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Die Zehnerjahre im Spiegel der Kunsthochschule

2020:August // Sophie Aigner

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08-2020


Bald nachdem mein zweites Kind ein Jahr alt wurde, entdeckte ich im Kühlschrank eine offene Kartoffelteig-Packung, der Kartoffelteig war vor einem Monat abgelaufen, und als ich ihn gekauft hatte, das weiß ich noch, ich bin mir ganz sicher, da war der mindestens noch drei Wochen haltbar, und also dachte ich mal wieder, ui, wie schnell die Zeit vergeht, und ich beschloss noch einmal zu studieren.
Ich hatte schon einmal Kunst studiert, das war in den Nuller Jahren, nun hatten wir 2010, und als ich zum ersten Mal die neue Hochschule betrat, fiel mir auf, wie viel Style die Studenten hatten, da hatte sich seit meinem abgebrochenen Studium einiges geändert, übrigens hatte ich mich zwar nicht wie viele andere mit einem Film über meine Mutter beworben, worüber sich erfahrenere Studenten totlachten, wie ich im Laufe der Zeit erfuhr, aber ich hatte eine Zeit lang mit analogen sw-Fotos und mit Bauschaum gearbeitet, was einem Film über die eigene Mutter ziemlich nahe kam.
In meinem ersten Kunststudium war Photoshop ganz groß, jetzt in den Zehnern waren dagegen After-Effects-Workshops dicht besucht, ich erinnere mich noch, wie ich in den Nullern einem damaligen Professor eine ziemlich schlecht montierte Photoshoparbeit zeigte, da hieß es dann, das ginge aber eindeutig besser, und wahrscheinlich interessierte es mich nicht genug, das eindeutig besser hinzukriegen und also ging ich wieder zurück in die Dunkelkammer im 5. Stock, wo immer die gleichen Leute abhingen, stundenlang im Dunkeln, nur manchmal kurz am hellen Fenster, um Graustufenübergänge bis zur Perfektion zu verbessern. Und nun in den Zehnern war ich dann zwar auch ein paarmal in der Dunkelkammer, aber es stellte sich nicht mehr dasselbe wohlige handwerkliche Gefühl ein, es war auch niemand dort bis auf ein paar andere abgefuckte OldSchool-Schnösel.
Wenn ich mich mit meinem Professor traf, dann hatte ich eine Stunde Zeit, um ihm neue Arbeiten zu zeigen, ich hatte angefangen, Sätze auf Fotos draufzuschreiben, so was wie: Der Zusammenhang besteht darin, dass es keinen Zusammenhang gibt, oder: Die Farbe des Saftes stimmt schon mal, oder: Lass uns mal eben ohne Konzept denken, und einmal, da ging ich mit meinem Professor Geld abheben, bevor wir anfingen, über diese Arbeiten zu sprechen, und wir kauften von dem Geld etwas vom Bäcker an der Ecke, ich glaube, es war Schnitzel auf Brot.
Ich begann nun richtig loszustudieren und weil ich so viel machte und so stolz darauf war, begann ich im Kopf aufzuzählen, was ich alles tat, ich zählte mir permanent alles auf, vielleicht war es auch nicht Stolz, sondern vielmehr Angst, wieder was davon zu verlieren und also zählte ich, schon als Kind hatte ich die Anzahl der Buchstaben der Wörter gezählt, während ich sie aussprach, und ich hätte gerne hundertfünfzig Millionen Stunden Zeit gehabt, um all das aufzuholen, was ich in den Jahren davor nicht gemacht hatte, ohne dass es mir auf mein Zeitkonto angerechnet würde.
