das Lese-Ich noch das Narrations-Ich das Autoren-Ich ist.
Ernst  /  Hat das mit Distanz schaffen zu tun?
Kinsky  /  Ja, das hat sehr viel mit Distanz schaffen zu tun. Ich finde es schwierig, dass Dinge von mir im öffentlichen Raum sind. Natürlich will man schreiben, damit das gelesen wird. Aber ich mag es nicht, wenn Leute anfangen, Dinge auf mich als Person zu übertragen.
Ernst  /  Ziehst du dich speziell an für Lesungen?
Kinsky  /  Ja, ich glaube immer wenn man auftritt, trifft man bewusste Entscheidungen, was man anziehen will. Nicht zu schwarz, nicht zu rot …
Majer  /  Nicht zu neu …
Ernst  /  Nicht zu unbequem …
Kinsky  /  Genau, also man möchte ja auch nicht so festgelegt werden durch Kleidung oder Auftritt. Ich finde das manchmal schon fast amüsant zu sehen, wie manche Leute an ihrer Aufmachung arbeiten. Aber das kann natürlich auch ein Schutzmechanismus sein, das ist dann wie eine Maske.
Majer  /  Uns interessiert an Vernissagen von bildenden Künstlern ja der Moment, wo Künstler und Arbeit zusammen auftreten, die Arbeit aber von da an auch unabhängig in der Öffentlichkeit existiert. Wann trennst du dich denn von einer Arbeit?
Kinsky  /  Man trennt sich davon oder akzeptiert es als etwas Fertiges, wenn man ein gutes Lektorat gehabt hat und das Buch in der Hand hält. Aber die richtige Distanz habe ich dann trotzdem noch nicht. Man müsste den Text eigentlich ein Jahr liegen lassen und dann noch mal gründlich ansehen.
Und wenn ich das Buch dann zugeschickt bekomme, kann ich da erst gar nicht rein gucken, das passiert dann bei der ersten Lesung. Aber es muss einem auch erst mal wieder fremd werden, wenn man es als gebundenes Objekt in der Hand hat. Und dann freut man sich auch sehr.
Ernst  /  Eigentlich ist das ja vergleichbar mit dem Ausstellungsraum. Wenn du deine Sachen aus dem Atelier in den Ausstellungsraum bringst und die Arbeiten darin ganz anders aussehen und man denkt, öh, hab ich das gemacht …
Kinsky  /  Genau das tritt dann auch ein, dass ich denke, habe ich das geschrieben? Und ich finde, das ist eine der größten Freuden am Künstler-Sein, dass sich etwas, das du geschrieben, das du geschaffen hast, so selbständig machen kann. Darauf poche ich eigentlich immer, wenn Publikumsfragen kommen, dass der Text als Text betrachtet werden muss und eigenständig dastehen muss und nicht immer wieder gegen einen spekulierten biografischen Hintergrund gehalten werden soll. Das hat mit der Kultur zu tun, mit der wir leben. In der Leute immer mehr Persönliches einbringen wollen und meinen, sie hätten das Recht, nach persönlichen Dingen zu fragen.
Majer  /  Vielleicht auch, weil wahnsinnig viel Privates ver­öffentlicht wird.
Kinsky  /  Ja, und man lebt ja heute mit einer Art Öffentlichkeit, die auch wieder zur Maske wird. Wenn du siehst, dass Leute permanent twittern und Fotos posten – das kann ja nicht ihr wirkliches Privatleben sein.
Majer  /  Und wie reagierst du auf Publikumsfragen nach deinem persönlichen Leben, außerhalb des Werkes?
Kinsky  /  Wenn sie aus dem Publikum kommen, bin ich meistens höflich und sage einfach, dass es um den Text geht und nicht um mich. Wenn Moderatoren zu persönliche Fragen stellen, dann bin ich unter Umständen auch sehr ärgerlich. Es gibt zum Beispiel in einem Buch eine Stelle, wo es um Sprache und Erinnerung geht, und da kommt mein Enkel Paul vor, aber einfach nur als „vierjähriges Kind“. Da hat mich ein Moderator gefragt, haben Sie denn noch so ein kleines Kind? Und ich fand das so unverschämt. Was geht den denn das an?
Ernst  /  Gibt es mit dem Verleger für die Buchvorstellung irgendwelche Verabredungen oder gemeinsame Interessen, die ihr ausarbeitet oder ist da erst mal nur die Freude über das erschienene Buch?
Kinsky  /  Ja, die Freude über das Buch ist da, aber trotzdem gibt es die Frage, wer so eine erste Präsentation macht. Das spielt für mich schon eine große Rolle: Wer stellt das Buch vor.
Ernst  /  Kommen Kollegen zur Lesung?
Kinsky  /  Manchmal, aber ganz selten. Und das kann ich gut verstehen. Ich meide auch Lesungen. Wenn man mit jemandem gut bekannt ist, unterhält man sich lieber mal privat.
