Heil Multi-Kulti

Yael Bartanas „Jewish Renaissance Movement in Poland“

2012:Aug // Andreas Koch

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08-2012

















Als ich das erste Mal mit dem Werk von Yael Bartana konfrontiert wurde, lief die Berlin-Biennale schon, aber ich war noch nicht dort. Ich hatte schon von der Jewish-Renaissance-Bewegung gehört und sie mit in meinen Prä-Biennale-Text in der letzten „von hundert“ eingeflochten – und zwar als Teil der von mir diagnostizierten kruden Mischung des Gesamtpakets. Dabei habe ich auf die merkwürdige Thematisierung aller möglichen Vertreibungs-, Umsiedlungs- und Staatengründungsgeschichten hingewiesen: Einerseits die spezielle deutsch-polnische Geschichte mit Fokus auf die deutschen Vertriebenen (Deutschlandhaus), andererseits die polnisch-jüdische, mit dem Vorschlag der Rücksiedlung von 3.300.000 Juden nach Polen (Yael Bartana) und schließlich die palästinensisch-jüdische mit der Pro-Forma-Gründung eines palästinensischen Staates, in der Biennale visualisiert durch einen Stempel im Pass und symbolisiert durch einen riesigen Schlüssel „(„Key of return“) für die Heimkehrer aus den Flüchtlingslagern rund um Israel. Der Wind des Revisionismus schien das ganze Gebilde Biennale zu durchwehen, oder war es der Mief des Revanchismus?

Dann, Anfang Mai, hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen eines Kolloquiums an der UdK, die Filmtrilogie Yael Bartanas zu eben jenem „Jewish Renaissance Movement in Poland“ (JRMiP) „Nightmares“, „Wall and Tower“ und „ And Europe Will Be Stunned“ in voller Länge zu sehen. Darin wird erst die fiktive Gründung der Bewegung in einer Ruine eines Warschauer Stadions gezeigt, deren Führer Sławomir Sierakowski eine flammende Rede vor leeren Rängen hält: „Juden! Landsleute! Mitmenschen!“ Später erscheinen dann pfadfinderähnlich gescheitelte, uniformierte Jugendliche und hissen Flaggen. Im zweiten Film bauen die gleichen Aktivisten einen bewehrten Kibbuz im Stile von 1948, aber inmitten Warschaus in einer Parkecke auf, wieder mit vielen Fahnen, Pfadfinderperspektiven usw. Und schließlich im dritten Teil wird der Führer schon einem Attentat erlegen sein und in stalinistischer Manier aufgebahrt und von seinen Getreuen verabschiedet.
So weit, so kurz. Was an den Filmen erstaunt, ist die Mixtur aus allen möglichen Sprachen und Stilen, Leni Riefenstahl trifft Che Geuvara und Stalin trifft auf einen Mediendesigner aus Berlin-Mitte, denn der Führer trägt tatsächlich eine auffallende Nerd-Brille. Man landet in den 40er-Jahren, dann wieder im Aufbau-Pathos der Fünfziger, linke Slogans („mit einer Farbe können wir nicht sehen“) wechseln mit rechter Bildsprache. Allein das Logo der Bewegung, ein Hybrid aus Davidstern und polnischem Adler, würde jeder Diktatur gut zu Gesicht stehen.

Das ganze hinterlässt bei einem ein ähnlich indifferentes Gefühl, als würde man jemanden mit Hitlerbärtchen an der Straßenecke sehen, der dann aber in Charlie-Chaplin-Manier „Heil Multi-Kulti“ schreit. Man wird als Zuschauer durch den Referenzwolf gedreht und am Ende ist alles offen. Was will Bartana damit? Will sie wirklich die Auflösung des israelischen Staates und zurück zu einem integrierten Judentum innerhalb der europäischen Staaten? Oder soll das nur innerhalb Polens geschehen? Oder nur mit Hilfe von aufgeschlossenen Israelis wie ihr, ohne Berücksichtigung der Geländewagenfahrenden israelischen Machos, die sie in einem anderen Film entblöste? Im dritten Film lässt Bartana reale Personen des Zeitgeschehens die Grabesreden halten. Hier erscheinen plötzlich die Warnungen des 1940 geborenen Journalisten Yaron Londons vor einer Aufgabe Israels und die Ängste der 1937 geborenen Autorin Alona Frankel vor den Rechten Polens als klare Äußerungen, und als durcheinandergeschüttelter Zuschauer klammert man sich förmlich an diesen Vernunfts-Strohhalmen fest. Will sie das? Einen erst schwindlig machen und dann eigentlich das Gegenteil ihrer Grundaussage, keine jüdische Renaissance?

Tatsächlich, und das erklärt sie später im Kolloquium, will sie gar keine feste Aussage treffen. Sie überlässt es dem Betrachter und stellt sich auf den Standpunkt, das Kunstwerk lasse viele Interpretationen zu, das sei nun mal die Natur von Kunst. Für eine politische Künstlerin eine merkwürdig naive Aussage. Da rührt man alles Mögliche zusammen und dann ist es einem egal wonach und wie es schmeckt? Passt sie deshalb so gut zur Żmijewski-Biennale, weil diese nach dem gleichen Prinzip aufgebaut ist? Es in alle Richtungen krachen zu lassen und am Ende mit den Schultern zu zucken. „Vergiss die Angst“, alles ist möglich?
Der eigentliche Beitrag Bartanas zur Biennale ist dann nur ein kleiner Raum, eingerichtet wie ein Promotionsbüro der Bewegung. Man sieht einen Trailer als Einladung für einen im Rahmen der Biennale stattfindenden Kongress. Hier kommt mir der Gedanke, dass die Künstlerin hauptsächlich Spaß an der Gestaltung all der Bildelemente der Bewegung haben könnte. Ein bisschen wie Christine Hill, die auch seit Jahren für ihre Volksboutique Stempel und Plakate kreiert und darüber alles andere vergisst. Der Trailer Bartanas erinnert an den Film „Starship Troopers“ (1997) von Paul Verhoeven. Dort konnte man im Gegensatz die Ironie noch deutlich erkennen. Bei Yael Bartana heißt es nun zwar auch wieder wie bei Verhoeven „Join us“, aber warum, bleibt offen. 
Yael Bartana, Logo der „Jewish Renaissance Movement in Poland“, www.jrmip.org (© )
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