Jack Whitten

Hamburger Bahnhof

2019:September // Isabella Hammer

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09-2019



Glitzernden Perlen gleich reihen sich bunte Steine aneinander. Es entsteht ein buntes Farbenspiel auf der Leinwand. Die Arbeit „Quantum Wall, VIII (For Arshile Gorky, My First Love in Painting)“ von 2017 (122,6 × 122,6 cm) war eine der letzten Arbeit Whittens vor seinem Tod im Jahr 2018. Sie ist einem seiner beiden wichtigsten künstlerischen Vorbildern gewidmet: Arshile Gorky (das andere Vorbild war Willem de Kooning): Das Spiel der Farben auf der Leinwand ist nicht weniger erstaunlich, wenn man realisiert, dass es sich bei den Mosaiksteinchen, die sich zu bunten, schillernden Flächen zusammenschließen, um getrocknete Acrylfarbe handelt.
Whitten kam in den Südstaaten zur Welt und suchte sich seinen ganz eigenen Zugang zur Kunst und ihren Medien. Als Maler begann er in den 1970ern zu experimentieren. 1962 entstanden seine ersten Holzskulpturen und 1970 begann er mit einem speziellen Rakel – ursprünglich ein Afrokamm –, Leinwände zu bemalen. 1973 fängt er dann an, diese spezielle Technik weiterzuentwickeln. Getrocknete Acrylfarbe wird in kleine Quadrate zerschnitten und mit Farbe auf meist grundierten Untergrund aufgebracht. Farbe verstand er als Material. Seine Formensprache war abstrakt, dennoch sind seine Arbeiten mit konkreten Titeln versehen. In der Ausstellung „Jack’s Jack“ finden sich vor allem Porträts ganz unterschiedlicher Figuren. Sie umspannen einen Zeitraum von 1964 bis 2017.
Die Ausstellung wurde, so berichtete Udo Kittelmann, mit Whitten und seiner Frau Mary bei einem gemeinsamen Abendessen entworfen. Zu diesem Zeitpunkt war es wohl noch nicht abzusehen, dass es sich um die letzte von Jack Whitten (mit)geplante Schau handeln würde.
Whitten wurde von seinen Zeitgenossen als unermüdlicher Arbeiter bezeichnet, der sich allen Widerständen zum Trotz im amerikanischen Kunstbetrieb durchsetzte. Sein Arbeitseifer in allen Bereichen war für seine Weggefährten bewundernswert. Denn um sich durchzusetzen, musste Whitten, wie der amerikanische Künstlerkollege Melvin Edwards in einem Interview berichtet, seinen Lebensunterhalt mit allem verdienen, was er konnte. Das hieß, als Schreiner zu arbeiten, Wohnungen zu renovieren und parallel eben noch künstlerisch tätig zu sein.
Dieser Arbeitseifer, gepaart mit großer Experimentierfreudigkeit, brachte neue Techniken zustande, in denen Farbe als ein neuartiges Material genutzt wurde. Im Rahmen der Gedenkfeier zu Ehren Whittens im Metropolitan Museum in New York brachte die amerikanische Kunsthistorikerin und als Kuratorin der Ausstellung „High Times – Hard Times: New York Painting 1967–1975“ mit Whittens Arbeitsweise und Werk vertraute Katy Siegel Whittens Verständnis von Farbe gut auf den Punkt: „Jack Whitten erlebte seine prägenden Jahre in einer New Yorker Kunstwelt, in der es bei der Malerei um die Betonung der Flächigkeit ging. Er überwand dieses Konzept und zeigte, dass es in der Kunst eigentlich um Fülle ging.“
Whitten selbst meinte einmal: „Ich mache ein Gemälde, ich male es nicht.“ Damit berief er sich jedoch nicht nur auf seinen Umgang mit Farbe. Auch seine Themenwahl und Umsetzung war damit gemeint. Denn trotz der Abstraktion wählte Whitten ganz konkrete Titel. Und so ist die Ausstellung „Jack’s Jack“ vor allem einzelnen Personen gewidmet.
Whitten beschäftigte all das, was er wahrnahm, und seine Faszination galt der Abstraktion in der Malerei, im Jazz und in der Mathematik. Doch auch Zeitgenossen – Menschenrechtler wie Künstler, Politiker und auch Mathematiker – waren Inspiration und Vorlage.
So entstand im Wahlkampf 2011 „Apps for Obama“ – ein 213,4 × 231,1 cm großes Gemälde, das an den blau leuchtenden Desktop eines Tablets erinnert, auf dem diverse App-Symbole angeordnet sind. Aus Alabama kommend hatte Whitten Martin Luther King und dessen wichtige Arbeit am eigenen Leib erfahren, somit knüpfte sich Hoffnung auch an Obama. Und dieser verlieh Jack Whitten am 22. September 2016 die National Medal of Arts.
Um nochmals Katy Siegel zu zitieren: „Jack Whittens Format war universal, weil es sich in alle Richtungen erstreckte, um an den fundamentalen Erfahrungen des Menschseins zu rühren.“

Jack Whitten: „Jack’s Jacks“
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
29. März bis 1. September 2019  
Jack Whitten „Apps for Obama“, 2011, Privatbesitz, courtesy Zeno X Gallery
© Jack Whitten, courtesy Zeno X Gallery, Antwerp. Photo: John Berens