Ulrich Lamsfuß

Gespräch

2018:März // Stephanie Kloss

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03-2018

Das Steak bügeln

Stephanie Kloss / Die 90er-Jahre waren die Anfänge der Berliner Kunstszene, wie wir sie heute kennen. Warst du da schon dabei oder warst du nur raven?

Ulrich Lamsfuß / Also, ich bin in den 1991/92ern auf eine Art vor der Kunstszene nach Berlin geflohen. Die Situation an der Akademie in Düsseldorf hat bei mir nur Zweifel an der Kunst(welt) ausgelöst. In Düsseldorf war das damals schon sehr blasenartig, eine enge, teure Welt mit einer klar definierten Nische für den Künstler. Berlin war demgegenüber so provinziell und undefiniert und Kunst war hier so egal, aber man hatte Platz, um zu machen. Was das Raven anging, war das ja eigentlich ganz ähnlich: Fuck art – let’s dance. Hab schon ’ne Weile intensiv geravt. Die Kunstszene habe ich weitgehend ignoriert.

Kloss / Hatte das Raven Einfluss auf deine Arbeit? Warum löste sich diese Ignoranz irgendwann?

Lamsfuß / Es ist weniger so, dass ich da Teil einer Jugendbewegung gewesen wäre, ich war auch hier eigentlich eher am Rand. Trotzdem war die Egalisierung aller Hierarchien, die Absage an den Künstler oben auf der Bühne im Licht und das Publikum unten im Dunklen, die Absage an die Kunst, das Original und das Ego für mich essenziell und evident. Ich fand und finde das ganz einfach richtig. Ich habe zu der Zeit auch gar keine Kunst gemacht. Aber als ich dann wieder anfing, war mir klar, dass genau diese Motivationen die Grundlage meiner Arbeit sein sollen. Das hat sich dadurch formuliert. Trotzdem habe ich die Kunstszene weiter gemieden, weil das nun mal eine Welt der Exklusion, der Exklusivität ist, und mir sind solche Hierarchien unangenehm. Irgendwann konnte ich die normative Kraft des Faktischen nicht mehr ignorieren und habe im Gegenteil angefangen, mich für die dunkle Seite der Macht zu interessieren. Seit ungefähr zehn Jahren habe ich meine Sachen für mich soweit geklärt, dass ich mich jetzt meinen Soziophobien widmen kann.

Kloss / Die dunkle Seite der Macht: Deine erste Solo Show „Garden of Consequence“ war gleich bei Max Hetzler in Berlin. Wie kam es dazu?

Lamsfuß / Ja, 2001, also streng genommen, nicht in den 90ern. Ein Freund sollte bei loop, was vielleicht ein für die 90er in Berlin typischer Hybrid war, an einer Gruppenausstellung teilnehmen und wollte, dass ich die Wände um/in seiner Installation bespiele. Ein paar Tage nach dem Opening meldete sich Herbert Volkmann und wollte einen Haufen Bilder von mir kaufen und irgendwas mit mir beweisen. Ich hatte keine Ahnung, was zu tun war, und habe deswegen den einzigen, den ich kannte, der jemals professionell mit Kunst zu tun hatte, Markus Schneider von Lukas & Hoffmann, angerufen und ihn als eine Art Agent dazwischengeschaltet. Der hat dann ein bisschen Werbung gemacht, aber am Ende sind nur zwei Galeristen im Studio aufgetaucht – und einer von denen war Max und er fand’s gut. Mein erstes Listing war dann Oehlen, Kippenberger, Koons, Lamsfuß, Oehlen. Das war unfassbar, und so wurde es auch aufgefasst. Der Gap zwischen Innen- und Außensicht meiner Person war enorm. Das war nah an der Schizophrenie.

Kloss / Das hört sich irre an. Der Fruchtgroßhändlersohn Volkmann hatte ja der Malerei 20 Jahre den Rücken zugekehrt. Mit dem Obstverkauf zu Wohlstand gekommen, begann er Kunst zu sammeln, darunter Werke von Raymond Pettibon, Sarah Lucas, Damien Hirst, dazu Gemälde der jungen Generation deutscher Maler wie Franz Ackermann, Daniel Richter oder Jonathan Meese. 1999 ging der Großhandel in die Insolvenz, und Volkmann musste seine Sammlung versteigern. Unterstützt von Meese begann er wieder zu malen. Gibt es da eventuell Parallelen?

