Pablo Picasso und Thomas Scheibitz

Museum Bergruen

2020:August // Peter K. Koch und Stephanie Kloss im Gespräch

Startseite > 08-2020 > Pablo Picasso und Thomas Scheibitz

08-2020

„Das ist ja auch ein echter Qualitäts-Check“

Als wir dieses Gespräch führten, gab es noch kein Corona. Irgendwann im Februar haben wir uns verabredet, sind nach Charlottenburg gefahren, haben uns ohne Slot Eintrittskarten gekauft, haben uns dann die Ausstellung angeschaut, ohne Mundschutz, danach einen (leider schlechten) Kaffee getrunken, über dies und das gesprochen, und uns dann verabredet, ein Gespräch über eine Ausstellung zu führen, die uns inspiriert hat. Jetzt ist alles anders, es gibt ein Davor, es gibt ein Jetzt, aber es gibt leider noch kein Danach.
Natürlich stellt sich im Licht der aktuellen Lage die Frage nach der Relevanz eines Gesprächs über eine Ausstellung, die in diesem Davor stattgefunden hat und über die ebenfalls im Davor gesprochen wird, ohne die Möglichkeit das Jetzt zu erahnen und mit in die Überlegungen einzubeziehen. Im Jetzt, nach Eintreten dieses sehr unkünstlerischen Ereignisses namens Pandemie, hätten wir einige Gedanken sicher anders formuliert und das Gespräch hätte sicher hier und da eine andere Richtung genommen. Möglicherweise hätten wir über Krisen an sich oder das Krisenhafte in der Kunst der beiden Protagonisten gesprochen, hätten uns vielleicht Gedanken darüber gemacht, was zum Beispiel Picasso in Zeiten großer globaler Krisen gemacht hat (wie während des 2. Weltkriegs, der doch eine noch viel größere Krise als diese aktuelle darstellte), wären dann aber vielleicht auch zu dem Schluss gekommen, dass man entweder über die Einordnung der Zeitläufte oder aber über Kunst sprechen kann, aber nicht beides gleichzeitig tun kann, was wiederum dazu führt, dass man das Gespräch letztlich eben doch so führen kann, wie wir es eben geführt haben, mit einem genauen Blick auf die Kunst.

Peter K. Koch: Stephanie, wir waren ja neulich in der Ausstellung Pablo Picasso × Thomas Scheibitz – Zeichen Bühne Lexikon in der Sammlung Berggruen und wenn ich mir jetzt den Titel noch mal durchlese, dann frage ich mich, ob das × für eine Kreuzung zweier Künstler steht oder ist das eher ein Multiplikationszeichen? Was dann dahinter kommt, nämlich Zeichen Bühne Lexikon klingt ja schon sehr nach einem typischen Scheibitz-Ausstellungstitel. Picasso ist ja schon tot und konnte sich an der Titelfindung ja nicht mehr beteiligen.

Stephanie Kloss: Als Picasso starb, war Scheibitz fünf Jahre alt und die Mauer stand auch noch. Ob Picasso überhaupt eine Gegenüberstellung gewollt hätte? Wenn ja, dann wäre der Titel bestimmt sowas wie Paar oder Gefährten gewesen, Buddies auf Neudeutsch. Ich würde das × eher als Kreuzung im wörtlichen Sinn betrachten oder vielleicht sogar als Ausixen. Klar sind die Ähnlichkeiten und Scheibitz’ Vorbilder erkennbar. Beide Künstler halten zugleich an der grundsätzlichen Idee von Bild und Skulptur fest. Auf der Kreuzung des Kubismus treffen sich beide: „Von allen großen Ismen des 20. Jahrhunderts“, erklärt Scheibitz, „ist der Kubismus am radikalsten, am prägendsten geblieben.“ Findest du das auch?

