Wo ich war

2019:September // Esther Ernst

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09-2019

MANAF HALBOUNI 4. Dez. 2018
Stipendiatenabschlussveranstaltung
Auswärtiges Amt, Berlin

+ Das Auswärtige Amt unterhält auf dem Dach ein Atelier für ausgewählte Künstler, die dort, umgeben von guter Aussicht, drei Monate arbeiten.
Manaf Halbouni ist der Künstler mit den ausgebombten und hochformatig aufgestellten Bussen vor Dresdens Frauenkirche. 2017 bezog er sich mit diesem „Momument“ auf den syrischen Krieg. 1984 in Damaskus geboren, kam er 2009 nach Dresden, um bei Eberhard Bosslet zu studieren.
Im Auswärtigen Amtsatelier hat er sich als General Ausef Hadid verkleidet und liest aus seinem fiktiven Dresdner Tagebuch von 1874. Er liest nuschelnd und die Texte sind schlecht. Aber das ist ein bisschen egal. Die hakelnde Performance ist Teil seines Gedankenspiels „What if“, bei dem er sich ausmalt, wie die Welt wohl aussähe, wenn die industrielle Revolution arabisch geprägt und im Osmansichen Reich statt gefunden hätte.
Dazu gibt’s Lebkuchen, Stollen, und Glühwein und das Publikum ist ein sehr Seltsames.



DREI MILLIARDEN SCHWESTERN 20. Dez. 2018
Bonn Park, Ben Roessler nach Anton Tschechow
Volksbühne Berlin

+ Markus ist deswegen extra nach Berlin gereist. Und ich dachte erst, oje, Jugendtheater... Und dann musste ich sehr oft lachen über die feinen Texte und die kläglichen Songs, die gleichzeitig gar nicht kläglich waren und staunte über das fantastische Jugendorchester vom Streber-Händel-Gymnasium. Beeindruckend war insgesamt, mit welcher Leichtigkeit Bonn Park seine Tschechowversion auf die jungen Schauspieler von P14 zuschnitt und ihr technisches Vermögen extrem gut einbetete. Flüsternd erzählt die Selbstmordfrau Nina Werschinina, dass sie einen Zusammenschnitt der lustigsten Videos auf youtube guckte und kein einziges Mal lachen musste. Und bittet darum, ihr bloss nicht mit Schmunzeln zu kommen. Mascha singt minutenlang mit dünner Stimme, es ist mir alles scheissegal. Und zum Ende hin wird es still in der Volksbühne und ein einfaches Schattenspiel erzählt die apokalyptische Geschichte zu Ende. Der Spass des Regieteams ist förmlich spürbar. Ich denke an Herbert Fritsch und René Pollesch. An Jassi und Nicolli.


SONNTAG KATHRIN 19. Dez. 2018
Things Doing Their Thing
KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin

+ ja, das ist toll. Ich reihe mich sofort in den Bewunderungskanon ein. Das Spiel mit dem Schwindel und der Täuschung macht so viel Laune, dass man voller Freu durch Sonntags Ausstellung hüpft. Hier eine unfertig gestrichene Wand, die später wie ein Echo auf einer Tapete auftaucht. Ihre Fotografien von verwurstelten Bauten, oder Überbleibseln von menschlichen Versuchen, das Leben in den Griff zu kriegen, erinnern mich an Genazino. Manche sind gar nicht wirklich gerahmt, sondern selbst wieder abfotografiert und als dreidimensionales Modell gefaltet an die Wand geklebt. Die Stellwände sind clever mit Fototapeten, Wandanstrichen und Baufilz zusammengezogen. Ein Rollgerüst, viele kleinen Abfallobjekte, Kisten und Lupofolie sind zufällig perfekt inszeniert und platziert. Ein rotes Stromkabel schlängelt hübsch durch den Raum....
Ach, alles toll.



MARTEN HELEN 9. Feb. 2019
Fixed Sky Situation
König Galerie, St. Agnes, Berlin

+ ihre grandiosen Skulpturmodelle erinnern mich an Raststätten und Schrebergärten, ihre Siebdruckmalerei an Kartographie, Atlanten und überdimensionierte Setzkästen. Überhaupt hat ihre Arbeit viel mit ordnen und dem Sichtbarmachen von Zugehörigkeit diverser Materialen zu tun. Irgendwie sind das doch menschliche Portraits (mir sagte neulich einer, schau, dieses Haus sieht aus wie Michael Jackson) und spiegeln meines Erachtens abstrus angenommene und gebaute Gemütlichkeiten. Ihr wilder Materialmix ist virtuos. Und wild, aber eben auch sehr schlicht und paradoxerweise homogen.
Uhi, krass, die ist ja jung. Und Turner-Prize-Trägerin!
Und im unteren Stock kann man einen aus Pappe gebauten Kontrollraum von dem noch jüngeren Rinus van de Velde betreten. Ein lustiges und ebenso virtuoses Bühnenbild, seine Kohlezeichnungen sind mir aber glaubs zu schön.



