Gespräch mit Jens O. Brelle

Urheberrecht

2012:Dec // Elke Stefanie Inders

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12-2012

















Steal like an artist? Urheberrecht versus künstlerische Freiheit
/ Elke Stefanie Inders im Gespräch mit Jens O. Brelle

Elke Stefanie Inders / Deine Kanzlei beschäftigt sich hauptsächlich mit Medien- und Urheberrecht. Wie bist Du auf dieses Gebiet gekommen?
Jens O. Brelle / Ursprünglich wollte ich Fotodesign studieren, habe mich dann aber doch für Jura entschieden und wollte Strafverteidiger werden. In Berlin habe ich Ende der 90er Jahre nach meinem Referendariat ein Praktikum bei der Geschäftsführung der Kulturbrauerei gemacht und bin so bei den Themen wieder angekommen, die mich eigentlich interessieren. Über das Jurastudium bin ich sozusagen durch die Hintertür in die Kreativbranche geraten und rechtlich ist das ja der Medienbereich. Den Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht gibt es noch nicht so lange und dieser Bereich traf genau meine Spezialisierung und Interessen; daher konnte ich auch als einer der ersten diesen Titel tragen. Ich nenne mich zwar Art Lawyer, aber meine Mandanten kommen nicht hauptsächlich aus der bildenden Kunst, sondern sind vorwiegend Grafiker, Werber, Journalisten Fotografen, Filmleute, Designer, Autoren oder Musiker.

Inders / Das sind ja doch zwei sehr verschiedene Sphären; der juristische Bereich und die „Kreativszene“. Wenn ich mir den Veranstaltungskalender auf Deiner Internetseite zur Galerie „Das Magazin“ anschaue, erscheint mir das nicht als privatistisches Projekt, weil Du das ja sehr dezidiert angehst.
Brelle / Ja sicher ist das meinen privaten Interessen geschuldet, ich bin magazinaffin und mich fasziniert dieser Bereich. Hamburg ist ja immer noch Printstadt und eine Magazingalerie gibt es so nicht. Im Vergleich z.B. zu „Gudberg“ in Hamburg, die eher wenige Veranstaltungen machen, ist „Das Magazin“ nicht gewinnorientiert. Ich stelle den Raum kostenlos für Leute zur Verfügung, die mit Printkultur zu tun haben. Und bei den Veranstaltungen mache ich dann die Bar. Fertig! Das ist ein Geben und Nehmen.

Inders / In einem Essay von Dir, in dem Du über Urheberrecht und Appropriation Art schreibst, sagst Du, dass sich diese Künstler automatisch in das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und künstlerischer Freiheit begeben. Und die zentrale Problemursache dabei sei das deutsche Urheberrecht, das nicht mehr zeitgemäß bzw. zu uneindeutig sei. Was müsste denn Deiner Meinung nach geändert werden, um diesen Missstand zu verändern? Das ist ja eine Forderung, die auch von der Piratenpartei gestellt wurde. Glaubst Du, dass Vorschläge wie die der Piratenpartei in die richtige Richtung weisen? Die wollen ja eine sehr umfassende Reform des Urheberrechts und begründen das eben auch damit, dass dieses auf einem veralteten Verständnis von geistigem Eigentum beruhen würde, was der derzeitigen Wissens- und Informationsgesellschaft komplett konträr entgegenstehen würde. Sie fordern, das nichtkommerzielle Kopieren zu legalisieren, und dass z. B. wissenschaftliche Publikationen frei im Netz zugänglich sind. Das Auskommen der Urheber soll dann durch neue zeitgemäße Geschäftsmodelle gesichert werden wie z. B. Crowdfunding.
Brelle / Ja, sicherlich ein sehr interessanter Ansatz, die Schranken des Urheberrechts insbesondere bei wissenschaftlichen Publikationen noch mehr auszuweiten. Ob das Crowdfunding-Modell eine angemessene Vergütung der Urheber sichert, halte ich jedoch eher nicht für realistisch. Die Diskussion, dass das Urheberrecht reformbedürftig ist, wird ja schon seit Jahren geführt und verschiedene Reformen wurden ja schon durchgeführt. Aber im Endeffekt hat es dazu geführt, dass die Mauern immer höher wurden. Das Urheberrecht wird nach Meinung vieler Leute immer mehr zum Verwerterrecht, bei dem die Urheber eindeutig den Kürzeren ziehen und geprellt werden, z. B. ist dies für Autoren, die sowieso nicht viel verdienen, hochgradig problematisch, sozusagen ein Total-buy-out, da sie alle Rechte abgeben müssen, also gegen eine einmalige Pauschale, und meistens ist dies eine geringe Vergütung. Das ist eine Realität. Mein Ansatz der auch von vielen geteilt wird, ist, dass man das Urheberrecht eher lockert und dadurch auch mehr kreative Freiräume schafft. Ich bekomme häufig Anfragen von Leuten, also von Kreativen, die Angst haben überhaupt noch etwas zu verwenden und die es dann lieber ganz lassen. Sie fürchten sich in den Verletzungsbereich des Urheberrechts hineinzubegeben und deswegen machen sie lieber gar nichts.

