Gespräch über die Lehre

2013:May // Christoph Bannat, Joachim Blank, Peter K. Koch, Andreas Koch

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05-2013














„Jeder hat heute doch Angst, von seinem Sozioplatöchen geschubst zu werden …“
/ langes Emailgespräch über die Lehre von Künstlern an Kunsthochschulen

Andreas  Koch  /       Ich fang dann mal an mit unserem Email-Roundtable zu unserem Lehre-Spezial. Als das Thema aufkam, schrie keiner gleich Hurra. Es ist ein echtes Stiefmütterchenthema, habe ich den Eindruck. Beim Blick in die bisherigen Ausgaben der „Texte zur Kunst“ taucht es nur ein Mal und da auch nur unter dem verwandten Begriff „Erziehung“ auf (eine übrigens nicht ausverkaufte Ausgabe), obwohl immer mindestens ein Drittel der Autoren irgendwo lehren. Ok, „Texte zur Kunst“ sind auch nicht der Maßstab, aber es ist zumindest ein Indiz für die Unattraktivität darüber zu schreiben. Hier herrscht meiner Meinung nach eine völlige Diskrepanz zu dem Selbstverständnis der Lehrinstitutionen und deren Professoren. Man hat es mit einer Parallelwelt zu tun, oder besser gesagt, mit vielen kleinen Nebenuniversen. Innerhalb jedes einzelnen dieser Schulgebilde findet unter den Lehrenden ein hierarchischer Wettstreit statt, der viel Energie kostet und außerhalb niemanden interessiert. Natürlich hängt viel (vor allem im deutschsprachigen Raum) am überlieferten Status des Professors, der nichts mit dem ­„Teacher“ in England oder Amerika zu tun hat. Deshalb mache ich eigentlich zwei Hauptgründe fest, warum sich erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Künstler in einen solch entkoppelten Betrieb begeben. Sicherheit und Eitelkeit. Je erfolgreicher, desto mehr verschiebt sich das Gewicht in Richtung Eitelkeit. Der Spaß an ein bisschen nebenher unterrichten wird durch die scheinbare institutionelle Bedeutung er­drückt. Das ist natürlich schlecht für die eigentliche Aufgabe, die Lehre. Christoph, du kamst auf das Thema. Wieso? Was interessiert dich daran?

Christoph  Banat  /       Zur Frage warum: Ich hatte mal wieder einen Lehrauftrag, diesmal für zwei Tage in Zürich. Zwei Tage, da muss man funktionieren, doch gerade die Abweichungen und Widerständigkeiten beim Lernen fand ich immer am interessantesten – typbedingt vielleicht. Intellektuell hat mich immer schon das schräge Verhältnis von Lernen und Lehren in Zusammenhang mit Kunst interessiert – hier wo es um nichts, also um alles geht. So wie das Verhältnis der (Selbst-)Konstruktion als Subjekt, also als Künstler, im Verhältnis zum Schwarm an Studierenden. Mit der Frage: Was denn wäre, wenn alle (gemeinsam) erfolgreich wären? Eine Frage des Bewusstseins – dies zu denken?
Dann, lieber Andreas, eine kleine Kritik. Ich würde nicht von Eitelkeit reden. Das Gefühl, wenn einen vierzehntägig ein Dutzend zwanzigjährige Studentenaugenpaare ansehen, ist mit Geld nicht abzuwägen. Gut, dass sie das nicht wissen, und dass ich von dieser augenblicklichen Macht als Student nichts wusste. Bei vielen Professoren (gerade in der Kunst?) ist es doch so, dass sie dies besondere Elixier, dies erhabene Gefühl, diese wohltuende, spezifische Erschöpfung aus eigener Sozialkraft gar nicht erzeugen könnten. Darin liegt auch ein Teil der Bezahlung, z.B. bei Festanstellung. Auf diesem Abhängigkeitsverhältnis beruht ein Teil der heimlichen Scham der Lehrenden, sich klein, bedürftig und unwissend zu fühlen, wurden sie doch ihrer Strahlkraft und Stärke wegen als Staatsvertreter eingestellt. Das funktioniert eben nur, wenn die Studenten als Gläubige in Sachen Wissen – und der Prof als Wissender auftritt. Und wenn schon nicht Wissende, so doch; wie man’s richtig macht. Denn schließlich sind Professoren und Professorinnen ja lebende Beispiele dafür.

