Krise

Ein Gespräch

2009:Feb // Raimar Stange / Andreas Koch

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02-2009
















Raimar Stange  /  Alle reden im Moment von der Finanzkrise. Und viele reden davon, dass diese dem Kunstbetrieb gut tun würde: das fehlende Geld würde zu konzentrierten Ausstellungen, zu mehr ästhetischer Qualität und weniger eitlem Sammlergedöns führen. Stimmst du dieser Einschätzung zu?

Andreas Koch  /  Mir kommt das ein bisschen vor wie bei einer Kunstmesse, auf der nicht viel läuft und alle schlecht verkaufen. Bei näherem Nachfragen sagt der Galerist dann: Nein, alles super, ich habe gute Kontakte gemacht. Als Galerist lernt man, immer gute Miene zum bösen Spiel zu machen und wenn nichts mehr läuft, dann muss nun eben die Qualität steigen, sich die Spreu vom Weizen trennen und klar ist, dass man selbst zu den Guten gehört und die Galeriekünstler natürlich alle auch, nur sagen das dann alle Galeristen. Meiner Meinung nach bleibt das Verhältnis von guter und schlechter Kunst ähnlich, es wird nur insgesamt weniger produziert werden und das kann natürlich auch erholsam sein.
 
Stange  /  Ich denke auch, dass sich da nicht viel ändert. Es ist doch absurd anzunehmen, dass nur weil angeblich kein Geld mehr da ist, plötzlich die Leute erkennen, dass z. B. die Leipziger Schule nichts mit Kunst zu tun hat, oder Anselm Reyle etc. … Das ist die Aufgabe von Kritik: Bei diesem Scheiß konsequent nicht mitzuspielen, statt immer noch irgendwas vermeintlich Interessantes beim letzten Mist zu finden. Das gilt für den ganzen Betrieb: Man muss nicht zu jedem Opening laufen und fröhlich den Wein trinken, obwohl die Ausstellung unter aller Sau ist.
 
Koch  /  Na ja, das ist dein Ansatz eines Embargos im Kunstbetrieb, das funktioniert meiner Meinung nach nicht und ich finde, man sollte die Dinge benennen und nicht nur durch Missachtung strafen. Was die Kunstkrise betrifft, so sah ich gerade in Zürich eine Ausstellung von Urs Fischer, für mich ist er eine kümmerliche Fortsetzung der Schweizer Humorkonzeptualisten wie Fischli/Weiss. Dort stellte er bei Eva Presenhuber mehrere ungefähr vier Meter hohe Bronzefiguren aus, Vergrößerungen von kleinen, handgroßen, zusammengedrückten Tonballen. Das ist für mich die Spitze eines aufgeblasenen, dekadent gewordenen Kunstmarktes. Da schickt ein Künstler seine Häufchen nach China und lässt für zigtausend Euro riesige Abgüsse erstellen, um diese dann zurück in die Schweiz zu schippern, auseinandersägen zu lassen, damit die dann überhaupt in den Ausstellungsraum passen. Hoffentlich bleiben die Galeristen mittlerweile auf solchen Erzeugnissen sitzen. Wenn die Kunstblase Luft ablassen könnte und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, dann bei solchen Pseudovergrößerungen à la Koons, Reyle oder eben Fischer. Der Verein der Freunde der Nationalgalerie soll ja durch das Koons-Projekt auch in größere finanzielle Probleme geraten sein. Was bekommst du denn von der so genannten Krise mit?

Stange  /  Du fragst, was ich von der „Krise“ mitbekomme. Da ist mir zunächst mal wichtig festzustellen, dass es zwei Krisen gibt: die der Ökonomie und die der Kunst. Und letztere funktioniert auf vielen Ebenen strukturell genauso wie die Krise der Ökonomie: es gibt „faule Immobilien“: besagte Möchtegernkunst; es gibt keine Verantwortlichkeit mehr, diese „faulen Immobilien“ nicht zu verticken: selbstverständlich wissen z. B. gestandene Galeristen wie SprüthMagers um die ‚Qualität‘ der von ihnen ausgestellten Scheibitz-Skulpturen und versuchen sie trotzdem zu verkaufen, „passend für jede Wohnzimmergröße“, wie ein erfolgreicher Neunziger Jahre Künstler richtig feststellte; es wird viel zu hoch und viel zu viel spekuliert: man denke nicht nur an die zum Teil absurden Preise, auch für ganz junge Künstler, sondern auch an die unzähligen Messen, die es nun nahezu allmonatlich zu bespielen gilt; die Macht der Fachleute geht immer mehr zurück: so hebeln die neu entstehenden Sammlermuseen z. B. den Einfluss der ‚richtigen‘ Museen und deren Kunsthistoriker und Kuratoren aus. All dieses sägt an unserem eigenen Ast, der Kunstbetrieb ist nicht mehr ernstzunehmen, braucht deshalb die Kritiker auch noch weniger als zuvor schon.

