Gespräch

Berlin Biennale 9

2016:September // Clara Brörmann und Ellen Blumenstein

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09-2016

„Diese Art von Anti-Kritik kann nichts ernst meinen und ihr Gegenüber nicht ernst nehmen.“

Clara Brörmann  / Mode, Design, Marketingstrategien und Internet in der Kunst, das ist alles nicht wirklich neu – aber vielleicht das Ausmaß der Durchdringung dieser Bereiche, weil die Künstler selbst Teil derselben geworden sind?
Die Allgegenwart der Medien, der Werbung und ein zunehmender Informations-Datenfluss haben einen großen Einfluss und führen zu vielen Veränderungen, das ist ohne Frage ein spannendes Themenfeld für die Kunst. Für mich wurde es auf der Berlin Biennale 9 dort interessant, wo es um explizite Dinge wie Kommunikationsformen, Beziehungen und gesellschaftliche Phänomene geht. Das stand aber augenscheinlich nicht im Vordergrund. Der Medieneinsatz der Biennale mit den etwas aufdringlichen Fotos und Sprüchen von DIS und ein hoher Aufwand, was Installationen und Ambiente angeht, fallen auf. Für mich wird dadurch viel ‚heiße Luft‘ produziert, ein Fokus liegt auf der Präsentation, den Oberflächen.

Ellen Blumenstein  / Als Kuratorin interessiert mich immer auch die Raumdramaturgie – und die hat besonders in der Akademie der Künste sehr gut funktioniert. Ein Ort, der architektonisch so unklar in seiner Funktion/Nutzung ist und eigentlich nur aus Transit-Zonen besteht, stellt sich einer Vermischung von Kunst und Marketing, wie Du sie beschreibst, weniger entgegen als ein White Cube wie etwa die KW. Dort wiederum gefallen mir die Bürotüren, die die Ausstellungsräume voneinander trennen, weil sie durchaus selbstironisch in die Atmosphäre des Hauses eingreifen. Ich frage mich nur: Was habe ich als Besucher davon? Kann ich in einer Ausstellung, die bewusst die Differenz zwischen Kunst und Nichtkunst nivelliert, überhaupt noch ein reflexives Verhältnis zu den Exponaten einnehmen? Das gleiche Problem hatte ich allerdings auch schon mit Artur Żmijewskis vorletzter Biennale, die sich ja politisch auf der entgegengesetzten Seite positioniert hat.

Brörmann  / Die Reflexion des Ausgestellten, beziehungsweise meine Rolle als Rezipient, habe ich tatsächlich als ambivalent empfunden. Die Schwierigkeit lag für mich aber mehr noch bei den Haltungen, die hinter diesem Einsatz von Marketing und Kunst und ihrer Gleichsetzung stehen. Die Beweggründe der Kuratoren waren für mich nicht wirklich nachvollziehbar und dann fällt es mir als Betrachter auch schwer, mich dazu zu verhalten. Vielleicht ist diese durch ‚Branding‘ und Design geprägte Ästhetik ja einfach symptomatisch für unsere Zeit, beziehungsweise ein Blick in die nahe Zukunft?

Blumenstein  / Die Biennale zeigt ja nur einen kleinen Ausschnitt aktueller künstlerischer Strategien – jene, die gerade en vogue sind. Aber ich glaube, dass die Zuspitzung einer bestimmten Perspektive immer zugleich auch deren Höhe- und Endpunkt markiert. Ich habe gehört, dass einige Künstler inzwischen großen Wert darauf legen, nicht mehr mit dem Label ‚post-internet‘ in Verbindung gebracht zu werden, weil sie spüren, dass dessen Zenit bereits überschritten ist. Mal sehen, welche Sau als Nächstes durchs Dorf getrieben wird.

Brörmann  / Gehen wir zum Vergleich mal von einem ganz anderen Ausstellungsprogramm aus – ich besuche zum Beispiel sehr gerne die Gemäldegalerie Berlin. Gemälde sind für mich ein zeitloses Medium. Meine Erwartung an ein gutes Bild ist, dass es Lebendigkeit, Kultur und eine Haltung transportiert. Dadurch entsteht ‚Tiefe‘, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich. Ich kann bei der Betrachtung etwas davon erfahren, mitnehmen und mich auch über längere Zeiträume damit beschäftigen. Ausgehend von diesen Kriterien hinterfrage ich auch die Mechanismen der Bilder auf der Biennale und was bei Ihrer Betrachtung passiert.

