Thesen-Battle

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2010:Dec // Andreas Koch

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11-2010
















Am 21. 10. 2010 fand im L40, dem schwarzen, neuen Haus an der Kreuzung Rosa-Luxemburg-Straße und Torstraße die Podiumsdiskussion „Was soll’s? Kritik.“ statt. Ausgerichtet von der von hundert zusammen mit der AICA waren hierzu eingeladen: Sven Beckstette, als neuer Chefredakteur der Texte zur Kunst, Astrid Mania als scheidende Redakteurin des artnet-Magazins, Ludwig Seyfarth als Autor von artnet und von hundert und Hanno Rauterberg als Kunstkritiker der Zeit. Letzterer sagte allerdings aufgrund einer Grippeerkrankung am Morgen desselben Tages ab.

Wir stellten die Frage nach dem Stand der Kunstkritik – was soll sie heutzutage leisten und ist sie überhaupt (noch) notwendig? Eine Frage also, die periodisch immer wieder aktuell ist und die für uns Redakteure der von hundert, als einem freien und kritischen Forum, permanente Dringlichkeit hat. Und nicht nur für uns. Tatsächlich gab und gibt es gerade jetzt eine Reihe von Publikationen und Veranstaltungen zum Thema „Kritik“. Die Arch+ veröffentlichte ihr letztes Heft zum Thema mit dem Fokus auf Architekturkritik und Texte zur Kunst veranstaltet zu ihrem 20-jährigen Jubiläum gar ein Symposium mit dem Titel „Wo stehst du, Kollege?“ und geht dann grundlegenden Fragen nach dem Verhältnis von Kunst- und Gesellschaftskritik nach.

Die von-hundert-Veranstaltung wurde kontrovers diskutiert. Nicht nur währenddessen, sondern auch davor und danach. Zu polemisch, zu wenig Moderation, zu einseitig auf finanzielle Abhängigkeiten fokussiert, lauteten einige Vorwürfe.

Besonders laut wurde eine Stimme aus dem Publikum, die die mangelnde Expertise und die fehlende Form der nur scheinbar moderierenden von-hundert-Redakteure anprangerte. Tatsächlich aber war uns die Form weniger wichtig als eine Veranstaltung, bei der so wichtige Begriffe wie Transparenz und Abhängigkeit verhandelt werden sollten. Dass dabei auch polemisiert werden muss, war uns gerade recht. Diskretion und vermeintlicher Anstand stehen diesem Anliegen ja generell entgegen. Und die scheinbar mangelnde kunsthistorische Expertise wird auf anderen Ebenen der Praxis wieder wettgemacht.

Dass besagte Stimme aus dem Publikum in enger Verbindung mit der artnet-Redakteurin auf dem Podium steht und gleichzeitig als perfektes Beispiel für unsere erste These durchgehen kann (siehe nebenstehende Dokumentation), da die Person als Theoretiker Mitbegründer des Galeriekonstruktes KOW ist, war uns schon während der Veranstaltung bewusst. Trotzdem haben wir zu langsam geschaltet, haben es verpasst, diesen Zusammenhang gleich transparent zu machen – denn wenn schon Transparenz fordern, warum nicht gleich auch vor Ort praktizieren.

Leider gibt es keine Aufzeichnung der Diskussion, denn die Podiumsgäste stimmten einer Tonaufnahe der Veranstaltung nicht zu. Was wir hier aber dokumentieren können, sind die einleitenden Thesen von Barbara Buchmaier und mir, die dann noch kurz vor der Diskussion im artnet-Magazin veröffentlichten „Antwort“-Thesen von Astrid Mania und Gerrit Gohlke, in deren Hobbyraum-Bastelecke wir uns wohl allzu schnell stecken ließen, um dann die Diskussion in eine einseitige Thematik abdriften zu lassen. Ja, die Moderation fehlte wirklich und ein externer Diskussionsleiter hätte der ganzen Sache gut getan – das nächste Mal, versprochen. Trotzdem hier nochmals Gegenthesen unsererseits (siehe unten).