Lamsfuß / Nun, eine Parallele war ein Hang zu sagen wir mal eher populistischen Motiven. Er kam dann auch mehrmals an mit Filmstills aus Cronenberg-Filmen oder Filmen wie „Taxidriver“ und ähnlichem. Wegen der schlechten Qualität der Vorlagen konnte ich damit nichts anfangen, das hätte nur Effekte wie Rauschen gegeben. Das hat er dann am Ende selbst gemalt, und ich finde, von den figurativen Malern in Berlin, gehörte er zu den besten. Ich mag, wie er malte. Ein Unterschied zwischen uns war aber, dass ich diesen Motiven, den populistischen Images, überhaupt allem, was ich male, mit Distanz gegenüberstehe, sie überhaupt erst als ostentative Kopie malen kann, mich nicht mit ihnen gemein machen will, dass die Kopie für mich das eigentlich interessante ist, neben der eigenen Abwesenheit. Diese Distanz trennt mich auch von den meisten anderen, damals gehypten figurativen Malereipositionen, wie der Leipziger Schule und anderer neuer deutscher Malerei, und hat eher mit Fragestellungen der 90er zu tun.

Kloss / Was hast du dann bei Hetzler gezeigt?

Lamsfuß / Bei „Garden of Consequence“ gab es ein Drei-mal-fünf-Meter-Bild, „Herbstwald in der Grafschaft Bent-heim“, das neben dem Topos „Deutscher Wald“ sehr an 70er-Jahre-Fototapete erinnerte, dann gab es ein halb geschorenes Schaf, das auch mal von Helmut Lang für eine Kampagne benutzt wurde, sowie ein Fashionpiece mit einem Model mit Häuptlingskopfschmuck und nackter Brust. Dieses Bild gab es sechsfach.

Kloss / Also weniger so verinnerlicht oder Jugendzimmer-artig wie andere Malerei zu dieser Zeit. Ich wollte noch mal zurück kommen auf den Künstler Markus Schneider. Er hatte in den 90ern mit Nicolaus Schafhausen zusammen eine Galerie. Schafhausen war ja zuerst als Künstler tätig. Während eines Stipendiums in Berlin am Künstlerhaus Bethanien 1991 gründete er mit ihm die Galerie Lukas & Hoffmann, die nach den Geburtsnamen ihrer Mütter benannt war. Woher kanntest du eigentlich Markus Schneider und was war das für eine Galerie?

Lamsfuß / Das ist nicht so einfach, weil Markus Schneider extrem vielseitig ist. Schauspieler, Künstler, Galerist, DJ, VJ und noch mehr. Ich habe ihn erst kennengelernt, als er gerade dabei war, die Galerie abzuwickeln und von Köln wieder nach Berlin zu kommen und sich als DJ zu probieren. Er ist irgendwie eine sehr flüchtige Erscheinung und hat halt auch viel hinter sich gelassen. Die hatten mit der Galerie in Kreuzberg extreme Probleme mit der Kiezpolizei bis hin zu Brandanschlägen. Das ist alles sehr anekdotisch und von mir nicht verifizierbar. Es gibt ein Buch von Ingo Niermann, „Minusvisionen“ heißt es, eine Kompilation verschiedenen Scheiterns, da kann man Markus Schneiders Sicht nachlesen. Gerade neulich hat mir jemand erzählt, dass er bei Markus eine Performance gesehen hat, wo sie versucht haben, Steaks zu bügeln, also Steak mit dem Bügeleisen zu machen … das ist aber alles Gossip. Namen, die mit der Galerie verbunden sind, sind Lukas Duwenhögger, Olafur Eliasson, Antje Majewski, Nader Ahriman, Eva Grubinger – mehr weiß ich nicht. Es wäre aber sicher interessant, Schafhausen und Schneider mal zu den 90ern zu befragen.

Kloss / Persönlich war ich ja nicht so involviert Anfang der Neunziger und kannte auch Schneider nicht. Ich hege eher eine große Aversion gegen Gossip. Dieser Gossip, der heute so viel stärker ist, dem man fast nicht mehr entkommen kann durch all diese Medien. Oder gerade das Reden darüber, was andere in Medien tun, das ist das letzte, Third- Hand-Gossip. Die Steak-Geschichte ist natürlich toll! Viel interessanter ist der Aspekt des Scheiterns. Wenn man zum Beispiel Daniel Pflumm kennt, der so viel gemacht hat in den 90ern, Kunst, Bars, Musik, und bestimmt nicht gescheitert ist, aber einfach heute keinen Bock mehr hat, sich dem System anzudienen. Wie und wo siehst du dich da?

