Auf dem Speicher der Geschichte

Palmyra, Palast der Republik und Stadtschloss

2019:September // Christoph Bannat

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09-2019

Auf dem Speicher der Geschichte
Palmyra, Palast der Republik und Stadtschloss –
über Rekonstruktionen und Konservatismen

Lieber Andreas, Entschuldigung, aber ich hab’s nicht geschafft. Du wolltest, dass mein Artikel unter dem von-hundert-Freiheits-Thema läuft. Hier bin ich gescheitert. Meine intellektuellen und literarischen Fähigkeiten reichen nicht aus. Der Palmyra-Artikel stand schon, nun wollte ich noch eine Verbindung von der Rekonstruktion zur Freiheit und zur freien Wahl, die es zweifellos gibt, formulieren. Ich wollte der Freiheit als notwendiges Ideal – sonst würden wir immer noch immer bei unseren Müttern leben – die „freie Wahl“ als ein Übel gegenüberstellen. Anfang des Jahres hab ich eine Pressemail vom ZDF bekommen, dass Palmyra jetzt wieder begehbar ist, wenn auch nur mit den Augen, als 3-D-Animation. Außerdem gab es im Pergamon-Museum eine lächerliche Ausstellung auf Stellwänden zum Wieder-Aufbau der Ruinenstadt. Und zur Zeit läuft in der Rostocker Kunsthalle eine Ausstellung über den Palast der Republik. Ich wollte darstellen, dass es ein Irrglauben ist, dass wir unsere zukünftige Vergangenheit selbst aussuchen können, wir können sie provozieren und müssen sie leben.
Aber ich bekommen das alles nicht zusammen ...


