Brandlhuber, Sander, Fezer

2012:Dec // Barbara Buchmaier und Christine Woditschka

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12-2012

















Thrilling the Saturated
/ Featuring Arno Brandlhuber, Karin Sander, Jesko Fezer

„Im Archipel“ fängt alles an mit den berühmten 20, äh… 8 Zentimetern, so hoch steht das Wasser zumindest vor den noch kommenden Verdunstungsverlusten in der Brunnenstraße. Dann geht’s weiter zum imaginären Nebenschauplatz Nationalgalerie, später zur Schipper, hier haben wir es mit weit mehr zu tun, nämlich nun sogar mit 400 Zentimetern. Wir fallen im „Archipel“ durch die Löcher von Karin Sander und landen auf den Gipfeln der Betonberge von Arno Brandlhuber und sehen uns trotz mysteriöser Dunkelheit selbst im Spiegel. Auf dem Heimweg stolpern wir noch über das akute stadtpolitische Baugruppen-Konstrukt in der Ritterstraße 50 in einer eigentlich laut Johann König nicht gentrifizierbaren Kreuzberger Gegend: „,Gentrifizierung‘ durch zahlungskräftige Mieter sei in den umstehenden 60er-Jahre-Bauten nicht zu erwarten.“ (Zitty, 20.09.2012: http://www.zitty.de/st-agnes-kirche.html, Stand: 15.11.2012)

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Erste Station
Wir haben es gesehen im Archipel: das Wasser. Kaltes, klares, seichtes Wasser, ganz leicht mit Plateauschuhen jesuslike zu überqueren. Brandlhuber stellt den Ur-Zustand der von ihm aufgekauften und ausgebauten Bauruine wieder her. Er gießt sich und der „hauseigenen“ Galerie selbst subversiv Wasser in den Keller, sozusagen ein selbstinduzierter Wasserschaden.
Handelt es sich da etwa um destruktive Selbstzerstörung á la „Ich stelle mein eigenes Fundament in Frage“, oder sehen wir in der vergänglichen Schönheit der Wasseroberfläche einfach die geballte Reflexionskraft eines Fundamentalisten?
Was für eine Geste! Bekommst Du auch schon kalte Füße?
Dann schnell hoch an die Rechner des Galeriepersonals. Hier läuft ein Videoloop, den Brandlhuber zusammen mit dem Cutter, Regisseur und Esther-Schipper-Künstler Christopher Roth (man erinnere sich an: „Baader“, 2002) erstellt hat. Eine Collage aus aktuellen Imagetrailern großer Berlin-Immobilien-Investoren (Yoo-Berlin, Car Loft Paul-Lincke-Höfe, Choriner Höfe, Projekt Kronprinzengärten). Das Problem sind die Mini-Inserts und Schlagwörter, die Brandlhuber und Roth eingefügt haben. Wollen sie die glatte Optik der Werbefilme überaffirmieren, zynisch oder gar kulturwissenschaftlich-kritisch-intelligent sein?
Erstes Beispiel: im Werbefilm ein smart lachender potentieller Wohnungskäufer in teurem Lokal. Essen mit Top-Ehefrau. Sie lächeln sich glücklich an. Top-Zahnreihen, Top-Fassaden, das Gewohnte halt. Insert Brandlhuber/Roth: ARE YOU HAPPY??!?
Zweites Beispiel: dem Begriff Culture aus der Imagekampagne von Yoo-Berlin folgt ein von Roth und Brandlhuber eingeblendetes Bild eines schwarzafrikanischen Nasenflötenspielers, beim Begriff Nature sehen wir Fisch und Muscheln auf einem afrikanischen Markt. Jaja, der schwarze Afrikaner alias der naive Wilde steht hier wohl für die Natürlichkeit, die Ursprünglichkeit. Soll das etwa der Kontrast zum feschen Manager sein? Der scheinbar angestrebte Rückzug zur Natur. Ja, der Mensch kommt ja aus Afrika. Homo sapiens kann auch aus wenig ganz viel Spaß generieren. Sollte dies etwa die von den beiden gefühlte Künstlichkeit des Lebens am Gendarmenmarkt konterkarieren? Aber ist bestimmt anders gemeint, schon klar.

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Let me be your fantasy
Let’s spread our wings and fly away-ay
Touch all your dreams way down insi-i-ide
Baby D, 1992


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ARE YOU HAPpY?, piep, Peep, Pee, Pipi

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Wieviel brauchst Du eigentlich zum Leben? Was hast Du schon?