Lamsfuß / Das System, die Systemfrage: ich kann Rückzug und Verweigerung sehr gut nachvollziehen, insgesamt weckt der Kunstbetrieb in mir kein großes Begehren mehr. Aber dann muss man sich Unabhängigkeit auch leisten können. Leider ist man selbst drinnen im System und das Draußen ist weg, das System schluckt aber trotzdem alles und man ist da, wo man nie sein wollte, im Elfenbeinturm. Wenn man einen irgendwie politischen Anspruch hat, ist die zunehmende Bedeutungslosigkeit von Kunst heute schon deprimierend. Zur Zeit ist ein Will-Ferrell-Film mit Sicherheit politischer als Aktionen des Zentrums für politische Schönheit oder eine Arbeit von Thomas Hirschhorn, was wahrscheinlich eher Porno ist, wie das meiste. Ich habe den Eindruck, dass die Sache an sich zunehmend egal wird zugunsten ihrer Bewertung oder Funktion innerhalb des Marktes. Erfolg ist halt erfolgreich. Der schöne Schein – der Geldschein. Subversion und Underground funktionieren auch nicht mehr, weil dafür alles zu desorientiert und fragmentiert ist. Für Untergrund bräuchte man ja erstmal einen verbindlichen Grund. Es gibt jetzt einen Mantel von Carhartt mit „underground resistance“-Logo drauf, von denen abgesegnet. Aber der sieht nicht schlecht aus. Vielleicht war das ja aber auch schon immer so. Auf jeden Fall muss man sich dazu verhalten, braucht man jetzt mehr Wirklichkeits- als Männlichkeitssinn denke ich. Das ist gerade eine interessante Zeit.

Kloss / Interessante Zeit, ich würde sagen: erschreckende Zeit. Trump wütet, #metoo ist Person of the year im Times Magazine, die Umwelt geht den Bach runter. Niemand verhält sich mehr normal. Alles ist nur Fake, Pose, Second Hand. Wenn du an der Uni unterrichtest, was würdest du deinen Studenten heute noch vermitteln wollen?

Lamsfuß / Ich glaube, das ganze Gefake hängt damit zusammen, dass die Bilder immer mächtiger oder auch nur immer mehr werden und Text bzw. Diskurs verdrängen. Es ist leichter, Bilder von sich zu erzeugen als einen Standpunkt auszuformulieren. Und das führt zu diesen ganzen Darstellern, bzw. Nachahmern von Bildern, die auf jeder Stufe abziehbildmäßiger wirken, mehr zur Farce werden, und kein Problem haben, diesen Planeten abzufucken. Das massierte Wiederauftauchen dieses Neandertalertums löst Defätismus aus. Ich finde, genau diese Welt sollte schon die Grundlage sein, auf der man sich auch mit Studenten auseinandersetzt. Natürlich spielt die einzelne Persönlichkeit auch eine Rolle, aber ich finde selbst eine irgendwie versponnene, eskapistische Stilleben-Malerei sollte informiert sein, Bewusstsein über das eigene Fluchtverhalten haben. Zudem ist das Phänomen der Poser und Blender ja nicht nur auf die Mächtigen beschränkt, sondern findet sich überall und gerade auch in unserer Branche. Gute Kunst stellt aber Gegenwart idealerweise erst her und Abziehbilder und Klischees sind das genaue Gegenteil. Und die Frage sollte sein, was für eine Kunst verdient so eine Zeit? Was ist die richtige Kunst? Das muss ja Sinn machen für einen.

Kloss / Dein Ansatz ist ja, dass du keine eigenen Bilder herstellst, sondern, wie soll man sagen, Reproduktionen von Bestehenden. Bist du dann nicht auch ein Blender?

Lamsfuß / Na ja, es ist schon schwierig genug auseinander­zuhalten, wo man selbst aufhört und die Welt anfängt. Wahrscheinlich ist es heute eigentlich auch nicht anders als in den 90ern, nämlich dämlich und obszön, und man hat nur einen schärferen Blick, ist weniger naiv. Und es ist ja auch nicht so, dass ich alles schlecht finde, es gibt eine Menge guter Leute und auch guter Kunst. Es geht mehr darum, eine konsistente Arbeit mich selbst betreffend abzuliefern. Insgesamt bin ich ratlos und die Fragen, um die ich kreise, sind neben dem allesübergreifenden Was-ist-hier eigentlich-los, die Fragen: Was habe ich damit zu tun? Und in Bezug auf das eigene Künstlertum: Was mache ich hier eigentlich, und für wen? Und warum? Es geht weniger um Kulturpessimismus oder Pessimismus im Allgemeinen – zufällig fällt Optimismus heute nur einigermaßen schwerer – als darum, sich mit Wirklichkeiten auseinanderzusetzen. Ich gebe mich meinem Bildhunger hin, ich konsumiere exzessiv Bilder, erstmal ganz offen und ohne Theorie. Erkenntnis ist nachgelagert, aber nicht ausgeschlossen. Ich bin ein Image-Junky und komme mit diesem ostentativen Eskapismus ganz gut klar und hoffe, dass das Ergebnis angemessen ambivalent und dubios ist.