Andreas  Koch  /       Ok, das ist natürlich ein weiterer Grund, das Soziale, und der wird immer obenan geführt. Als Künstler ist man ja sonst mehr oder weniger Autist. Das Bierchen am Abend mit Kollegen. Der Schulterklopfer bei der Gruppenausstellung, die Verhandlungen mit den Kuratoren und Galeristen, das ist weitestgehend der soziale Austausch, dann aber wieder Abmarsch ins Atelier, alleine weiterbasteln. In der Lehre steht man dann mit und vor den mindestens zwanzig Jahre Jüngeren, bekommt einen Einblick in die Generation nach einem, tauscht sich aus. Trotzdem ist man in der singulären Position ein Einzelner vor einer Gruppe, hat meist am längsten Redezeit, beendet den Kurs, gibt Aufgaben, monologisiert Wissen und Erlebtes. Da kommen auch wieder Macht und Eitelkeit hinzu.

Peter  K.  Koch /       Also ich sehe das erstmal vollkommen profan. Lehre füllt die Kasse, die ansonsten durch andere möglicherweise kunstfremde Arbeiten gefüllt werden müsste. So behält man den Kontakt und muss weniger Scheiß machen. Es ist doch so, dass die meisten Professoren an Kunsthochschulen ohne das Hochschul-Geld arm wären. Diejenigen, die schon genug Geld verdienen, die balgen sich um die wenigen Stellen mit Monster-Renommée. Düsseldorf oder Städel. Es ist also eine Dienstleistung, die aber weniger zersetzend ist, als es andere Dienstleistungen sind. Das Gefühl der Bauchpinselei ist für Egomanen unter den Profs wichtig. Das sind leider nicht wenige. Die Pragmatiker breiten sich aber glücklicherweise an den Hochschulen aus.

Joachim  Blank  /       … „Sicherheit und Eitelkeit“ als Hauptgründe dafür eine Lehrtätigkeit einzugehen? Das scheint mir zu ungenau …, aber ich finde, dass das zum Einstieg zwei brauchbare Begriffe sind, um über die Klischees von Lehrtätigkeiten an Kunstakademien zu sprechen – vor allem hinsichtlich bestimmter Formen von Lehrtätigkeiten. Lehraufträge, aber auch befristete Stellen sind eine trügerische Sicherheit, sie sind nichts anderes, was zur Zeit in einem größeren gesellschaftlichen Diskurs über „Zeitarbeit“ verhandelt wird. Die von dir, Andreas, zuerst gemeinte Sicherheit spricht ja vor allem die Sicherheit eines regelmäßigen Einkommens an. Und ich stimme dir zu: die soziale Sicherheit spielt eine wesentliche Rolle.  Alle Lehrende werden mehr oder weniger durch die Zusammenarbeit mit Studierenden, aber auch in der alltäglichen Auseinandersetzung mit ihrer Institution als Behörde zu sozialem Handeln gezwungen. Wer lehren möchte, möchte vor allem kommunizieren und selber etwas lernen … über die jüngere Generation, über politische und soziale Prozesse und natürlich über sich selbst. Mein Ansatz wäre also, den Begriff Sicherheit zu erweitern und ihn vor allem als „Einbettung“ in ein soziales System, auch wenn es ein „Nebenuniversum“ ist, zu verstehen. Und das vor dem Hintergrund, dass in den meisten Fällen die künstlerische Praxis, wie du schon meintest,  eine einsame Tätigkeit ist, die viel Verinnerlichung und „Sitzfleisch“ bedingt. Ich habe ältere, erfolgreiche nicht lehrende Künstler kennengelernt, die sich nach Ablenkung durch Lehrtätigkeit geradezu sehnen, um der Hermetik der eigenen Praxis zumindest auf Zeit entweichen zu können. Solche Leute beneiden die „lehrenden“ Künstler für den Zugang und Austausch mit jüngeren Künstlergenerationen. Sie übersehen gerne aber auch die Intensität und Anstrengungen, die eine Position an einer Kunsthochschule fordert. Denn mit der Haltung, ein „bisschen nebenher unterrichten“ zu wollen, bleibt als Option nur der schlecht bezahlte Lehrauftrag. Die Professur fordert mehr Zeit und vor allem mehr Energie! Denn oft wird vergessen, dass der Lehrauftrag auch einen großen Vorteil hat: Lehrbeauftrage müssen sich mit den vielen abstrusen „Binnenlogiken“ des „Nebenuniversums“ nicht auseinandersetzen. Sie kommen, lehren und gehen. Die Unverbindlichkeit hat ihren Preis: oft eine schlechte Bezahlung und keinen Einfluss auf die Institution.
Wir sollten deshalb sehr genau die verschiedenen Formen von Lehrtätigkeiten unterscheiden, da sie untereinander in vielerlei Hinsicht kaum vergleichbar sind: ob als unbefristeter Professor, befristeter Professor, Gastprofessor, Lehrbeauf­tragter. All diese unterschiedlichen Formen werden innerhalb der Institution sehr genau reflektiert: Denn sie verraten auch den Studierenden etwas über die Position einer Person an einer Institution. Die Gründe, warum Künstler lehren, sind sicherlich sehr vielfältig. Oft ist es so, dass der oft zufällige, allererste Lehrauftrag ein Schlüsselerlebnis für oder gegen das „Lehren“ als Künstler darstellt. In vielen Fällen müssen sich Künstler oft zu einem relativen frühen Zeitpunkt ihrer Karriere für oder gegen die Perspektive einer Lehrtätigkeit entscheiden, da auch die Kunsthochschulen darauf bedacht sind, neue Strömungen in ihre Institutionen zu integrieren. Damit meine ich, dass die Entscheidungen für oder wider das Lehren oft stark von außen gesteuert werden. Leider hat auch hier oft der Kunstmarkt Einfluss: denn da wo Markt- oder Aufmerksamkeitserfolg bei einem Künstler vorhanden ist, versucht die Institution sich dieses Erfolgsmodell zu sichern, als Vorbild für die Studierenden, aber auch um die eigene Institution aufzuwerten – leider oft mit der Folge: die Umworbenen fühlen sich geschmeichelt, hoffen auf eine institutionelle Anerkennung jenseits des Marktes und übernehmen eine Lehrtätigkeit – nicht aus Interesse – sondern tatsächlich aus Eitelkeit.

