Rational/Irrational

Haus der Kulturen der Welt

2009:Feb // Melanie Franke

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02-2009












In der ersten Ausstellung von Valerie Smith im Haus der Kulturen der Welt interessieren mich hier nur zwei Arbeiten, nicht deshalb, weil die Ausstellung nicht interessant wäre. Im Gegenteil unter dem Titel „Rational/Irrational“ greift sie einen Grunddualismus der europäischen Kulturgeschichte auf: Das Aufeinandertreffen von kontrollierten und sich dem gesteuerten Denken scheinbar entziehenden, unbewussten Anteilen, die immer irgendwo anders vermutet wurden, jenseitig schienen. Sei es an den Ursprüngen der Welt, der Menschheit, des Wissens, sei es in der Obhut anderer und stärkerer Kräfte. Diesen schmalen Grad versucht die überschaubare Gruppenausstellung mit Arbeiten von Pawel Althamer, Arthur Bispo do Rosário, François Bucher, Hanne Darboven, Juan Downey, Javier Téllez  auszuloten.  Alle  Arbeiten sind im dunklen Ausstellungsraum der Schwangeren Auster theatralisch inszeniert, alle bis auf die Arbeit von Pawel Althamer. Auf verschiedenen Flachbildschirmen kann man in der nüchternen Strenge des modernistischen Foyers den Drogenerfahrungen des Künstlers beiwohnen: Mit Haschisch, LSD, Magic Mushrooms und anderen Ingredienzien verschafft er sich eine andere, ‚verrückte‘ Sicht auf die banalen Erscheinungen des Lebens. Über Kopfhörer kann man dem Gefasel mit Tieren und anderen Lebewesen folgen und sich „so genannte Wellen und andere Phänomene des Geistes“ vorzustellen versuchen. Doch wie das immer so ist mit Drogen, meist ist es eher für den Konsumenten lustig. So auch hier. Deshalb gehe ich lieber gleich weiter in das dunkle Gehäuse in der Hoffnung, dort auf eine möglicherweise verschrobenere oder gar aphrodisische Wirkung zu treffen. (Was für ein Anspruch an eine Ausstellung, ich weiß)

 In der Mitte des Raumes macht sich ein kreisförmiges Objekt breit, ein Ring, eine Kombination aus Tisch und Pult, die schräg einige ebenso kreisförmige Motive auf Papier – Mandalas – präsentiert. Sie sind während meditativer Sessions in den 1970er Jahren bei den Yanomami-Indianern Süd-Venezuelas entstanden. Das ufo-förmige Präsentationsobjekt spiegelt einen Shabono wieder, die Grundform des Hauses, in dem die Indianer leben (Sie bauen es aus Holz und Palmen). Und seit den 1970er Jahren lebte dort immer wieder Juan Downey mit Ihnen, als er die tragbare Videokamera Sony Portaback für seine Kunst entdeckte, entdeckte er damit auch die Yanomami-Indianer für den Westen.

 Ebenso wie die sich in endlosen Varianten wiederholende elementare Spirale eine archetypische Grundform markiert und sogleich den Mythos des Ursprünglichen ins Spiel bringt, zeigen die Videofilme von Downey ein ähnlich häufig inszeniertes Bild,  glücklicherweise nicht immer mit vollem Ernst, sonst könnte man diesen kolonialen Blick auf die „Anderen“ auch kaum aushalten. Das Ironische kommt in dem Video „The Laughing Alligator“ ins Spiel. Hier wechselt die Kamera immer wieder zwischen dokumentarischer Perspektive, wenn man Downey vor neutralem Hintergrund über seine Erlebnisse im Amanzonasgebiet berichten sieht und Downey Selbstinszenierung innerhalb dieser Kultur. Er beobachtet deren Rituale nicht nur neutral, sondern nimmt aktiv daran teil, was aus seiner Sicht, die künstlerische Perspektive erst legitimiert und das performativ Selbstdarstellerische mit dem Dokumentarischen verbindet. Und dieser Austausch geht in beide Richtungen: Besonders schön in diesem Zusammenhang ist der Moment, als ein auf die Kamera gerichteter Pfeil von dem Indianer durch die Kamera selbst eingetauscht wird. Downey drückt sie ihm in die Hand und kommentiert „Die Kamera ist eine gefährliche Waffe“ und einen Moment gilt die koloniale und damit aneignende Perspektive auf die Welt der Yanomami, allein durch den verwackelten Blick. In dieser lehrbuchartigen Vorführung des Austausches von zivilisatorischer und elementarer Waffe (Videokamera versus Pfeil) denkt man an „Das Wilde Denken“ von Claude Lévi-Strauss. Wenn auch hier das Ziel beider Kulturen jeweils identisch zu sein scheint,  werden die Waffen gleichwohl vertauscht und der jeweils „andere“ Feind mit dessen eigenen Mitteln bedroht, wenn auch nur im Spaß.

