Daimon: I’m so happy, there’s a ghost leading all my actions, it just happens. There’s a kind of genius working. It’s true. How can you explain, that I found THIS DOG and his marvellous trainer, and the bees and everything? And the empty museum. It’s magic. I’m so magic. I’m the magic artist. Magic is my life.
Du gehst durch die Pforte. Du wirst initiiert: Laut ruft der „Name Announcer“ (2011) am Eingang der Ausstellung deinen Namen aus. Der Totenhund der Ägypter, ein Anubis-Albino mit rosa Bein und durchweg athletischer Figur, läuft leichtfüßig mit schwebender Eleganz im Gangwerk neben dir her. Er geleitet deine Seele ins Reich der Toten oder zumindest ins Grenzland der intensivierten Präsenz. Jetzt bist du drin im Museum und zugleich in Pierre Huyghes psychodynamischem Parcours. Wenn du nicht eiskalt bist, kommt der Kick, und du wirst in die Falle gehen, in die Falle eines nach den Regeln der Kunst geschulten Verführers.
Ich konnte Distanz behalten, bis die große Operationsnarbe am Kopf des Hundetrainers Marlon Middeke im Film „A Way in Untilled“ (2012/13) ins Bild kam.
Ich hielt durch bis zu den Klängen von Erik Saties „Gymnopédies“. Am Farb- und Nebelaltar („L’Expédition scintillante, Acte 2, (Light Box)“, 2002) ergebe ich mich ihnen und versuche mich an einer im Ausstellungsbegleiter angekündigten „psychotischen Drogenerfahrung“ [sic], was dann aber glücklicherweise, wenn überhaupt, eher einem psychedelischen Erlebnis nahekam.
Ein sphärisch sich ausbreitendes Labyrinth aus gedimmtem Licht, Projektionen, Lichtskulpturen und Nebel lullen dich ein. Pelze und Haufen von Farbpigmenten liegen in den Ecken, Aquarien mit Meergetier, Insekten. Starker Schimmelgeruch („Schimmelgeruch“, 2014) breitet sich aus. Die Akklimatisierung der Besucher wird auf unterschiedlichen Ebenen exerziert. Bis du dich selbst ausstellst in deinen Gefühlszuständen, Teil wirst des magischen Zoos. Ein dynamisches Geflecht aus unterschiedlich intensiven Werken ergibt das „Ereignis“ (Pressemitteilung), das Pariser Ereignis, das Kölner Ereignis, das zukünftige Ereignis in L.A.
L’Air de Paris, ich brauche Luft, mehr Luft, I fall in love. Ich ziehe mich aus. Ich lege mich in die große Ecke. Étant donnés. Le Surrealisme – vive!
Ich lasse mich anstecken. Es brummt. Mein Kopf brummt. Bienen. Ein Tumor? Die Nebellichtorgel, ihr technisches Geräusch, CT, MRT. Meine Mutter, dein Vater, der Infarkt, das Taumeln. Depression? Manie? High and Low. Ich liebe das Leben. Ich liebe den Tod. Ich liebe diese Spinne. Das Goldene Vlies, die goldenen Tanzschuhe, wahrlich goldene Momente der Menschheit. Musen bevölkern das Ereignis. Sind es meine oder seine?
Du bist Marionette einer Marionette. Du wirst bewegt durch die Winkelzüge eines sich kultisch gebenden Gauklers. Ein Spiel nach festgelegten Regeln kommt in Gang, émotion automatique. Ich sehe das Federgewand. I DO NOT OWN IT, but I want it. I wish to fly away.
Halt inne, schau! Die Utopie scheint sich für einen Moment im Raum zu materialisieren. Wie ein Schleier aus Blattgold flattert sie durch die Hallen: die freie Gesellschaft, das Gefühl eines freien Lebens. Und genau in diesem hyperrealen und überdefinierten Ereignis transzendiert das Ich in der rauschhaften Überschreitung.
Ich finde, das Federding sieht einfach nur aus wie Comme des Garçons …
Du hast Recht, der Rausch ist 2014 kein Ausstiegsszenario mehr, kein Szenario des gesellschaftlichen Widerstands. Er ist dessen Gegenteil! Der Rausch ist der komplette Einstieg in die verdichtete und perfektionierte Ich-Realität, nach der wir alle unausgesetzt suchen, suchen müssen, suchen wollen.
I’m so great. Intensified, hyperreal. I’m totally inside … Der Rausch ist mein Zauberspiegel, ich sehe mich in Schönheit, so wie ich sein könnte, in der Vollendung meiner Selbst in der Kreativität. Dorthin strebe ich – ich muss, ich will.