Blumenstein  / Der Unterschied zwischen den Gemälden am Kulturforum und den Bildern auf der Biennale scheint mir, dass erstere Wissen voraussetzen. Dieses Wissen muss mühsam erworben werden, bevor man es genießen und deren ‚Tiefe‘ schätzen kann. Die Bilder auf der Biennale funktionieren sofort, sie affizieren mich direkt, wie Werbung. In der Werbung geht es darum, diesen Affekt an ein Produkt zu binden, auf der Biennale reicht es den meisten Bildern, Affekte freizusetzen. Sie schwirren eine Weile ziellos herum, dann sind sie weg. Klassische Malerei braucht mich zumindest als Betrachter, sie verweist auf mich zurück. Dem Post-Internet bin ich egal, es ‚kann‘ auch ohne mich. In gewisser Weise fühle ich mich deshalb nahezu abgewiesen von dieser Art Kunst, die mir ständig ihre Selbstbezüglichkeit demonstriert.

Brörmann  / Viele Werke funktionieren wie Instagram-Fotos: ein Klick, ein ‚Aha‘ (und eventuell ‚like‘) und viel mehr passiert nicht. Ist das lediglich eine Verflachung, eine Reduzierung auf Zweidimensionalität, oder kann man mehr dahinter entdecken?

Blumenstein  / Eine strukturelle Auseinandersetzung mit dem Genre ‚Content‘, das ja das Gegenteil des deutschen Begriffes ‚Inhalt‘ bezeichnet, fände ich an sich spannend; den Gedanken, dass das Medium (also die Form, nicht der Inhalt) die entscheidende Information enthält, hat ja Marshall McLuhan schon in den frühen 1960ern formuliert. Nur, dann müsste man auch das System adressieren, innerhalb dessen diese Art der Kommunikation eine konkrete Funktion erfüllt und nicht diese selbst schon für das Eigentliche halten.
Es wäre beispielsweise viel interessanter darüber zu spekulieren, welche anderen Formen von Subjektivität – und Teilhabe  – durch soziale Medien möglich werden, als sich einzubilden, deren normativem Druck durch Übersteigerung entkommen zu können. Diese Art von Anti-Kritik ist nicht nur elitär, sondern letztlich dumm, weil sie nichts ernst meinen und ihr Gegenüber nicht ernst nehmen kann.

Brörmann  / Ja, die Veränderung der Medienstrukturen, ihre Form und Wirkung ist – und bleibt – definitiv von Interesse.
Abgesehen davon würde ich hinsichtlich der Form der nicht-virtuellen Ausstellungsobjekte behaupten, dass sie, wenn sie nicht durch Dritte produziert oder industriell gefertigt waren, nicht gerade durch eine besondere Qualität herausstechen. Für mich als Künstlerin, der der Arbeitsprozess/die Auseinandersetzung mit dem Material im Atelier wichtig ist, stellt sich die Frage, was der Sinn ist, Kunstwerke herzustellen, bei denen das Herstellen selbst einen sehr niedrigen Stellenwert hat?

Blumenstein  / Die Wertschätzung des Handwerklichen ist ja seit der Erfindung der Konzeptkunst auf dem absteigenden Ast, in allen Genres. In gewisser Weise hast du es als Malerin vermutlich sogar noch leichter, weil es vor der Leinwand am schwierigsten ist, der Frage nach dem Material, der Hand, der Komposition auszuweichen. Aber die Technik nimmt einem dieses Problem letztlich natürlich genauso wenig ab: die Filme und Installationen von Ryan Trecartin und Lizzy Fitch oder Jon Rafman sind ja beispielsweise bis ins Detail durchkomponiert und reflektieren ihr Medium durchaus.

Brörmann  / Das stimmt allerdings. Für die technischen Fertigkeiten und deren Gestaltung braucht es zudem wahrscheinlich ein umfangreiches Know-how. Das führt mich zu der Überlegung, was ein Künstler heute eigentlich leisten muss. Wie Du sagst: „Jedes Kunstwerk entstammt zuallererst der Erfahrungs- und Vorstellungswelt seines Schöpfers. Darüber hinaus wird seine finale Erscheinungsform allerdings durch eine Reihe überindividueller Faktoren bestimmt (…).“1
Die ‚Erfahrungswelten‘, die ich auf der Biennale wahrgenommen habe, sind zum Beispiel Instagram, Youtube (Amalia Ulman, Ryan Trecartin) und Marketing (eigentlich die gesamte
Gestaltung der Biennale). Daneben gibt es Arbeiten, wie von Simon Denny, die auf Recherche aktueller, neuer Phänomene basieren und den Inhalt mit der entsprechenden Ästhetik zusammenbringen. Das nehme ich vor allem als eine Fleißarbeit an einer perfekten Zusammenführung wahr.
Etwas zugespitzt gesagt: Wenn anstelle eines schaffenden Individuums das Internet als hauptsächlicher Generator für Kunstwerke dient, was fügt der Künstler noch hinzu? Fantasie? Gefühl? Irgendwelche Energien? Oder ist er lediglich ‚Gastgeber‘?

