wo ich war

2013:May // Esther Ernst

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05-2013
















ABRAMOVIC MARINA                    20. Jan. 2012
The Artist is Present
Rollbergkino Berlin

+ Der Film von Matthew Akers nimmt sich viel zu wenig Zeit und zeigt viel zu oft Abramovics Titten. Das war mitunter ein Grund, warum ich stets eher distanziert zuguckte. Ihre Performance im Museum of Modern Art in NY, in der sie drei Monate lang Besuchern schweigend gegenübersitzt und diese allein durch ihre Anwesen-heit spiegelt (eigentlich wie sprachlose Psychoana-lyse), ist hinreissend, der Titel fantastisch, die Dokumentation voller Emotionen. Perfekt. Aber dann passiert die Defokussierung: nämlich gleichzeitig Abramovics Kunst erklären, die Rezeption davon im amerikanischen TV mitschneiden, ihre bisherigen Performances ausschnitthaft zeigen, die Liebesbe-ziehung zu Ulay und ihr Ende erzählen und dann noch eine Begegnung mit Ulay nach x Jahren inszenieren. Aber auch Einblicke in ihre Arbeitsweise mit den Performern, die ihre alten Performances reacten, sowie ein Interview mit Klaus Biesenbach fehlen nicht... Alles total spannend natürlich, nur so gehetzt ineinander verschnitten, ist’s nicht schön.


KILL YOUR DARLINGS!                 28. Feb. 2013
René Pollesch
Volksbühne Berlin

+ Fabian Hinrichs Performances seien angeblich ein Hit. Im Münchner Tatort fand ich ihn grandios (das liegt natürlich auch an Leitmayer und Batic). In Pollesch’s fantastischem Abend tritt Hinrichs als die Linke auf, während eine Gruppe von Kunstturnern das Netzwerk bilden. Ein virtuoser Monolog von knapp zwei Stunden über Kapitalismus, Facebook und die soziale Verwahrlosung, Glücksversprechen, Abmühungen und der sich ewig aufdrängenden Frage, was man eigentlich wie will. 10 Tage Sylt zu zweit ist öde, ein sozial be-knacktes Kollektiv geht aber auch nicht. Dave Gahan bringt sich nach seinem Konzert nachweislich deshalb um, weil keiner die Liebe von zweihunderfünzigtausend unbekannten Menschen aushält. Brecht’s Fatzer wird verwurschtet (kenn ich zu wenig), während mich Pollesch’s Texte wegen den dauernden Wiederholungen und Phrasierungen plötzlich an Barockmusik erinnern. Die schönsten Szenen werden uns nicht gezeigt, denn wir würden sie nicht ertragen...


MAPS & ORIENTATION part 2             2. März 2013
Münzsalon, Berlin

+ öh, was ist das hier, was war nochmal das Thema? Und puh, hier stinkt’s wie eh und jeh. Und oh, das ist aber eine tolle Tepppichinstallation von Dafni Barbageorgopoulou, handgewebt oder draufgeklebt? Geometrisches Raketenmuster, sehr hübsch, erinnert mich an Buntstiftzeichnungen. Und das Vermessungs-stativ von Michael Kunze ist widerlich-schön mit seinen herausquellenden Pelzen aus dem Cellophan und den Loten. Also nochmal, worum geht es hier? Was für Karten und wer hat’s kuratiert (iss nicht kuratiert sagt eine Frau aus dem Nebenzimmer...)? Zu Hause geh ich auf heldart.de und finde folgende Information: Am 19. 12. 1974 wurde der erste deutsch-französische Nachrichtensatellit in den Orbit geschossen. Versteh ich trotzdem nicht ganz, die Auswahl und der Bezug zu den Kunstwerken... Aber dann finde ich vergangene spannende Ausstellungsprojekte und erinnere mich, dass ich immer mal in Matthias Helds Wohungsgalerie im Erkelenzdamm gucken gehen wollte...