Zurück ins Museum Ludwig: Ich höre Musik von Joshua Cody, die die Topografie einer antarktischen Insel vertont und den Film „A Journey That Wasn’t“ (2006) begleitet. Am Ende der Projektion wird es dunkel und weiter hinten geht die „Light Box“ an: ein nächstes Mal ertönt Satie. Ich beginne zu tanzen. Langsame, ausladende Armbewegungen, vorsichtige Drehungen, der zaghafte Versuch einer Pirouette.
Doch wer sich so gehen lässt, wird an dem kühlen Pierre wie an einem Fels abprallen. Nein, er ist kein Melancholiker, sondern setzt auf hieb- und stichfeste Referenzen der Musikgeschichte, wenn er in seinem Werk Satie in eine Reihe mit John Cage und Brian Eno stellt und sich damit eigentlich nur einer einfachen, bereits elaborierten Genealogie der Geschichte der ambient music bedient. Wobei, man könnte sich schon fragen, warum Huyghe hier nicht Saties „Préludes flasques (pour un chien)“, sondern dessen „Gymnopédies“ – noch dazu in von Claude Debussy orchestrierter Fassung – erklingen lässt. Weil er anspielen möchte auf die Gymnopaidia, das Fest der „nackten Spiele“, bei dem die griechischen Jünglinge nackt eine Woche lang tanzten, nur mit Schild und Speer geschmückt? Oder weil er eben genau auf die emotional erwartbare Wirkung des Wiedererkennens, die Popularität der Klänge Saties zählt?
Ich muss lachen. Ich muss weinen. Es ist mehrdeutig. Es ist spekulativ.
Im Dunklen, hinter der Lichtbox: Eine Tür zum Dom?
Am Pariser Centre Pompidou war Pierre Huyghes Schau übrigens die meistbesuchte Ausstellung eines zeitgenössischen Künstlers in der Geschichte des Hauses.
L’entreprise suggestive
Alles wird ästhetisiert. Von der Institutionskritik über die Ameise bis zur Partizipation des Besuchers, der durch die angelegten Blickachsen – durch das Glas der Aquarien hindurch – plötzlich gleich groß neben einem Fisch auftaucht.
Der heterotopische Charakter des Museums wird bei Huyghe über den Standard hinaus hervorgehoben: Unter anderem durch den Einsatz von Ausstellungswänden, die laut Infobroschüre aus seiner Ausstellung im Centre Pompidou stammen. Dort übernahm er sie noch von der vorhergehenden Mike-Kelley-Schau: eine althergebrachte institutionskritische Geste. Nun aber erfolgt die Verschiebung: er nimmt nicht, was in Köln von der letzten Ausstellung übrig ist, sondern implantiert – eventuell sogar aus Sachzwang – die bereits animierten Bausteine aus Paris in die Kölner Hallen. Das Museumsdisplay spiegelt und spiegelt und spiegelt sich selbst.
Diese Wände sind somit doppelt aufgeladen: sie sind einerseits blanke Fetische der Institutionskritik und andererseits das bewährte Equipment eines berühmt-berüchtigten Wanderzirkusses. Und anschließend reisen sie natürlich auch noch mit nach Los Angeles, zur dritten Station der Ausstellungs-Tournee. Die Wände sind also nie nur Wände, sondern immer „Wände“. Selbst wenn Huyghe sie nach dem Vorbild der Pariser Ausstellung hätte nachbauen lassen, wie in einem Artikel in der TAZ zu lesen war (http://www.taz.de/!139017/).
Pierre Huyghe nimmt die Gesten der Institutionskritik und „verführt“ sie in den Raum der Schönheit, der Feinheit, der Wohlgestalt. Das kreisrunde Freilegen der Farbschichten einer Museumswand in der bekannten Arbeit „Timekeeper“, die auch in Köln wieder auftaucht, erscheint im Gesamtbild der Ausstellung wie eine anachronistische Geste und offenbart sich als ein Kratzen an der Oberfläche. Und der Akt, die Stelle, an der Gordon Matta-Clark 1975 in seiner Arbeit „Conical Intersect“ einen riesigen Kegel als Negativform aus einer Pariser Gebäudewand schnitt, 20 Jahre später mit der Projektion der Originaldokumentation anzuleuchten, ist davon eben nur die Light-Version: „Light Conical Intersect“ (1996).
How to do art?
