Dorothy Iannone

Berlinische Galerie

2014:Jul // Eva Scharrer

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07-2014
















Dicke Eier

Es hat lange gedauert, bis die immerhin seit fast vierzig Jahren in Berlin lebende, 1933 in Amerika geborene Künstlerin Dorothy Iannone von den Berliner Museen gesammelt, geschweige denn durch eine institutionelle Einzelausstellung gewürdigt wurde.* Auch in den wichtigen Ausstellungen der siebziger bis in die neunziger Jahre, die sich auf weibliche Positionen konzentrierten – exemplarisch genannt sei hier „Künstlerinnen International 1877–1977”, organisiert von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in West-Berlin –, fehlte Iannone. Einige der Gründe für dieses aus heutiger Sicht unverständliche Versäumnis führt Annelie Lütgens in ihrem lesenswerten Katalogtext zur ersten großen, lange fälligen Retrospektive Iannones in der Berlinischen Galerie an.
Iannone kam 1976 auf Empfehlung eines Düsseldorfer Künstlerkollegen durch das Austauschprogramm des DAAD nach Berlin – und wie so viele vor und vor allem nach ihr blieb sie hier. Die Autodidaktin hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine ansehnliche Karriere als Künstlerin hinter sich. Mit ihrem Ehemann, dem Mathematiker, Künstler und Millionär James Phineas Upham, führte sie in New York eine Galerie und begann um 1959 selbst im Stil des abstrakten Expressionismus zu malen. Unter anderem beeinflusst durch zahlreiche Reisen in den Kulturen Europas, Nordafrikas und Asiens (sie lebte zum Beispiel längere Zeit in der südlichen Türkei und in Japan), wurden daraus bald halbfigürliche, farbenfrohe und stark ornamentale All-over-Strukturen mit mehr und mehr deutlich sexuellen Darstellungen, die sich in keine der gängigen Stilrichtungen ihrer Zeit mehr einordnen ließen.
Iannones Leben nahm eine radikale Wendung, als sie 1967 mit ihrem Gatten und dem befreundeten Fluxus-Künstler Emmett Williams auf einem Dampfer nach Reykjavik fuhr, um auf dessen Empfehlung hin Dieter Roth zu treffen. Die Folgen dieser schicksalhaften Begegnung sind Kunstgeschichte. Iannone verließ ihren Gatten und ihr behütetes Society-Leben in New York, um fortan mit Roth in Reykjavik, London und schließlich Düsseldorf zu leben, wo er an der Kunstakademie unterrichtete. Die heftige, nicht immer einfache, aber von tiefer Freundschaft und Respekt geprägte Beziehung dauerte sieben Jahre und wurde zum Inhalt von Iannones Kunst. Von 1978 bis 1986, also Jahre nach der Trennung, verarbeitete sie die Erinnerung an die Begegnung mit Roth, den sie als ihre „Muse“ bezeichnet, in der mehrteiligen Bildergeschichte „An Icelandic Saga“. Auch die Serie „Dialoges“ (1967–68) erzählt in Wort und Bild alltägliche, mal melancholische, mal äußerst witzige Episoden aus dem (Sex-)Leben des Paares. Die Verbindung von Text und Bild ist fortan ein Markenzeichen von Iannones Kunst; zu ihren zahlreichen Künstlerbüchern gehört auch „The Berlin Beauties“ (1977–78), eine Art illustriertes Liebesgedicht.
Wenngleich Iannone stets den größten Respekt ihrer Künstlerkollegen innehatte – insbesondere aus der Fluxus-Bewegung, von der sie sich jedoch nie vereinnahmen ließ –, bleibt es erstaunlich, wie wenig institutionelle Beachtung sie erfuhr. Ihre unter anderem von Matisse und tantrischer Malerei beeinflusste, fröhlich-plakative ornamentreiche Bildsprache und die explizite Figuration, deren Inhalte private Mythologien und universelle Ekstase sind, wurde zu ihrer Zeit häufig als folkloristisch, naiv, oder – trotz der unermüdlichen Beschwörung einer befreiten weiblichen Sexualität – als nicht feministisch genug abgetan. Ähnlich wie zum Beispiel Carol Rama scheint Iannone gerade in ihrer radikalen Subjektivität dem heutigen Zeitgeschmack viel eher zu entsprechen (man denke zum Beispiel an die letzte Venedig Biennale), und es verwundert nicht, dass ihr Werk von einer jüngeren Generation von KuratorInnen und GaleristInnen quasi wiederentdeckt wurde – insbesondere seit der von Maurizio Cattelan, Massimilianio Gioni und Ali Subotnik kuratierten vierten Berlin-Biennale von 2006.