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Zweite Station
Die Neue Nationalgalerie steht ja kurz vor der Generalsanierung, da könnte doch vorher noch was gehen für Brandlhuber, den Architekten auf dem Weg zum Staatskünstler. Betonschüttung ins Untergeschoss? Ah, oder Estrich an die Fenster klatschen. Bleisplashing reloaded. Dreck unlimited. Eine Riesenspielwiese, geil! Material-, äh Kissenschlacht für die Generation 50+ mit Light-Beton-Styropormix. Anti-Gentrifizierungsdemo in der Nationalgalerie. Mal richtig Frust ablassen.
Wenn ihm da nicht mal die Karin Sander zuvor kommt.

Dritte Station
Steckdosen, Kabel und Abdichtungen hat sie freigelegt, Ent kernung total, gleich gegenüber bei Schipper. Ein weiterer rückgebauter Rohbau ist somit entstanden und das auch noch in Brandlhubers ehemaligem Büro, das sich bis vor knapp zwei Jahren in den jetzigen – von ihm selbst zur Schipper-Galerie umgebauten – Räumen befand. Mir wird schwindlig.

Enthüllen ist ja schon cool, aber einfach nur überflüssige Kosten produzieren? Nichts daran ist political correct, vielmehr verursacht dieser „Eingriff“ unsinnigen Schaden, nichts als Materialverschwendung. Eine völlig leere Geste der Pureness ohne Erkenntnisgewinn, die nur an der Oberfläche aussieht wie zumal ganz alte Institutionskritik. Nach der temporären Bodenbetonierung von Matti Braun noch in der Linienstraße 2010 der nächste Irrsinn. Wahnsinn unlimited. Warum sagt denn keiner: STOP!

„Eingriff“? Socke in der Hose? Die scheinbar kompromisslose, aber auf jeden Fall pathetische Suche Karin Sanders nach dem Urzustand im Rohbau kommt uns außerdem so komisch abgekupfert vor, so déjà-vu-irgendwie-schon-gesehen – Gordon Matta-Clark als lapidarer Papierabwurf …


Vierte Station
Doch wo Karin Sander nur Löcher für Papier in den Büroboden des NBK bohrte, setzt Arno Brandlhuber eins drauf, jetzt regnet’s heavy material: Beton. Man beachte: Frau: Papier, Loch. Mann: Beton, Haufen. Der psychoanalytischen Auslegung seien hier keine Grenzen gesetzt. Karin Sander ist auf jeden Fall kein Heavy Mädel.
Irgendwie ergänzen sich die beiden wie Yin und Yang.
Gegen künstlerische Deutungen der Ausstellung Brandhubers als Kunst verwehrt sich Marius Babias im Künstlergespräch im NBK. Er verstünde es gar nicht, sagte er, dass so ein Missverständnis entstünde, schließlich ginge es bei Arno Brandlhuber doch darum, das Medium Kunst als Sprachrohr für politische Statements zu nutzen und so den gesellschaftlichen Wirkkreis zu vergrößern. Aber STOP: Wozu denn dann das ganze Material? Das riecht schon zu stark nach KUNST. KUNST KUNST KUNST, wohin Augen und Ohren reichen. Zwar schon recht angestaubte KUNST – vor allem bei den konzeptionell zur Ausstellung gehörigen Abbrucharbeiten wird noch ganz schön viel Staub aufgewirbelt –, aber dennoch: im Rohbau-Remix (fineart-tunes) sehen wir konkrete Formen, Pfützen, Haufen und Spiegel, die diese auch noch ins Unendliche vermehren. Und wo Formen da auch Interpretation. Zweifelsohne: die Zeitung mit einer Sammlung von Artikeln zur Berliner Liegenschaftspolitik als Teil des Projektes hätte eigentlich auch genügt. Sehr informativ. Vielen Dank dafür.

Aber: Der Prophet baut sich in diesem Fall halt seine eigenen Berge. Spieglein, Spieglein an der Wand …

Und da tauchen wir auf: ICH und DU. Ja und? ICH hab die schönere Eigentumswohnung in Mitte.

Letzte Station
Muidatslegeipsspiegelstadium
torococorottorococorot
Die Platte läuft rückwärts und offenbart die Botschaft des Teufels.
Die von Brandlhuber gern benutzte Formulierung „sich mit Eigentumsrechten bewaffnen“ bedeutet erstmal wohl, dass die bösen Townhouse-Besitzer sich besser stellen im Kampf um Stadtraum und, sozusagen bis zu den Zähnen bewaffnet, zum Beispiel die kreative Kulturszene aus dem Zentrum verdrängen.

