Übersetzte Zeit

Emailgespräch zwischen Barbara Buchmaier, Andreas Koch und Barbara Steppe

2014:Jul // Barbara Buchmeier und Andreas Koch

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07-2014
















Barbara Buchmaier, Andreas Koch  /      Leider haben wir die von Dir konzipierte Performance „Routines“, in der Du im n.b.k. 26 Personen aus dem Kunstfeld nach einer speziellen Choreografie parallel zueinander stichpunktartig von ihrem Tagesablauf hast erzählen lassen, nicht gesehen/gehört. Gibt es dazu denn eine Dokumentation und wenn ja, wie hast Du dieses „Event“ und seine einzelnen Stimmen festgehalten?
Barbara Steppe  /      Die Performance wurde von David Winnerstam für das Archiv des n.b.k. mit drei Videokameras aufgenommen und geschnitten. Es gibt außerdem Fotos von der Performance und es ist ein Heft mit den einzelnen Tagesprotokollen in Vorbereitung.
26 Personen, die professionell im Kunstkontext arbeiten, haben an diesem Projekt teilgenommen. Alle Teilnehmer wurden gebeten, an einem Arbeitstag im November 2013 die Tätigkeiten über 24 Stunden mit genauer Uhrzeitangabe zu protokollieren, auch Gedanken und Notizen sollten in das Protokoll einfließen. Bei der Performance lasen die AutorInnen ihre eigenen Tagesprotokolle. Eine manipulierte Uhr, die in 40 Minuten die 24 Stunden eines Tages durchläuft, war Impulsgeber für den jeweiligen Vortrag und bestimmte den Einsatz für die einzelnen Sätze. Die Tagesprotokolle wurden synchron gelesen, dadurch entstand teilweise ein gesprochener Chor. Die Dramaturgie des Stückes wurde bestimmt durch einen Rhythmus aus dichten Phasen des Tages, in denen alle Beteiligten aktiv waren, und ruhigeren Momenten. Die Choreografin Lindy Annis koordinierte die Bewegungen der Personen im Raum. Das Projekt war für die Beteiligten aufwendig und ich bin sehr dankbar für ihr Engagement.
Buchmaier, Koch  /    Generell würde uns interessieren, welche Formen der Verbildlichung und Auswertung Deiner Umfrageergebnisse zum Thema „Umgang mit Lebenszeit“ – ein Themenkomplex, der sich seit vielen Jahren durch Dein Werk zieht – Du generell benutzt, und auf der non-formalen Seite, welche Erkenntnisse über den heutigen Mensch und speziell Künstler hast Du gewonnen? Wie sieht es mit seiner Work-Life-Balance aus, wenn man davon überhaupt reden kann?
Steppe  /      Ich habe vor ungefähr zwanzig Jahren mit den Befragungen angefangen, deren Umsetzung ich als Portraits verstanden habe. Die ersten so entstandenen Portraits waren fast klassische Statistiken des Zeithaushalts einzelner Personen, umgesetzt in Bildtafeln. Die Prozentanteile einzelner Handlungen wurden in Flächen umgesetzt und mit Farben belegt. Die Überschneidungen von Handlungen, von denen es viele gab, wurden durch Schraffuren und Doppelschraffuren dargestellt. Teil der Bildtafeln war ein Index mit kurzer Beschreibung der Person und eine Liste der Aktivitäten mit Prozent­angaben.
Danach wurden die Arbeiten dreidimensional, Architekturmodelle und begehbare Räume, bei denen die Größe der Zimmer dem Zeitverbrauch der Tätigkeit entsprach, die darin ausgeübt wird. Fast immer war auch die Architektur der Modelle nach den Vorstellungen der portraitierten Personen gestaltet. Ich habe eine Reihe von Möbelstücken gemacht, die zu benutzen sind, am liebsten von der portraitierten Person selbst. Ein Möbelensemble befindet sich in der Artothek des n.b.k. und wird dort von den Besuchern genutzt.
Aus einigen Tagesabläufen habe ich Partituren und kinetische Objekte entwickelt, bei denen die Chronologie und der Rhythmus eine wichtige Rolle spielen. Sie sind Vorläufer der Performances und Audio-Stücke.