BOGHIGUIAN ANNA                    4. März 2013
Unstructured Diary for an Autobiographiy
daad Galerie, Berlin

+ beim Vorbeifahren dachte ich, oh, interessant, sieht nach Eva von Platen oder Nanne Meyer aus. Ei­nige Stunden später steh ich in der Galerie und denke an Charlotte Salomon und dann, pling (!) wird’s mir end­lich klar. Das ist die, die auf der Documenta mit Salomon im Raum ausgestellt hat. Ihre Reisetagebuch-blätter hat sie diesmal grüppchenweise, ungerahmt und nüchtern an der Wand angebracht. In der Raummitte liegt auf zwei Tischen eine Serie von Gouachen aus den 80-igern (die Nofi-Serie). Kindlich sehen sie aus, ihre wunderbaren Schmierzeichnungen. Manche aus fernen Welten (zB. Amarna, Fundstätte der Nofretete- Büste), viele aus Berlin. Sie stehen für mich in einem lustig irritierenden Widerspruch zu ihrem Politikwissenschafts- und Wirtschaftsstudium. Warum eigentlich? Bloss, weil den Zeichnungen eine naive Notizenhaftigkeit innewohnt? Oder ist es das zuge-spitzte, runtergebrochene und aufeinander bezogene Verhältnis von Text und Bild?


DRECHSEL KERSTIN                    9. März 2013
I love Feminism
September, Berlin

+ sieht aus wie gezeichnet, was Kerstin Drechsel malt. Und nach einer Leichtigkeit, die mich ans Schaulaufen erinnert. Ihr Aquarellzeichnungsarchiv ist clever aufbereitet. Bilder unterschiedlichster Herkunft vereinnahmt sie durch ihren Malstil und homogenisiert so zwar die Wahrnehmung der Serie, nicht aber die Inhalte. Abscheuliches wie Hübsches, Alltag, überbordende Büros, Stickers und Posters, gezeichnete Texte mit Schnellhefter, Titten, Torten, Tortellini. Eine sonderbare Ansammlung, die mich sofort hineinzieht und mich zum Verknüpfen der je-weils einzelnen Bildinhalte anregt. Luftig instal-liert hängen die Zeichnungen in Wandecken, da wo man sonst immer denkt, man könne unmöglich was hinhängen. Manche Zeichnungen rumoren weiter und tauchen als grossformatige Malerei wieder auf (oder umgekehrt?). Und ihr Katalog ist auch ein Brüller, ich hab das Gefühl, die kann einfach alles zeichnen und zwar im Nu. - Eigentlich wollte ich mir ja bloss die neuen September-Räume angucken und dann sowas. Herrlich.


SMITH JOHN                        9. März 2013
Object Lessons – Video Works by John Smith
Galerie Tanya Leighton

+ seine Filme sind bebilderte Selbstgespräche. Die Kamera fokussiert zitternd fünf abgenutzte Zahn-bürsten in einer traurigen Halterung vor versifften Kacheln mit Resten von Klebebildern. Was Smith mit der Kamera einfängt, löst in ihm zeitgleich einen Ge-dankenschwall aus, den er dann – verknüpft mit daraus folgenden Assoziationen – in ruhigem Ton veräusser-licht. Das ist ganz schön mutig, sich so zu zeigen und irgendwie kriegt er es auch auf die Reihe, in dieser direkten Intimität bei sich zu bleiben und sich dennoch mitzuteilen. Die abtastende Kamera und die fortlaufenden Gedanken steuern einander, da wird nachdenken und sich leiten lassen so dermassen sicht-bar (ich fresse einen Besen, wenn das alles ein Fake ist....), dass ich darüber ausflippen könnte vor Freude.  Und dann ist da stets seine leichte Schwer-fälligkeit spürbar, meist wegen technischen Umstän-den, die er dann ebenso mitkommentiert. Seltsam und rührend und irgendwie auch bissel nervig.


FALDBAKKEN MATIAS                    21. März 2013
Envy
Galerie Neu, Berlin

+ das halt ich nicht aus. Eröffnungen sind per se schon nix für mich, aber so ne Coolitschveranstaltung (warum tragen Männer plötzlich so riesige Leder-reisetaschen) treibt mir die Unzugehörigkeitsstarre ins Gesicht. Ich könnte mich genau so gut in einem Magazin-Setting von Jürgen Teller befinden...
Und die Kunst? Gerahmte Postsäcke hängen an der Wand. Das Glas lässig mit Farbe bekrakelt und teilweise wieder entfernt, Schmierreste verraten das. Auf dem Boden liegt eine Videokassette, das herausgezogene Band schlängelt sich an einer Wand empor. Aha, aha. Versteh ich nicht, macht wahrscheinlich nix, denn Faldbakken deutet sein Kunstwerk selbst wie schrei-ben nach dem Schlaganfall. Da hat man es doch meist mit Lähmung zu tun, nicht? Ach wurscht, ich mag keine verschlüsselten Diskurse führen, auf dessen Geiloma-tenbegriffe und Hastdunichtgesehenzitate sich alle immer einigen können. Und finde das auch total unein-ladend und arrogant.