Der Hund färbt sein Bein mit Pigmenten. Pink. Pinkes Malmittel. Make-up. Die leuchtende Maske des Performers in der Arbeit „Player“ (2010) – eine Anspielung auf das Originalvideo zu D-Mob, „We call it Acieed“, 1988 (http://www.youtube.com/watch?v=Krfy5Qkt6d8)? Die Kristallhöhle („Crystal Cave“, 2009): Zeichnungen und Skulpturen kristalliner Strukturen – Alchemie also oder Medikation? „One Year Celebration“ (2003) eine Form von Kapitalismuskritik? Die Ausstellung als „Ereignis“ zu bezeichnen: Badiou oder simpel Manager-Vokabular?
Virtuos spielt Pierre Huyghe aber nicht nur die kleinen Noten, sondern die ganz große Klaviatur, die auch für das Repertoire anderer Großkünstler verbindlich ist:
— Abenteuerreise, Expedition (global adventure, challenger)
— Ewiges Eis, Weltmeere (lost in the universe)
— Wald und Wüste (death star, final frontier)
— Utopie (underground, resistance, warrior)
— Dystopie in der Megacity (destroy, architecture, modern times)
— Drogen, Kristalle, Spiegel (Staub, Fragmente, Delusion)
— Leben und Tod (meditation, devil, Satan,
— Mythologie, Kult (Manie)
— Masken, Museum, Markt (global capitalism)
— Tiere, Animismus (spirit)
— Spekulation, Suggestion (Magie)
— Traum und Trauma (Psychoanalyse, Dissoziation)
— Schauspieler, Laien (new theater)
— Auffallend schöne Frauen (model-Modell)
— Orgie, Sex (Entgrenzung, loss of control)
— Reenactment (battle display, rehearsal)
Oft:
— Anbindung an schillernde Figuren der neueren Zeitgeschichte (Houdini, Manson)
— Orchestrale Inszenierung (multi-channel, master of ceremony)
Cave Canem!
Mich beschleicht das schale Gefühl …, das schale Gefühl, jemandem auf den Leim gegangen zu sein. Mich selbst entblößt zu haben, für andere. Aber das ist doch nur human. Ich will mit dem Hund schmusen. Ich will Anerkennung bekommen von dem Hund. Der Hund, der „Human“ heißt, also halb Mensch und halb Hund sein soll, wägt am Tor zur Unterwelt die Seelen ab, die Herzen liegen in seiner Hand. Sein Urteil ist von entscheidender Bedeutung.
In Wahrheit folgt die Hündin „Human“ einfach ihrem Herrchen Middeke, der immer mit anwesend ist in der Ausstellung. Das ist nicht der Höllenhund!
Postscriptum
Ich höre Musik von Death in Vegas: „Your Loft My Acid“ (2011). Death in Los Angeles, you loved my acid. Acid can make the world seem like a magical place! Dann sehe ich den Werbefilm von Paul Gore für L’Oréal Préférence (2012), unterlegt mit dem Fearless Transhouse Mix von „Your Loft My Acid“ (http://www.youtube.com/watch?v=ofRwY3FTn4A):
Leere Hallen, schöne Frauen, Orgie, Kristall. Von der Decke stürzender Kronleuchter, verlebendigtes wildes Tier, Kamera, Spiegel. Zerstörung, Goldstaub, Klavier. Metronom, Leine aus Gold, Goldexplosion. Explodierende Pigmenthaufen, Papier fliegt durch die Luft.
Ich habe eine Vision und auf einmal ist alles ganz klar: Pierre Huyghe, der zeitgenössische Event-Manager, ein Ereignis-Manager! Hinter dem Vorhang der Kunst hantiert er mit Surrogaten der ganz großen Ekstasen. Innerhalb seiner perfekt inszenierten und dennoch für den Zufall offenen Bühnenwelten materialisiert sich das ideale Produkt, ein Ereignis, das sich aus dem Begehren der Anwesenden entwickelt und speist. Das ist es, was jede Marke so dringend sucht: Zugang zur Lebendigkeit.
Ich höre die Stimmen der Sirenen, sie scheinen ihm zuzurufen:
Feel, feel, feel … I gotta tell you what I know … I know a place you shouldn’t go … I gotta tell you what I know … I know a place you shouldn’t go. Feel, feel, feel … I gotta tell you what I know:
Die Leere, Du. Du und das Produkt. Du und Dein Produkt. Allein. Da ist nichts anderes. Das Produkt und das Leben. Du und dein Produkt, you and your elaborated style of melancholic surrealism, your analytic selfreflection, that’s what makes you and your success. You provide a specific service, fine-tuned to a specific user need. Entfessle Dich! Do it! Fearless! Verlasse das Schiff !
Pierre Huyghe, Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln, 11.4.– 13.7. 2014