In einer Reihe von Arbeiten, Aquarellen und Stoffbildern, habe ich den zeitlichen Anteil der Arbeit und den der Freizeit von Personen untersucht und verglichen. Bei vielen Künstlern, die ich portraitiert habe, gibt es den Anschein eines ausgewogenen Arbeit-Freizeit-Anteils. Das könnte damit zusammenhängen, dass Recherche, Emailverkehr, Verwaltung, also Tätigkeiten, die eigentlich zur Arbeit gehören, nicht als Teil der künstlerischen Arbeit verstanden werden und deshalb unter Kategorien wie Internet oder Freizeit geführt werden. In der Regel macht diese Komponente aber einen großen Teil des Arbeitspensums aus. Im Grunde kann man von diesen Zuordnungen über die porträtierte Person mehr erfahren als aus den statistischen Zahlen. In den letzten Arbeiten beschäftige ich mich mit den Tagesprotokollen als solchen. Mich interessiert dabei die Ausformung der Sprache, die ausführlich und poetisch bis knapp und trocken sein kann, und der Charme eines jeden Protokolls, der durch das direkte Notieren der Aktivitäten und Gedanken über den Tag hinweg entsteht.
Für jede neue Arbeit werden neue Protokolle von anderen Leuten erfragt. Insbesondere für die Performances und Audioarbeiten suche ich Teilnehmer, die einer bestimmten Gruppe angehören.
Buchmaier, Koch  /    Könnte man sagen, Du bewegst dich jetzt von der Statistik weg, hin zu einer prosaischeren Auswertung?
Steppe  /      In der letzten Zeit bewege ich mich von der auswertenden oder vergleichenden Statistik weg zu einer mehr beschreibenden Arbeit, die teilweise auch die Stimme miteinbezieht. Mich interessiert dabei die Art und Weise, wie etwas sprachlich ausgedrückt wird, und die unterschiedlichen Entscheidungen der Autoren, was ins Protokoll genommen wird und was nicht, was eine Person als wichtig erachtet und was nicht.
Buchmaier, Koch  /    Kann man aus den Protokollen auch herauslesen, ob die Teilnehmer glücklich sind, oder gestresst, oder gelangweilt?
Steppe  /      Darum geht es mir im Grunde nicht. Letztlich ist mein Interesse die Umsetzung der Informationen in ein anderes Medium. Etwaige Interpretationen liegen beim Betrachter.
Buchmaier, Koch  /    Hat sich in den langen Jahren deiner Untersuchungen etwas verändert?
Steppe  /      Die Arbeitszeit am Computer hat deutlich zugenommen. Mehr Kommunikation?
Buchmaier, Koch  /    Wie kamst du auf deine Protokollanten? Sind sie wie bei „Routines“ hauptsächlich aus dem Kunstbetrieb oder umfassen sie weitere gesellschaftliche Schichten? Und wenn ja, welche?
Steppe  /      Angefangen habe ich mit der Befragung von Freunden, meistens Künstlern. Ich musste sie erst überreden, für mich ein Protokoll zu schreiben. Diese Scheu vor Veröffentlichung von privaten Aktionen und Gewohnheiten war mir überhaupt nicht fremd. Nach und nach hatten die Leute aber Vertrauen gefasst, sie fanden es ok, wie ich mit ihren Informationen umging und haben sich auch über die Auswertungen ihres Zeitmanagements gefreut. Inzwischen traue ich mich, auch fremde Menschen zu fragen.
Wenn ich für größere Projekte mit mehreren Leuten arbeite, versuche ich eine sinnvolle Gruppe zu finden. Hier einige Beispiele: Die Skulptur „Arbeiten #2“ (2011) vergleicht die Arbeitszeit von 21 Personen, bzw. die Zeit, die von den Personen selbst als Arbeitszeit eingestuft wurde.
Für eine Kunst-am-Bau-Arbeit in einem Hotel in Hamburg wurden 30 Hotelgäste befragt und das Resultat für eine Wand-Boden-Decken-Gestaltung ausgewertet.
Bei einem Wettbewerb zur Gestaltung eines Brückengeländers in Berlin habe ich 2000 Leute beim Überqueren der Brücke beobachtet und deren Aktionen notiert, um diese Infos dann in die Gestaltung des Geländers zu übernehmen.
Für die Teilnahme an einer Performance in Usti nad Labem (CZ) haben wir 22 Bewohner der Stadt gefunden, mit sehr unterschiedlichen Berufen und Alter.
Buchmaier, Koch  /    Abschließend würde uns noch Deine persönliche Zeit-Budgetierung interessieren. Wir stellen ja auch im Heft die Frage nach der durchschnittlichen Nutzung der 168 Stunden, die eine Woche hat. Wie teilt sich das bei dir auf? Und hast Du auch jemals ein Selbstportrait gemacht?
Steppe  /      Ja, 2001 habe ich ein Selbstportrait gemacht, in Form eines Vorhanges. Das ist lange her, für „von hundert“ mache ich gerne ein neues Protokoll. Was ich jetzt schon weiß: mein Zeitbudget beinhaltet heute deutlich mehr Arbeit am Computer als 2001 und längere Fahrtzeiten, weil ich nun zwischen Potsdam und Berlin pendle.
steppe.jpg (© )
Jürgen K., 1999 (© Barbara Steppe)
Routines, 2014 (© Barbara Steppe)
Routines, 2014 (© Barbara Steppe)
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