Christoph  Banat  /       Zitat Joachim: Wer lehren möchte, möchte vor allem kommunizieren und selber etwas lernen, über die jüngere Generation über politische und soziale Prozesse und natürlich über sich selbst … Warum ÜBER und nicht MIT? Die von Dir erwähnte erschöpfende Lehre kommt doch nur davon, dass man nicht zusammenarbeitet bzw. lernt. Was ja, also arbeiten und lernen, bei bildenden Künstlern oft zusammenfällt und mit handwerklicher Intelligenz umschrieben wird. Versuchen wir nicht auch gerade so etwas – eine gemeinsame, Schwarm-, Gruppen-, Gang-, Band- etc. Intelligenz herzustellen? Und wenn es das Glück will, ist das, was dabei heraus kommt, dann mehr als die Summe der gemeinsam produzierten Worte. Ist diese soziale Intelligenz nicht der dritte Weg, jenseits der ästhetischen Selbstveredelung im Schillerschen Sinne und der gesellschaftlichen Reproduktionstechniken be­züglich herrschender Subjektkonstruktionen?
Dann sprichst du noch, Joachim, über die Unterscheidung des Lehrkörpers in feste und prekäre Körperteile.
Die (prekären) Hierarchien in der Lehre beruhen auf Angst verbunden mit Tabus. Mich hat an Kunsthochschulen immer geärgert, dass es keine ausgesprochene Idee von Lehre gab, so dass man an einem Lehr(n)körper mit-, oder dagegen arbeiten kann. Unausgesprochen gibt es diese Ideen ja. Zum Beispiel das Tabu anzusprechen, was eigentlich an Kunsthochschulen gelehrt wird und gelernt werden soll.
Was bitte wird denn an Kunsthochschulen heute gelehrt? Lernt man, sich zu positionieren? Sich, oder etwas auszustellen? Oder die zehn Gebote der Aufmerksamkeitsökonomie zu gebrauchen? Und wodurch unterscheidet sich diese Lehre dann von DSDS – die lernen auch sich (oder etwas: das Liedgut) auszustellen, innerhalb der Kultur- und Aufmerksamkeitsökonomie.

Andreas  Koch  /       Mir klingt das jetzt ein bisschen zu Beuys-mäßig. Sozialer Körper, gemeinsam statt einsam etc. Oder das ist das, was man als Idee von Beuys noch hat. In Wirklichkeit war das bestimmt Horror, riesige Gruppenauditionen, ein zentraler Guru, der schwer zu dechiffrierende Blasen von sich gibt. Es gibt doch immer diese Kluft zwischen dem Lehrenden und den Schülern, diese Hierarchie, die sich nie ganz auflösen lässt und die auch notwendig ist, um etwas zu vermitteln. Die Schüler müssen dir das auch glauben, was du erzählst. Interessant ist, was Joachim über die Hierarchien innerhalb der Lehrenden sagt. Ich selbst kam nie über den Status des Lehrbeauftragten hinaus und will das auch nicht, Geld und Einfluss sind mir da egal. Nur so kann ich locker „nebenbei“ unterrichten und mich aus allem internen Politischen heraushalten und unstrategisch frei handeln. Ich glaube, die interne Hierarchie sagt auch nichts über den eigentlichen Unterricht. Vor den Studenten sind alle Lehrenden gleich und stehen da alleine, egal ob Prof oder Lehrbeauftragter. Aber jetzt zur Work-Life-Balance, wie klappt das bei dir, Joachim, Unterricht, Arbeit, Verhältnis Schüler-Lehrer?