Inders /   Und mit Lockern meinst Du genau was? Wir sprachen ja eben davon, dass das Urheberrecht immer mehr zum Verwerterrecht wird und wenn man dies lockert, dann ist dies doch ein immer weiter fortschreitender Nachteil für die Urheber?
Brelle / Mit Lockern meine ich natürlich auch zu Gunsten des Urhebers. Und zwar eben auch in dem Sinne, falls er etwas verwenden will. Wenn er z.B. ein fremdes Bild als Vorlage bearbeiten will, als Sampling oder Collage. Jetzt ist es so, dass das ziemlich restriktiv gehandhabt wird. Urheberrecht hat ja verschiedene Schranken, wie z.B. die Zitatfreiheit, die freie Benutzung, d.h. dass man diese Aussage dann mit einem fremden Bild belegen kann. Das Zitat darf nicht über den Zitatzweck hinausgehen und dient als reiner Belegzweck. Meine Idee ist es, dass man diese Schranken noch weiter ausweitet, um eher Kreativität zu fördern. Dass man z.B. auch Schutzfristen verkürzt, die ja jetzt noch auf siebzig Jahre begrenzt sind. Das ist ein Zeitraum, wo man sich im modernen Kommunikationszeitalter fragen muss, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, dass ein Werk noch siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt ist.

Inders / Also ich schaue da als Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin drauf und natürlich weniger oder gar nicht von der juristischen Seite, weil ich davon keine Ahnung habe und sage daher, Appropriation-Art-Künstler, oder eigentlich alle Künstler oder Kreative, die mit Samplings, Found-Footage, Remixes usw. arbeiten, verstehen den Akt der Aneignung ja nicht als Diebstahl, sondern als Teil ihres künstlerischen Konzeptes, z. B. als Repräsentationskritik, als Infragestellen der Autorenschaft, des Geniekultes usw. Aneignung wird hier ja nicht als Diebstahl von Eigentum oder geistigen Eigentums verstanden. Du hast das ja eben im Grunde schon angedeutet. Aber kann man diesen Widerspruch überhaupt auflösen, also zwischen künstlerischer Praxis und Rechtsprechung?
Brelle / Nach dem deutschen Urheberrecht ist es so, dass wenn eine schöpferische Qualität und eine besondere Originalität bei einer Arbeit erreicht ist, diese auch ohne die Zustimmung des Urhebers veröffentlicht werden darf. Aber das ist ja auch nicht die These oder das Konzept der Appropriation Art, da geht es ja gerade darum, sich etwas Fremdes entgegen dem Dogma der Rechtsordnung anzueignen.

Inders / Ich vermute ja, dass man diesen Widerspruch nicht auflösen kann …
Brelle / Die künstlerische Freiheit ist ja im Gesetz verankert, aber sie ist eben nicht grenzenlos und das Urheberrecht wäre dann ja auch so eine Grenze. Und es ist dann die Frage, wann ein Künstler diese Grenzen verletzt, was natürlich immer auch Auslegungssache ist. Als Grenze dieser Freiheit existiert eben der Konflikt zwischen Urheberrecht und Künstler, wobei der Urheber dann der „Betrogene“ ist.

