Pia Rönnicke

Croy Nielsen

2007:Jul // Jörn Schafaff

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07-2007
















Von der Straße die Treppe hoch in die hohen Räume der Altbauwohnung, durch den Korridor ins große Eckzimmer, den Ausstellungsraum bei croy nielsen. Dort: zwei weiße Stellwände, im rechten Winkel, verstellen den Blick durch die Fenster, bilden einen Raum, ein Zimmer. Von der linken Wand ragt ein Tisch, darauf "The Model" (2006), noch ein Zimmer, wieder mit zwei Wänden angedeutet. Darin ein Tisch, puppenhausgroß, auf dem winzige Buchattrappen liegen. Die Buchtitel geben Hinweise. Es geht um Rosa Luxemburg, ihre Zeit, auch um Vögel. An der linken Wand hängen Miniaturposter mit Vogelabbildu ngen, in der Ecke ein Regal mit weiteren Büchern. In der rechten Wand ein Fenster. Von hinten wirft ein Diaprojektor Bilder auf die Scheibe: Historische Aufnahmen Luxemburgs, Fotos von Orten, der Landwehrkanal, Bilder eines Gedenkzuges aus jüngerer Zeit. Das notorische Geräusch des Bildwechslers begleitet den endlosen Loop. Der Blick, die Vorstellungen und die Gedanken gleiten aus dem Hier der Galerie in die virtuelle Welt des Modells in den Bildraum der Repräsentation. Wovon erzählen die Bilder, wovon die ineinander verschachtelten Räume? Wofür steht das Modell? Wo ist Frau Luxemburg und welche Rolle spielt das Publikum in diesem Stück?

Auf der rechten Stellwand läuft eine Videoprojektion, eine Frauenstimme spricht aus dem Off. Sie sagt "Ich", es sind Auszüge aus Briefen Luxemburgs. Intime Bekenntnisse an ein "Du" gerichtet. Von Liebe, Ängsten, Ferien und Natur ist die Rede. Ihre Vögel seien ihr wichtiger als alle Politik. Private Gedanken, nichts für die Öffentlichkeit, aber es gibt sie, posthum veröffentlicht von der Maschinerie einer Erinnerungskultur, die aus der Politikerin eine Popikone des Gerechten gemacht hat. Eine Projektionsfläche für jene, die Vorbilder brauchen, den Kult, das Ritual. In Pia Rönickes "Rosa's Letters" (2006) tritt eine junge Frau auf, die Sprecherin, spielt sie also Luxemburg? Sie agiert in einer Wohnung, die an das Modell erinnert. Dann ist das Modell selbst im Bild, gefilmt während der Vorbereitung eines Szenenbildes. Plötzlich - für einen Moment - schließt sich der Illusionsraum: Als die Kamera eine andere Perspektive einnimmt, fällt das Modellhafte aus dem Rahmen. Ein Schlüsselmotiv, denn darum geht es: Telling a Story.

Geschichte ist immer die nachträgliche Herstellung eines stimmigen Bildes, dessen Konstruktionsbedingungen ausgeblendet werden müssen, damit es funktioniert. Genau diesen Prozess aber stellt die dänische Künstlerin auf beeindruckend nüchterne Weise aus, ohne dass sie ihre offensichtliche Faszination für die historische Figur verbergen müsste. Sie bereiste die Orte, an denen die Briefe entstanden. Immer wieder gibt es Kamerafahrten durch einen sommerlichen Garten. Doch die Einstellungen fügen sich nicht zu einem Gesamtbild, dafür sorgen schon die zwei Projektionsflächen, zwischen denen der Blick hin- und her springt. Hinzu kommt die komplexe Konstellation der Räume und Formate: die Galerie, die Stellwände, das Modell, die Bildräume, schließlich die gefilmten Räume: historische Orte, eine Wohnung, das Modell. Sie alle sind narrative Räume, das Publikum durchschreitet sie und versucht - erfolglos - sie zu einem Gebäude zusammenzufügen. Hinter den Stellwänden, leicht zu übersehen, steht in einem Erker ein Monitor. Darauf läuft "Recordings" (2006), in fester Einstellung sachlich gefilmte Aufnahmen der historischen Orte, nichts sagend. Der Blick schweift ab durch das Fenster, zurück auf die Straße. Auch das nur ein Bild?

Pia Rönicke, "Rosa's Letters - Telling a Story"
croy nielsen
Oderberger Straße 61
21.4.-26.5.2007  
Pia Rönicke, Installationsdetail ‚Rosa‘s Letters – Telling a Story‘ (© croy nielsen, 2007)
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