PK: Ich glaube, da ist die Sicht auf die Dinge sehr persönlich geprägt. Das Statement ist aber nachvollziehbar, weil der Kubismus für die weitere Entwicklung der Malerei so viel bedeutet hat, weil hier das erste Mal eine Bild- und Realitätszertrümmerung an den Tag gelegt wurde, hinter die danach niemand mehr zurückkonnte und die natürlich für das Werk von Scheibitz augenscheinlich ein große Rolle spielt. Bei ihm geht es ja auch um das Auseinandernehmen und Zusammensetzen von Realität, um das Fragmentieren und Untersuchen von räumlichen und narrativen Zusammenhängen. Picassos Meisterschaft steht ja außer Frage, aber ich hatte in der Ausstellung das starke Gefühl, dass man die malerische Anstrengung des Zertrümmerns und das In-den-Kubismus-Finden bei Picasso spüren kann, und dass Malen, auch wenn es von einem Hochveranlagten betrieben wird, Anstrengung sein kann. Bei Scheibitz sucht man diese Anstrengung vergebens. Alles ist leicht, fließend, fast heiter und doch hat (fast) alles noch eine Metaebene. Da hat er sich ein ziemlich breites Vokabular angeeignet, das immer wieder neue Bedeutungen und Ergebnisse erzeugen kann und unendlich erscheint. Eine wirkliche malerische Sprache.
SK: Die malerische Sprache als Liebesbrief an Picasso. Scheibitz sagt: „Picasso und Duchamp sind meine beiden Hauptstraßen.“ Andere deutsche Maler wie Oehlen z. B. haben ja auch ein unendliches Vokabular. Ist das antiquiert, wenn man sich Picasso als Vorbild nimmt? 

PK: Warum sollte das antiquiert sein, wenn man sich ­Picasso als Vorbild nimmt? Es gibt ja auch Menschen, die Jesus oder Mozart als Vorbild haben, ist das dann antiquiert? Ich denke, wenn etwas Gutes in die Welt gesetzt wurde und über die Jahre nicht schlechter, sondern besser geworden ist und allen wechselnden Moden standgehalten hat, dann taugt es sehr wohl zum Vorbild. Aber noch mal zurück zum malerischen Vokabular. Bei Oehlen, der ja ein anerkannter und sicher auch guter Maler ist, muss man im Gegensatz zu Scheibitz manchmal genauer hinschauen, weil ein Oehlen-Bild potenziell auch von einem anderen Autor stammen könnte, bei Scheibitz kann man das sofort ausschließen, denn seine Bauteile, und wie er sie zusammensetzt, das hat eine extrem hohe Wiedererkennbarkeit. Auf dem Level operiert doch eigentlich aktuell nur noch Neo Rauch, wobei der vollkommen anders sozialisiert ist, oder Baselitz, aber der ist eben eine andere Generation. Hat diese Gegenüberstellung von Picasso und Scheibitz denn für dich überhaupt Sinn gemacht?

SK: Ja sicher, ich fand es extrem beeindruckend, auch weil man so eine Art von Ausstellung in Berlin so selten sieht, also wirkliche Qualität nebeneinander. Ich könnte mir zum Beispiel auch Gerhard Richter × Caspar David Friedrich gut vorstellen. Die Frage, ob Picasso als Vorbild taugt, war ja auch eher provokativ gemeint, die Frage nach der „Antiquität“, das vermeintliche Fehlen der ­zeitgenössischen Themen bzw. politischen Auseinandersetzens oder Post-Moden. Natürlich ist auch Scheibitz’ Arbeit von Popkultur geprägt, aber anders als die in der Malerei gängigen Zitate einer Comic-, Mode- oder Werbeästhetik sehen wir gerade in der Gegenüberstellung etwas Endgültiges. Es gab vor sieben Jahren die Skatrunde BubeDameKönigAss in der Neuen Nationalgalerie. Pressetext: „Vier Künstler, vier Männer und ein Ziel: der Malerei ein breites, museales Podium zu geben.“ Martin Eder, Anselm Reyle, Michael Kunze und Thomas Scheibitz. Mal ganz abgesehen von der Auswahl, wer würde einer Gegenüberstellung mit seinen Vorbildern sonst noch standhalten? Was bringt dir das Sich-Abarbeiten an historischen Positionen?

