Wolfgang Tillmans / Daniel Buchholz

„Lass mal die Frau durch, die kennt den Wolfgang…“

2010:Dec // Stephanie Kloss

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11-2010
















Freitagabend, Charlottenburg. Auf dem Weg zum Opening komme ich an meinem Friseursalon vorbei. Im Laden wird schon Feierabendbier getrunken. Man winkt mich herein: „Ach den Wolfgang, den kenn’ ich doch, das ist doch der, der auch Kate Moss fotografiert hat, oder?“ Mein Friseur kommt spontan mit. In der Fasanenstraße sehen wir schon von weitem eine Menschentraube vor der Galerie. Wir warten in einer langen Schlange die Treppen zum Eingang hinauf, nur schubweise geht es voran. Drinnen ein Menschenauflauf, vor lauter Szenepublikum sind die vielen Bilder nicht zu erkennen, schon gar nicht die Klebehängungen und Arrangements.

Ganz BERLIN scheint sich versammelt zu haben. Alle wollen verkrampft individuell sein und sehen doch irgendwie gleich aus: 80er-Jahre-Frisur, Nacken ausrasiert, Oberkopfhaar lang, London Style, spitze Schuhe, enge Hosen, seltsam. Ein Bekannter sticht aus der Menge heraus, auf seinem Hals ist FUCK tätowiert, dazu trägt er Kaiser Wilhelm-Zwirbelschnauz und Kahlkopf. Ansonsten sieht man Lederoutfits, teure Mäntel, Schuhe und Geschmeide. Die Pet Shop Boys sind da und das ganze Medienvolk, Kunstschaffende, Schriftsteller, Schauspieler. Rainald Goetz kommt durch die Menge gehüpft, ach stimmt, der macht jetzt ja auch Fotos. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Lady Gaga auf der heiß gehandelten Gästeliste der Aftershowparty steht. Wolfgang ist auch anwesend, gibt Autogramme und lässt sich mit gutaussehenden Boys von Handys fotografieren. Um die Bilder geht es kaum, sie sind auch nicht zu sehen, die Klamotten und Frisuren sind die eigentlichen Ausstellungsobjekte an diesem Abend.

Es ist interessant mit jemand, der Tillmans nur von Modestrecken aus Magazinen kennt, die Arbeiten dann doch noch zu betrachten. Unverständnis macht sich breit. Warum dieser Hype? Ist das soo BERLIN oder was? Was ist das besondere an diesen sehr unterschiedlichen Fotografien, mal abstrakt und formal, mal mit und ohne Kamera, zeitdiagnostisch, realitätsgesättigt, weltumspannend kopiert? Wo trennt sich der Modefotograf, der Chronist der Technoszene vom Turnerpreisträger, gehandelt als einer wichtigsten Künstler unserer Zeit? Ah, da ist ja Lady Gaga auf einem Foto, wenigstens ein bekanntes Gesicht, wenn auch nicht Kate Moss. Irgendwie müde und traurig sieht sie aus, wie sie so vor der schönen Lehmbruckfigur steht: keine Perücke, ihre Haare sind zurückgebunden, sie trägt ein Lederbustier und auf ihren Brüsten sind Hautrisse zuerkennen. Das Bild ist schwarzweiß.

Im aktuellen Monopol gibt es eine Tillmans-Strecke mit neuen Arbeiten zu BERLIN: Alles ist möglich, selbst Bilder aus dem Baumarkt oder vom trostlosen Leipziger Platz, ältliche Nudisten und ein bunter Vogel, alles scheint Fassade, das Tier wirkt ausgestopft, nichts ist mehr so richtig echt oder style. Keine fertigen Leute mehr vorm Tresor, ausgepowert nach zwei Tagen Rave-Exzess, keine inszenierten Portraits von Freunden auf Bäumen, keine Tristesse verlassener Partyräume, kein Faltenwurf oder schimmelnder Granatapfel. Überhaupt keine Poesie mehr.

In der Galerie werden nun die Berlinbilder mit abstrakten älteren Arbeiten und neuen Fotografien aus der ganzen Welt präsentiert. Wolfgang sagt: „Ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen“ und begibt sich auf die Reise um die Welt. Die Fotos scheinen nun nicht mehr draußen bei den Menschen, sondern drinnen im Netz, also weltumspannend zu sein, wobei der Einzelne nicht mehr Teil einer Jugendbewegung, sondern das Individuelle der gemeinsame Nenner ist und das Unverortbare.

Man sieht Sao Paulos Kulturzentrum, Shanghai bei Nacht, eine Kirche in Venedig, New Yorks Times Square. In seinen Reisebildern geht Tillmans auf Distanz: Keine Emotionalität mehr, sondern totale Belanglosigkeit: „Sie sagen einfach erstmal: so ist es“, meint er. Reicht das? Warum stehen alle so fasziniert vor dem großen Bild des bunten Vogels, der auf seinem Futternapf sitzt? Ist doch nur ein Tukan im Zoo, aber immerhin ein Portrait in altbekannter Manier. Wolfgang fotografiert jetzt neuerdings digital superscharf. Zum Glück gibt es aber auch noch Kopiererarbeiten und ein „Portrait“ des Kopierers selbst. Das Charmante an seiner Art zu fotografieren ist ja auch diese Haltung: Scheiß auf Technik, alles ist möglich.

Die neuen Arbeiten wirken jedoch bunter und klinischer. Mein Friseur und ich sind nicht überzeugt von den neuen Fotografien, sie lassen uns kalt, aber wer weiß, vielleicht ist das ja Wolfgangs Aussage. Die Menschenmasse auf der Vernissage hingegen scheint es für wichtig zu halten, sich vor den Bildern zu präsentieren. Übrigens ignoriert Wolfgang meine Freundschaftsanfrage auf Facebook, obwohl er mir dauernd vorgeschlagen wird. Der Algorithmus kennt keinen Hype.

Stephanie Kloss

Wolfgang Tillmans, Daniel Buchholz,
Fasanenstraße 30, 10719 Berlin, 01. 10. 2010–11. 12. 2010

Wolfgang Tillmans, „Tukan“, 2009 (© Galerie Daniel Buchholz)
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