Das Berliner Stadtschloss ist so gut wie fertig, der Umzug des Ethnologischen Museums von Dahlem nach Mitte geplant. Schon jetzt kann man das Schloss von außen fertig sehen, diesen Missgriff in die Vergangenheit. Und, natürlich berührt das in Berlin keinen wirklich. Es war schließlich nicht die Schönheit der Stadt, sondern der Leute, weshalb man hergezogen ist. Und wenn es einem gut geht, ist jeder eine Möglichkeit, und wenn nicht, jeder eine(r) zu viel und es gibt hier eine Menge davon. So trifft einen der Schlossbau nur symbolisch. Berlin ist einfach zu groß und zu wenig Stadt der Bürger, als dass hier die eigene Stadt verschandelt würde. Aber genau auf dieser, der symbolischen Ebene, ist das Stadtschloss ein phänomenaler Fall, weit über die Stadt hinaus. Mit dem Abriss des „Palasts der Republik“ wurde zunächst DDR-Geschichte vernichtet, um den Platz mit der Rekonstruktion einer Barockfassade und einem Brutalismus-Zitat neu zu informieren. Rekonstruiert wurde unter Zuhilfenahme von animiertem Fotomaterial und 3-D-Fräsen. Die Architektur wird hier zur Hardware und die Vergangenheit zur Software, die dann nur noch drei-dimensional animiert werden musste. Die Wahl des Zeitalterns ist dann Verhandlungssache. Wer kennt nicht den heißen Schock, wenn man meint, plötzlich alle Daten verloren zu haben („Was Du einmal hast, das hast Du kein Mal“, ist der Standardspruch meines IT-Freundes) und die Vergangenheit mit einem Mal endgültig vergangen erscheint. Die Welt wiederholen zu können, beruhigt. Speicherplatz, Festplatten und Archive werden immer wichtiger. In diesem Zusammenhang sind Museen wichtige Orte, die sich um symbolische Ordnungen kümmern. Archive beruhigen. So wird vielleicht eines Tages, dank der Archivierung von Genmaterial, das Artensterben rückgängig gemacht werden können.
Wie einst vom Berliner Stadtschloss, wurden auch wesent­liche Teile der syrischen Wüstenstadt Palmyra vom IS durch Sprengungen pulverisiert. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einst Schloss-Gegner und heute begeisterter Befürworter, tritt in seinem Essay-Band „Das Beispiel Palmyra“ von 2016 für eine kämpferische Rekonstruktion der Ruinenstadt ein. Damit gehört er, mit dem ZDF als Sprachrohr, zur „Achse des Guten“. Die erstreckt sich von Berlin über Paris nach London. In einem millionenschweren, technophilen Programm wird in diesen Städten der Wiederaufbau der Oasenstadt geplant. Deutschland ist für Satellitentechnik, Aufnahmen aus dem All und die Ausbildung syrischer Steinmetze und Archäologen verantwortlich. Paris wertet die Satellitenaufnahmen aus und vergleicht sie mit historischen Bildern. Und London arbeitet an der Verwertung der Ergebnisse für den 3-D-Druck. Bei der Akquise von Fernseh-und Forschungsgeldern fallen zwei Argumentationslinien auf. So wird Palmyra als erster Fall in der Geschichte, in Zusammenhang mit Hinrichtungen durch den IS, dargestellt, bei dem Terroristen versuchten, Geschichte vollständig zu pulverisieren. Was als Angriff auf das kulturelle Gedächtnis der Syrer und der Menschheit überhaupt gewertet wird. Die andere Argumentationslinie stellt das einstige Palmyra als eine vorbildliche Multikulti-Gesellschaft dar. Erinnert man sich an die Pulverisierungsversuche von Guernica oder Coventry und an die Versprechen des amerikanische Luftwaffengenerals Curtis E. LeMay, „Vietnam in die Steinzeit zurückzubomben“, relativiert sich das Vernichtungsargument etwas. Und der Verdacht kommt auf, dass es sich hier um eine eurozentristische Geschichtsschreibung handelt, zu der auch das Multikulti-Argument passt. Ebenso wie die Beschreibung Palmyras als Handelsmetropole, die ihren wirtschaftlichen Zenit mit dem ersten Reich hatte. Der Multikulti-Aspekt beschreibt Palmyras Geschichte, vom Hellenismus bis zu Byzanz, als eine, die respektvoll und friedlich aufeinander aufbaut. Warum die Wüstenstadt unterging, wird weitgehend verschwiegen. Zum europäischen Interesse am heutigen Palmyra gehört auch ihre Entdeckung durch Engländer im 18. Jahrhundert, die damit eine wichtige Marke für Archäologie und Altertumsforschung als anerkannte Wissenschaften setzten. Auch dafür steht die einstige Oasenstadt. Nie wird sie als Klassengesellschaft thematisiert, immer nur als erfolgreiche Handelsmetropole dargestellt, was ebenfalls ideologisch ins Konzept passt. Kann Virginie Despentes „Subutex“ nicht auch als die Erfolgsgeschichte des Christentums und seinen Anfängen als Sklavenkultur gelesen werden? So werden die Bürgerkriege, die auch zum Untergang Palmyras beitrugen, nur am Rande erwähnt. Wenn also vom Identitätsklau durch die „barbarischen“ Handlungen des IS gesprochen wird, geht es wohl eher um die Identität des Westens, der sich mit dem Wiederaufbau des ersten Reiches, das tolerant mit seinen Kolonien umging, solange sie Steuern nach Rom abführten, selbst feiert. Dabei wird vergessen, dass die „Achse des Guten“ den Vorderen Orient Jahrzehnte lang mit Waffen gegen Öl, sowie Versprechen auf den „Anschluss an die Moderne“ versorgte. Geschäfte, von denen vor Ort nur eine kleine Oberschicht profitierte. Und bis heute dient der Vordere Orient dem Westen als Schlachtfeld. Flüchten die Menschen, werden die Grenzen dicht gemacht.
Es sind die Programme hinter den Rekonstruktionen, über die gesprochen werden muss. Demnächst sollen, laut Terra X, Freiwillige mit 3-D-Kameras ausgerüstet in Krisengebiete geschickt werden, damit man später Bilder für einen Wiederaufbau hat. Freiheit und Veränderungen machen Angst. Und mit Angst lässt sich gut regieren. So wird einem Stillstand heute schon als Fortschritt verkauft, wenn das Artensterben nicht schlimmer wird, das Ozonloch nicht größer und die Ozeane nicht dreckiger werden. Doch wir werden unser Leben ändern müssen, da uns dieses sonst ändert. Symbolische Ordnungen, Programme und Mythen, denen wir folgen, sind dabei wichtig. Jenny Holzers „Protect Me from What I Want“ hat nicht an Bedeutung verloren. Sehen wir heute das rekonstruierte Stadtschloss, sehen wir aber auch, wie magisch schön der „Palast der Republik“ in seiner Abrissphase war, als nur noch die Versorgungstürme standen. In dieser Übergangsphase hätte man sich künstlerisch-wissenschaftlicher Methoden bedienen sollen. Man hätte sich den Luxus gönnen müssen, ein Werk zu beginnen, dessen Ausgang man nicht kennt. Eine ganz normale künstlerische Praxis (unter Berücksichtigung des Genies der Wiederholung). Hier hätte dem Versprechen, durch neue Formen auch zu neuen Inhalten zu gelangen, ein Denkmal gesetzt werden können. Ein echtes Wagnis, das politisch zu vermitteln eine Herausforderung (gewesen) wäre. Heute steht das protzige Stadtschloss für eine zwanghafte Bilderbuchsynthese. Im Rückblick kann der Palast der Republik, wenn auch im Detail misslungen, deutlicher denn je als Verweis auf den Berliner Klassizismus und den Glauben Nicolais, Humboldts und Schinkels an die Idee einer Bürgerstadt gelesen werden.


www.presseportal.de
www.zdf.de/dokumentation/terra-x
www.presseportal.de
www.kindl-berlin.de
Horst Bredekamp: „Das Beispiel Palmyra“, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016

Virginie Despentes: „Das Leben des Vernon Subutex 1–3“,
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017–18

Kunsthalle Rostock 1.6.2019– 13.10.2019
„Palast der Republik – Utopie, Inspiration, Politikum“
www.kunsthallerostock.de