Im Spiegel offenbart das Kippbild die zweite Bedeutung:

Das Eigentum wäre dann die EIGENE Waffe gegen die bösen ANDEREN Investoren. Sich selbst stark machen. Kapiert? Als Mieter hast du nix zu sagen, du hast einfach keine Macht. Also: Aufrüsten, Leute! Kauft! Macht Geld locker! Macht die Stadt schöner. Eignet sie euch an, bevor es andere tun! Proletarier aller Länder, bewaffnet euch mit Eigentum!

Gefolgt sind diesem Aufruf des selbstgewählten Klassensprechers Arno Brandlhuber schon zum Beispiel Karin Sander, leftover, äh… Loftowner. Und auch von Jesko Fezer, einer prominenten Stimme der linken Stadtpolitik, hört man den Appell zur allgemeinen Bewaffnung mit Eigentum gegen die Bürger, allerdings gepaart mit der vorhergehenden Entschuldigung, dass dies nur als notwendiges Übel in Kauf genommen wird. Fezer: „Geht es [beim ifau-Baugruppenprojekt R50] doch weniger um Eigentumsbildung an sich, sondern vielmehr um eine Standortsicherung bereits etablierter städtischer Akteure vor dem Hintergrund eines steigenden Verdrängungsdrucks durch hinzuziehende bürgerliche Schichten.“ (ARCH+ features, März 2011, S. 8)
Euch geht es NICHT um Eigentum, aber den anderen? Geht doch!
Aber eines ist wohl wahr, die Künstler können in Gemeinschaft bestimmt die schöneren, zumal beispielhaften Stadt-Häuser bauen, nicht so eklig steril und kalt.
 
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Let it be your fantasy!

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Gegen Townhouse-Investoren schlägt Brandlhuber in einem Interview genossenschaftliche Bauformen oder Erbpachtmodelle als Strategien vor (http://vimeo.com/36681905, Stand: 14.11.12). Das Role-Model hofft also nicht auf komplette Nachahmung seines Beispiels, schließlich hat er ja schon Top-Eigentum in Mitte. Aber klar, für die ANDEREN wäre die Genossenschaft ganz empfehlenswert.
Aber eine Genossenschaft zu gründen, ist gar nicht so attraktiv, was man daran sieht, dass es nicht einmal „etablierte städtische Akteure“ schaffen. So führt Jesko Fezer in einer Diskussionsrunde an: „Der Versuch, einen genossenschaftlichen Bau zu entwickeln [hat nicht geklappt], hm…, die Rahmenbedingungen waren dann zu ungünstig, um das wirklich durchzuführen auf dieser Dimension des Projektes.“ (http://www.archplus.net/home/news/7,1-6339,1,0.html?referer=6, Stand: 13.11.2012)
Von daher ist zu überlegen, ob a) die Rahmenbedingungen zu verbessern sind oder b) ob Genossenschaftsgründungen überhaupt das adäquate stadtpolitische Instrument linker und sozialer Politik sind oder c) wie eine neue Politik ohne Rechtfertigungen zu vertreten sei, denn: Verdeckte Verschiebung, Umdeutung, Selbstdeutung, beschönigte Eigendeutung, Opportunismus nerven langsam.
Ach, und übrigens, die gerne angewandte Floskel von der eigenen Ambiguität, Teil des Marktes zu sein, gar sich selbst zu Markte zu tragen, wirkt auch langsam wie verschlucktes Rauschgift: Sich selbst die Kritik einverleiben und mantraartig die eigene Verwobenheit zu thematisieren, indem man sich selbst kritisiert. Und dann doch zu machen, was man will. Das sieht erst gut aus, entwickelt sich aber nachher wie ein Trojanisches Pferd zur destruktiven Geschichte.
Wie wäre es mit der Neuen Offenheit? Wir tragen sowieso schon lange YSL und RAF, wir haben Eigentum in Mitte, denn, natürlich sind wir Teil des Systems, es gibt schließlich wirklich echt KEIN AUSSEN. Dann ließe sich wieder besser über das WIE des Miteinander-Lebens sprechen.

Sonst bleibt am Schluss nur der Satz: die Linken der Krisenjahre leben wirklich bürgerlicher als der letzte Bürger.

Nachwort: Der Unterschied zwischen „Hausbesitzer“ und „Hausbesetzer“ ist im Übrigen nur ein Buchstabe. It’s our gentrifuture, Gentrifizifuzi, Gentrifizifezi …
Collage: Andreas Koch (© )
Baugruppenprojekt Ritterstraße 50 zwischen Hochhaus und Waldorfschule (© Andreas Koch)
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