Koch  /  Anders als in der Finanzkrise wird das Geld aber nicht auf Kredit von Leuten generiert, die keins hatten, wie eben bei der Hypothekenkrise in den USA, sondern der Kunstmarkt profitierte selbst von der globalisierten Finanzmarktwelt und zog den Profiteuren Geld aus der Tasche. So könnte man auch sagen, ist doch egal, besser es landet in der Kunst als anderswo. Wenn jetzt die Kunstblase wieder kleiner wird, dann leiden ja zuerst die Heerscharen an Zuarbeitern, die 13-Euro-Kräfte in den Galerien und den Künstlerwerkstätten, die werden ja zuerst entlassen, all die Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Künstler, die auf diese Jobs angewiesen sind. Wahrscheinlich werden 2009 und 2010 einige Doktorarbeiten mehr geschrieben als davor. Indirekt steigt so vielleicht die Qualität der Wissenschaft und später der Kritik. Aber das ist jetzt zynisch. Braucht man, um auf deine letzte Aussage zurückzukommen, nicht gerade jetzt die Kritiker wieder, um, in Analogie zur Finanzkrise, Regularien zu finden, die außerhalb des Marktwertes und des Profits liegen? Ist es nicht vielleicht wieder an der Zeit den Markt stärker vom Diskurs abzukoppeln? Auch wir lassen uns ja hier offensichtlich zu sehr von den absurden Preisen ablenken und wir müssten über eine Reyle- oder Scheibitzskulptur eher so reden, als hätten wir sie in einer Hinterzimmergalerie das erste Mal entdeckt und reden dann vielleicht nicht drüber, womit wir dann wieder beim Embargo wären.

Stange  /  Den Markt stärker vom Diskurs abkoppeln? Jein, sicherlich in dem Sinne, dass die wissenschaftliche Theorie o. ä. unabhängig vom Markt sein sollte. Aber Diskurs im Sinne von Kritik sollte selbstverständlich nicht vom Markt abgekoppelt werden, sondern im Gegenteil diesem dazu verhelfen ein Markt zu sein, der eben nicht so kunstfern ist wie derzeit.

Koch  /  Das klingt jetzt so, als säße man bloß auf der anderen Seite und die Falschen sind an der Macht, das System wäre aber richtig. Dass Geld aber bestimmte Kunstprodukte erst erzeugt und die künstlerische Produktion sich danach ausrichtet, also auch die „Guten“, sollten sie in dem Maße gekauft werden, zwangsläufig ihre Produktion aufblähten und die Qualität leiden würde, übersiehst du. Da sehe ich das System eher wieder in der Vormoderne, als die Auftragsarbeit das Normale war. Eine weitere Ähnlichkeit sind auch die großen Künstlerwerkstätten, damals wie heute.  Meiner Meinung nach ist eine Stärkung der öffentlichen Seite, also der Museen, samt ihren Einkaufsetats von Nöten. Des weiteren würde ich mir bessere Verteilungsstrukturen, zum Beispiel durch eine Ausweitung von Stipendien für Künstler, aber auch für Kritiker wünschen. Hohe Profite müssten stärker besteuert werden und dem Kunstbetrieb direkt zu Gute kommen, also eine Art Reichenkunststeuer eingeführt werden. Das ist eben ähnlich wie in der sonstigen Finanz- und Wirtschaftswelt, der Kapitalismus muss stärker an die Leine genommen werden, den Sammlern muss Einfluss entzogen werden. Sonst schmeißen diese erst Unsummen ins Spiel, um das Geld danach wieder abzuziehen und die Strukturen brechen ein. Glücklicherweise ist die öffentlich-private-Abhängigkeit hier noch nicht ganz so stark ausgebaut worden, wie in den USA, wo jetzt ganze Museen zusammenbrechen, weil ihre Hauptsponsoren pleite sind.  Die Liste der Galerieschließungen wird in nächster Zeit bestimmt um einiges länger, spannend bleibt, ob auch ein Großer darunter sein wird, ein Lehman-Brother?

