Heji Shin und Andreas Mühe

Buchholz und Hamburger Bahnhof

2019:September // Stephanie Kloss

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09-2019

Intimitäten


Wächsern schauen einen Ulrich Mühe und Kanye West an.
Der eine ist eine aufwendig angefertigte Plastik-Puppe, das lebende Exemplar ist tot, der andere ein popkulturelles Abziehbild mit einer Plastik-Familie.
Beide stammen aus sogenannten Clans.
Gerade habe ich mir den Sperma-Wet-Look für den Met-Ball von Kim K West auf Vogue-TV angeschaut. Ich wunderte mich, ob sie sich ein paar Rippen hat entfernen lassen, ihre Taille ist doch sehr schmal. Egal. Kim ist die Frau von Kanye West, die prominenteste Trashikone der Social Medias. Unendliche Follower. Kanye West, ihr Mann also, wurde von Heji Shin fotografiert.
Der etwas weniger prominente und verstorbene Schauspieler Ulrich Mühe von seinem Sohn Andreas Mühe. Divergierende Voraussetzungen. Beide Künstler starteten ihre Karrieren im angewandten Bereich.
Fast zeitgleich gab es beide Fotoausstellungen in Berlin zu sehen. Auf den ersten Blick konnten sie vom Sujet nicht unterschiedlicher sein. Instagram versus Großbild analog. Für Heji Shin hatte Kanye West nur zehn Minuten Studio-Zeit. Andreas Mühe brauchte drei Jahre, um seine Familienaufstellung fertigzustellen. West hatte gesagt, dass er nur direkt ins Objektiv schauen, also keine Posen machen wollte. Andreas Mühe konnte die Toten nach seinem Willen formen.
Heji Shin stellte ihre überdimensionierten, Gott gleichen, seltsam solarisierenden Porträts bei Buchholz aus. Während der Eröffnung überragten seine stumpfen Kamerablicke die Besucher und schauten ohne jegliche Mimik ins nichts. Später gab es Pizza in einer Kreuzberger Bar.
Andreas Mühe zeigte seine Arbeit im Museum für Gegenwart. Zur Eröffnung gab es großen Bahnhof, später legten noch Moderat vorm Haus auf.
Seine „Familie in Aspik“ nennt Mühe seine Porträts liebevoll. Seine Mischpoche, bestehend aus Verstorbenen und Lebenden. Bei einer Firma, die auch für Madame Tussauds arbeitet, hat Mühe seinen Vater und weitere Verwandte als lebensechte Skulpturen nachbilden lassen. Sie stehen nun als Ewig-40-Jährige wie Geister, die er rief, zwischen denen, die noch am Leben sind.
Das Panoptikum abfotografierter Puppen gruselt und befremdet zugleich. Das Licht ist düster, theatralische Spots erleuchten die Häupter, die Farben sind gedeckt. Man sieht den Herstellungsprozess anhand der Puppenfragmente, irgendwie zwischen Fetisch und Frankenstein. Kabinettartig und forensisch ist die Ausstellungsarchitektur. Und natürlich profitiert alles vom Promi-Bonus, auch wenn der Künstler das trotzig abwehrt: Ob er sich vorstellen könne, auch hier zu sitzen, wenn er Müller hieße und einer Bäckerfamilie entstammen würde, wird er gefragt: „Ja, wenn ich ein guter Künstler wäre!“, antwortet er so schnell, als wolle er das Kalkül gleich wegwischen, die reiche Familienhistorie auszuschlachten, um mit „Mischpoche“ bedruckte Shirts und Schals im Museumsshop zu merchen.
Dass Porträtfotografie nie etwas anderes tut, als die Biografien und Gesichter anderer Menschen auszubeuten, ist Mühe natürlich bewusst. Und in Wirklichkeit haben die von ihm gezeigten auch so nie existiert. Nur als Abbild vom Abbild des Abbilds.
Heji Shin bekam Ähnliches zu hören. Sie meinte, dass sie nicht mit so viel Hass-Kommentaren gerechnet hätte. Zur Buchholz-Schau schrieb sie den Pressetext selbst, um sich eventueller Kritik zu entziehen. Einmal wurde ihr vorgeworfen, dem Pop/Trash eine Kunstplattform zu geben oder anders herum: Kanye würde sie, die „Mode“-Fotografin, überhaupt erst ins Museum bringen. Da machte es bei Buchholz schon Sinn, dass gleichzeitig ein Stockwerk tiefer Andy Warhol zu sehen war.
Im November letzten Jahres hat Shin eine größerformatig tapezierte Version der Porträts in der Kunsthalle Zürich gezeigt. Auf der Webseite der Kunsthalle Zürich wird gleichwertig mit Zeitungsartikeln wie z.B. der NZZ auf das Instagram-Profil von Artforum verwiesen, dort gab es 268 Kommentare zur Ausstellung.
Sie erregte Reaktionen wie “this is a bag of wank” mit kotzenden Emojis, oder “this might be the 7 signs of the apocalypse” oder “it is just exploitative art”.