Joachim  Blank  /       Du hast noch die Familie, Kinder und Hobbys vergessen. Danke dir, Andreas, für die große Frage!
Um erstmal kurz zu antworten: Meine Work-Life-Balance, schwierig, schwierig, aber insgesamt mit Perspektive.
Weil ich zumindest in Teilen meines Lebens mit fortschreitendem Alter routinierter werde und manche Dinge sich mit den Jahren ja auch wieder so verändern, dass es weniger wird. Eine Perspektive, mich nicht nur halbtags der eigenen künstlerischen Arbeit zu widmen, wäre ideal – dauert aber noch …  Die Tätigkeit in Leipzig mache ich immer noch gerne, vielleicht auch, weil ich hier und da was für mich verändere und mal etwas Neues versuche: neue Formen von Projekten, Verschiebung von Schwerpunkten, Auslandskooperationen oder eben Themen, die mich in meiner künstlerischen Arbeit seit Jahren beschäftigen, stärker in den Mittelpunkt stelle etc. Allerdings ist die Verbindung zwischen eigener künstlerischer Arbeit und Lehre weniger stark koppelbar als es, glaube ich, in der Wissenschaft mit der Verbindung von persönlichen Forschungsschwerpunkten und Lehrtätigkeit üblich ist. In der Kunst ist es auch unter Lehrenden sehr umstritten, wie denn dann genau die künstlerische Praxis der Lehrenden mit ihrer Lehrtätigkeit an der Kunstakademie verbunden werden soll. So ist es unter Studierenden verpönt, wenn Professoren Studierende im Rahmen der Lehre quasi als kostenlose Assis­tenten für ihre eigene Arbeit „benutzen“.
Insofern würde ich behaupten, dass an den europäischen Kunsthochschulen die Teilung zwischen Lehre und eigener künstlerischer Praxis (bis auf wenige, spezielle Ausnahmen) ziemlich klar getrennt bleibt. Was ich als Privileg empfinde ist, dass mir die Professur alle Freiheiten in meiner künstlerischen Arbeit lässt. Ich bin von keinem Markt abhängig, mache im Prinzip, was ich will, muss mich nicht verbiegen. Dafür kostet die Professur Zeit, mindestens soviel Zeit, wie man eben auch Geld dafür bekommt – und das ist das eigentliche Problem und der Nachteil gegenüber allen, die sich für den ausschließlichen Weg, für das „Kunst machen“, entschieden haben. Die Tage im Atelier vergehen wie im Flug und es dauert immer länger – es sei denn man baut sich managermäßig eine Monsterstruktur mit Assistenten, Geldaquise- und Sozializing-Routinen auf, um auf einem höheren Level zu spielen. Die Professur kann imagemäßig durchaus auch hinderlich sein, weil man eher als „Gebender“ und nicht mehr als „Bettelnder“ wahrgenommen wird. Auch lassen sich schnell viele Beispiele von Künstlern finden, um die es nach dem Antritt einer Professur ruhiger wurde.
Ich würde gerne nochmal zu Christophs Statement nach dem Verhältnis von Zusammenarbeit, Gruppen- und Individualprozessen an Kunsthochschulen zurückzukommen: die Gewichtung der Anteile geben die Lehrenden auf Basis ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung vor. Das finde ich auch richtig so. Es gibt sicher nicht den ein oder anderen Königsweg, sondern jeder findet seinen eigenen Weg und die Vielfalt macht’s! So habe ich selbst seit Ende der 80er Jahre zum Teil ausschließlich über viele Jahre im Bereich „Neue Medien/Internet“ in Künstlergruppen gearbeitet – genau aus den Gründen, die du, Christoph, erwähnt hat. Mit der Zeit hat sich jedoch meine eigene Arbeit davon wieder weg bewegt – sie basiert eher auf einer klassischen Atelierpraxis. In meiner Lehrtätigkeit propagiere ich immer beide Möglichkeiten – ich finde sie schließen sich auch nicht aus. Bei den interessantesten Projekten die ich als Lehrender in der Vergangenheit begleiten durfte, habe ich oft festgestellt, dass die individuell interessantesten und auch erfolgreichsten Studierenden oft auch diejenigen waren, die bei Gruppenprozessen Verantwortung übernommen haben und gemeinsame Projekte durchgezogen haben, ohne sich unangenehm in den Vordergrund zu spielen. Von daher ist mir eine „ehrliche  Subjektkonstruktion“ lieber, als diese ganzen verschwimmenden und unverbindlichen Formen, die immer an der Schwelle des Scheiterns stehen, weil niemand wirklich etwas investieren, sondern nur maximal proftieren will. Um es abzukürzen: Gemeinsame Ausstellungen, auch Gruppenarbeiten halte ich für sinnvoll. Mein Job dabei ist es, das Feld so gut wie möglich vorzubereiten.
Deine persönliche Haltung zum Lehren, Andreas, ist, glaube ich, sehr realistisch und stimmig, aber eben nur solange, wie du deine Existenz eben nicht davon abhängig machen musst. Dann ist der Lehrauftrag sicher genau das Richtige. Aus den von Andreas genannten Gründen, ist die Möglichkeit Lehraufträge zu vergeben, sehr wichtig für die Kunsthochschulen. Denn sie bringen den frischen Außenblick sozusagen unplugged rein in die Akademie. Obwohl ich es hier und da auch praktiziert habe, waren für mich persönlich Tätigkeiten in sogenannten angewandten Kreativbereichen als Alternative zur Lehre nicht wirklich attraktiv, da mir, wie es Peter treffend formuliert hat, der „Verschleiß“ zu groß gewesen war. Ich hatte immer das Gefühl, dass mich solche Jobs schnell aus dem Tritt bringen, weil sie einen ja dann auch gleich in hohem Maß beanspruchen. Auch blieb immer das fade Gefühl, im falschen Feld unterwegs zu sein …
Überhaupt gefällt mir auch Peters nüchterner Blick auf die Dinge, obwohl viele Kunststudenten das sicher nicht gerne so hören möchten, wie er es sagt. Denn es spiegelt doch eher unser „Egobefinden“ und die Angst vorm Absturz ins Prekariat von uns „alternden Künstlern“ wider, als dass es den frischen Hunger des jungen Nachwuchses nach „großem Kino“ befriedet. Andererseits sollten wir auch ehrlich bleiben und uns nicht auf denselben Stand mit Studierenden beamen, die an ihrem Karrierestart basteln. Deshalb glaube auch ich, Christoph, dass eine gewisse Distanz zwischen den beiden Gruppen gesund ist. Das heißt nicht, ob nun in Wissens- oder handwerklichen Fragen, dass Lehrende immer als Universalgenies auftreten müssen. Natürlich sollten auch sie das Interesse am Lernen demonstrieren –  auch durch Studierende – das halte ich sogar für selbstverständlich. Mein Motto würde ich in diesem Sinne präzisieren: Miteinander über etwas lernen. Das „über“ – also warum es in der Lehre gehen könnte, geben die Lehrenden vor:  Haltungen, Medien, Materialien, Themen etc. und vielleicht noch ein paar Tipps zur „selfpromotion“. Alles weitere ist Verhandlungssache.