Stange  /  Es geht glaube ich weniger um richtige oder falsche Seiten, oder vorrangig um sowas wie das System. Genau der Fehler wird auch bei der Finanzkrise gemacht: Schuld an dieser ist schlicht maßlose Gier, das rücksichtslose Überbewerten des Materiellen. Ich schaue gerade Handball-WM im TV, da sieht man es ganz deutlich: sogar mitten auf dem Spielfeld sind jetzt Werbungen gedruckt, was früher noch absolut tabu war. Und solche Tabus werden durchbrochen weil „Menschen“ – ich setzte das ganz bewußt in Anführungsstrichen – Entscheidungen treffen. Das gleiche in der Kunst: Menschen, ob es nun Sammler sind oder Galeristen oder Messemacher oder Magazinmacher, wie die vom Artforum, die fast nur noch aus Werbung besteht, oder Kuratoren entscheiden mit, was zu behandelnde Kunst wäre. Da ist einzusetzen, mit „ästhetischer Erziehung“, und da sind auch wir Kritiker gefragt.

Koch  /  Was meinst du mit „ästhetischer Erziehung“? Im Sinne von „Kinder, schaut nicht zu viel Werbung und zuviel Geld ist schlecht “? Kürzlich meinte übrigens ein guter Freund, die Koons-Skulpturen seien dennoch super, ge­rade die perfekten Oberflächen würden den Skulpturen im Raumschiff Nationalgalerie etwas Surreal-Spaciges verleihen. Was ist also gegen die „Oberflächenwettkämpfe“ der jüngsten Zeit zu sagen?

Stange  /  Ja, selbstverständlich, auch wenn du es natürlich polemisch verkürzt. Unter „ästhetischer Erziehung“ verstehe ich, was Rainer Maria Rilke einmal in seinem legendären Ausruf so beschrieben hat: „Du musst dein Leben ändern!“. NUR darum geht es in der Kunst, nicht um formal-oberflächliche, ach so sinnlich-spannende Spielchen oder gar so intelligente konzeptuelle Gedankenexperimente. Beides aber hat in den letzten Jahren den Kunstmarkt bestimmt. Warum? Weil weder karrieregeile Künstler noch prestigebewußte Sammler ihr Leben hinterfragen wollen. Kunstwollen heißt da nur, das Leben bunter oder klüger zu machen. Doch, wie gesagt, das hat mit Kunst nichts zu tun. Mit den Worten von Jacques Rancière gesagt: „Wenn Kunst Kunst sein will, muss sie politisch sein“. Dies gilt gerade jetzt, wo die neoliberale Globalisierung und die mehr rasende als schleichende Klimakatastrophe uns zum Überdenken unserer (mentalen) Lebensgrundlagen zwingt.

Koch  /  Ich finde, da kürzt du zu stark und zwar die Kunst auf eine Aufgabe herunter. Es kann um mehr gehen, so wie es im Leben auch um mehr geht, als um die gesellschaftspolitisch relevanten Fragen, die, und da stimme ich dir zu, in den letzten Jahren zu kurz kamen und dies obwohl sie brisanter sind denn je – nur spüren wir das noch zu wenig. 

Dokumentation fast aller Galerien die in  Berlin seit 2000 schlossen (Angaben ohne Gewähr) 
 2002    Paula Böttcher
 2003    Angelika Wieland
 2003    Bodo Niemann
 2003    Chromosome
 2004    pepper projects
2004    Koch und Kesslau
2004    Markus Richter
2004    Galerie Juliane Wellerdiek
2004    Galerie Projekte Matthias Kampl
2004    Galerie Art & Henle
2005    Galerie Rafael Vostell
2006    breitengraser contemporary sculpture
2006    Vilma Gold
2007    Kapinos Galerie
2007    Galerie Asim Chughtai
2007    Galerie Frederik Foert (ehemals Kurt, Felix Leiter)
2007    Galerie Stefan Denninger
2008    Galerie Jan Winkelmann
2008    Galerie Jesco von Puttkamer     (ehemals griedervonputtkamer)
2008    Goff und Rosenthal
2008    Spesshardt und Klein
2008    J.J. Heckenhauer

Nur kommerzielle Galerien, Projekträume sind nicht erwähnt, ebenso Produzentengalerien, die in abgewandelter Form weiterexistieren oder Galerien, die nach längerer Pause wiedereröffnen. Geschlossene Filialen oder Wegzüge sind allerdings aufgeführt.
Dan Perjovschi „ohne Titel“, 2009 (© Dan Perjovschi)
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