Vanity Fairytales

Hinter der Cloud

2019:September // Elke Bohn

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09-2019


Hinter der Cloud, da muss die Freiheit doch grenzenlos sein!

Die künstliche Intelligenz, so sagt, hofft und denkt man, macht sich keine Gedanken über die Freiheit. Kann Sie aber Kunst? Hier scheint die Meinungsbildung ähnlich, vielleicht weil so derart neu, oder auch aus vermeintlichem Mangel an Autorenschaft.
Alex Mordvintsev und Jana Sam finden schon, klar, sie sind ja auch die Autoren. Formal zumindest, inhaltlich wollen sie es vermeintlich gar nicht sein, diese Freiheit nehmen sie sich.
Die letzten sechs Monate verfolgten die beiden die Kurse der im NASDAQ notierten Firmen, übersetzten die Daten in ein Programm und schickten diese an einen Roboter der mittlerweile noch berühmteren Firma KUKA, genau, die nun irgendwie nach China vertickt wurde. Dieser Roboter ist dabei keine Einbahnstraße, denn er kann Plus und Minus, Ja und Nein, Hin und Weg. Ein Zentner Aluminium, der Werkstoff, den die Weltwirtschaft derzeit wegzieht wie eine Horde Banker das Koks, wird entweder um die Kursgewinne der Firmen aus dem NASDAQ-Index verringert oder ergänzt. Dabei, total aktuell und zeitgeistig, das einst Entfernte aufbewahrt und im eventuellen Fall dann verwandt. Schöne Arbeit, doch Johann König sprach als Machtwort, dass für die nächste „Unlimited“ der Art Basel in Basel es eine Tonne sein müsste. Mindestens, mache ja sonst nichts her.

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Im Kontext einer erweiterten philosophischen Diskussion über Freiheit im Hier und Jetzt und Heute und die damit und dadurch betroffenen sozialen Medien, den dafür notwendigen Geräten und unseren Umgang damit und allem voran die damit einhergehende und scheinbar freiwillige Selbstaufgabe der persönlichen Freiheit im Sinne von Ruhe, Selbstbestimmung und einem möglichen beruhigtem Leben thematisiert Oliver Garchl in seinem umfänglichen fotografischen Werk. Er stellt die Kamera seines Smart-Phones so ein, dass diese immer und überall eine Foto aufnimmt, sobald er das Display aktiviert oder ein Anruf beginnt. Die Kamera sieht dadurch alles, was eigentlich auch Garchl sieht, sich jedoch niemals merken könnte, wollte oder würde. Diese Abbildungen, die, weil vollkommen digital, eigentlich nurmehr eine Aneinanderreihung von Nullen und Einsen darstellen, sind ein untrügliches Zeugnis von Garchls Leben, seinen Reisen, seinem Privaten, seinem Umfeld, kurz: seinem Sein. Dadurch im höchsten Maße analog, werden sie von Oliver Garchl auch so behandelt; ausgedruckt und gerahmt. Oder auf Aluminium, da haben wir’s wieder, aufgezogen. Oder auf Karton gedruckt und gerahmt, jedoch ohne Glas, verletzlich und empfindlich wie ein Frischling im Haifischbecken der freiheitsbedrohenden Jetztzeit. Seine Motive scheinen abstrakt, unerkennbar, verschwommen, kitschig, furchtbar und auch grotesk, in einer das Marginale überhöhenden Art.


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Freiheit, das vielleicht größte der großen Worte, wurde vor einigen wenigen Wochen auf Rauf und Runter gedreht, als die unmöglich ungeschickt und unberaten wirkende Erbin der Keksdynastie Bahlsen sich damit in die Mutter aller Nesseln setzte. Dafür solle sie bildlich eine Buße tun. Befand Teresa Margolles. Sie, also die junge Bahlsen, soll, und in diesen Zeiten ist das ein Muss, Kekse backen. Selber, vom Teig bis zum Teller. Die Formen sind Formen der Unfreiheit, und damit die Formen der Freiheit derer, die über die Formen von Unfreiheit bestimmen, die Freiheit haben, so Margolles. Es sind dies Umrisse von Gefängnissen, Flugzeugen, Bunkern, Städten, ja ganzen Staaten. Es ist, wie so oft bei Margolles, eine bedrückende Arbeit, die all jenen beinahe im Halse stecken blieb, die sich die Freiheit nahmen, zuzugreifen.


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Auch über die Freiheit, wahrscheinlich ist es eine vermeintliche, Kunst und Musik zu verknüpfen, wurde, wird und wird wohl viel gesprochen. Und so leistet man sich in Berlin nach dem unrühmlichen und noch viel mehr Abschuss von Chris Dercon an der Volksbühne, eine echte solche. Nämlich lud man Reinhard Mey, eine Ausstellung zur Freiheit zu kuratieren. K-U-R-A-T-I-E-R-E-N! Man stelle sich vor! Ein Musiker, vielleicht noch nicht mal, der nun in das Allerheiligste vorgelassen werden soll. Unding! Scheiße! Verdammt nochmal. Doch Mey ist ein Fuchs, ist es scheinbar gewohnt durch seine jahrzehntelange Produktionspraxis, sich mit Produzenten auseinanderzusetzen, im Sinne der Sache. So holte er sich, einfach (oder eben auch nicht), Krist Gruijthuijsen ins Studio, pardon, Team. Der bedankte sich für diese ihm zugesprochene Freiheit mit einer Ausstellung, die Mey – und das wusste er ja vor allem und allen – nie hätte zusammenstellen können. Krist stellte die oben beschriebenen Werke zur Schau und zudem ein Gemeinschaftswerk von Ai Weiwei und Klaus Staeck. Ein riesenhafter Marmortisch, es ist zu erfahren, die Größe ward durch die Möglichkeiten der Luftfracht terminiert, in dessen Oberfläche das Wort Freiheit in jeder bislang bekannten Sprache, die verschriftlicht werden kann, gemeißelt worden war. Gefertigt von, da waren sich beide Künstler einig, nicht im Herkunftsland des Marmors ansässigen, möglicherweise Unfreien, sondern einer Badezimmermanufaktur aus der Pfalz. Was wie eine große, zum größten Teil abstrakte Zeichnung wirkt, ist das eigentlich mahnendste Werk der Ausstellung. Zeigt es doch, wie wenig wir die Freiheit verstehen zu können scheinen.