Christoph  Banat  /       Lieber Andreas, Beuys als Schreckgespenst abschießen zu wollen – da hat Kippenberger sicherlich die höchste Trefferquote, nachzuprüfen im Hamburger Bahnhof – heute leider nur noch subtil-ironisch. Dekonstruiert man Beuys, dann sollte man sich danach die Einzelteile ansehen – lohnt sich. Ich sehe das etwas nüchterner: Da wo Menschen zusammenkommen, gibt es immer Chancen, da wo sie miteinander sprechen, konstruieren sie Wirklichkeit, mit einen hohen Durchschnittswert von Wahrheit. Es gibt Menschen, die schaffen es, diesen Wert allein darzustellen; sie sind äußerst diszipliniert und begabt und stellen ihre Körper zur Verfügung, wenn die Macht sich mal wieder einen sucht. Die aber gehen sowieso ihren Weg. Was wir jetzt auch tun, ist doch, dass wir an einem Textkörper schreiben, also auch Wirklichkeit konstruieren. Dass Kunst und Forschung dem Wissenschaftsministerium unterstellt sind und nicht der Bildung, besagt doch, dass wir nach neuen Formen forschen können, der Freiheit der Forschung verpflichtet.
Lieber Joachim: Ich kenne die von dir beschriebenen Gruppenprozesse auch. Interessant finde ich dabei auch das Heraustreten aus der Gruppe, um zu sehen, wer man selbst ist und ob diese Gruppe mehr ist als nur die Summe ihrer Einzelteile – also das Bandprinzip. Nachher ist es dann ja oft so, dass sich die Bandmitglieder ein Leben lang beobachten und dadurch einen Wertmaßstab für’s Weiterkommen schaffen. Sie generieren also Werte. Mich reizt es, über diese Werte zu sprechen – leider bin ich weder begabt noch besonders diszipliniert – so brauch ich andere Geister, zum Ausgleich.

