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Sebastião Salgado
C/O Berlin
2015:November //
Alina Rentsch und Luisa Kleemann
Sebastião Salgado / 2015:November
Zuallererst schön
EineStundeFünfzigMinuten – zuerst die tiefenberuhigende Stimme von Wim Wenders, Regisseur des Dokumentarfilms „Das Salz der Erde“ (2014) über Leben und Werk des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Mit salbend-einleitenden Worten zur Person Salgados und parallel laufenden Video-Porträt-Ausschnitten, die ihn als empathischen Sozialfotografen zeigen, wird man herangeführt an die biografischen Anfänge des Autodidakten.
Bewunderer Wenders gräbt sich vor bis hin zum Gipfel Salgados überaus erfolgreicher Karriere als Fotograf. Vom sogenannten Co-Regisseur Junior-Salgado alias Sohn Juliano Salgado hört man erstaunlich wenig, nur selten traut sich der Nachwuchs aus der Jurte, um Erlebtes beizusteuern. Auch wird man bezaubert mit zahlreichen privaten Fotoaufnahmen, die intime Einblicke in die Familienhistorie gewähren. Rhetorisch geschickte Überblendungen führen Wenders-typisch vom Fotografen hin zu seinen Fotografien und bedienen damit auch die weniger assoziativ Denkenden unter uns. Wenders Stimme untermalt die in der Luft liegende Melancholie und Hoffnung mit einem Voice-over aus dem Off und gibt wieder, was Salgado nicht berichtet oder in seinen Bildern nicht zu zeigen vermag.
Epos Genesis. Die Ausstellung bei C/O Berlin lobt die Fotografien aus dem Zyklus „Genesis“, eines der Langzeitprojekte des großen Menschenfreunds Salgado, als von erhabener Schönheit und bestechender Ästhetik, als eine visuelle Hommage an den Planeten. Gattin Lélia Wanick Salgado hat sich der Herausforderung des Kuratierens gestellt und dabei mit Pathos nicht gerade gespart. Die Foto-Ode zeigt Aufnahmen der Natur, weniger der Menschen, inhaltlich in alles vereinheitlichende geografische Begrifflichkeiten kategorisiert: Äthiopien + Ruanda + Sudan = Afrika, trotz kultureller und sozialer Unterschiede. Fade Stellwände stellen konventionelle Bild- und Denkmuster zur Schau. Die inhaltlichen Hilfestellungen zu den Exponaten sind trotz unterschiedlicher Bebilderungen pauschalisierend, sogar teil- und erschreckenderweise identisch. Die Anonymität der fotografierten Personen degradiert diese lediglich zu Vorzeigesubjekten für ihren Beruf oder ihre ethnische Zugehörigkeit. Die Fotografierten bleiben Masse.
Salgados Interesse gilt der Naturverbundenheit der abgelichteten indigenen Völker, Lebensumstände und insbesondere Sozialstrukturen geraten dabei größtenteils außer Acht. So werden nach Felix Koltermann die Ureinwohner zutreffenderweise vor allem zu „Objekten eines voyeuristischen Blicks aus der Ferne“ und „offenbaren touristische Sehnsüchte, genährt von der Suche nach Exotik und Andersartigkeit.“1
Das Booklet zur Ausstellung verspricht eine starke Anziehungskraft Salgados Bilder – durch eine bewusste, ruhige Komposition aus klaren Strukturen, Linien und Formen. Natürlich weiß der Fotograf als technisch versierter Lichtbildner um durchkomponierte und perfekt konstruierte Aufnahmen. „Diese Diskussionen um meine Kompositionen, um mein Licht – ich kann nicht anders arbeiten. Das ist meine Art zu fotografieren.“2 Egal ob Pinguine und Seerobben, Gebirgsketten, Stammeshäuptlinge oder Hungersnot- und Kriegsopfer – Salgado widmet sich mit Vorliebe Strukturen und Oberflächen, Glattes und Raues inszeniert der tollkühne Abenteurer durch starke Schwarz-Weiß-Kontraste in klassischer Bildaufteilung. Der Fokus auf Oberflächenhaptik erzeugt eine scheinbare Einheit von Pflanze, Tier und Mensch. Laut Christian A. Bachmann „hat über Natur zu sprechen eine Funktion“3: Ehrfurcht vor dem Planeten als Dogma.
Im Streifen „Das Salz der Erde“ zeigt Wim Wenders aber auch die erschreckende Eindringlichkeit von Salgados Aufnahmen aus Kriegsgebieten. Den Bildern, die Kriegsopfer zeigen, wohnt eine doppelte Botschaft inne, die man mit Susan Sontag so formulieren kann: „Sie zeigen ein Leiden, das empörend und ungerecht ist und gegen das etwas unternommen werden sollte. Und sie bekräftigen, dass solche Dinge in dieser Weltgegend eben geschehen. Die Allgegenwart dieser Fotos und dieser Schrecken nährt wie von selbst die Überzeugung, solche Tragödien seien in rückständigen, das heißt armen Teilen dieser Welt eben unvermeidlich.“4 Das Zweiergespann Wenders und Salgado auf einer großformatigen Leinwand im Freiluftkino Kreuzberg sorgt dafür, dass kein Entrinnen vor den Aufnahmen möglich scheint. Salgados Fotografien lösen kontroverse Gefühle aus, die Romantisierung und Ästhetisierung des Elends irritieren. „Fotografie, die von Katastrophen und anderen Übeln Bericht erstattet, wird oft kritisiert, wenn sie ,ästhetisch‘, das heißt, zu sehr wie Kunst wirkt. [...] Ein schönes Foto entzieht nach dieser Auffassung dem bedrückenden Bildgegenstand Aufmerksamkeit und lenkt sie auf das Medium selbst, wodurch der dokumentarische Wert des Bildes beeinträchtigt wird. Von einem solchen Foto gehen unterschiedliche Signale aus. Es fordert: Schluss damit. Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!“5
1 Felix Koltermann: „Distanz und Begehren, Debatte, Genesis Revisited“. art-magazin.de, 18.05.2015, http://www.art-magazin.de/fotografie/82029/distanz_und_begehren_debatte [30.09.2015]
2 S. Salgado zitiert nach dem Radiobeitrag von Aishe Malekshahi: „Sozial engagierte Fotografie“. Deutschlandradio Kultur, 16.04.2015, http://www.deutschlandradiokultur.de/sebastiao-salgado-sozial-engagierte-fotografie.1013.de.html?dram:article_id=317331 [30.09.2015]
3 Christian A. Bachmann: „Die Genese der Bilder: Sebastião Salgados Genesis“. literaturundfeuilleton, 28.05.2015, https://literaturundfeuilleton.wordpress.com/2015/05/28/die-genese-der-bilder-sebastiao-salgados-genesis/ [30.09.2015]
4 Susan Sontag: „Das Leiden anderer betrachten“. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2013, S. 84f.
5 Ebd., S. 89f.
Sebastião Salgado „Genesis“, C/O Berlin,
Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin, 18.4.–16.8. 2015
Wim Wenders „Das Salz der Erde“, Verleih: www.nfp-md.de/