PK: „Vier Künstler, vier Männer und ein Ziel …“ klingt ja aus heutiger Sicht leider leicht genderfalsch und erinnert eher an die drei (bis vier) Musketiere, aber vielleicht hat Kittel­mann den Text ja selber geschrieben. Ich finde Gegenüberstellungen grundsätzlich erst mal toll, weil man da viel genauer hinschauen kann. Eine Gegenüberstellung ist ja keine Gruppenausstellung, sondern zeigt exakt zwei zueinander stehende Positionen, die sich verschränken können, die sich überlappen können oder im Gegensatz zueinanderstehen und somit einen Kontrast erzeugen.
Bei der Ausstellung in der Sammlung Berggruen kann man das gut beobachten. Man findet eine Menge inhaltliche Gemeinsamkeiten und Herangehensweisen, aber der zeitliche Abstand generiert eben auch den großen Kontrast. Für den Ausstellungsbesucher ist es eine extrem lehrreiche Ausstellung, weil man die jeweiligen Bezüge gut verstehen kann, rein visuell. Ich finde das auch mutig, das ist ja auch ein echter Qualitäts-Check, wenn man sich mit den eigenen Vorbildern messen lässt, und wie wir gesehen haben, macht Scheibitz dabei eine ziemlich gute Figur im Halbprofil. Interessanterweise macht ja gerade das Museum Küppersmühle in Duisburg eine Ausstellung mit dem Titel Farbe Absolut – Gotthard Graubner × Katharina Grosse. Same same, but different. Grosse hat ja sogar direkt bei Graubner studiert. Aber vielleicht hat Scheibitz ja auch bei ­Picasso studiert, indirekt?

SK: Lehrer und Schüler find ich irgendwie nicht so spannend, da ja die Vorbildfunktion schon eingebrannt ist. Durs Grün­bein schreibt im sehr schönen Katalogtext, dass es in der Malerei, vereinfacht gesprochen, die Nachbildner (Illusionisten) gibt und die Erfinder. Also Methodiker und Konstruktivisten. Scheibitz gehört auf jeden Fall zu den Erfindern. Er hat auch nicht lange gezögert, die Herausforderung einer Gegenüberstellung mit dem Übererfinder Picasso anzunehmen. Scheibitz: „Man kann womöglich nichts erfinden, aber ich fühle mich am Rande einer Erfindung ganz wohl.“ Wir haben uns ja in der Ausstellung kurz die kleinlaute Frage gestellt, ob man sich anhand der Qualität des Gezeigten überhaupt noch als Künstler*in wohlfühlt.

PK: Diese Herausforderung muss man ja immer annehmen. Wenn etwas außergewöhnlich Qualitatives angeboten wird, dann verunsichert einen das natürlich erst mal, aber das ist ja gerade das Tolle daran. Du hast ja eben erwähnt, wie oft man mittelmäßige institutionelle Ausstellungen zu sehen bekommt, dann ist die Freude darüber doch ziemlich groß, dass es auch so gehen kann. Eine gewisse Einschüchterung nehme ich dann gerne in Kauf, die verarbeitet sich dann im Weiteren meistens doch in etwas Produktives. Deswegen würde ich gerne noch mal was zu dem Erfinderischen sagen, das bei Scheibitz so stark vorhanden ist. Wenn ich an einen Wortkünstler wie Grünbein oder einen Bildkünstler wie Scheibitz denke, dann sehe ich bei beiden ein gewisses Repertoire an grundlegenden Elementen, bei Grünbein sind es Buchstaben, die zu Worten werden, die dann einen bestimmten Rhythmus und Klang entwickeln, sich aber auch immer in unbekannte Gewässer aufmachen, was der Lyrik ja zu eigen ist, eine sprachliche Suchbewegung, um das auszudrücken, was bisher nicht sagbar erschien oder einfach noch nicht gesagt wurde. Lyrik ist ja im besten Falle sehr beweglich. Beim Malen geht Scheibitz aus meiner Sicht einen ähnlichen Weg, ein Vokabular, das zu immer neuen Formen, Strukturen und narrativen Sequenzen kombiniert wird, um etwas sichtbar zu machen, was bisher unsichtbar war. Wenn er dann sagt, dass er keine Erfindungen macht, sondern sich am Rande einer solchen wohlfühlt, dann höre ich da eine ganz leichte Koketterie heraus.