Auf den folgenden Seiten wird das Thema „Kritik“ weiter behandelt, und das eben auch aus der Perspektive von Künstlern, die über Kunst schreiben.

Andreas Koch

„Was soll’s? Kritik.“, Podiumsdiskussion, L40,
Linienstraße 40, 10119 Berlin, 21.10.2010

1. / Einführungsthesen der „von hundert“ zur Podiumsdiskussion „Was soll’s? Kritik“

1. Nach der sogenannten Krise besannen sich viele Galerien auf Inhalte oder taten zumindest so. Manche sehen plötzlich aus wie kleine Kunstvereine. Kritiker werden noch stärker als Kuratoren und Pressetextschreiber integriert. Das fördert natürlich oft die Qualität der Ausstellungen, verwässert aber weiter die Gewaltenteilung. Der clevere Galerist wird vom smarten Theoretiker ergänzt. Klingt alles ein bisschen wie „Porno, aber mit Inhalt“.

2. Das ist ähnlich wie wenn der Regierungssprecher oder Pressesprecher gleichzeitig in der Tagesszeitung kritischer Journalist wäre.

3. Wenn der große Teil des Geldes im Kunstbetrieb von den Sammlern kommt und nur ein kleiner Teil vom Rest der möglichen Rezipienten, in Form von Eintrittsgeldern, Zeitungsverkäufen oder Steuergeldern, ist die Abhängigkeit vieler Kritiker außerhalb der Redaktionen eben von diesem Sammlergeld zu groß, um unabhängig schreiben zu können.

4. Im kunsttextproduzierenden Gewerbe gibt es unterschiedliche Kategorien von Schreibern. Da ist der Kunstjournalist, der informiert, der schöne Portraits schreibt, Ausstellungen nach Fakten, Atmosphären und O-Tönen abklopft. Er schreibt meist in den Magazinen. Dann gibt es den Historiker, der genau beschreibt, Verknüpfungen schafft, Referenzen sucht. Ihn findet man oft als Katalog- und Pressetextschreiber. Der sogenannte Kritiker sucht nach der Relevanz der jeweiligen Ausstellung. Er bewertet, lobt oder kritisiert. Tages- und Wochenzeitungen oder das Internet sind seine Medien. Natürlich vermischen sich auch alle Formen.

5. Kritiker sind im Betrieb meist kauzige Außenseiter, am wenigsten geliebt oder hofiert, obwohl ihre Texte am liebsten gelesen werden.

6. In Zeiten, in denen die Kunstproduktion immer mehr zunimmt, es immer mehr Ausstellungen gibt, immer mehr Künstler (allein im neuen Studienjahr an der UdK haben sich knapp neunzig Studenten eingeschrieben) braucht man auch mehr Kritik und mehr Auseinandersetzung.

7. Gerade im Internet, in Blogs, in Online-Magazinen liest man mehr Kritisches, manchmal Unausgegorenes und schnell Geschriebenes, manchmal aber auch versierte, gut recherchierte, vielschichtige Kritiken. Die Relevanz des Internets lässt sich an den Pressespiegeln der Ausstellungen ablesen, aber auch beim Googeln kann der ein oder andere böse Verriss noch über lange Zeit auf den vorderen Plätzen nachhallen.

8. Nur eine kritische Betrachtung bringt einen künstlerischen oder kuratorischen Ansatz inhaltlich weiter. Trotzdem sind 99% der Kritisierten erstmal beleidigt und ächten den Kritiker. Die wenigsten wünschen sich eine kritische Betrachtung ihrer Arbeit.

9. Es ist nicht zu durchschauen, also vollkommen unbekannt, welchen Einfluss eine kritische Betrachtung von Kunst auf die Wertbildungsmechanismen und auf die Verkäuflichkeit von Kunst hat. (Kommentar: Viele behaupten ja, es gäbe da keinen Einfluss...)

10. Negative Kritik wird spätestens seit Monopol von einer positiven Watch-List-Kritik verdrängt. Das ähnelt dem amerikanischen Kommunikationsmodell des freundlichen Lobens und des hintenherum Strippenziehens. Auch eine Galerie arbeitet eigentlich mit den gleichen Methoden.

