Gotscha Gosalishvili

Portrait

2019:September // Christoph Bannat

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09-2019

„Einen Picasso oder Mondrian würde ich sofort verkaufen“

Bereits zu Mauerzeiten hat man sich ein stabilisierendes Bürgertum in Berlin gewünscht. Heute haben wir eines, nur eben nicht so, wie wir uns das gedacht haben. Mitvierziger, die ihr Geld mit Hilfe ihrer Verwandtschaft in Eigentumswohnungen, Kindererziehung und Versicherungen, SUVs und Datschen stecken. Mit dieser bildungsfernen Mittelschicht hatten wir als avanciertes Kleinbürgertum nicht gerechnet. Zu der in den letzten Jahren noch die westdeutschen Spaßrentner gestoßen sind. Die, nachdem sie ihr uneigentliches Leben in gehobenem Staatsdienst in der Provinz verdackelt haben, nun mit jungen authentischen Menschen und nicht mit ihresgleichen ihren Lebensabend verbringen wollen. Wir Hungerkünstler wollten Gotschas. Leidenschaftliche Kunstfans mit einem wild wuchernden und weit verzweigten Wissen, an dem sie uns Teil haben lassen. Stolze Sammler, die mit den Augen sammeln und sich so selbst bilden. Die die Kunstszene mit intelligenten Anekdoten bereichern und uns mit ihrem assoziativen Denken immer wieder vor neue Rätsel ­stellen. Gotscha Gosalishvili ist Künstler: „Ich komme eher aus der Duchamp-Richtung.“ Sammler: „Für die ­meisten Arbeiten hab ich zwischen 20 und 300 Euro ausgegeben.“ Händler: „Einen Picasso oder Mondrian würde ich sofort verkaufen.“ Handwerker: „Wissen Sie, italienische Rahmen muss man eben auch italienisch machen, ein Problem der Deutschen ist, dass sie versuchen, italienische Rahmen deutsch zu machen.“ Mich interessiert besonders der Sammler. Vor über zehn Jahren habe ich Thomas Scheibitz, Eberhard ­Havekost und Bernhard Martin als Sammler interviewt. Alle konnten sich darauf einigen, hätten sie genug Geld, würden sie sich einen Picasso kaufen, um ihn zu studieren.
Wir trafen uns in der Kellergalerie „cubiculum“, Lottumstraße 3, die er mit Clara Brörmann zusammen organisiert. „head and shoulders – 500 years of drawing“, gezeigt wurden Kopf-und-Schulter-Zeichnungen von über 20 Zeitgenossen u. a. Ben Cottrell, Matthias Dornfeld und Andy Hope, Tilbert Oelke, gemeinsam mit Arbeiten von Grandville, Otto Schoff, Georg Siebert sowie unbekannten Künstlern aus dem 17. Jahrhundert. Grandville, wirklich. Der Grandville. Hier im Keller, in Mitte. Ja, Jean ­Ignace Isidore Gérard, 1803–1847, genannt Grandville. Und noch dazu eine exquisite Szene aus seinem Privat­leben, was sehr selten ist. Vielleicht einer seiner Söhne, rätselt Gotscha. Grandville verlor innerhalb von zehn Jahren drei Söhne und seine Frau und wurde darüber wahnsinnig. Die Zeichnung, ein Junge vor einem Spiegel, eine Fratze ziehend, während die Mutter (?) im Hintergrund zusieht und die Dreifach-Blickachse zwischen Betrachter und den beiden perfekt macht. Gotscha: „Kunsthändler und Historiker sind dumm …“ Das Blatt trägt den Grandville-Stempel, hat aber weiße Papierlausspuren. „ … die fassen so etwas nicht an, für die hat es keinen Wert, wenn es nicht signiert und nicht frei von Spuren der Zeit ist.“ Weiter oben ein Georg Siebert, den auch kein Kunsthistoriker anfasst, da er mit den Nationalsozialisten paktierte. Das Blatt ist von 1929, kein Zweifel, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit und in einem Atemzug mit Radziwill zu nennen. Dann eine erotische Zeichnung von Otto Schoff, dessen Gesamtwerk, so Gotscha, auf Veranlassung von Adolf Ziegler vor dessen Augen verbrannt wurde. Bitte lest die Namen bei Wikipedia nach, dabei gruselt es einen, wie viele Künstler im Scheißverbrecherreich aktiv mitgemacht haben, nicht nur Nolde. Schoff habe er irgendwo auf einer Messe für erotische Zeichnungen gefunden, erklärt Gotscha.
