Thomas Kilpper

Rosa-Luxemburg-Platz

2013:Dec // Volkmar Hilbig

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12-2013
















Do you hear me?
/ Thomas Kilpper am Rosa-Luxemburg-Platz

Einer der politisch aufgeladensten Orte Berlins ist der Rosa-Luxemburg-Platz. Architektonisch prägt ihn die Volksbühne, die vor 100 Jahren am Rande eines vor allem jüdisch besiedelten Elendsquartiers mit dem Ziel erbaut wurde, das moderne Drama für breite Bevölkerungsschichten an der Zensur vorbei auf die Bühne zu bringen. Insbesondere in den 1920er Jahren war sie ein Zentrum des avantgardistischen und politischen Theaters; mit Erwin Piscator als Oberspielleiter und Bauhauskünstlern wie Laszlo Moholy-Nagy als Bühnenbildner. In diesen Jahren begann auch, begünstigt durch die Lage am Rande der Bannmeile, die Hoch-Zeit der politischen Demonstrationen auf diesem Platz, der damals Bülowplatz hieß. Im Viertel um den Platz dominierten die Sympathisanten der kommunistischen Partei und deshalb erwarb die KPD hier 1926 ein Geschäftshaus und baute es als Karl-Liebknecht-Haus zur Parteizentrale um. Im dritten Stock dieses Gebäudes befand sich bis 1933 das Arbeitszimmer Ernst Thälmanns. Anfang der 1930er Jahre eskalierte insbesondere in dieser Gegend die Gewalt in den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und rechten und linken Gruppierungen. Von Polizisten erschossene Arbeiter und der spektakuläre Polizistenmord von 1931, für den noch 1993 Erich Mielke verurteilt wurde – alles am Bülowplatz. Als 1933 die Nazis die Macht übernahmen, bekam der Platz den Namen des zum Märtyrer stilisierten Jungnazis Horst Wessel und auf der KPD-Zentrale wurde die Hakenkreuzfahne gehisst. Nach dem Zweiten Weltkrieg hieß der Platz kurzzeitig Liebknechtplatz und seit 1947 ist es der Luxemburg- bzw. Rosa-Luxemburg-Platz. Das ehemalige KPD-Gebäude befindet sich jetzt im Besitz der Partei „Die Linke“  und im Eingangsbereich dieses Hauses stand 1999 für kurze Zeit eine von Rolf Biebl geschaffene Rosa-Luxemburg-Statue. Die Diskussion über dieses Denkmal, die Walter Jens mit dem Satz „Rosa ­Luxemburg gehört in das Zentrum eines großen öffentlichen Platzes und nicht in die Nische einer Partei“ auf den Punkt brachte, führte letztendlich zu den „Denkzeichen“ Hans Haackes auf dem Platz.
Genau mit dem Blick auf die eben immer politisch geprägte Geschichte dieses Platzes hat Thomas Kilpper hier im Juni 2013 sein „MEGAfon“ installiert. Einen riesigen bunten Trichter aus alten ausrangierten Autoblechteilen hat er auf einer begehbaren Plattform befestigt und dieses stattliche Kabinettstück lockt zunächst einmal Neugierige an: Wat soll dat hier? Zur Verbreitung mehr oder weniger sinnloser Botschaften und als Kulisse für ungewöhnliche Erinnerungsfotos nehmen es viele Zufallsbesucher als Teil des „Debordschen Spektakels“ wahr. Der kunstgeschichtlich vorbelastete Blick entdeckt Verbindungen zur russischen Avantgarde: Rodtschenkos, von der Popkultur immer wieder zitiertes Werbeplakat für den Buchverlag Lengis, die mit Lautsprechern ausgerüsteten Motorräder Tatlins oder Fotos vom Leichenzug zu Majakowskis Beerdigung, auf denen überdimensionalen Lautsprecher zu sehen sind.  
In dieser Tradition der Verbindung von Kunst und Politik steht Kilpper. Er arbeitet seit vielen Jahren konsequent und eigenwillig an gesellschaftlich relevanten Themen. Bei ihm ist die politische Botschaft kein aufgesetzter, aufmerksamkeits- und verkaufsfördernder Modetrend, kein Aufspringen auf einen aktuell angesagten Zug, sondern integraler Bestandteil seiner akribisch geplanten Kunstwerke. Als 2012 die radikal antikapitalistische Zeitschrift „Phase 2“ eine Diskussion zum Thema „Politische Kunst als Pest“ initiierte, hatte sie sicher nicht Thomas Kilpper im Visier. Er sucht, wie er selbst sagt, „jenseits der herkömmlichen Aktionsfelder der Politik Handlungsräume, die zu nutzen sinnvoll sind, um Reflexionsprozesse in Gang zu setzen.“
