Christian Demand

Monopol

2009:Feb // Hans-Jürgen Hafner

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02-2009
















War ich kürzlich bei Jens, Musik hören (und dann später Luxusbar, ist aber eine andere Geschichte). Musik hören bei Jens ist immer schon deswegen klasse, weil es da immer Platten gibt, die ich nicht kenne oder die ich, aus diesem oder jenem Grund, lieber nicht kennen will (aber trotzdem relativ froh bin, wenn ich’s mal angehört habe). Dazu gibt es dann immer Debatten mehr oder weniger kennerschaftlicher, enthusiasmierter oder rein ideologischer Natur. Weil speziell bei den Platten, die ich nicht kennen will, sag’ ich, und zwar ebenso apodiktisch wie pauschal, „Du und dein Musikkritikermusikgeschmack.“ Je nachdem kontert Jens dann entweder mit einem relativierenden „Jaja“ oder mindestens ebenso pauschal mit „Du bist blöd.“ Unterschiedliche Ansichten gab es diesmal z. B. bei Megapuss, das ist so ein neues Ding von Devendra Banhart und Greg Rogove, und das ist tatsächlich, Stichwort Musikkritikergeschmack, so ein Ding, da einigen sich irgendwie alle (oder, sagen wir, ziemlich viele) drauf, total egal ob FAZ oder taz, Spex oder Rolling Stone, und das kaufen die dann etc. Jetzt kann ich mir zwar vorstellen, dass einem das gefallen kann. Aber einerseits versteh’ ich’s nicht, wie ich, sagen wir, schon den Johnny Cash und die Bright Eyes und Joanna Newsom undundund nicht verstanden habe (oder einfach nicht verstehen will, weil es mir dann mitunter so vorkommt als ‚müsse‘ man das gut finden bzw. als wäre das einfach gut. So eine Reaktion mag ein Stück weit Paranoia sein oder sonstwelcher, aus der Adoleszenz herüber geretteter, Abgrenzungswahnsinn oder schlicht Borniertheit. Allerdings, sag’ ich mir, falls das wirklich so gut ist, kann man sich das ja auch noch mit zweiundsechzig aus der Bibliothek holen, weil „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ oder Dostojewski, das ist eine ganz ähnliche Kategorie: reicht völlig aus, da drüber zu gehen, wenn man alt ist.) Totalen Konsens gab es dagegen bei Brightblack Morning Light, obwohl ganz sicher auch musikkritikergeschmacksverdächtig – aber egal. Der Punkt auf den ich hinaus will, ist eh’ woanders. Weil man ja beim Musik hören selbstverständlich nicht die ganze Zeit reden kann, ist klar, habe ich nebenbei im Dezemberheft von Monopol herum geblättert. Weil die halt da lag, schiebe ich da gleich entschuldigend (vor wem eigentlich?) hinterher und, dass ganz groß „Sex!“ drauf stand, mit Ausrufezeichen samt Dreifachzungenkussekelcover, und außerdem, dass „Baselitz und Co. über die besten und schlechtesten Ausstellungen des Jahres“ informieren. Das macht natürlich schon alles ein bisschen neugierig: Listen führen, Rankings, sowas geht ja auch gut mit Musik zusammen. Und: lustig, kaum gibt’s Krise macht Monopol total auf ernst mit Themenheft, Roundtable, Zeitzeugen, Interview, Atelierbesuch, Fallstudie, was du willst. Ist aber halt auch klar: wenn sonst nichts verkauft, dann muss der Sex ran. In so fern wäre alles im Rahmen – auch, dass Katja Strunz natürlich Uwe Hennekens Schau bei CFA für die beste hält, André Butzer sich bei der Gelegenheit mal wieder selber bis an die Front bringt und der Baselitz als nächsten „Documenta-Chef“ ausgerechnet jemand von Christie’s oder Sotheby’s haben möchte (aber garantiert nicht wieder eine Frau, wie wir hämisch anmerken, und, ob der am Olymp keine Zeitung kriegt). Komplett im Rahmen auch, dass die „Monopol-Expertenrunde“ für diesen Roundtable „über Pornografie und Kunst, Brüste und Begehren sowie Perversion und Subverison“ ausgerechnet aus John Currin, Richard Kern und Dian Hanson (Die macht was bei Taschen…) bestehen muss. Wirklich hängen bleibe ich allerdings, wie ich, ziemlich prominent auf einer Doppelseite platziert (nur rechts gibt’s statt Text ein bisschen Werbung), eine Review von Christian Demand über das neue Buch von Isabelle Graw finde. Deren „Der große Preis“ las ich zu dem Zeitpunkt nämlich auch gerade und dachte mir öfters mal, das müsste eigentlich besser sein! Und Demands Überschrift klingt schon so arg nach Verriss: also vielleicht interessant, was der dazu zu sagen hat. (Auch, weil er sich über Kunstkritik heute, ihre Konventionen und methodischen Mängel ständig so seine Gedanken macht und öfters mal, wie’s den Anschein hat, fundiert und präzise durchargumentiert, quer schießt.)