So wie ich in meinem ersten Kunststudium häufig immer nur das gezeigt hatte, von dem ich dachte, dass es eine konzeptuelle Logik aufweisen könnte, so zeigte ich nun oft Arbeiten, die etwas bedeuten sollten, insgesamt war ich ganz schön verwirrt aufgrund der vielen verschiedenen Ansätze und ich wollte eine Arbeit über diese Verwirrungen machen, wozu mein Professor meinte, das wäre ja wohl ein bisschen einfach, und dann sah ich plötzlich überall Arbeiten, die voll auf’s Material gingen, wie zum Beispiel jegliche Techniken des Kunsthandwerks, Weben, Sticken, Filzen, Töpfern, und wenn dann aus solchen Webarbeiten beispielsweise die Fäden scheinbar nachlässig raushängten, dachte ich mir, aha, das darf man also auch, und auch Photoshop- oder After Effects-Arbeiten mussten endlich nicht mehr eindeutig besser gemacht werden, im Gegenteil, wenn sie schlecht gemacht aussahen, war das genau richtig.
An Performances aus meinem ersten Studium erinnere ich mich kaum, wohingegen ich jetzt ziemlich oft Performances sah, ach doch, an eine erinnere ich mich von damals, die habe ich allerdings nicht selber gesehen, mein Mitbewohner erzählte mir davon, eine Studentin hatte einen Wagen aus Sperrholz gebaut, den zog sie vor das Haus des Typen, den sie cool fand und sang ein Lied zu ihm rauf. Nun sah ich, wie gesagt, ziemlich oft Performances, einmal zum Beispiel da hing eine Gruppe von Freunden stumm auf dem Boden der Aula rum, ab und zu stand jemand auf und spielte Luftgitarre oder fotografierte mit dem Smartphone einen Besucher, die Besucher wiederum fotografierten die Performer und alle posteten wir die Bilder auf Instagram.
Fotos von solchen Performances, aber auch von Ausstellungen sahen auf Instagram meistens gut aus, überhaupt konnte man bei Ausstellungsansichten generell nicht viel verkehrt machen, denn es spielte keine Rolle, ob Steckdosen, Heizungskörper oder Scheuerleisten mit auf den Fotos zu sehen waren, im Gegenteil, das kam gut an, auch mir gefiel das, das hatte etwas Unverfängliches und Beiläufiges, in Ausstellungen wurden Objekte hinter Rohre eingeklemmt, statt auf einen Sockel gestellt, Keilrahmen standen auf dem Boden, anstatt an der Wand zu hängen, und manchmal wurde gar nicht erst in Ausstellungsräumen, sondern in ehemaligen Sonnenstudios oder Reisebüros ausgestellt, all das erzählte von einer ironischen Grundhaltung, wie es sie wahrscheinlich immer alle paar Jahrzehnte erneut gab.
An die paar Jahresausstellungen meines ersten halben Studiums kann ich mich kaum erinnern, außer, dass sich alle einen Tag vor Eröffnung über die Hängung im Raum besprachen, aber vielleicht ist meine Erinnerung da auch komplett falsch, ich bin mir sogar fast sicher, dass meine Erinnerung falsch sein muss, denn jetzt begegneten mir kluge Raumpläne, frisch geweißelte Wände und ein paar Stunden nach Eröffnung eine besoffene Tutorin in der Ecke, die sich von ihrem Professor verfolgt fühlte und „klar, klar, ich mach das gleich“, lallte.
Kaum, dass ich meinen Abschluss hatte, dachte ich kurz darüber nach, Physiotherapeutin oder Heilpraktikerin zu werden, so wie plötzlich alle aus meinem Umfeld, die nicht mehr Kunst machen wollten und deren Abschluss schon länger zurück lag, mein Abschluss lag dann aber doch noch nicht lange genug zurück.
Vor Kurzem habe ich angefangen, systematisch Dinge in meiner Wohnung auszusortieren. Wenn ich das mache, denke ich darüber nach, wie sich dieses Aussortieren mit der Kunstproduktion vereinbaren lässt, also dass ich zu Hause endlos viele Dinge aussortiere einerseits und andererseits im Atelier nonstop Dinge herstelle, Dinge, die möglichst lange Bestand haben sollen.


 
Foto: Katharina Haak/HFBK Hamburg