MANTEGNA + BELLINI 3. April 2019
Meister der Renaissance
Gemäldegalerie Berlin
+ Kirsten will Ölschinken gucken. Dabei stellen wir einmal mehr fest, dass wir religionsphilosophisch von nix eine Ahnung haben und staunen lustig über ein Täfelchen von Mantegna, mit einem Fragment von Christus und der Seele Marias: Christus, umrandet von purpurroten Puttenköpfen sitzt auf Wolken. In seinen Händen hält er die Seele Marias, in Form einer kleinen Figur. – Habe Jesus noch nie um seine Mutter trauern sehen, immer nur umgedreht. Am meisten Spass machen mir die illusionistischen Rahmenelemente mit den phantasievollen Erzählungen und Details. Und dass die verschiedenen Bildebenen in verschiedenen Techniken gemalt sind. Überhaupt erinnert mich der Bildaufbau an olle Bühnenbilder, die in Gassen hintereinander hängen. Erstaunlich auch, dass die Figuren im Vordergrund oft wie Skulpturen gemalt sind. Warum diese Imitation? Herrlich schauderlich wirken die Madonnenbilder mit Kind, zwischen denen es keinen direkten Blickkontakt gibt. – Das Kopierverfahren der Beiden muss ich allerdings noch mal mit Führung gucken gehen...



HUWS BETHAN 6. April 2019
Reading Duchamp – Research Notes 2007 – 2014
Kunstsaele Berlin

+ Nein, mich erschlagen ausladende Recherchen aus tausenden A4 Seiten mit handschriftlich kommentierten Kopien an Wänden und auf Tischen überhaupt nicht. Die Fülle beruhigt mich eher und ich freue mich über das Ausstellungs-Experiment. Und die sofortige Diskussion mit meinen Begleiterinnen, ob dass jetzt Lust macht, jemandes Notizen zu lesen. Und ob Recherchen in dieser drögen Form ausstellungstauglich sind und worin der Unterschied zur Präsentation in der Buchform liegt.
Ich begebe mich gerne irgendwo in Bethan Huws Gedankengänge, blättere ein bisschen, springe ganz ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Durchdringung durch ihren Kopf. Allerdings merke ich auch, dass mich Duchamp einfach viel zu wenig interessiert und Bethan Huws ganz schön verschwindet in ihren Recherchen. Auf mich wirken sie fast ein bisschen mühselig und riechen nach Abarbeiten am grossen Mann. Anders ergeht es mir mit ihrem fetten Katalog, in dem ihre Recherchen als Faksimiles reproduziert sind.



OPERNDORF AFRIKA 25. April 2019
Donkôkéné Zwei – A German Subtitle
Wiensowski & Harbord, Bunker, Lützowstrasse, Berlin

+ Im Rahmen des drei monatigen Artist-In-Residence-Programms sind neuen Künstler*innen der UdK ins Schlingensief-Operndorf nach Burkina Faso gereist und haben einen Pavillon aus luftiger Holzkonstruktion mit eingehämmerten Fahrradkettenverbindungen (anscheinend eine gängige Praxis) und geflochtenem Schilfdach gezimmert und zeigen nun im Bunker der Sammler Wiensowski & Harbord ihre Arbeiten, die während der Residency entstanden sind. Mit einer Tüte Begrüssungspopcorn wird der Besucher von einem der anwesenden Künstler durch den Bunker geführt und mit anregenden Details und Geschichten aus dem Operndorf ausgestattet. Das ist ein bisschen sozial-beklemmend und gleichzeitig sehr toll und einladend. Die afrikanische Installations-Erfindungskunst haben sie sich angeeignet und auf beachtliche Art und Weise in den Ausstellungsraum adaptiert und eine prima Bar und Bühne für Konzerte gebaut. Greta Wildhagens bemalte Kalebassen sind unglaublich schön.



EKICI NEZAKET 27. April 2019
Wellspring
Schau Fenster, Lobeckstrasse 25-35, Berlin

+ das ist so ein Erschöpfungsding, Tanzen bis zum Umfallen, Abramović in Party. Und da kommt Ekici auch her, aus Abramocić’s Klasse in Braunschweig.
5 Stunden tanzt Ekici im grosszügigen Schaufenster-Ausstellungsraum in der Lobeckstrasse, während ihr die Zuschauer draussen vom Trottoir aus zugucken, mit ihr durch die Scheibe kommunizieren, mittanzen oder sich langweilen, bzw. wundern. Zur letzten Stunde durfte das Publikum im Ausstellungsraum mittanzen und mitfeiern. Sven Drühl gibt den DJ (und meinte neulich, dass Ekici bei der Probe bereits nach einer Stunde einen hochroten Kopf hatte...) und spielte Mucke aus ihrer Jugend.
Zu jeder Stunde zog sie sich um, tanzte wild, schamlos und verschwitzt. Und wir mit ihr. Und es war sehr lustig. Mehr aber auch nicht. Nach meinem Geschmack hätte sie den Ausstellungsraum etwas sorgfältiger gestalten können, um den Zusammenhang zwischen Disco und Performace hervorzuheben, das Setting sah doch etwas lieblos aus.