SK: Scheibitz’ Malerei versucht sich ja an einer Linguistik des Bildlichen, schöpft dabei aus dem Fundus alles bisher Geformten und Gestalteten, eine Meta-Linguistik der Malerei. Ein Bild wie Grammatik (2019), das eine Weiterentwicklung der Arbeit Lexicon (2015) darstellt, hier einzeln im Treppenhaus gehängt und ohne direkten Vergleich zu einem „Picasso“, illustriert den jüngsten Stand seiner Versuche auf diesem Feld. Hier ergeben Linien, Farbfelder, Hand- und Druckschrift, Raster, Geometrie und Körperform eine Konstellation, die einen Kommentar über die Malerei als solche darstellt: „In meiner Arbeit geht es eigentlich immer um eine Übersetzung von Dingen und Erlebnissen aus der gedanklichen und sichtbaren Welt. Ich lehne die Thematik ‚abstrakt‘ und ‚gegenständlich‘ ab. Heute geht man mit Schrift so um, dass es eben auch am Rande der Lesbarkeit sein kann oder dass man etwas als Logo wiedererkennt oder dass die Dinge zusammengenommen fast wieder bildnerisch verwendet werden. Wenn ich etwas nehme und das verdrehe oder entschlüssele und anders einsetze, dann ist das ja fast ein bildnerischer Vorgang und die Schrift ist als Zeichen natürlich … wie soll man sagen? Es ist quasi Neuerfindung der Schrift in einer extra Form.“ Zusammengefasst bzw. vereinfacht: Sprache als Zeichen und Form, ohne immanente Bedeutung. Ist vielleicht dann doch grundlegend anders als bei Picasso?

PK: Das ist allerdings grundlegend anders und daran erkennt man auch die Verortung in unterschiedlichen Zeiten. Zu Picassos Zeiten war ja Schrift als eigenständiges Bildelement noch nicht so verbreitet wie heute. Klar, die Dadaisten haben das schon gemacht, aber doch eher mit einem klaren Narrativ, einer zwar verzerrten, aber verständlicheren Botschaft. Bei Scheibitz ist das Wort ja gar nicht da, sondern nur das Zeichen als Symbol für eine Möglichkeit der Kommunikation. Das mag ich sehr und das passt natürlich fabelhaft in die gesamte Bildstrategie.

SK: Wenn Picasso das buchstäblich Zeichenhafte perspektivisch verdreht, z. B. ein Auge an eine Nase klebt, dann hat auch er das „Lesen“ des Bildes verändert,  so wie Scheibitz ein Alphabet für eine bildnerische Universalsprache erfindet, die keine Übersetzung braucht, weil sie erkennbar und doch unleserlich poetisch ist. Im allgemeinen Informations­wahnsinn eine beruhigend ruhige und wunderschöne Ausstellung!

„Pablo Picasso × Thomas Scheibitz – Zeichen Bühne Lexikon“, Museum Berggruen, Schloßstraße 1, 14059 Berlin, 14.9.2019–1.3.2020
 
Ausstellungsansicht, Foto: Atelier Thomas Scheibitz