Majer  /  Bei Ausstellungseröffnungen geht es ja oft nicht so sehr darum, die Kunst anzugucken, sondern darum, Leute zu treffen. Das ist generell bei Lesungen nicht so?
Kinsky  /  Nein. Dafür gibt es ganz andere Foren. Mein Verlag zum Beispiel macht zwei Mal im Jahr einen Empfang, wo viele Leute hinkommen. Und dann gibt’s natürlich die Buch­messen und sehr viele Literaturfestivals und derartige Veranstaltungen.
Ernst  /  Also die Lesungen sind wirklich nur für dein Publikum gemacht.
Kinsky  /  Ja, genau.
Ernst  /  Gibt es etwas, wovor du Angst hast bei deinen Lesungen? Dass dir die Stimme versagt …
Kinsky  /  Nein, das nicht. Aber es gibt in allen Büchern sehr viele traurige Szenen und da habe ich manchmal Angst, dass ich emotional ins Schwanken kommen könnte. Aber danach suche ich die Texte natürlich auch aus. Damit so was nicht passiert.
Ernst  /  Aber sag mal, du traust dich dann wirklich, Trauriges vorzulesen? Du denkst nicht, du möchtest einen Lacher haben?
Kinsky  /  Nein, überhaupt nicht. Meine Texte sind traurig. So ist das. Ich brauche das nicht, dass Leute lachen.
Ernst  /  Aha, und kannst du deren Betroffenheit dann entgegennehmen, wenn du die mit Traurigkeit berührst?
Kinsky  /  Ja, traurig ist vielleicht zu stark. Ich glaube, melancholisch ist ein besseres Wort. Es geht in meinen Texten eigentlich immer um Fremde. Und ich glaube, das berührt sehr viele Leute. Und ich mache häufig die Erfahrung, dass die Leute im Publikum unmittelbar berührt sind von einer Stimmung, die entsteht. Aber wieso meinst du, dass man Lacher braucht?
Ernst  /  Nein, ich meine nicht, dass man Lacher braucht. Ich erlebe es bloß selten, dass jemand das Traurige anspricht und im Raum stehen lässt. Ich finde das aber sehr mutig und stelle mir vor, dass es schwieriger ist zum Aushalten, und dass sich ein Publikum lieber auf Lachen einigt. Die Welt soll ja nett sein.
Kinsky  /  Ja, sie ist aber nicht nett. [alle lachen]
Majer  /  Ich denke, es hat gar nicht unbedingt mit dem Lachen an sich zu tun, sondern dass man eine Emotion hervorruft.
Kinsky  /  Ja. Wobei, mir gefallen Filme oder Inszenierungen immer besser, wenn eine Leere da ist, aus der man selber auch anfangen kann zu denken.
Ernst  /  Mir auch. Aber ich habe ja im Kino nicht das Problem, dass ich meine Betroffenheit der Leinwand gegenüber Ausdruck geben müsste. Und bestimmt nimmst du wahr, wenn du die Leute in deiner Lesung berührst. Aber wie? Siehst du dann verstörte, aber glückliche Gesichter?
Kinsky  /  Bei mir ist es oft so, dass es erstmal ganz still ist, wenn ich aufhöre zu lesen. So eine halbe Minute Schweigen. Das gefällt mir sehr.
Ernst  /  Großartig.
Majer  /  Und sprichst du nachher gern darüber?
Kinsky  /  Also ich mag keine Fragen vom Publikum an die Bühne. Das hat aber ganz praktische Gründe, weil es in jedem Publikum Leute gibt, die sich wichtig tun wollen und unheimlich schwafeln. Was ich gerne habe, ist hinterher bei einem Glas Wein miteinander zu reden. Wobei das auch gefährlich ist, weil es gibt immer verrückte Leute, die einen in Beschlag nehmen. Aber ich bin da auch rabiater geworden.
Majer  /  Also hast du eine Strategie, wie du sagen kannst, so, das reicht jetzt?
Kinsky  /  Ja, ich sage, da stehen noch andere Leute, die was fragen wollen oder die ein Buch signiert haben wollen.
Ernst  /  Schreibst du gerne Widmungen?
Kinsky  /  Ich finde es schön, wenn Leute das machen lassen, weil das dann ja auch heißt, dass ihnen dieses Objekt Buch was bedeutet. Die Buchform ist mir ganz wichtig.
Ernst  /  Wenn du dir einen Zuhörer wünschen könntest für eine Lesung, egal aus welcher Epoche, wen würdest du nehmen?
Kinsky  /  Schwer zu sagen. Muss ich mal drüber nachdenken. Also für mich sind die Reaktionen von Autorenkollegen nicht so interessant. Wichtiger ist mir, was bildende Künstler sagen, oder Musiker, Filmemacher.
Ich glaube, ich würde mir den ungarischen Regisseur Béla Tarr wünschen.
Foto: Anja Majer, Esther Ernst