Inders / Du würdest also Sven Regener zustimmen, der sich kürzlich sehr vehement über den Umgang mit künstlerischen Urheberrechten aufgeregt hat. Dass es ein Skandal sei, wenn man als Künstler das Wort Urheberrecht in den Mund nähme und dann eben als uncool gälte. Er kritisiert, dass Diebstahl im Netz inzwischen als cool gilt.
Brelle / Soweit ich Sven Regener verstanden habe, kritisiert er, dass sich große Konzerne wie Google (z. B. durch Werbeeinnahmen bei YouTube) auf Kosten der Künstler bereichern, die „sozusagen die Penner in der letzten Reihe“ seien. Dieser Kritik kann ich nur zustimmen und sie belegt meine These, dass sich das Urheberrecht eher zu Gunsten der wirtschaftlichen Verwerter und weniger zum Schutz der Urheber selbst entwickelt.

Inders / Ich komme nochmal auf meine Bemerkung von vorhin zurück, dass Appropriations-Künstler ja im Grunde eine Kritik am Primat des Eigentums üben, also an einem Tabu rühren, was eben zu ungerechter Verteilung führt. Was kann daran falsch sein?
Brelle / Ja, das ist zwar richtig, aber oft ist es so, dass die Rechte der Urheber dann eben doch verletzt sind, weil sie nicht gefragt wurden und weil keine Schranke des Urheberrechts greift und die Zustimmung nicht vorliegt. Wenn ich als Jurist spreche, dann ist die meiste Appropriation-Art sicherlich eine Urheberrechtsverletzung.

Inders / Und als Nichtjurist würdest Du das kritisch hinterfragen?
Brelle / Als Nichtjurist würde ich sagen, dass das eigentlich erlaubt sein muss; als Kunstform, als Aussage.

Inders / Siehst Du da Chancen, das juristisch zu verankern?
Brelle / In der Weite und Bandbreite wohl kaum. Das denke ich nicht. Und die andere Sache ist ja auch, wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Wenn sich der Urheber im Nachhinein damit einverstanden erklärt, dann gibt es ja auch kein rechtliches Problem.

Inders / Das heißt für mich übersetzt, Versuch macht klug, oder auch nicht! Aber dann stehe ich ja als Künstler wieder vor dem oben genannten Problem, infolge der Rechtsunsicherheit?!
Brelle / Genau so ist es. Als bestes Beispiel dient der „Marl­boro Country Man“, den Richard Prince 1:1 ohne Zustimmung vom Fotografen Dieter Blum abfotografiert hat. In einem Beitrag im „art“-Magazin (November 2012) steht dazu: „Dass Richard Prince Blums Aufnahmen als Vorlagen für seine Re-Fotografien verwendet hat, sei ihm egal …“ Der Fotograf wird zitiert: „Mein Rechtsanwalt fragte mich, was ich dagegen unternehmen will. Ich sagte: nichts. Er fand, das sei eine gute Entscheidung.“ Aufgeregt habe sich Blum jedoch, als ein Galerist seine Aufnahmen ablehnte, weil sie denen von Richard Prince „zu ähnlich“ seien.

Inders / Neulich musste das Kölner Kunsthaus Lempertz eine Schadensersatzforderung eines Käufers in Höhe von zwei Millionen zahlen, da das versteigerte Bild des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk gefälscht war. Da hieß es im Urteil, dass seitens des Kunsthauses keine ernsthaften Kontrollen stattgefunden haben und das Landgericht Köln warf Lempertz in seinem Urteil Fahrlässigkeit bei der Prüfung vor und dass für eine sichere Zuschreibung des Bildes zu Heinrich Campendonk keine hinreichend tragfähige Grundlage vorhanden sei. Es gab z. B. keine Echtheitsexpertise, die aufgrund des Rekordpreises und weil es auch keine Abbildung davon in der Fachliteratur gab, unbedingt hätte eingeholt werden müssen. Verurteilt wurde hier nicht der Fälscher, Beltracchi, sondern das Kunsthaus. Das Gericht erkannte es übrigens nicht als Entschuldigung an, dass das Kunsthaus getäuscht wurde. Die wurden ja als die Dusselköpfe dargestellt. Ich musste übrigens ziemlich über dieses Urteil schmunzeln und habe mich gefragt, ob da jetzt mal endlich der Richtige bestraft wurde? Also kann man sagen, dass dieses Urteil wegweisend ist?
Brelle / Also, das ist jetzt das erste Urteil dieser Art, das ich kenne.

Inders / Meine Frage zielt ja auch in die Richtung, dass Beltracchi sich hier eigentlich ein Bild angeeignet hat. Selbstverständlich ist mir klar, dass Beltracchi sich mehr als unseriös verhalten hat und natürlich bewusst getäuscht hat, um daraus Profit zu schlagen, und dies hat er ja auch über viele Jahre hinweg getan.
Brelle / Ach so, Du meinst Kunstfälscher sind eigentlich Appropriationisten? Das ist jedenfalls eine steile These!

