Vanity Fairytales

Shades of Grey

2012:Dec // Elke Bohn

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12-2012



Unser aller Kollegin Sassa Trülzsch hat die Schnauze voll. Viele, ja zu viele ihrer vielen Freundinnen haben sich in den letzten Wochen und Monaten mit dem von ihr als schlimmsten empfundenen Schundroman der letzten Jahre verkrochen. „Shades of Grey“, ein seitenlanger, langweiliger und billig gedruckter Dreck. Das kann ich auch, dachte sie sich. Dabei meint sie mitnichten das Peitschen und dergleichen, sondern vielmehr das Arbeiten mit dieser Nichtfarbe. Gewissermaßen als eine Rehochkulturalisierung des Graus als solches.
Dafür lud sie kurzerhand, was keiner glaubt, weiß man doch, wie lange so etwas dauert, all ihre Künstler – und dazu noch Sammler – ein, eine Sonderausstellung mit grauen Arbeiten zu machen bzw. zu gestalten.
Die bösen Zungen, die niemals schweigen, behaupten gar, das nun fast wochenlang anhaltende Nebelwetter in unserer Stadt sei ein weiterer gewichtiger Beweggrund gewesen.

So machen sich ihre Künstler (drei machen schließlich nur mit) mit Wonne an das Arbeiten mit der auferlegten Beschränkung. Nikolai von Rosen fällt es dabei am wenigsten schwer, da er gerne und häufig mit Stein und Beton arbeitet. So gräbt er mit Hilfe von schwarz angeheuerten und in ihrer Freizeit tätigen BSR-lern einen Kreis von zwei Metern Durchmesser und etwa zehn Zentimetern Tiefe direkt vor die Tür. Bei einem Sandsteinwerk in Bamberg, von Rosen hat dort studiert, lässt er sich Pflastersteine anfertigen; Größe und Maß entsprechen jenen der Champs Élysées. Die Farben ergäben addiert schwarz und werden nun in der Reihenfolge eines Farbkreises gelegt, wie ihn Farbenblinde wahrnähmen. Der Titel des Werkes wird ein Wortwitz; „Cakes of Grey“.
Sein Künstlerkollege Dieter Detzner schafft hingegen alle seine Werke neu, die er je durch die Galerie Trülzsch verkaufen konnte, als Skizze in DIN A0, in Grau. Aller Farbe entzogen und aller Räumlichkeit – dennoch autarkes Werk, mit gleichem Titel, jedoch anderer Funktion. Obwohl Detzner dieses Wort nicht mag, nicht in diesem Zusammenhang.
Alexandra Leykauf schafft häufig Werke, die auf dieser Farbe basieren. Jedoch ist immanent, dass dieser Umstand, dieser Faktor nicht ihr primärer Ansatz ist. Weshalb Künstlerin und Galeristin sich einig sind, dass der Beitrag zu „Shades of Grey@SassaTrülzsch“ eine neue Arbeit aus dem Atelier sein kann und darf. Alexandra entscheidet sich für eine neue Arbeit aus der wunderbaren Spots-Serie. Und bringt damit einen theoretischen Anknüpfungspunkt an Detzner ein, da sie das immaterielle Licht durch ihr Werk materialisiert; während Detzner seine materiellen Werke durchaus immaterialisiert. Von Rosens Werk wird von manchen Gästen der Eröffnung und sicher auch dem ein oder anderen Texteschreiber für temporär, und deshalb genauso immateriell gehalten. Von Rosen weiß es besser und grinst und gluckst. Denn es wird bleiben und die Grautöne werden sich mit höchster Wahrscheinlichkeit mehr und mehr angleichen. Womit wir wieder bei Auflösung, temporär und materiell, also immateriell wären und sind.
Dazu passt, was die Sammler der Galerie machen. Als konsequent wird angesehen, dass bei dieser Ausstellung Künstler und Sammler der Galerie als beinahe gleichberechtigte Autoren agieren. Die Sammler sammeln ja auch Künstler von anderen Galerien und ergänzen so den möglichen Auktionskatalog wesentlich. In diesem Fall durch zunächst zwei Schwergewichte; André Butzer mit einem seiner N-Bilder, einem etwas größeren, das durch eine wuchtige, bläulich-grünliche Farbe im Grau besticht, wenn man nur lange genug hinsieht – sowie Albert Oehlen, von dem ein graues Bild aus den 80er Jahren gezeigt wird.

Andere Sammler nutzen diese Gelegenheit etwas schamloser aus, und stellen eigene Werke aus. Einer installiert auf einem grauen Sockel einen alten Schwarzweiß-Fernseher, schließt einen fast ebenso alten Videorekorder daran an. Neben dem Sockel hat er grau getünchte Umzugskartons drapiert, in die entsprechende Kassetten gestapelt sind. Doch sind die Aufkleber vertauscht und niemand kann wissen, was nach dem Druck der PLAY Taste auch wirklich laufen wird. Ebenso grau bleibt die Autorenschaft – das Werk bleibt anonym.
Zu guter Letzt dürfen Mitarbeiter aller Berliner Galerien ein Bild malen, ein Foto rahmen oder eine Skulptur zeigen. Zwar nur in Sassas Büro, aber immerhin.
Neben den Pressemitteilungen und sonstigen Materialien der Galerie liegen auch zwei Bücher am Eingang; Shades of Grey, gewissermaßen der Vollständigkeit halber, und eines über zeitgenössische Kunst. Auf dem Cover spricht ein Gemälde zu seinem Betrachter und sagt: „Nein, kannst Du nicht.“

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