Peter  K.  Koch /       Nun, je länger ich jetzt darüber nachgedacht habe, was ich nicht über das Thema sagen will, um so weniger weiß ich, was ich überhaupt noch dazu sagen kann. Irgendwie finde ich es aus der Sicht des Lehrenden oder meinetwegen auch aus der Sicht des Erfahreneren, des Älteren wahnsinnig langweilig und selbstreferenziell. Die einzigen Meinungen, die mich in diesem Zusammenhang wirklich interessieren würden, das wären die Meinungen der Studierenden, die Künstler werden wollen. Warum wollen die das und was erwarten die von dem System Kunsthochschule. Dass diejenigen, die dort als Lehrende bzw. als Verwaltende des Systems am Ende doch mehr oder weniger auch dazu da sind, diese Vorstellungen und Wünsche zu kanalisieren und die dafür nötige Struktur bilden, mal so und mal so, und leider während dieses Prozesses auch manche Illusion abtöten werden, das ist ja wohl jedem von uns klar. Ich finde diese Sicht auf die Dinge aber ziemlich eindimensional und das Gespräch macht eigentlich nur Sinn, wenn hier auch diejenigen zu Wort kommen, die neu an die Hochschulen kommen und aus der anderen Sicht mit diesem System konfrontiert werden. Die Generation, die die zähen Strukturen, die hinter der aufregenden Fassade einer Kunsthochschule die tägliche Praxis ausmachen (Grabenkämpfe und Profilneurosen, Quertreibende und Abwesende, Sitzungen und Verwaltung) gar nicht wahrnehmen und sich dafür zum Glück auch nicht interessieren.

Andreas  Koch  /       Weiß ich nicht. Es gehören immer beide Seiten dazu, Lehrende und Studenten, und beide Positionen können extrem langweilig sein. Vielleicht wird die Akademie einfach überschätzt, und dann sitzen sich dort beide Seiten gegenüber und haben sich nicht mal was zu sagen. Jeder von uns hier hat doch auch mal Kunst studiert und so lange ist das gefühlt auch noch gar nicht her. Für mich war das eigentlich kein Studium, ich hatte einfach extrem viel Zeit und Freiraum. Meine beiden Professoren, ok, die haben mal was gesagt, aber das war nicht bedeutender als ein Artikel im Kunstforum, meist waren andere Sachen außerhalb interessanter. Wie war denn dein Studium, Peter?

Peter  K.  Koch /       Ich habe ja Design studiert, vollkommen anders und sehr verschult. War aber insgesamt in Ordnung. Ich denke, die Hauptaufgabe der Akademie, und ich bin ja nun auch schon acht Jahre in so einem Laden tätig, liegt darin, dass es sie überhaupt gibt. Das was du als Freiraum beschreibst, das ist für mich der Kern des Kunststudiums. Und die Professoren sind, mit Unterstützung der Verwaltung, diejenigen, die diesen Freiraum etwas strukturieren, damit dort was passieren kann. Diejenigen, die das am besten machen, die haben dann automatisch die produktivsten Klassen. Da sammeln sich dann die coolen Leute und studieren eben Kunst. Jeder wie er will. Die Strahlkraft des Professoren-Werks spielt dabei so gut wie keine Rolle. Pädagogik hingegen schon
.
Andreas  Koch  /       Und Leute, die keine Kunst studiert haben, das aber trotzdem praktizieren, haben es meist schwer in der Außenwahrnehmung, die gelten dann als Autodididakten oder Studienabrecher, das wird dann immer im dritten oder vierten Nebensatz erwähnt, dabei haben sie prinzipiell nichts verpasst. Ich zum Beispiel bin ja auch Grafikdesigner, habe das aber nie studiert und das war nie ein Problem, obwohl das ja der um einiges „handwerklichere“ Beruf ist, wo man wirklich was Praktisches lernen kann im Studium. Ist doch paradox, oder? Wie wichtig ist also auch beim Studenten dieser Status, Kunststudent zu sein, oder ist das das eigentlich Wichtige?