Insofern keine Riesenüberraschung, dass er das Buch ziemlichen Quatsch findet und er macht das in vielen Punkten eigentlich ganz plausibel: dass Isabelle Graw manche ihrer Gedanken gemessen an deren Tragweite in dafür unproportional akademischen Ornat einkleidet, dass mancher Schluss nach Binsenweisheit klingt, dass einige ihrer Beobachtungen doch relativ weit davon entfernt sind, wie versprochen, argumentativ oder gar methodisch produktiv gemacht zu werden. Da würde ich, zumal jetzt, da ich das Buch fertig gelesen habe, mit einigen von Demands Kritikpunkten völlig d’accord gehen. Aber: Christian Demand macht in diesem Text ja eigentlich ein ganz anderes, weit größeres Fass auf. Der begleicht da nämlich mehrere Rechungen auf einmal, in einer Weise, die – das müsste er wissen – so nicht geht. Zumal an einem Ort bzw. in einem Rahmen, wie ihn Monopol bietet, wo das Tendenziöse seines Vorgehens eine andere Qualität annimmt – was ihm auch klar sein müsste. Demand, früher Musiker und Komponist, dann Hörfunkjournalist, jetzt habilitiert als Kunstgeschichteprofessor an der Nürnberger Kunstakademie kleidet sein Graw-Bashing nämlich mehrfach ein: nämlich in eine grundsätzliche und durch und durch persönliche Abrechung (mit dick- authentischem „ich war“, „ich habe“, „ich machte“-Kolorit, was mit dem akademischen Anspruch, den er vertritt, womöglich nur bedingt gut vereinbar sein könnte) mit einer Achse der Anmaßung, die Demand irgendwann in den 1980er/1990er Jahren entlang eines Äquators SPEX/Texte zur Kunst lokalisiert. Gerade in den beiden Blättern stieß ihn seinerzeit und mit Nachwirkungen bis heute die „besserwisserische Rhetorik aus aufgeregt verwirbeltem Diskursschnee“ auf und „dieselbe scharfrichterliche Strenge“, „derselbe prätentiöse Gestus“ ab. Keine Ahnung, was ihm damals noch alles passiert sein muss, außer, dass er begonnen hatte mit seinem „Philosophiestudium ernst zu machen“, jedenfalls reicht Demand mit dem ganzen anwaltschaftlichen Eifer, den wir aus früheren Publikationen zur Kunstkritik z. B. dem „Die Beschämung der Philister“-Wälzer (2003) oder seinem Beitrag zum Art Critics Award Lesebuch (2007) von ihm gewohnt sind, Sammel- und Kollektivklage zugleich gegen jenen bei Spex wie Texte zu Kunst gleichermaßen gepflegten Elitismus ein, die „Unterstellung“ von Seiten SPEX/TzK nämlich, „die Mehrheit der Leser“ wäre in „undurchschaubaren Verblendungszusammenhängen verfangen“, die es mit „pädagogischem Pathos“ und „schonungslos aufzudecken gelte“. Graw, besagt Demands Diagnose, ist noch heute so drauf, setzt, nachdem sie immer noch jegliche „Bescheidenheit und Selbstdistanz“ vermissen lässt, jene Achse der Anmaßung immer noch fort. Womit auch ihr Denken nichts anderes als das blöde Symptom einer haltlos-elitären Haltung sein kann. Geht ja, so der Umkehrschluss, nicht anders, dass in viel akademischem Ornat „schlichte Gedanken“, „gegebenenfalls auch bloße Denkversuche“ stecken. Längst schlägt hier berechtigte und am Text manifestierbare Kritik in reines Ressentiment um. Zu fragen wäre umgekehrt: auf welchen Prämissen basiert Demands Pauschalkonstruktion der Achse der Anmaßung: Köln? Die 1980er? Pop? Journalismus? Diederichsen? Oder einfach nur seinem ureigenen, rein subjektiven Empfinden der Unterlegenheit (allem ernst genommenen Philosphiestudium zum Trotze)? Weswegen schwingt er sich auf zum Anwalt jener verblendeten Mehrheit der Leser? Weil die ihm (blöd genug wären sie ja, wollen wir Demand Glauben schenken) das Mikrofon in die Hand gedrückt hätten? Woher die superiore Moral des gefühlt-Unterlegenen, die ihn das Handwerk der Textkritik derart subjektiv betreiben, seine Argumentation mit solch methodisch zweifelhaften Mitteln herstellen lässt – was selbst einer Monopol-Redaktion ins Auge stechen müsste? Hat da wer – Paranoia, Abgrenzungswahnsinn, whatever? – von grundsätzlichen Ressentiments gesprochen?

Jens und ich waren da aber schon längst zum Zapfenstreich in der Luxusbar, wo den Abend über, von uns beiden gut gelitten, Mingus und Coltrane gelaufen war und der Barmann – ermüdet ob unseres laienhaft-kennerschaftlich-anmaßend-(un)beteiligten Musikdistinktions- und Kunstbetriebskrisengesuders – seiner Freundin explizit halb-heimlich zuraunte, er könne den Blödsinn von uns zweien nicht länger ertragen. Die Tage hatte ich mir das Heft dann nochmal ausgeliehen, den Text nochmals gelesen und war umso mehr erstaunt, warum Christian Demand ausgerechnet Monopol, wo es, Themenheft hin oder her, immer noch um nix anderes als ums bloße Performen von Deutungsmacht geht, wo der redaktionelle Inhalt in Form von Rankings, Listen Namedropping öfters mal kaum von der Werbung (siehe den Otto Mühl-Beitrag) zu unterscheiden ist, akkurat als taugliche Veröffentlichungsplattform für ‚Kritik‘ ansieht, was allerdings dem pauschalen Abrechungscharakter des Textes bestens entspricht. Immerhin habe ich mir ja mittlerweile die Brightblack Morning Light gekauft und Jens bisher erfolglos auf die sensationell unorginelle (darin freilich ganz fantastische Musik zurzeit) A Place To Bury Strangers angesetzt. Aber das ist wieder ein anderer Punkt. Man braucht nämlich keineswegs alles zu glauben. 
Christian Demand „Wenn du mich brauchst“ (Plattencover) 1990 (© Label: Teldec)
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