Karin Sander

Haus am Waldsee

2019:September // Alina Rentsch und Luisa Kleemann

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09-2019

Von A bis Z
Fragen an Karin Sander


Luisa Kleemann (LK): Anfang dieses Jahres fand ja deine Einzelausstellung mit dem Titel „A bis Z“ im Haus am Waldsee statt, im Zuge der Wiedereröffnung des Hauses. Das bedeutet ja auch eine Form von Wiederanfang, wobei „es beim Anfangen nur ums Wegnehmen, Subtrahieren, von dem Vielzuviel Abziehen gehen kann; von daher bedeutet Anfangen immer Freiräumen, Wegnehmen, Stille und Platz schaffen. Der Anfang verbindet sich (…) mit der Not von Abstand, Strukturbildung, Durch-Blick, mit dem Herausstellen von Einzelnem und besonderen Gefügen, dem Herauskitzeln von etwas in etwas, mit Nachzeichnen, Verstärken oder Verwischen, mit Andersakzentuieren oder -verbinden“1, deshalb zu Beginn die Frage, wie du anfängst, von diesem Motiv des Anfangens ausgehend?

LK: Und in Bezug auf den Titel, von „A bis Z“?

Alina Rentsch (AR): Inwieweit würdest du sagen, findet sich dieses Motiv, also das Motiv des Ordnungssystems, des lexikalischen Ordnungsprinzips, diese Anordnung, auch in der Konzeption im Raum?

LK: Und wie sind diese Maße entstanden oder wie hast du mit dem Maß gearbeitet?

AR: Die Ausstellung sitzt, wie du sagst, sozusagen auf der Fassade, zumindest außen am Haus am Waldsee; diese weißen, unbeschriebenen Leinwände, die einen erwarten, wenn man darauf zuläuft, die dem Haus erst mal vorgelagert sind, das sind die sogenannten Gebrauchsbilder. Und um da genauso wörtlich zu bleiben, was meint „Gebrauchsbild“? Inwieweit funktioniert es wörtlich genommen als Gebrauch, als Nutzung, oder eben als etwas, das benötigt, also gebraucht wird?

AR: Der Ort wird also gerahmt?

LK: In den „Gebrauchsbildern“ ist der Bild-Raum ja ständig in Bewegung, zumindest für eine bestimmte Dauer, die festgelegt ist, in der er beschrieben und besetzt wird, nach und nach als Spurensicherung den Kontext festhält oder den Umraum abbildet, zumindest einen Teil davon. Dieser Prozess ist ja nicht absehbar, nicht bestimmbar, abgesehen von dem Ort, also der Lage, die man festlegt. Wie nimmst du also den Zufall auf, der sich einschreibt?

LK: Als Angebot?

AR: Du gehst ja in der Ausstellung im Haus am Waldsee sehr konkret auf die räumlichen und historischen Gegebenheiten ein, thematisiert das Haus in seiner Geschichte, du verortest es neu, aber genau so verortet es sich mit dir. Die Zeit als Dauer, in der etwas stattfindet, in der sich die „Gebrauchsbilder“ schreiben, über die Zeit der Ausstellungsdauer, und als Geschichte, die vor Ort betrifft und somit auch den gegenwärtigen Ort, um den es geht. Wenn man diese Räume betritt, also diesen Ort begeht, wenn man sich mit diesen ursprünglichen Funktionen der Räume auseinandersetzt, ist das dann auch eine Form von Besichtigung? Also nicht nur eine Besichtigung der Ausstellung, sondern auch eine Besichtigung der Räume; eine Begehung des Raumes, in dem man sich einrichtet, weil man zu dem Damenzimmer oder dem Kinderzimmer eine bestimmte Vorstellung hat und sich dadurch ein bestimmtes Bild dazu ergibt mit dem man dann arbeitet. So, dass man auch mit dieser Vorstellung spielt, wie es mal bespielt wurde und welche Abläufe da stattgefunden haben, auch als Aneignung im Kopf.