Heute verdutzt es eher, dass ihre Kunst in den sechziger Jahren wegen ihres erotischen Inhalts Gegenstand von Zensur war. 1967 wurden sämtliche ihrer in der Stuttgarter Galerie Hansjörg Meyer ausgestellten Gemälde von der Polizei beschlagnahmt und erst zurückgegeben, nachdem mehrere Gutachten bestätigten, dass es sich dabei nicht um Pornografie handle – die Ausstellung konnte somit zumindest zur Finissage noch gezeigt werden. Während der 1969 von Harald Szeemann in der Kunsthalle Bern organisierten Ausstellung „Freunde/Friends/d’Fründ“ sollten auf Verlangen der mitausstellenden Künstler Darstellungen von Geschlechtsteilen in ihren Arbeiten mit Klebeband verdeckt werden. Roth und Iannone traten daraufhin aus der Ausstellung zurück, und auch hier verarbeitete Iannone mit dem ihr eigenen selbstreflexiven Humor das Geschehene in einer Art Comic-Strip, dem Künstlerbuch „The Story of Bern (Or) Showing Colors“ (1970). Den Kampf gegen Zensur hatte Iannone jedoch schon früher geführt: nachdem sie 1960 versucht hatte, das auf dem Index stehende Buch Henri Millers „Tropic of Cancer“ in die USA einzuführen („zu ihrem eigenen Vergnügen“), war es ihr schließlich nach mehreren Gerichtsverfahren gelungen, einen „historischen Urteilsspruch“ des Supreme Courts einzuholen, nach dem das Buch nicht obszön sei und somit legal.
Obgleich sowohl weibliche wie auch männliche Genitalien in fast allen Bildern Iannones auftauchen, auffallend auch dann, wenn die dargestellten Personen bekleidet sind (wie zum Beispiel in „The Story of Bern“), sind diese derartig stilisiert, dass sie von Pornografie weit entfernt sind. Das weibliche Geschlechtsorgan wird zum Beispiel meist durch ein von zwei Halbkreisen dargestelltes, stark vergrößertes Paar äußerer Schamlippen repräsentiert, oft von einer Aureole aus Schamhaaren umgeben. Sie unterscheiden sich damit deutlich von pornografischen oder sexualisierten Darstellungen des weiblichen Geschlechts, und erinnern de facto mehr an männliche Hoden – ganz so, als wolle Iannone ihre Frauen, meist sind es Selbstportraits – sprichwörtlich mit ‚dicken Eiern‘ ausstatten.
Eine Ausnahme von dieser gängigen Darstellung stellt „Yes“ von 1981 dar (wie viele von Iannones Bildern existiert das Motiv in verschiedenen Ausführungen), in dem in einem mit einem männlichen und einem weiblichen Kopf versehenen weiblichen Körper eine stark stilisierte frontal gezeigte Vulva von einem erigierten Penis gekrönt ist. In dieser friedlichen Verschmelzung beider Geschlechter manifestiert sich das spirituelle Verlangen nach einer ewigen Vereinigung, einer Gleichheit beider Geschlechter, das Iannones Kunst zugrunde liegt. Diese absolute Gleichberechtigung und Harmonie drückt sich auch in den Darstellungen von sexueller Dominanz und Unterwerfung aus – und dies ist wohl auch der Punkt, worin sich Iannone von ihren eher kämpferischen feministischen Künstlerkolleginnen der sechziger bis achtziger Jahre unterscheidet.
Die Retrospektive „This Sweetness Outside of Time“ zeigt Gemälde, Collagen, Objekte, Möbel, Künstlerbücher und Filme aus den Jahren 1959 bis 2014 – darunter die Serie von Cut-outs „People“ (1966–67) sowie Audio- und Video-Boxen (bemalte Holzkisten mit integriertem Video, eines davon zeigt z.B. Iannones Gesicht während sie sich selbst zum Orgasmus bringt) der 1970er Jahre – und hebt dabei vor allem auch Iannones Intermedialität hervor. In ihrer bedingungslosen Verschmelzung von Leben und Kunst verkörpert Iannone eine authentische künstlerische Position, die sich auf ihrem Weg weder beeinflussen noch beirren ließ – was letztlich die Qualität und Frische ihrer Arbeit heute ausmacht.

* 1997 wurde eine erste größere Einzelausstellung Iannones von einer Kuratorinnengruppe in der NGBK organisiert

(dieser Text basiert auf einer englischen Fassung, die in der Summer 2014-Ausgabe von „Artforum“ erschienen ist)

Dorothy Iannone „This Sweetness Outside of Time“, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin 20.2.–2.6. 2014
The Next Great Moment in History is Ours, 1970 (© Dorothy Iannone)
Still aus dem Trailer-Film zur Ausstellung (© Dorothy Iannone)
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