Freiheit wird wieder abbestellt

oder: Autonomie simuliert

2019:September // Raimar Stange

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09-2019

Freiheit wird wieder abbestellt

„Freedom cannot be simulated“, schreibt Rirkrit Tiravanija schwarz auf weiß auf T-Shirts und weist so hin auf die Gefahren, die von der virtuellen (Un)Wirklichkeit ­ausgehen, wie z.B. Fake News, die tendenzielle Abschaffung von „Realität“, sowie die „freie“ Meinungsäußerung ohne jedwede Qualitätsanforderung oder institutionelle Bindung, die dann zu „postdemokratischen“ (Colin Crouch) Zuständen führt. Einige Jahre zuvor stand auf Tiravanijas T-Shirts noch: „Less oil, more risk“. Auch mit diesem kritischen Denkspruch mahnt der Künstler Gefahren für die Freiheit an, nämlich die der Übermacht der Öl- und Autoindustrie, aber auch die der Übermacht der Ölmalerei im Kunstbetrieb. Letztere nun stellt eine Gefahr für die Autonomie der Kunst, die ja Freiheit und Unabhängigkeit von Auftraggebern und außerkünstlerischen Zwecken garantieren soll, dar. Und zwar dadurch, dass die Malerei als bestens handelbare Ware inklusive altehrwürdigem Genialitätsanspruch, die Kunst (wieder) wohlfeil in die Abhängigkeit des Marktes und der betuchten Sammler stellt.
Der neue Werbeslogan des Schwerstbetrügers VW nun bringt beide Aspekt zusammen: Vom „autonomen Fahren“ nämlich ist da absurderweise die Rede. Dieser völlig sinnverdrehte Slogan überführt einen Ausdruck, der einst für Emanzipation verschiedenster Art stand, in die wirtschafts- und umweltkriminelle Welt der neoliberal-globalisierten Automobilindustrie, in der das Wort „Freiheit“ höchstens für einige hoch bezahlte Manager überhaupt noch eine Bedeutung hat. Gemeint ist mit „autonomen Fahren“ wohl die Ablösung des menschlichen Fahrers durch „intelligente Fahrerassistenzsysteme“ (VW), also nichts anderes als die Entmündigung des Menschen bei diesem quasi „simulierten“ Fahren. Die Freiheit, die einst, schon damals höchst fragwürdig, nicht nur in der Rock-Musik mit dem Autofahren – „Get your motor runnin’, head out on the highway, lookin’ for adventure“ (Born to be wild, Steppenwolf) – gleichgesetzt wurde, wird also auch hier wieder einmal abbestellt (frei nach M. M. Westerhagen). Letzteres sollte man umgehend mit jedweden Erzeugnissen des Wolfsburger Global Players tun, der übrigens gerade mit seiner völlig unbegründeten Absetzung des Direktors des Kunstmuseum Wolfsburg, Ralf Beil, nachhaltig an der Autonomie der Kunst gekratzt hat.

 
VW-Logo 1939