Joachim  Blank  /       Ja, schon wichtig und bei manchen Leuten sicher auch mehr! Heutzutage Kunststudent zu sein, ist für junge Künstler wahrscheinlich wichtiger als früher, da ihnen das Heraustreten aus der Masse erleichtert wird.  „Riskante“ Positionen aus der Kunsthochschule haben und hatten es immer schon leichter als Autodidakten: Der Status des Kunststudenten ist oft erstmal eine wichtige Legitimation für das eigene Tun. Die Grundfrage, was Kunst ist und was nicht stellt sich beim Kunststudenten nicht: „Ich studiere Kunst, also ist das was ich mache Kunst.“ Autodidakten müssen ­diese Hürde erstmal nehmen, bevor über Qualität gesprochen werden kann. Seit Mitte der Nuller-Jahre beobachte ich allerdings auch „neo-konservative“ Tendenzen, die in gewisser Weise ausschließlich auf das gegenseitige Aufwertungsprinzip des „Meister-Schüler“-Verhältnisses als Legitimationsstrategie ihrer Kunst setzen. Da wird das Eis dann doch sehr dünn … und die Gefahr ist, dass die Kunsthochschule von den unterschiedlichen Akteuren dabei nur noch als Trittbrett zum schnellen Markteinstieg missbraucht wird.

Christoph  Banat
  /       Lieber Joachim: Drei Dinge finde ich bemerkenswert: 1. Der Behauptungs-Kick, dass alles Kunst ist, wird an der Kunsthochschule zur Schlaftablette, oder Aspirin. Einziger Vorteil: man kann den Eltern erzählen, dass man was studiert – im Mutterschoß von Vaterstaat. Den Habitus, wie man Kunst darstellt, studiert man dort ja auch 2. Du schreibst, manche benutzen die Schule nur als Trittbrett für den schnellen Markteinstieg. Welche Wertschöpfungsketten gibt es denn noch als die des Marktes  und die der Schulen? Das ist doch heute die Lage, dass man sich nichts anderes auch nur denken kann und wenn findet dieses keine Entsprechung in der Welt. Das ist doch das Interessante an Kunsthochschulen, dass sie sich selbst dekonstruieren müssten. 3. Wenn du die Tendenz siehst, dass es immer konservativer zugeht. Ist doch die Frage woher das kommt? Und welchen Anteil die Kunsthochschulen in dieser verzwickten Lage haben? Wobei diese nicht einmal zum Verzweifeln ist, geht es uns doch allen relativ gut dabei – abgesehen von den inneren Zuständen und den Depressionen als einzigem Widerstand gegen den Kapitalismus. Erschwerend kommt hinzu, dass Kunst als bildgebendes Medium heute keine Bedeutung mehr spielt. Und Ironie und Sarkasmus keinen Dealer mehr haben. Jeder hat heute doch Angst von seinem Sozioplatöchen geschubst zu werden … ist doch alles hoffnungslos.

Joachim  Blank  /       Lieber Christoph: Wir sollten nicht zu defätistisch sein. Die Strömungen und Tendenzen ändern sich ja immer wieder … oder etwas genauer in Bezug auf die Gegenwart: Auffällig ist, dass viele, unterschiedliche Tendenzen parallel nebeneinander her existieren.  Glaub mir – wenn es so ist wie du sagst, dass „Ironie und Sarkasmus keinen Dealer“ mehr haben, entsteht eine Marktlücke und es wird sich sehr schnell ein Dealer an der nächstbesten Ecke finden. Die Erwartungen und Bedürfnisse der Studenten an die Kunsthochschule sind sehr unterschiedlich und ich glaube, dass die Kunsthochschulen in Deutschland in ihrer Vielfalt viel ermöglichen – natürlich auch die Dekonstruktion!  Allerdings – und da stimme ich dir zu – die Doktrin des ökonomischen Denkens, im Bildungsbereich die Auswirkungen des „Bologna-Prozesses“, wirken wie ein schleichendes Gift, das auch die Kunsthochschulen in ihrer Substanz seit vielen Jahren beschäftigt und schon tief eingesickert ist. Lähmungserscheinungen als Nebenwirkung sind meist Resultat gesamtgesellschaftlicher Prozesse, die auch in die Kunstakademie hineingetragen und dort (hoffentlich) auch verhandelt werden.