LK: Ja, durch diese Form der Bestimmung oder Vermessung, die in den Räumen stattfindet. Auch die Spuren von einer ursprünglichen Funktion oder eines Gebrauchs lassen sich ablesen, in den Räumen selbst. Zum Beispiel gab es da Unregelmäßigkeiten im Parkett oder in einer Leiste zu beobachten, an denen man sieht, dass an der Stelle früher eine Wand eingezogen war, dass es eine Teilung des Raumes gab oder er anders genutzt wurde – das wird erst dadurch sichtbar, dass etwas weggenommen, dass er freigelegt wurde.

LK: Auch als Verweisfunktion, als Spur, die auf etwas hinweist. Die Arbeit mit einer Form von Abwesenheit, bezüglich der Platzierung der „Gebrauchsbilder“ beispielsweise. Dadurch, dass die Titel im Raum stehen, tut sich eine Lücke auf, weil zwar die Titel dort sind, aber das Werk woanders stattfindet. Durch die Bezeichnungen im Raum, gewissermaßen wegweisend oder richtungsweisend, wird auf die Abwesenheit der Bilder, die auch als Mangel gedeutet werden könnte, gezeigt, aber gewissermaßen hebt sie sich eigentlich auch schon wieder auf, weil man erkennt die Bilder ja, wenn man wegschaut. Man kann sie schon woanders verorten, trotzdem wird dieser Mangel, oder diese Abwesenheit, ausgestellt.

LK: Ja, die Titel beziehen sich ja auf die „Gebrauchsbilder“, verweisen also nach außen, aber auch gleichermaßen wieder nach innen, auf die Räumlichkeit, in der sie sich befinden. Sie benennen und bestimmen den Raum, indem sie ihn in seinem ursprünglichen Gebrauch festlegen und sichtbar machen — eigentlich eine doppelte Verweisfunktion. Also zeigen sowohl die Lücke durch die Bilder, als auch die Lücke durch die Erinnerung oder durch das, was da mal stattgefunden hat, aber nicht erinnert werden kann.

AR: Das 3D-Modell vom Haus, aus Google-Earth-Daten erstellt, das zentral im ehemaligen Musikzimmer steht, erinnert ja gewissermaßen auch an die Geschichte des Hauses und seine Umgebung, seinen Umraum. Sobald man das Google-Earth-Bild abruft, sobald man es anschaut, ist es ja bereits nicht mehr aktuell oder vergangen, ist es eigentlich abgelaufen. Im Prinzip ist es der Versuch eine gewisse Zeitlichkeit zu fassen, oder genauer ein Heute, das sich aber direkt entzieht. Als Zeitangabe, die schon wieder abwesend ist. „– es ist mir fast unmöglich, ‚heute‘ zu sagen, obwohl man jeden Tag ‚heute‘ sagt, ja, sagen muß, aber wenn mir etwa Leute mitteilen, was sie heute vorhaben – um von morgen ganz zu schweigen –, was über Heute geschrieben wird, nicht beendet, nicht abgeschickt, weil sie [die Briefe] von heute sind und weil sie in einem Heute mehr ankommen werden.“2 Also das Modell, das an zentraler Stelle steht,
sich mittig im Raum befindet, ist eigentlich schon vorbei.

AR: Die Retrospektive als Rückblick, als dieses Zurückschauen. Bei jedem Modell, was sich von diesen Daten speist, bin ich angehalten zurückzuschauen, weil es immer dieses Abgelaufene in sich trägt. Das Modell beschreibt dann ja die Unmöglichkeit der Abbildbarkeit. Indem ich mich als Besucherin sozusagen retrospektiv darüber lehne, blicke ich schon auf etwas, in dem Fall sogar von oben, was so nicht mehr da ist, aber es ankert sich noch.

AR: Vielleicht noch, auch weil du das quasi in den Raum stellst: Stehen Fragen daneben?

AR: Ein Sich-zu-etwas-verhalten?

Karin Sander „A bis Z“, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30
14163 Berlin, 26.1.2019–3.3.2019


1
Michaela Ott: „Eingeborene unserer selbst“, in: Vom Anfangen, Hg. Thomas Düllo, Susanne Lorenz, Textem Verlag, Hamburg 2016, S. 21
2
Ingeborg Bachmann: Malina, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1971, S. 8 f.  
Karin Sander – A bis Z, Installationsansicht Haus am Waldsee, 2019, Foto: Roman März