ANONYME ZEICHNER                     23. März 2013
Projekt von Anke Becker
Kunstverein Tiergarten, Galerie Nord

+ boah, das war eine mega-bumsvolle Vernissage. Und der meistwiederholte Satz lautete: hast Du Dich schon gefunden? Und gleich nach der Eröffnungsrede hat sich  jemand eine Zeichnung von Nanne Meyer aus dem Konvolut rausgekauft. Und Anke Becker hat zu recht soviel Erfolg mit ihrem Projekt. Ich finde, dass es von A bis Z aufgeht (und staune freudig über die riesige Resonanz). Und überhaupt ist Anke Becker die Hängekönigin schlechthin. Und es macht echt viel Spass (vielleicht nicht am Eröffnungsabend), sich die Zeichnungsvielfalt genau so ausgestellt anzuschauen.


SYSTEM UND SINNLICHKEIT            2. April 2013
Die Sammlung Schering Stiftung
Kupferstichkabinett, Berlin

+ ich wusste gar nicht, dass die Schering Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Kupferstichkabinett seit fünf Jahren zeitgenössische Zeichnung sammelt. Und was heisst das eigentlich? Schering kauft, Kabinett archiviert? Die Ausstellung System und Sinnlichkeit vereint nicht-figurative, Diagramm orientierte, kon-zeptionelle und formal experimentelle Zeichnungen. Für mein Geschmack (vielleicht liegt’s an der Prä-sentation, an dem gedämpften Licht, an dem öden Wand-grau oder den Stellwändchen?) ist es eine gar nüch-terne Angelegenheit.
Und: ich verstehe Jorinde Voigts Diagramme nicht und frage mich jedes Mal, bin das ich? Oder kann man da nix herauslesen und soll auch nicht, weil die Diag-rammtechnik einfach nur Mittel zum Zweck ist...? Finde Karin Sanders Büroklammerzeichnung zwar lustig, aber auch nur für einen kurzen Moment, mochte Jenny Michels Paradies zum Zumüllen sehr und wundere mich über Carsten Nicolai, der in sein Papier seinen Namen prägt und trotzdem Unterschreibt. Öh?


WONDERFUL – HUMBOLDT, KROKODIL & POLKE   4. Apr. 2013
Wunderkammer Olbricht
Me Collectors Room, Stiftung Olbricht, Berlin   

+ da gibt’s einerseits die ständige Wunderkammer, fester Bestandteil der Olbricht Sammlung und jetzt um Neuzugängen wie den geschnitzten Humboldt-Pokal er-weitert, eine Kokosnuss mit kannibalischen Darstel-lungen. Dazu kommen die zwei grossen Hallen, in denen Olbricht zeitgenössische Kunst, die sich in einem weiten Sinne mit der Wunderkammer in Beziehung setzen lässt, präsentiert. Oftmals handelt es sich um neue Interpretationen von alten Meistern (das ist mir to­tal fern, wieso macht man das? Malen wie Bosch...). Und gleichzeitig (das versteh ich wiederum) ist das natürlich ein unterhaltsames Spiel mit Täuschung, wenn Kris Martin zum Beispiel einen massstabsgetreuen Gipsabguss der vatikanischen Marmor-Laokoon-Gruppe fertigt. Oder der komplett aus Bronze gegossene Weih­nachtsbaum von Bertozzi & Casoni (boah, die  machen Italokitsch, unzuglauben), das ist schön und macht Laune, nur dass von draussen die Loungemusik in die Ausstellung rein dudelt ist zu viel der Unterhaltung.
Abramovic Marina 20. Jan 2012 (© Esther Ernst)
Kill your Darlings 28. Feb. 2013 (© Esther Ernst)
Maps & Orientation part 2 02. März 2013 (© Esther Ernst)
Boghiguian Anna 04. März 2013 (© Esther Ernst)
Drechsel Kerstin 09. März 2013 (© Esther Ernst)
Smith John 09. März 2013 (© Esther Ernst)
Anonyme Zeichner 23. März 2013 (© Esther Ernst)
System & Sinnlichkeit 02. April 2013 (© Esther Ernst)
Wonderful - Humboldt, Krokodil & Polke 04. April 2013 (© Esther Ernst)
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