 Flankiert wird die Ausstellung auf der anderen Seite von einer riesigen Black Box, die zum einen eine historische Dimension ins Spiel bringt und auf der anderen Seite ein aktuelles Phänomen auch als Auswirkung der Finanzkrise aufgreift – Angst. Doch zunächst zur Arbeit selbst: Aus kleinformatigen mit Kreide beschriebenen Schultafeln setzt sich der Kasten zusammen, in dem ein Remake von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1919) läuft. Der expressionistische Stummfilm entstand unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und lange vor der häufig zitierten Weltwirtschaftskrise (1929). Verkürzt gesagt geht es um die Wirren des Dr. Caligari, der mittels eines Mediums namens Cesare hellsehen kann, was er sehr bald als Mordinstrument strategisch einsetzen wird. Am Ende stellt sich heraus, dass Caligari selbst ein Insasse einer „Irrenanstalt“ ist. All das wird im Stile des Expressionismus mit den starken hell-dunkel Kontrasten, extremen Perspektiven, den grotesken Kulissen und dem verzerrten Blicken der Darsteller gruselig inszeniert und spiegelt auch die Wirrnisse und den pathologischen Zustand der Gesellschaft in jener aus den Fugen geratenen Nachkriegszeit dar.

 In dem Remake „Caligari und der Schlafwandler“ von Javier Téllez bildet die Zeit des Expressionismus lediglich die Kulisse. Die einzige Auftragsarbeit der Ausstellung spielt im Einsteinturm in Potsdam, in dem Dr. Caligari mit seinem Medium Cesare als „Schlafwandler vom Sklavenstern“ agiert. Die Dramatik der originalen Vorlage weicht einem eher nüchternen und dennoch wunderlichen Spiel mit Wirrnissen. So erklärt Caligari als Oberlehrer den anderen Patienten mittels Tafeln und geographischen Landkarten eine fiktive Welt. Gebrochen wird diese klamaukartige Darstellung von dokumentarischen Einschüben. Die Darsteller auf der Leinwand, Patienten einer Neuköllner Klinik, setzen sich, im Zuschauerraum eines Kinosaals, zu den Protagonisten in Relation, sprechen über ihr Verhältnis zu den Rollen und über ihre Gefühle. Und einmal mehr in dieser Ausstellung zeigt sich auch hier: So wie fiktive und dokumentarische Anteile ineinanderspielen und sich nicht mehr voneinander trennen lassen, spielen auch verschrobene und reale Sichtweisen ineinander. Es gibt keine Differenz, kein Außerhalb, keinen „Anderen“ mehr, es verdichtet sich zu einem Gewebe, verfilzt. Deshalb ist die Frage: Wo sich die rationale und irrationale Anteile voneinander scheiden, nicht mehr zu beantworten, was sicher eine Erkenntnis der Ausstellung ist, wenn sie auch nur in den Arbeiten selbst und nicht an der kuratorischen Dramaturgie abzulesen ist, weshalb ich hier nur auf einige Arbeiten und nicht auf die ganze Ausstellung eingehe. Darüber hinaus sagt der Darsteller des Dr. Caligari: „Wenn die Angst kommt, dann bin ich plötzlich im falschen Film.“ Die Auflösung von Kategorien wie falsch/richtig und das diffuse Dazwischen, was sich dann einstellt – Differenzlosigkeit – beschreibt genau jenes Gefühl der Angst das  gerade in dieser Finanzkrise wieder hoch im Kurs ist. Angstsituationen können auch deshalb entstehen, weil der Verängstigte, das wovor er sich fürchtet, nicht lokalisieren kann. Einerseits scheint da etwas zu sein, was bedrohlich erscheint und andererseits ist es nicht selten nur eine Ahnung. Angst ist ein diffuses Gefühl des Bedrohtseins und Verlorenseins, was das eigene Selbst gefährdet und gerade wieder durch ideologischen Druck erzeugt wird und sich als Angst vor Armut, Arbeitslosigkeit, Terroranschlägen, Naturkatastrophen und dergleichen artikuliert. Beschwichtigen lässt sich dieses allumfassende Gefühl noch schwer. Rituale und andere tradierte Formen der Rückkoppelung wabern im esoterischen Dunst vor sich hin. Jeglicher Versuch das „Andere“, als Möglichkeit, die Angst auf etwas Konkretes, auf ein Feindbild, zu beziehen, ist in diesem Zustand der Auflösung der transnationalen Felder kaum mehr möglich. Auch deshalb ist die mit der Ausstellung formulierte Frage nach den Grenzen gleichermaßen irrelevant wie aktuell.

„Rationa/Irrational“
Pawel Althamer, Arthur Bispo do Rosário, François Bucher, Hanne Darboven, Juan Downey, Javier Téllez
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
8.11.–11.1.2009  
Javier Téllez, Film-Still aus dem Projekt „Caligari und der Schlafwandler“, 2008 (© Promo, Haus der Kulturen der Welt, Galerie Peter Kilchmann, Galerie Arratia, Beer, Figge von Rosen Galerie)
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