Blumenstein  / Ich würde da differenzieren: Das Internet gehört heute zu unserer Erfahrungswelt und ich sehe keinen Grund, es nicht zum Anlass für ein Kunstwerk zu machen. Aber worauf du anspielst, ist ja eher das Verhältnis eines Künstlers zu seinem Gegenstand. Bei Simon Denny zum Beispiel frage mich häufig, was ihn eigentlich an den Sujets interessiert, die er bearbeitet. Ich erkenne da weder eine Zuspitzung/These, noch spüre ich eine persönliche Obsession – es ist schon alles richtig, was da zusammengetragen wird, aber eigentlich erfahre ich von den Arbeiten nichts, was ich mir nicht ebenso hätte ergoogeln können.
Ich bilde mir ja ein, dass sich auf Dauer immer von allein herauskristallisiert, wer wirklich an etwas arbeitet und wer nur Marketing betreibt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die entscheidende Veränderung der kommenden Jahre darin bestehen wird, dass die Einhaltung der systemimmanenten Codes sich als absoluter Maßstab durchsetzen wird und Devianz keinen Ort mehr findet.

Brörmann  / In ihrer Einführung schreiben DIS: „Es ist eine Gegenwart, die man nicht kennen, nicht vorhersagen, nicht verstehen kann. Sie ist dem Beharren auf etlichen Fiktionen entsprungen. Nichts an der heutigen Welt ist besonders realistisch; einer Welt, in der es sich mehr lohnt, in Fiktionen zu investieren, als auf die Realität zu setzen …“, dadurch sei diese besonders „offen“ und „verfügbar“.
Wie kann die Welt nicht „besonders realistisch“ sein? Ohne Wahrnehmung der Gegenwart (und sei es auch aus unterschiedlichen Perspektiven), ohne Reflexion, ohne Blick auf Geschichte und Zusammenhänge, ohne Kriterien, Unterscheidung und Benennung wird doch alles gleichgültig und ein Brei und insofern redundant, oder nicht?
DIS versuchen eine Art Anti-Kritik zusammenzutragen. Ein Beispiel ist der Slogan „Why should Fascists have all the Fun?“ Ich verstehe nicht, worum es geht – soll ich diese Frage für mich beantworten? Haben wir hier eine Meinung zum Faschismus? Welche Art von Faschismus ist überhaupt gemeint? Soll das provozieren – und wenn dann wen oder was?
Ich konnte nicht wirklich einschätzen, ob die Kuratoren sich mit dieser Form des ‚Nicht-Stellung-Nehmens‘ identifizieren oder ob es sich um ein ‚Spielchen‘ handelt.

Blumenstein  / Ich musste mir den Spruch über die Faschisten auch erst erklären lassen; der ist so meta-meta, dass ich ihn tatsächlich schlicht nicht verstanden hatte. Offenbar geht es darum, dass die heutige Rechte, in Deutschland also AfD und Konsorten, sich in ihrer Opposition gegen den gesellschaftlichen Konsens stark fühlen – und Spaß daran haben. Die daraus resultierende Euphorie der Übertretung reklamiert man nun auch für sich selbst. Oder so. Das kann natürlich eine völlige Fehlinterpretation sein, aber egal, wie ich es wende, ich finde diese Provokation gefährlich. Sie basiert nämlich auf der Haltung, dass Wunscherfüllung individuell und auf möglichst direktem Weg erfolgen müsste – aber Kultur basiert ja in erster Linie auf Sublimierung, das heißt darauf, das eigene Genießen zugunsten der Gemeinschaft aufzuschieben und/oder umzuformen. Eine Gesellschaft, die nur aus Individualisten bestünde, wäre selbst proto-faschistisch und bräuchte auf Dauer sehr starke äußere Reize, die sie zusammenhalten.

1 Zitiert nach: Ellen Blumenstein: „Was kann ein Bild sein? Gedanken zur Arbeit von Clara Brörmann“, in: Katalog „Clara Brörmann“, Kerber Verlag, Bielefeld 2016
Fotos: Andreas Koch