Ich überlege, während ich in seiner bescheidenen Dreizimmerwohnung für das Interview sitze, ob ich ihm mehr Geld wünschen soll. Ich bin mir nicht sicher, ob er dann besser, also noch aufmerksamer sammeln würde. Gotscha, „ich komme ja aus Georgien und für mich war es der pure Wahnsinn, dass man überhaupt Sachen wie flämische Malerei privat besitzen und noch kaufen kann, dass hätte ich nie für möglich gehalten.“ Er zeigt auf einen Stich von Abraham Blomaert (1564–1651), „schau mal den Korb mit den ausgekippten Pilzen – ein pleitegegangener Händler“. Auf einigen Öl-Gemälden weist er mich auf vergessene Themen-Figuren aus dem Theaterbereich hin, die damals en vogue waren. Gotscha ist ein ruhiger, bestimmter Mensch, dem man gerne zuhört. So einer braucht Jünger, denke ich. Ein Bildungsbürger im besten Sinne, eine wichtige Stütze außerhalb des allgemeingültigen Bildungskanons. So einer ist wichtig, da er eine andere Geschichtsschreibung, eine mit hoher visueller Intelligenz vermittelt. Dank der Galerie Baudach konnte man im März Arbeiten von Heinrich Nüßlein (1879–1947), einem esoterischen Karmakünstler, aus Gotschas Sammlung sehen. Zunächst fand er Nüßleins Bilder, die ihn sofort begeisterten, und erst später wurden ihm dessen dazu gehörende Texte für 20 Euro angeboten. Hier gab das Auge den ersten Impuls. Und zeigt, dass es ihm nicht um originelle Skurrilitäten oder neue Facetten sogenannter Outsider-Kunst geht. Noch deutlicher wird das, als wir uns eine Serie sterbender Pferde von Adam Franz van der Meulen (1663–1690), einem Schlachtenmaler des Sonnenkönigs Louis XIV., ansehen. Für Gotscha ein Beispiel, wie man als staatstragender Künstler indirekt von den Grausamkeiten des Krieges berichten kann. „Hier musste ich unbedingt alle Pferde haben …“, antwortet er auf die Frage, was für ein Sammlertyp er ist, „ … aber ansonsten sammele ich nicht auf Vollständigkeit.“ Ihn interessiert die einzelne Arbeit. Als zum Abschied noch das Gespräch auf Peder Balke (1804–1887), von dem gerade eine Leihgabe im Museum Kunst der Westküste auf Föhr hängt, bin ich restlos begeistert über diesen freien Geist, der auch noch genau hinsieht. Und kritisch ist, wenn er hinterherschiebt, dass Balke durchaus Bob-Ross-Qualitäten hätte. Auf der Straße denke ich an meine Künstler-als-Sammler-Vogue-Interviews. Plötzlich sehe ich das gnadenlose Licht der Nachkriegsmoderne, reflektiert von Resopalküchen, dem Ideal der Aufklärung, gegenüber den verschatteten Unschärfen der Vorkriegs-Moderne. Ein erhabenes Gefühl – dank Gotscha Gosalishvili.

„head & shoulders – 500 years of drawing“, cubiculum, Lottumstraße 3, 30. März – 26. Mai 2019
„Where higher beings commanded, … – Heinrich Nüsslein & Friends“, Galerie Baudach, 7. März – 13. April 2019

 
Jean ­Ignace Isidore Gérard (Grandville): Zeichnung
Adam Franz van der Meulen: Zeichnungen
Ausstellungsansicht „head & shoulders“, Foto: cubiculum
Gotscha Gosalishvili und Clara Brörmann, 2019