Das Provozierende, was die Figur Kanyes auslöst, war einer der Gründe für ihr Interesse an seiner Person. So hat sie es auch mit Lindsay Lohan gemacht, wobei das Mode-Shooting direkt in die Galerie wanderte. Das erinnert natürlich an Wolfgang Tillmans oder Jürgen Teller. „Die Idee, jemandem eine Plattform zu geben oder zu deplatzieren … und die Dynamik einer weiblichen, nicht-weißen Person, die diese sehr maskuline, überdimensionale Persönlichkeit fotografiert, ist etwas, woran man in dieser Show denkt“, so ihre Interpretation der eigenen Arbeit.
Die Künstlerin wurde mit anderen Provokationen international bekannt. Zum Beispiel als sie junge Paare beim echten Geschlechtsakt für eine avantgardistische Modefirma fotografierte. Die Geschlechtsteile wurden später derart grob gepixelt, dass sie die Aufmerksamkeit explizit auf sich zogen. Ein bisschen alte Benetton-Werbung lässt grüßen. Sie war direkt mit ihrer Kamera im Kreissaal beim Gebären, gab einem Äffchen im Studio einen Vibrator zum Spielen oder röntgte ihren eigenen Körper. Mehr zur Schau gestellte Intimität geht nicht.
Aber reicht das, die Provokation als solche?
Was möchte sie oder Kanye mir sagen mit seinem stumpfen Blick?
Heji Shins Fotografie stellt sich zumindest mit großer Unverfrorenheit die Frage der Intimität. Die Tatsache, dass Kanye ein kontroverser Popstar ist, der gern mal mit Trump flirtet und eine Reality-TV-Queen zur Frau hat, gibt den Porträts eine vermeintliche Aura, etwas Zeitgenössisches, Instagram hochaufgelöst und gerahmt. Allein die Größe der Arbeiten reichen aber nicht aus, ihm Größe zu verleihen und nah möchte man ihm auch nicht sein.
Die Intimität seiner Familienaufstellung funktioniert bei Mühe total anders.
„Er setze Menschen ins Verhältnis“, so Mühe. Auch den vergötterten Vater. Seine Arbeiten vom Obersalzberg mit pinkelnden Nazis, nackte Rammstein-Hintern und Angela Merkel von hinten, in echt und als Double, und nun das FamilienPorträt, das ist so wenig Pop oder Zeitgenossenschaft, wie nur geht.
Die Idee zur Familienaufstellung kam ihm in der Villa Hügel der Krupps in Essen, als er ein Gemälde der Industriellenfamilie studierte und der Frage nachging, wie man Familien zeigt: von der Sitzordnung zu den Berührungen zu den Farben zum Machtgefälle. Warum kam ihm ausgerechnet dort die Idee, warum Dynastien oder Clans abbilden? Ist das noch relevant als Thema oder doch eher die dysfunktionale Familie? Die Generationen kommen sich jedenfalls auf den Fotos, die Mühe sehr aufwendig in seinem Atelier arrangiert hat, so nahe, wie das Leben es nie ermöglichte: Großeltern, Vater und Sohn sind alle im selben Alter. Im Vordergrund der Bilder ist gerade noch der Rand des Studioaufbaus zu erkennen, an einer Seite steht ein großer Scheinwerfer. Vergangenheit und Gegenwart, Nähe und Entfremdung. Stageing und Arrangement.
Der psychologisch aufgeladene Aspekt des Familienbildes, persönliche Geschichte, soziale und gesellschaftliche Verhältnisse sowie künstlerische Tradition vereinen sich zum Porträt einer Familie, dem Zeit- wie Kunstgeschichte tief eingeschrieben sind. Denn Mühes künstlerischer Prozess von Fotografie als Ausgangsmaterial, zu plastischen Nachbildungen in Form von Skulpturen, und schlussendlich zu einer choreografierten Gruppierung, an dessen Ende ein fotografisches FamilienPorträt steht, macht die ambivalente Bedeutung von Fotografie – zwischen Wahrheit und Konstruktion – überdeutlich. Ein alter Hut. Wahrheit oder Fake. Distanz versus Nähe.
Die Frage stellt sich dennoch, warum muss der aufwändige Herstellungsprozess auch noch fotografisch überhöht werden? Ist das „wie ist das gemacht“ wichtiger als das zu Sehende? Ist es bei Shin ausreichend, dass sie es geschafft hat, an den Star Kanye und seine Familie heranzukommen? Und was habe ich mit all den konstruierten Intimitäten zu tun?


Heji Shin „Kanye“, Galerie Daniel Buchholz, Fasanenstraße 30,
10719 Berlin. 15.3.–20.4.2019

Andreas Mühe „Mischpoche“, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin
26.4–11.8.2019


 
He-Ji Shin, „Kanye“, Ausstellungsansicht Galerie Buchholz, Berlin 2019.