Michael Buthe

Judin

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09-2019

Ausflug in die Hippie-Zeit


Tücher, Tücher, Palmen und Matratzen, Essen, Zigaretten und viel Kölsch. Sie muss gemütlich gewesen sein, die Eröffnung von Buthes Installation 1973 im Kölnischen Kunstverein. In dem großen Schwarzweißbild am Eingang der Ausstellung liegt Buthe selbst noch allein auf seinem inszenierten Lager. Angeregt von mehreren Reisen in den Orient schuf er einen Salon nach arabischen Maßstäben und rief damit wohl alt-kolonialistische Sehnsüchte hervor und pflegte sie ungeniert. Buthes Hinterlassenschaft an gestalteten Tagebüchern ist von unterschiedlicher künstlerischer Qualität, trotzdem ist sein Werk ein sehenswertes Zeugnis der Hippie-Kultur. In dem, wie es sich um die handwerkliche Technik und das Können nicht scherte und frei war von allen Dogmen, in dem, wie unmittelbar es entstand, in dem, wie es gelebtes Leben dokumentierte und feierte. Und wie es mit einfachsten Mitteln auskam. Farbklecksereien, das Abdriften in Fantasiereisen mit dem Stift oder in kosmische Muster, Köpfe mit Kussmund in Herzform und naiv gezeichnete Augen, planlose Farbkombinationen, selbst die obligatorischen Handabdrücke mit Farbe fehlen nicht – damit tut sich ein sensibilisiertes Auge eher schwer.
Wunderbar zart und leichtfüßig sind dagegen die kleinen informellen Bleistift-Zeichnungen in einem Heft aus vergilbtem Papier. Wunderbar sinnlich und haptisch sämtliche Collagen verschiedener Materialien, wie verschiedene Papiere, Fotos und besonders Stoffe unterschiedlicher Art, die in die Hefte/Bücher geklebt wurden und so die Grenzen des Buch-Formates zum Teil sprengen. (Übrigens soll er
mit eigens angefertigten Tagebuchkoffern auf Reisen unterwegs gewesen sein.)
Auch die Edition von 150 Exemplaren schwarz-weißer Zeichnungen in einem übergroßen Heft, Der Vorfall mit dem Körbchen (1989–91), die der Verlag Walther König herausgebracht hat, ist faszinierend – man achte auf das eine versteckt eingeklebte Olivenblättchen und die manuell aufgetragenen weißen und goldenen Farbspuren!
Den typischen orientalischen Touch erreicht der Reisende meistens mit den Motiven eingeklebter Postkarten und simplen Symbolen wie Sternchen oder Kamelen und der Verwendung von goldener Farbe. So primitiv das ist, führt er damit vor, wie einfach es sein kann, Schönheit bzw. Kunst „herzustellen“.
Michael Buthes farbenfrohes Universum hat seinen Platz in der Kunstgeschichte. Die Galerie Judin in den Mercatorhöfen ehrt den mit 50 Jahren verstorbenen Künstler zu seinem 25. Todestag. Das Innere der vielen Bücher wurde Seite für
Seite abfotografiert und ist in der Ausstellung auf einem Bildschirm zugänglich. Die in dunklem Blau gestrichenen Wände und die vielen Vitrinen tragen zu dem Eindruck bei, man wäre im Museum.

Michael Buthe, „Die Tagebücher und Buchobjekte“,
Galerie Judin, Potsdamer Straße 83, 10785 Berlin,
27. April–13. Juli

 
“It doesn’t have a Shape, it has a Shadow“
Michael Buthe, „The Last Empire“, Leporello, Kasssel, 1980, Auflage 500