Kloss / Aber noch mal vom Junky zu den eigenen Bildern. Dich interessiert das Serielle, die Kopie, die Fälschung. Wie wählst du aus der Flut ein Motiv für dich aus, was sind die Kriterien?

Lamsfuß / Erlaubt ist, was gefällt. Am Ende soll Kunst dann ja doch auch Entertainment sein. Ich habe nur die Seitwärtsbewegung immer vorgezogen, weil ich einer Vorwärtsbewegung halt skeptisch gegenüberstehe, und habe deswegen lineares Erzählen vermieden, alles inhaltlich disparat gehalten. Menschen, Tiere, Sensationen. Und auch immer gerne horizontal High und Low verhandelt, Hochkulturelles neben Trash. Im Laufe der Zeit sind aber doch verschiedene Cluster erkennbar. Mich interessieren Oberflächen, bling-bling, womit man dann schnell bei barocken Fragestellungen wie Schein und Sein ist. Vanitas. Ikonografie überhaupt, also Porträt in seinen verschiedensten Motiviertheiten von Fashion über privat, über historisch, über repräsentativ zum Beispiel. Ich habe jetzt mit Sammlerportraits angefangen, die das Abhängigkeitsverhältnis, in dem Kunst stattfindet, antriggern. Überhaupt interessiert mich, wo (überhaupt) das Geld herkommt. Deswegen interessiert mich auch Produktfotografie. Ich habe aber keinen Überblick im akademischem Sinne und bin daran auch nicht interessiert. Gerade habe ich mit einem befreundeten Fotografen ein Bild gemacht, das von klassischen Zigeunerdarstellungen ausgeht und von Fashion über Exotismus bis Sexploitation mäandert. Die Fragen, die ich bearbeite, sind in den Neunzigern zu Hause, als man Zusammenhänge wie den von Autor und Autorität in den Blick nahm. Das ist nicht wirklich neu, wie das Neue heute tendenziell etwas alt aussieht, und das betrifft auch Text. Man wird den Eindruck nicht los, dass man es mit Kreislaufsystemen zu tun hat, und im Kreis laufen ist eine spezielle Herausforderung. Auf jeden Fall ist das Verhältnis von Bedeutung und Wert, Geldwert heute reziprok und diese Zeit ist wahrscheinlich die erste seit langem, die nicht nach ihrer Kunst, sondern nach ihrer Wirtschaftsform oder anderen Katastrophen benannt werden wird. Kunst ist dann vielleicht weniger Erkenntnis als artgerechte Haltung oder Schmuck.

Kloss / Du sagtest mal, dass du eine Übersättigung an Text empfindest, sozusagen Postmodern Talking. Was ­sprechen deine Bilder denn so? Empfindest du eine größere Illusionslosigkeit heute als damals in den Neunzigern. Und was Kunstmarkt oder Kunstszene betrifft, gibt es da Orte, deren Programm du interessant findest?

Lamsfuß / Die Galerienlandschaft ist vor allen Dingen viel, würde ich sagen. Es geht mir wie mit Großschauen und Messen: Ich kann das nicht bewältigen, ich will das auch gar nicht. Ich bevorzuge die Einzelausstellung, wo ich mich mit einer Position richtig auseinandersetzen kann – das ist komplex genug. Bei Großausstellungen und Messen sehe ich nach kurzer Zeit nur noch Relikte der Überflussgesellschaft – bunten Kram. Wenn ich an Austellungen der letzten Zeit denke, fällt mir zuerst Christopher Williams mit Stephen Prina in der Fahrbereitschaft ein, dann Guy Bourdin in der Helmut Newton Stiftung, ich mochte Stefan Dil-lemuth bei Nagel, Gwen Thomas bei exile, Barbara Kruger bei Sprüth Magers.

Kloss / Was meinst du, braucht Berlin eine neue Lukas & Hoffmann Galerie?

Lamsfuß / Ich weiß nicht. Ich habe eine kleine, reaktionäre Sehnsucht nach Konsolidierung, aber im Allgemeinen ist es doch in Ordnung, wenn junge Leute Galeristen werden.
Es gibt Schlimmeres.
 
Wohnung Ulrich Lamsfuß, Foto: Ulrich Lamsfuß