Barbara Buchmaier und Andreas Koch

2. Dokumentation der Thesen von artnet-Magazin, veröffentlicht zur Podiumsdiskussion „Was soll’s? Kritik“

aus urheberrechtlichen Gründen hier der Link

http://www.artnet.de/magazine/was-ist-gute-kunst-qualitat-kriterien-kritik-5/

3. Antwortthesen der von hundert

1. Kritiker sind keine Journalisten, sondern manchmal auch Journalisten.

2. Der Auftragstext unterscheidet sich immer vom freien, selbst angebotenen Text. Reaktion oder Aktion. Es ist die Frage, wer fragt wen. Der Auftraggeber den Schreibenden oder der Schreibende schreibt, weil ihm genau diese Sache wichtig ist. Von hundert ist eine Plattform für solche Texte.

3. Von hundert bietet kein Modell für Kritik im gesamten Betrieb, sondern besetzt eine Nische und dies notwendigerweise. Hier erscheinen Texte, die sonst nirgends erscheinen würden. Nicht weil sie zu schlecht sind, sondern weil sie nicht passen.

4. Die Frage nach dem Geld ist sicher wesentlich bei der Frage nach der Unabhängigkeit. Aber wer Geldverdienen mit Professionalität und Qualität verwechselt und Kein-Geld- verdienen immer mit Hobby in Verbindung bringt, bleibt in einer flexiblen Gesellschaft auf der Strecke. Er wird seine Fähigkeiten nie voll entwickeln können, da er die Bezahlung als Maßstab dafür nimmt, etwas zu machen oder zu lassen.

Natürlich soll man sich nicht unter Wert verkaufen, wir wollen hier auch keine neoliberale Selbstausbeutungsparole ausrufen, nur ist die „Ich-muss-auch-meine-Brötchen-verdienen“-Antwort auch nicht die Ri chtige, vorallem wenn sie immer zuerst kommt.

5. Von hundert bleibt ein Nischenprodukt, auch in der Bewertung von außen. Ein Latten-U-Boot, das mit Holztorpedos schießt. Die jedoch lustvoll zerbersten und noch lange an der Oberfläche schwimmen. Denn das Nonkonforme erzielt die gleichen Trefferquoten wie das Konforme.

6. Sogenannte Expertisen können vielseitig erarbeitet werden. Der Kunsthistoriker ist nur ein Modell von vielen. Auch die Sicht des Künstlers muss gefördert und veröffentlicht werden. Nur Pochen auf den Expertenstatus macht genauso eng wie das Pochen auf Geld.

7. Das Finanzierungsmodell für Kunstkritik ist mittlerweile genauso prekär wie das des Journalismus. Gratisonlineveröffentlichungen machten diesen Markt kleiner wie auch schon zuvor den des Musikbetriebs. Mischfinanzierungen sind die Regel. Hier abhängiger schreiben für mehr Geld, dort unabhängiger, aber freier für weniger Geld. Man muss nur klar haben, warum man was wo macht und sich auch darüber bewusst sein, dass die Texte von außen betrachtet einen anderen Status haben.

8. Ein von einer Vielzahl von Abonnenten finanziertes System, das primär anderen Interessen dient, sich aber eine relativ freie Kritik leistet, ist auch eine Nische, eben eine Luxusnische. Gut, dass es sie gibt.

9. Da stellt sich also die Frage, wer Kunstkritik bezahlen soll. Das Publikum wird dies sicher nur bedingt tun und wenn dann meist indirekt. Die Kunstmarktseite interessiert nur die wenigsten der Zeitungskäufer. Die Institutionen und Galerien zahlen bisher am meisten, aber das riecht eben nach Abhängigkeit, es sei denn, man kann die Abgaben so schön vielteilig aufsplitten wie artnet. Bleiben Werbekunden, Künstler, Sammler oder Steuerzahler. Klingt alles auch nicht sonderlich vielversprechend, aber auch hier – die Mischung macht’s.

10. Wer das Publikum auffordert zu zahlen, klingt ähnlich naiv, wie der Künstler der Eintritt für seine Ausstellung will.

Diskussion (© Tilman Wendland)
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