„The Whole Earth“ im HKW

Something is rotten in this age of hope

2013:Dec // Naomie Gramlich

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12-2013
















Something is rotten in this age of hope
/ „The Whole Earth“ im HKW

In diesem Jahr scheint der Strom der Filme, die die Apokalypse verhandeln, nicht abzureißen. Big-budget-disaster-movies wie „After Earth“, „Oblivion“, „World War Z“, „Pacific Rim“ oder „Elysium“ haben allerdings wenig gemeinsam mit den apokalyptischen Visionen der dissidenten Subkulturen der späten 70er- und 80er-Jahre. Mit ihren dissonanten Tönen und ihrer bedrohlichen bis aggressiv-melancholischen Grundstimmung bildeten die in der „The-Whole-Earth“-Ausstellung vorgestellten Bands Einstürzende Neubauten und Dead Kennedys, sonst aber auch  die Musik von Throbbing Gristle, Clair Obscur, Cabaret Volaire oder Virgin Prunes für mich immer den Soundtrack des Kalten Krieges. Eine Zeit, die ikonografisch höchstens mit der Fotografie des Atompilzes zu beschreiben ist. Der Atompilz als fotografischer Vorgänger der weltweit kursierenden Raumfahrtaufnahme von der Erde beschrieb im Punk, in dem darauf folgenden Wave und Industrial, aber auch im Reggae der Rastafaris eine Gegenposition, die die Apokalypse als explosiven Augenblick der Befreiung von allem Lästigen oder Unfreiem empfand. Tanze in den Untergang! Auch wenn Apokalypse – mit der Johannesoffenbarung gesprochen – Entschleierung der Wahrheit bedeutet und in der christlichen und jüdischen Religion als das positive Ende von Allem zu lesen ist (und auch als das Interessanteste des Testaments), spiegelt die Apokalypse in den westlichen – vom Glauben abgekommenen –  Industrie-Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts vielmehr eine Bedrohung und das Bedürfnis wider, die Welt, so wie sie wir kennen, eingeteilt in verschiedene Klimazonen, samt ihrer Vegetation- und Artenvielfalt, aufrechtzuerhalten. Der Deutsche hängt nun mal an seinen Streuobstwiesen und will seinen Kindern die Welt von heute als die Welt von übermorgen konservieren. Die Ungewissheit einer Veränderung wäre ohnehin nichts anderes als fahrlässig und würde nicht nur den Kinderwunsch als egoistisch motiviert bloßlegen. Das ökologische Bewusstsein war schon immer eine Reaktion auf die Angst vor dem Untergang des Vertrauten. Ob nun ausgelöst durch eine Foto­grafie der ganzen Welt oder heutzutage durch die Nachrichten der Vogelgrippe, der Explosion eines Kernkraftreaktors und der globalen Erwärmung, all den naturbewussten Mittelklasse-Menschen mit ihren farbenfreudigen, Sonnen-grinsenden-„Atomstrom?-Nein-Danke“-Buttons passt es genauso wenig wie damals den Hippies, mit ihren weltverbessernden und autarken Weltansichten, dass Krach, Zerstörung, Hässlichkeit, Dreck und Schmerz als etwas Sympathisches empfunden werden kann.
Doch es existiert die als Oxymoron empfundene Denke: Hören mit Schmerzen ist das wohl positivste Geräusch überhaupt. „Alte Gegenstände, Bedeutungen, Gebäude und auch Musik werden zerstört. Alle Spuren der Vergangenheit werden beseitigt: nur daraus kann etwas wirklich Neues entstehen.“ (Blixa Bargeld) Etwas esoterisch klingt das schon, radikal gesprochen verstehe ich darunter, dass die vom Menschen ausgerufene Hasenplage in den Großstädten Deutschlands nichts gegen die Menschenplage ist. Eigentlich konnte ich eine Schwarz-Weiß-Sicht, eingeteilt in Gut und Böse, Yin und Yang, Engelchen und Teufelchen noch nie ausstehen, aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich doch die nietzscheanische Farbe Schwarz wählen.
Der Begriff der Avantgarde – abgeschmackt und seit der klassischen Avantgarde in der Kunst zu Tode erklärt – dient nicht selten dazu Bands der experimentellen Musik der 80er zu beschreiben, als die militärische Vorhut, die als Erstes dem Feind gegenüber steht.
Was von der Sehnsucht nach Zerstörung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs übrig geblieben ist, ist vermutlich nur noch das apokalyptische Narrativ der Hollywood-Streifen, das weder mit Freuds Todestrieb noch mit der Vorstellung der explosiven Befreiung viel zu tun hat, und ohnehin an den Kinokassen floppt.     

Katalog zur Ausstellung  „The Whole Earth“ (siehe S. 16/17)
„The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen“, Herausgeber: Diedrich Diederichsen und Anselm Franke, Deutsch / Englisch, 26 × 35 cm, 208 Seiten, Sternberg Press, Berlin 2013

„O.D. a Hippie Legalize Heroin. Ban Hippies. (and New Yorkers)“, 1982 (© Raymond Pettibon)
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