Die Kunst der Nuller

Wahnsinn und Gemeinschaft

2009:Nov // Martin Germann

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11-2009
















Die „Kunst der Nuller“ ist das Thema dieser Glossenreihe, die in ihrer letzten Version genauso gut mit „Die Kunst derer, die aus den 90ern gelernt haben“ tituliert sein könnte. Dies allerdings hieße, eine andere Sichtweise einzunehmen – die der grundsätzlichen Anerkennung von Erfolgen anderer. Dazu sollte zunächst festgehalten werden, dass die Sehnsüchte nach Aufbruch, Gemeinschaft, Partizipation und Teilhabe, von denen die 90er Jahre hinter einem nostalgischen Schleier geprägt waren, offensichtlich eine aktive Neuauflage erfahren. Wie sonst lassen sich die zahlreichen Ausstellungen, Publikationen und weiteren Formate zum Thema erklären, die die kommenden zwei Jahre bestimmen werden. Ist es nur eine Folge der „Krise“?

Oder ist es eine Folge der These: Je schneller sich das Karussell der (Kunst-)Geschichtsschreibung dreht, desto weniger Halbwertzeit haben die spiralförmig wiederkehrenden kuratorischen Themen und Trends? So werden Bourriauds „Relational Aesthetics“ mythisch verklärt und gesampelt, als ob weltgemeinschaftliche Ideen zwischen bunten Balken oder am Wok jemals länger nüchtern gelebt worden wären und nicht nur behauptet – und trotzdem sehnt man sich stets nach etwas Ähnlichem aber dennoch Neuem. Heute steht Chantal Mouffe in den KW, umlagert von hunderten nach Erlösung qua künstlerischer Revolution hungernden Geistern, ähnlich wie auf den patinierten Bildern aus Dahlem oder Frankfurt. Ist das nun endlich die realistische Chance zur pro-aktiv, aus und in der Kunst vorgelebten Gemeinschaft? Können wir sie endlich finden, wenn wir im „negative space“ schürfen und diesen zusammen bespielen? Vielleicht – prognostisch eher nicht. Eine Schule wird es immer und wieder sein, gut, dass es sie gibt.

Der Mensch neigt jedoch allzu gerne dazu, seine eigene Verfasstheit auszublenden. Schnell vergisst er: Die vielen Märkte im Kunstsystem, vom Themen- zum Kuratoren- über den Institutionen- und Künstler- zum Geldmarkt, die, von den jeweiligen Währungen zwischen voller Tasche und praller Glaubwürdigkeit abgesehen, nach der gleichen darwinistischen Struktur funktionieren wie eh und je. Sie werden größtenteils immer noch von denselben Leuten genährt, gemolken und bejammert wie vor zehn Jahren. Häufig zeichnen sich die Biographien der Protagonisten auch durch Perspektivwechsel je nach persönlicher Marktsituation aus: Entweder in der scheinbar mehr materiellen Erfolg versprechenden Variante der spektakulär bruchlosen Saulus/Paulus-Transmutation von Off nach On – oder der ebenso narzisstischen Version eines janusköpfigen Ego-Jobsharing zwischen larmoyanter Befriedung einer betroffenen Lokalkritik sowie kalkulierter und tendenziell unsichtbarer Bespielung des bösen anderen Marktes mit Galerie-, Grafik­jobs usw. Man kennt sich noch aus den Neunzigern, für irgendwas muss das auch gut sein.

Laut psychiatrischer Literatur ist jedwedes Tun im Bereich der Künste tatsächlich ein latenter Hinweis auf eine Persönlichkeitsstörung. Moment mal, alles Lüge, Wahnsinn und Gesellschaft, Foucault hier, Foucault da, etwa nicht gelesen? Trotzdem: Wer will sich denn da ausnehmen? Anerkennung und junge Altersmilde waren schon immer die bessere Haltung als schizophrenes ideologisches Siechen, gegenüber sich selbst und auch den Anderen. Und schafft auch Raum für die Zwanzigzehner-Jahre, sollten sie wirklich kommen.
Auch Berlin (© Foto: Andreas Koch)
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