Christoph  Banat  /        Lieber Joachim, vielen Dank für die tröstenden Worte, die nehme ich gerne an. Bei unserer beider Ansätze meine ich, den Riss zwischen Kultur und Natur zu sehen. So verlässt du dich auf das, wie ich glaube nur vermeintliche Naturgesetz von Angebot und Nachfrage. Welches sich auf natürliche Macht des Marktes als den Platz des Wertehandels verlässt, die schon einen Körper findet, in dem sie sich wirklicher – also bild- und wörtlich – manifestiert. Aber wir wissen selbst, dass es keine freie Marktwirtschaft als natürliches Gesetz des Spiels freier Kräfte von Angebot und Nachfrage gibt. Betrachtet man nur einmal Schutzzölle und staatliche Subventionen. Im übertragenen Sinne sind das die sprach- und bildhaften Tabus. Gleichzeitig wird der Ruf eines staatlich regulierten Kapitalmarktes (also dem Markt an dem Werte gehandelt werden) in letzter Zeit zunehmend lauter. Ich versuche, es kurz zu machen. Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, sagt Adorno – und damit ist auch Bologna gemeint. Jedes Gesellschaftsteil, das betrifft auch die Kunstproduktion, wird nutzbar gemacht. Und so wie der Mensch berechenbar wird, so lässt er sich verwalten. Der linear entschlüsselte menschliche Gencode wird zum Buch des Lebens, in dem wir nur zu lesen brauchen.
Wir leben in einer individualisierten Massengesellschaft, was ein Paradox darstellt. Allerdings keines, in das man sich gern verliebt. Und das hört nicht bei 3D-Scanner für jedermann auf. Die Spitze der Utopie ist stumpf geworden. Und bekanntlich gibt es mehr Platz auf einer breiten Spitze.

Joachim  Blank  /       „Bologna“ versucht mit dem Argument der „Qualitätsverbesserung“ durch Überregulierung alles glatt zu bügeln und gleich zu machen, anstatt die Unterschiedlichkeit und Vielfalt zu fördern und die Bürokratie abzubauen. Mit dem marktwirtschaftlichen Totschlagargument der Effizienz wird den Hochschulen mehr Autonomie versprochen. Klingt ja auch erstmal gut, weil spezifische Entscheidungen vor Ort getroffen werden können.  Leider heißt Autonomie (übrigens ein Begriff, der genauso wie das Wort „Reform“ missbraucht wurde), dass sich der Staat mit seinen „Mittelzuweisungen“ zunehmend zurückzieht. Warum? Die Hochschulen sollen auch selber wirtschaften, also mehr „Drittmittel“ generieren, Geld einnehmen.  In ingenieurswissenschaftlichen Bereichen ist das vielleicht üblich, aber im Bereich der bildenden Kunst? Wie soll das in nennenswertem Umfang gehen? Vielleicht Sammler Patenschaften übernehmen lassen oder Vorkaufsrechte von Werken junger, besonders begabter Erstsemestler anbieten? Der Staat, seine Institutionen und Verwaltungen haben die Aufgabe, die Hochschulen zu schützen, zu hegen und pflegen, sie zu erhalten und auszubauen: Mehr Lehrpersonal, mehr Raum und vor allem mehr Vertrauen …!

Christoph  Banat  /       Das klingt leidenschaftlich. Und Recht hast du auch noch. Und man sieht, dass ich mir einen, manchmal vielleicht zu abstrakten, Idealismus erlaube, sicherlich weil ich den Lehrbetrieb von außen sehe. Die Frage ist doch, was dich stört. Bist du im Kulturbetrieb, dann bist du auch im Verwaltungsbetrieb. Dich stört doch vermutlich, dass du das Gefühl hast, dass dir, neben der Familie, Energie und Lebenszeit geraubt wird. Verwaltung wird so von der Lebenszeit abgespalten, dass Kontinuum der Energie gespalten durch die Aufteilung des Sinnlichen. Im Idealismus, sich die Lebenszeit als etwas Ganzes vorzustellen, liegt also eine gewisse Sprengkraft.
Und dann sehe ich noch einen Paradigmenwechsel: Noch bis in die 90er verkörperte der Staat das zu bekämpfende „Schweinesystem“, heute wird diese abstrakte Größe angefleht, uns vor unseren neoliberalen Mitbürgern zu schützen. So rufen wir nach dem Staat, nicht zu verwechseln mit der Regierung. Und tun dies hoffentlich im Glauben an uns Bürger selbst – vielleicht auch nur an uns Mittelklasse-Bürger. Das Schweinesystem als Gegner ist heute nur noch ein Mythos. Leider gibt es für die bürgerliche, eher heimliche Bewegung (siehe „Haben und Brauchen“, Anti-Mediaspree etc.) noch keine ästhetische Entsprechungen. Jedenfalls sehe ich keine. Oder liegt diese einzig zwischen H&M, Cos, Ikea, Luis und Greta, Twingo oder Kangoo? Können Künstler sich nicht mit Kunsthistorikern zusammentun, um einen geschichtlichen Gegenentwurf zu propagieren?

Andreas  Koch  /       So weit erst mal, ich glaube wir sind jetzt recht weit vom Thema abgekommen und landen bei René Pollesch in der Volksbühne. Aber vielleicht können wir ja die Kunstschule als kleine Modelllandschaft der Gesellschaft begreifen und sehen, dass da genauso die Agonie bekämpft werden muss, wie außerhalb auch. Oder dass man in der Kunstschule anfangen muss, als Lehrer wie als Student.

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