Inders / Nein, das meine ich natürlich nicht. Aber irgendwie musste ich lachen, als ich von dem Urteil gehört habe, Beltracchi wurde ja schon bestraft, sechs Jahre im offenen Vollzug, die er gerade absitzt. Außerdem wird hier mal wieder die Frage nach dem Verhältnis von Original und Kopie bzw. Fälschung aufgeworfen.
Brelle / Ja, das ist es, was ich vorhin eben auch meinte, dass in diesem Falle das Abkupfern eines Bildes ja nicht einem guten Zwecke diente. Also so wie das Urteil entschieden wurde, ist das richtig. Das Entscheidende an dem Urteil war die Verletzung der Sorgfaltspflicht seitens des Kunsthauses.

Inders / Wenn ich mir über das Verhältnis von Kopie und Original Gedanken mache, und ich sage hier bewusst nicht Fälschung, sondern Kopie. Also wenn ich darüber nachdenke, auch im juristischen Sinne, soweit ich das überhaupt vermag, dann scheint es, dass die Debatten um Original und Kopie die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen, also das, was wir als Original und Kopie unterscheiden, nicht einbeziehen. Wenn ich mir Gedanken um die Reformierung des Urheberrechts mache, dann sollten diese möglicherweise zu überdenkenden Vorstellungen die Reformen ja auch berühren. An diesem Punkt sind wir doch weit entfernt davon uns theoretische Gedanken darüber zu machen, was eigentlich unsere so scheinbar unhintergehbaren Vorstellungen von Kopie und Original sind. Schaue ich mir die asiatischen Länder an, dann herrscht dort eine ganz andere Vorstellung von Kopie und Original. Hier ist eine Kopie oder Fälschung etwas Böses oder Illegales. Dort ist das Klauen und Kopieren ja etwas Positives. Ich denke da auch an Byung-Chul Han, der das westliche Konzept des Originals dekonstruiert und dagegen die chinesische Vorstellung von künstlerischer Schöpfung setzt…
Brelle / … und nach meinem laienhaften Wissen machen die Chinesen ja auch ein Kompliment mit einem Fake! Also ich bin ja kein Asienexperte.

Inders / Also ich auch nicht. Aber mir fällt da ein in Berlin lebender befreundeter chinesischer Künstler ein, in dessen Arbeiten und Erzählungen der Bezug zu künstlerischen (Ai Weiwei) und politischen Autoritäten (Mao) in China hervorsticht, sei es affirmativ oder kritisch. Es gibt da jedenfalls eine ganz starke Identifikation. Immer wieder wird in seiner Herkunftsfamilie die Geschichte von seinem Großvater, einem Pekinger Bibliothekar, erzählt, der Mao das Kommunistische Manifest persönlich ausgeliehen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint mir aber der Denkansatz von Byung-Chul Han unbedingt interessant, denn im Allgemeinen monieren wir das Faken von Produkten als wirtschaftlichen Schaden, als Ausverkauf von guter deutscher Qualitätsarbeit und Produktinnovation. Ganz besonders, wenn es um die Autoindustrie und das Ingenieurswesen geht. Und dort ist das im Grunde eine kulturell gewachsene Tradition, dass man Dinge kopiert, die können sozusagen gar nicht anders. Als kulturhistorische Ursache dafür werden die zahlreichen kulturellen Brüche innerhalb der chinesischen Kultur bezeichnet.
Brelle / Du meinst etwas ist so gut, dass man es eben kopieren muss. Ja und genau nach unserem Verständnis und natürlich Rechtsverständnis greifen dann die Schutzrechte, zu denen das Urheberrecht gehört, um wirtschaftliche und urheberrechtliche Interessen zu fördern. Dass der Urheber das Recht hat, diese Dinge zu vervielfältigen, gehört zur Säule der wirtschaftlichen Verwertungsinteressen, das Urheberpersönlichkeitsrecht wird als weitere Säule des kontinentaleuropäischen Urheberrechts angesehen. Dann würde nach unserem Verständnis das asiatische Recht mit unserem kollidieren. Zumindest kollidiert das asiatische mit unserem wirtschaftlichen Recht. Sie ziehen ihrerseits einen Nutzen daraus, ohne den Urheber dabei zu fragen und zu beteiligen. Das Persönlichkeitsrecht, o.k., das kann man vielleicht in Einklang bringen, aber ein Problem gibt es dann mit dem Namensrecht, wenn eben Produkte nicht genannt werden. Ja, finde ich schwierig, also, dass man kopiert, um dies als Kompliment zu fassen, das ist in Ordnung, aber was kommt dann? Ich weiß natürlich auch nicht woran das liegt, dass das den Urheber auch nicht mehr kratzt. Vielleicht weil China so groß ist, keine Ahnung. Aus wirtschaftlicher Sicht kann ich es nicht nachvollziehen.