Sein Projekt eines „Leuchtturmes für Lampedusa“ ist dafür ein nahezu perfektes Beispiel. Entgegen gängiger (auch linker) Lehrmeinung, nämlich zuvörderst die Lebensbedingungen der Menschen in ihren Heimatländern zu verbessern, dann den ankommenden Flüchtlingen Überleben und rechtsstaatliche Behandlung zu sichern, provoziert Kilppers Projekt mit einem vorher kaum in Erwägung gezogen Bauwerk, das selbst nur als Modell und Gedankenspiel ein außergewöhnlicher Denkansatz ist. Ein Leuchtturm als Orientierungspunkt für die ungezählten und sich oft in katastrophalem Zustand befindlichen Flüchtlingsboote erhöht selbstverständlich die Überlebenschancen der Emigranten, zieht aber in der Logik der übernationalen Elendsverwalter gleichzeitig auch größere Flüchtlingsströme an. Diese Vorstellung schreckt selbst manchen Wohlmeinenden. Und schon verschieben sich Argumentationslinien und die Diskussion bekommt einen atypischen Schub. Der Künstler hat ein Etappenziel erreicht und seine kilppereske Herangehensweise an ein vermintes Gelände bescherte dem Projekt ungewöhnliche und bis heute anhaltende Aufmerksamkeit.
Bei seiner Arbeit in der Stasizentrale in der Berliner Normannenstraße legte Kilpper großen Wert darauf, das Thema Bespitzelung, Überwachung, Kontrolle und Ausspähung nicht auf die ehemalige DDR zu reduzieren. Heute, vier Jahre später, und um das Wissen über US-amerikanische Bespitzelung reicher, erkennt auch der letzte, wie weitsichtig Thomas Kilpper mit seinem Blick auf die Geschichte war.  
Das „MEGAfon“ (und die zugehörige Ausstellung in der Galerie Nagel Draxler) können da nicht so ohne Weiteres mithalten. Das ist, zumindest was die „MEGAfon“-Installation betrifft, nicht Thomas Kilppers Schuld: es ist der Zeitgeist, der die Installation zum Funevent degradiert. Kilppers Anliegen, nach den „aktuellen Machtverhältnissen unserer Gesellschaft … Wer kommt zu Wort ... Wer verschafft sich Gehör…“ (Pressetext) zu fragen, ist erst einmal für den Passanten nicht leicht erkennbar, wird aber auch, kontemporär fast zwanghaft bedingt, unterlaufen vom Desinteresse der breiten Masse an kompetenter Debatte. Jenseits von schnell konsumierbaren Bildern und Botschaften, von massenmedial suggerierten Aufregern und aufgehübschten Nichtigkeiten sind konstruktive und sachkundige Auseinandersetzungen mit komplexen Problematiken weder in der Kunst noch in der Politik einem größeren Publikum zu vermitteln. Da wird das Zwitterprodukt von Thomas Kilpper selbst in dieser gekonnten Verpackung kaum als Angebot zum engagierten Disput erkannt und genutzt. Das bescheidene Auditorium der Performances ist symptomatisch. Die Arm-Reich-, Macht-Ohnmacht- oder Rechts-Links-Gegensätze unserer Gesellschaft sind explizit sichtbar und werden als solche auch wahrgenommen; wirklich fundierte Ursachenforschung findet aber nur in speziellen Zirkeln statt. Das Megafon als Synonym für gesellschaftspolitische Massenwirksamkeit (bzw. eben seine, im politischen Sinne, Unwirksamkeit auf dem Rosa-Luxemburg-Platz) deckt die Diskrepanz zwischen dem fürwahr existierenden Bedarf an realistischen oder auch utopischen Veränderungsvisionen und dem Leben in und mit dem „Spektakel“ gnadenlos auf. Der aktuelle Wohlfühlfaktor in Deutschland spricht eben gegen eine (auch nur annähernd) revolutionäre Situation. Vielleicht hat Thomas Kilpper, ungeachtet der Verlautbarungen im Ausstellungsbegleittext, genau dies aufzeigen wollen. Die Installation (und dessen vorrangig unpolitische Nutzung) nicht als Fanal, nicht als Signal zum Aufbruch, sondern als (bei diesem Künstler nicht resignativ zu verstehende) Bemerkung zum Status quo.
Während der Rezensent trotz all dem Vorgebrachten das „­MEGAfon“ großartig findet, fremdelt er mit der Ausstellung in der Galerie Nagel Draxler. Als „Tattoos“ bezeichnete Kaltnadelradierungen auf Motorhauben alter Autos zeigen, wozu selbst Schrottteile von des Deutschen liebsten Kindes noch zu gebrauchen sind. Das Dargestellte, so überlegt es orts- und themenspezifisch („Resist! oder let it be!“) ausgewählt wurde, wirkt doch letztendlich beliebig. Uli Hoeneß und Angela Merkel, Pussy Riot und Stéphane Hessel, Mike Kelley und Andy Warhol, alles lässt sich dem Thema einpassen – aber doch fehlt das richtige Zusammenspiel, die Interaktion der zusammengehörenden Teile kommt nicht in Gang. Die Grundessenz trägt nur bis zur Galerietür, obwohl sie doch so welthaltig ist.

Thomas Kilpper „MEGAfon“, Verein zur Förderung
von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e.V.,
20.6.–25.8. 2013
„Resist! oder let it be!“, Galerie Nagel Draxler, 20.6.–16.6. 2013
Installationsansicht Thomas Kilpper „MEGAfon“, 2013, Rosa-Luxemburg-Platz (© Volkmar Hilbig)
Installationsansicht Thomas Kilpper „MEGAfon“, 2013, Rosa-Luxemburg-Platz (© Volkmar Hilbig)
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