PAPER POSITION.BERLIN 27. April 2019
International Art Fair
Deutsche Telekom Repräsentanz, Französischestr. Berlin

+ erstaunlich finde ich, dass sich das angeblich unkonventionelle Messekonzept als Kunstsalon versteht und auf klassische Kojen verzichtet. Und ich denke nach 10 Minuten, diese rechtwinkligen Kojen machen die Kunst und mich fertig.
Interessant fand ich die Galerie Martin Kudlek aus Köln, die Galerie Szydlowski aus Warschau und die Zs Art Galerie aus Wien.
Neulich war ich auf so einer Tourismusmesse, die war auch in Kojen verpackt, allerdings etwas aufwändiger und natürlich viel teurer, aber fast genauso öde. Verkaufs- oder arbeitstechnisch mag diese einheitliche Reglementierung praktisch sein, ist aber gleichzeitig ein Lustkiller sondergleichen. Und da es auf Messen doch hauptsächlich ums Präsentieren geht, versteh ich einfach nicht, wieso die Kunstbranche nicht viel einfallsreicher damit hantiert. – Wobei Modemessen auch öde sind, im Vergleich zu ihren Shows.



STRAYING FROM THE LINE 27. April 2019
Schinkel Pavillon, Berlin

+ ja, hey, die stellen einfach wahnsinnig hip aus, ziehen Wände aus verschiedensten Materialen hoch und treiben den beeindruckenden Materialmix des Ausstellungsraums mit dem der Kunst zusammen auf die Spitze. Das Team um Nina Pohl präsentiert schlau und catchy und unterfüttert ihre Ausstellungen mit pfiffiger Theorie. Und in alledem sind sie sehr unnahbar und unverletzlich.



KROESINGER HANS-WERNER & DURA REGINE 10. Mai 2019
Schwarze Ernte
Hebbel am Ufer, HAU3, Berlin

+ Ich ertrage diese schulmeisterliche Ansprache der Schauspieler*innen mit ihren hektisch aneinandergereihten Fakten über die Verstrickung und Korruption bezüglich Saudi Arabien und ihrer wahabitischen Auslegung des Islams und ihren Ölgeschäften mit Europa und den USA nur schwer. Themenunabhängig finde ich aneinandergereihte Fakten überhaupt unbefriedigend, wenn sie nicht mit einer persönlichen Sicht- und Denkweise gefüllt sind. Die Regie nimmt dadurch eine tendenziell bequeme und sichere Haltung ein, wagt wenig, denn auf das Faktenwissen aus europäischer Sicht können wir uns alle einigen, und ja, die Welt ist schlecht und ungerecht. Viel spannender (und für eine künstlerische Arbeit notwendig) wäre, darauf aufzubauen und aus all dem zusammengetragenen Wissen was Eigenes zu schöpfen, es neu zu bewerten und nach Möglichkeiten zu suchen, oder? Claudi sagt, die Proben haben sich wie Proseminare angefühlt.



WALTER-BENJAMIN-SPIELPLATZ 5. Mai 2019
Cornelia Müller, Jan Wehberg
Gartenanlage, Jüdisches Museum, Berlin

+ schon sehr oft hier durchgefahren aber nie beachtet: ein seltsamer Sandkasten neben hübschen, sich kreuzenden Architekturelementen im Gras. Manche sind aus Beton gegossen, andere aus aufgeschichteten Natursteinen und bilden eine Art Verlängerung der Fensterbänder des Libeskind-Anbaus. Oder handelt es sich um einen Wasserlauf, oder gar nix, nur hübsch?
Es ist ein Spielplatz für Walter Benjamin, ein Spielplatz, der keiner sein will. Ein paar Hecken und Sträucher weiter, auf der Wiese eines Wohnblocks, setzt sich der Spielplatz fort, allerdings deutlich als solcher identifizierbar und benutzbar, wenn auch ohne rechte Winkel konzipiert.
Die gesamte Grünanlage rund ums Museum (Garten des Exils) ist laut Gartenarchitekten Cornelia Müller und Jan Wehberg um 12° geneigt und steht für den Versuch, den Besucher zu verwirren, zu desorientieren und Haltlosigkeit zu vermitteln. Fühl mich eigentlich ganz wohl hier. Gerade beim Spielplatz, der keiner ist.
 
Alle Fotos: Esther Ernst