Inders / Also ist es eben nicht kompatibel, weder aus unserer rechtlichen Sicht noch hinsichtlich unseres kulturellen Verständnisses.
Brelle / Ja genau, aber dort scheint es zu funktionieren. Und es wird eben auch anders aufgefasst, weil es die Menschen scheinbar gegenseitig beflügelt.

Inders / Trotzdem meine ich, dass man diese Argumente (von Byung-Chul Han) nicht einfach wegwischen kann. Stichwort: Globalisierung. Hier kann man zwei diametral entgegen gesetzte Prozesse konstatieren: Einerseits vereinheitlicht sich alles, andererseits fordern wir eine Individualität, die aber nicht mehr möglich ist. Das, was wir kritisieren, passiert ja sowieso schon.
Brelle / Ja, das kann ich eigentlich nur bestätigen.

Inders / Wenn ich also an Walter Benjamin und das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ denke, aber vorrangig die technischen Voraussetzungen fokussiere, mit denen Kunstwerke vervielfältigt werden können, dann hat man wohl niemals zuvor so ausgefeilte Möglichkeiten besessen, um Kunstwerke zu reproduzieren.
Brelle / Ich kann das nur bestätigen, dass Urheberechtsverletzungen durch die Vereinfachung der technischen Möglichkeiten nun viel häufiger auftreten, natürlich weniger für den Bereich der bildenden Kunst, sondern eher für das Filesharing, was eben auch zu einem massenhaften Urheberrechtsmissbrauch führt, wie das im Bereich der bildenden Kunst aussieht, weiß ich nicht. Sicher richtig ist, dass durch die elektronischen Medien natürlich oder wahrscheinlich immer mehr Kunstwerke entstehen.

Inders / Ich meine jetzt eher, dass sich da die Katze in den Schwanz beißt: Die technischen Möglichkeiten sind immens entwickelt und entwickeln sich auch immer schneller. Also nutze ich sie auch als Künstler. Das ist ja sozusagen eine Einladung.
Brelle / Das war ja auch meine Ausgangsthese: Daher sollte man auch Urheberrechtsschranken niederschwelliger ansetzen. Das würde dann auch Urheberrechte fördern und eben nicht verhindern, wie das jetzt der Fall ist, weil es ja eben nicht geht. Die technische Entwicklung geht hier schneller voran.

Inders / Also das, was derzeitig versucht wird im Internet zu verbieten, sieht meines Erachtens nach einer gewaltigen Flickschusterei aus, eine Art Symptomdoktorei, und das wird auf Dauer nicht funktionieren.
Brelle / Ja genau. Ich meine, ich bin kein Experte im Bereich von Open-Source, aber das ist ja genau die Idee, dass man Dinge freigibt, die sich folglich vervielfältigen und die man dann auch kommerzialisieren kann und die in Betrieb gehen. Dass man dann eben noch Zusatzleistungen anbietet, die auch Ertrag bringen können. Dies war genau so bei ­Linux der Fall, die dann durch den Vertrieb von Handbüchern Kosten rein bekommen haben. Also im Grunde würde ich sagen, Open-Source geht in Richtung Appropriation und Vervielfältigung, wo man eben keine Schranken aufrichtet, so wie das jetzt bei Apple der Fall ist. Sondern man gibt etwas frei und daraus entwickelt sich etwas Neues.

Inders / Hier finden ebenso zwei sehr gegenläufige Entwick­lungen statt, dass man einerseits im Internet alles für alle freigibt, aber gleichzeitig dies reglementieren will. Die Frage stellt sich dann wohl permanent, welche Risiken und welche Vorteile das hat.
Brelle / Dem würde ich so uneingeschränkt zustimmen.

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